Die Kirche
Ich sah endlich das schwarze Meer in den Engen der steil aus ihm herausragenden Berge und seinen mit weiß funkelnden Sternen übersäten Himmel. Hier war meine Reise zu Ende. Ihre Fortsetzung hätte mich die Steilklippen hinabstürzen lassen. Das Wasser hätte mich für immer mit sich genommen und vielleicht hätte sich nie jemand an mich erinnert. Ich war stundenlang mit meinem Auto in diese Richtung gefahren, hatte dem Sturm getrotzt, der mich abwechselnd nach links und rechts zur Seite drücken wollte, und dem Nebel, der mir die Sicht auf mein Ziel versperrte, die Stirn geboten. Hier fühlte ich mich wie in einer anderen Welt. Ich vergaß das Blut, dass ich gesehen hatte, vergaß, aus welchen Körpern es geflossen war. Hier in der Nähe musste sie sein, die Kirche, die zu Suchen mir so lange der Mut gefehlt hatte. Ich lief an den Klippen entlang, hatte längst die Orientierung verloren, wollte mich in die Dünen fallen lassen, mein Gesicht in den Sand bohren und wie ein Baby an der Brust seiner Mutter den Saft der Erde trinken und Gott danken, dass er mich beschützen würde.
Ich sah die bunten, aus bunten Glasscherben himmelsgleich zusammengesetzten Fenster. Hinter ihnen brannte Licht. Ich würde meine Bestimmung erreichen. Die Kirche stand nahe am Abgrund. Die Jahre hatten die Klippen ihr näher gebracht. Ihr Sturz in die Dunkelheit war eine Frage der Zeit. Ihre Mauern hatten Risse, sie war lange nicht betreten worden und doch lud mich ihr Licht ins Innere. Ich versuchte die große bogenförmige Tür zu öffnen, dann die Seitentür, doch alle Zugänge waren verschlossen. Erschöpft sackte ich zwischen Kirche und Küste auf den Boden und betete. Als ich wieder erwachte, war es noch dunkel. Die ersten Vögel sangen, die Sonne würde aufgehen und die Tür war nun geöffnet. Ich trat ein und wurde von einem so prachtvollen Altar überwältigt, dass meine Augen schmerzten und ich sie schließen musste. Als ich sie wieder öffnete, sah ich eine Frau, die auf einer Gebetsbank kniete, die Hände gefaltet hatte und die Augen verschlossen. Sie rührte sich nicht, nicht in der ersten, nicht in der zweiten und auch nicht in der dritten Stunde, die meinem Eintritt in die Kirche folgte. Sie war jung, hatte zwei dicke, geflochtene, blonde Zöpfe und trug eine langes Kleid aus dickem Stoff. Wie sehr wünschte ich mir, dass sie aufsteht, um meinen Kopf auf ihre weiche Brust zu legen, doch sie war zu Stein erstarrt. Die Kälte in ihrem Körper gab ihr eine Anmut, die ich zuvor nur bei Engeln gesehen hatte. Ich lief auf den Altar zu, die Treppen hinauf und schrie so laut ich konnte.
Später verließ ich die Kirche. Die Luft war kühl, ich setzte mich nah an die Klippen, weinte und wärmte mich in der Sonne. Dann wachte ich auf.