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Die Klinge

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18.07.2015
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Die Klinge

Es war still. Man hörte nur wie die Regentropfen leise an die Fensterscheibe klopften.
Misaki saß wie jeden Tag an ihrem Fenster und dachte nach.
Sie hatte erneut einen Schultag überstanden, doch sie fragte sich, wofür.

Es war wie jeden Tag: Sie kam in die Schule, doch niemand interessierte sich dafür.
Niemand begrüßte sie, niemand schaute sie an, niemand beachtete sie.
Misaki existierte nicht. Für ihre Mitschüler war sie wie Luft. Und genau das war es, was die Braunhaarige so traurig machte.

Das junge Mädchen schaute aus dem Fenster und versuchte krampfhaft, ihre Tränen zu unterdrücken.
Sie wollte nicht weinen. Sie durfte nicht weinen.
Langsam krempelte sie ihre Ärmel hoch und schaute sich ihre Arme an.

Ihre Handgelenke waren überseht von Narben.
Diese Narben waren für Misaki keine gewöhnlichen Kratzer, es waren für sie Zeichen von Stärke.
Zeichen dafür, dass sie eine Kämpferin war.

Langsam schaute Misaki zum Tisch und nahm die Klinge in die Hand.
Sie schloss die Augen. Ohne lange darüber nachzudenken, ließ sie die scharfe Klinge über ihr Handgelenk gleiten.

Sie spürte wie ihr Blut den Arm runterlief und letzendlich auf den Teppich tropfte.
Der schneeweiße Teppich verfärbte sich langsam blutrot. Erneut.

Erneut tat sie es. Sie versprach sich jeden Tag aufs neue, sich nicht zu verletzen.
Doch trotzdem saß sie jedem Abend mit blutenden Armen da und verabscheute sich dafür, was sie getan hatte.

Sie blieb seelenruhig sitzen und betrachtete ihre Handgelenke.
Doch anstatt das Blut von ihren Armen zu wischen, ließ sie es dort.
Sie blutete weiter, denn nur so funktionierte das Leben für sie.

Mehr brauchte die Braunhaarige nicht.
Wenn sie ihr eigenes Blut sah und die körperlichen Schmerzen fühlte, verschwanden die seelischen Schmerzen.
Und genau das war dass, was sie immer wollte.

Mittlerweile hatte sie so viele Narben an ihren Armen, dass man sie nicht mal mehr zählen konnte.
Misaki hatte Tränen in den Augen, doch trotzdem lächelte sie.
Sie lächelte weil sie ihre seelischen Schmerzen für diesen einen Moment vergessen konnte.
Sie war glücklich.

Während Misaki gedankenvertieft aus dem Fenster schaute, kam ihre Mutter plötzlich in das Zimmer.
Ihre Augen weiteten sich und sie starrte auf die Narben ihrer Tochter.

"Was hast du da?", fragte die Mutter besorgt und mit Tränen in den Augen.

"Narben. Zeichen von Stärke.", erwiderte die Braunhaarige lächelnd und schaute zu ihrer Mutter hoch.

"Warum tust du sowas?"

Misakis Blick wurde wieder ernst. Sie wandte ihren Blick von ihrer Mutter ab.

"Weißt du, Mama...niemand schneidet sich die Arme auf,
weil er im vorherigen Leben ein Zebra war und die Streifen so sehr vermisst..."

Misaki atmete tief durch und blieb sitzen. Stille. Niemand sagte mehr ein Wort.
Es würde sowieso nichts ändern. Es würde jeden Tag das gleiche sein.

Denn Misaki hatte nur einen wahren Freund: Die Klinge.

 

Hallo keinnamevorhanden,

herzlich willkommen bei den Wortkriegern.

Ein kleiner Fehler:

Ihre Handgelenke waren übersät von Narben.

Deine graphische Anordnung des Textes ist für eine Kurzgeschichte ungewöhnlich. Ich hatte den Eindruck, es handelt sich um die kurzen Begleittexte zu einer Bilderserie.

Du stellst Misakis Gedanken dar und auch den Koflinkt - auf der einen Seite Abscheu, auf der anderen Seite den Zwang, es immer wieder zu tun.
Aber es fehlt noch vieles, was Du nur anreißt. Hat ihre Sucht etwas mit ihren Schulproblemen zu tun oder woher kommt sie. Fallen die Narben in der Schule gar nicht auf? Was unternimmt die Mutter?

In einen Fall, den ich in der näheren Umgebung miterlebt habe, waren wir auch hilflos, aber nachdem sich andere psychische Belastungen aufgelöst hatten, war auch der Zwang zum Ritzen weg. Deshalb neige ich dazu, dass Beratung und Betreuung wichtig ist.

Das Thema ist Dir wichtig, das habe ich auch an Deinem Album gesehen. Ich würde Dir nahelegen, Dich weiter mit dieser kleinen Geschichte zu beschäftigen und sie auszubauen.

Liebe Grüße

Jobär

 

Hey keinnamevorhanden,

eine Geschichte wie ein Casper-Song. Ich musste schon bei dem Titel direkt an "Rasierklingenliebe" denken, und dieser Gedanke hat sich dann auch bestätigt.
Inhaltlich ist das als Außenstehender natürlich schwer zu beurteilen, deswegen will ich es gar nicht erst versuchen. Was mir aufgefallen ist, ist, dass der Erzähler sehr klar und reflektiert ihre Gedanken beschreibt. Als Leser hätte ich mir gewünscht, dass Misakis Gedanken direkter dargestellt werden, ungefiltert sozusagen. Außerdem wäre es schön gewesen, mehr über ihre Beweggründe zu erfahren. Dass sie in der Schule nicht beachtet wird, ist ja wirklich sehr knapp angesprochen.
Wenn du weiter an der Geschichte arbeiten willst, solltest du auch der Mutter etwas mehr Tiefe geben. Ihre Reaktion kann man sicher noch weiter ausarbeiten.
Sprachlich hat mir der Text auf jeden Fall gut gefallen. Nur die Bezeichnung "die Braunhaarige" finde ich etwas unglücklich. Klar, du willst nicht immer "Misaki" oder "sie" schreiben, aber "die Braunhaarige" klingt aucht nicht gut. Vielleicht könntest du auch noch einige Wortwiederholungen ausbessern, aber sonst ist mir nichts Negatives aufgefallen.
Die Formatierung ist, wie Jobär bereits gesagt hat, sehr unüblich.
Kleine Fehler / Verbesserungsvorschläge:

Es war still
-> fast still, denn man hört ja etwas
Man hörte nur KOMMA wie die Regentropfen leise an die Fensterscheibe klopften.
Sie kam in die Schule, doch niemand interessierte sich dafür.
-> "niemand interessierte sich für sie" wäre noch stärker
Sie spürte wie ihr Blut den Arm runterlief und letzendlich auf den Teppich tropfte.
-> herunterlief und letztendlich, das würde ich aber sowieso streichen, da es nicht notwendig ist.
Sie versprach sich jeden Tag aufs neue, sich nicht zu verletzen.
-> Neue muss groß, wegen auf das
Doch trotzdem saß sie jedem Abend mit blutenden Armen da und verabscheute sich dafür, was sie getan hatte.
-> jeden Abend
Und genau das war dass, was sie immer wollte
-> das, was mit einem s

Wenn Auslassungspunkte ein Wort ersetzen, müssen davor und danach Leerzeichen.

Insgesamt gut geschrieben und berührend. Auch der Spruch mit dem Zebra hat mir gut gefallen.

Liebe Grüße
blackfyre

 

Wow, ich finde die Geschichte echt gut.

"Weißt du, Mama...niemand schneidet sich die Arme auf,
weil er im vorherigen Leben ein Zebra war und die Streifen so sehr vermisst..."
Vor Allem diese Aussage.

 

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