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Die Konferenz
„So ein scheiß Tag“, dachte Franz, als er aufstand. Wer von seinen bescheuerten Vorstandskollegen war denn auf die Idee gekommen die Konferenz bereits um sechs Uhr zu beginnen? Aber was blieb ihm anderes übrig, als seinen schwerfälligen Körper aus dem Bett zu hieven und sich da zu kratzen, wo sich Männer nun mal gerne kratzen? Gut, am Sack hätte er sich nicht zwangsläufig kratzen müssen, aber vor der Konferenz und somit vor dem Aufstehen konnte er sich nicht drücken. Eine Vorstandskonferenz ohne Vorstandsvorsitzenden war einfach undenkbar.
Wankend ging er zur Tür und erinnerte sich an die Zeiten, in denen er erst nach sechs Uhr nach Hause gekommen war. Als er noch mit reichlich Koks und einigen Nutten gefeiert hatte. Aber diese Zeiten war seit zehn Jahren vorbei. Jugendsünden! Mit 58 war es langsam an der Zeit erwachsen zu werden.
Also schleppte er sich mühsam unter die Dusche und seifte seinen behaarten Körper ein. Er bemerkte, dass seine Haut täglich faltiger und seine Haare immer grauer wurden, zumindest die, die noch da waren. Den größten Haarwuchs hatte er auf dem rechten Hinterkopf. Die Ansammlung dort konnte man mit viel Wohlwollen als Büschel bezeichnen, was Franz geschickt ausnutzte, in dem er die langen grauen Haare einmal quer über seinen Kopf kämmte. Bei schlechtem Licht, noch schlechterer Sicht und einer katastrophalen Sehstärke konnte man meinen, Franz habe volles dichtes Haar. So sah er erheblich jünger aus. Fast wie 56.
Pfeifend glitt Franz aus der Dusche. Er fühlte sich augenblicklich besser, zur Konferenz wollte er dennoch nicht. Da würde er noch lieber mit seiner Frau schlafen und die war wirklich ein alter Hausdrachen – nicht nur charakterlich. Nein, wenn es irgendwann einmal Drachen gegeben haben sollte, dann hätte mit Sicherheit der eine oder andere besser ausgesehen.
„Kunststück!“, murmelte er vor sich hin.
„Was für ein Kunststück, Mausibär?“, fragte ihn seine Frau, die plötzlich hinter ihm stand.
„Ach nichts,“ stotterte er, „Hat dir eigentlich heute Morgen schon jemand gesagt wie bezaubernd du aussiehst?“
„Ja, der Postbote.“
Franz musste lachen. Der Postbote hatte doch ganz gute Augen. Seltsam.
Die Stimme seiner Frau riss in sofort wieder aus der Gedankenwelt.
„Musst du nicht langsam los, Mausibär?“
„Nenn mich nicht immer Mausibär!“
„Warum denn nicht, Mausibär?“
„Weil ich diesen Kosenamen hasse.“
„Aber da kann ich doch nichts dafür. Damit musst du selbst klar kommen. In unserem Psychologiekurs an der Volkshochschule haben wir letzte Woche gelernt, dass viele Verdrängung als Lösung ihr Probleme erachten und manche Probleme erst durch Verdrängung entstehen. Freud hat in seinen Studien ...“
„Fang jetzt nicht mit Freud an!“
„Aber Freud ....“
„Freud kann mich am Arsch lecken! Schönen Tag!“
Sie rief noch: „Freud ist tot, der kann dich nicht mehr am Arsch lecken!“, aber Franz hatte die Tür schon zugeschlagen.
Draußen setzte Franz sich in seinen neuen E-Klasse Mercedes und fuhr zum Büro. Einige Angestellten wünschten ihm „Guten Morgen“. Dabei lächelten ihn alle übertrieben freundlich an und begannen, sobald er sich umgedreht hatte, zu tuscheln. War denn jeder, außer ihm heute gut gelaunt? Auch seine Sekretärin grinste überfreundlich, als er den Raum betrat. „Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Burgner. Kommen sie vom Strand?“ Als ihm auffiel, dass das Grinsen seiner Sekretärin zu einem breiten Lachen verkommen war, merkte er, dass er nur ein Handtuch umhatte. Aus lauter Rage hatte er vergessen sich anzukleiden. Deswegen hatten seine Angestellten so gegrinst. ‚Niederes Pack’, dachte er und spähte auf die Uhr. Noch dreißig Minuten bis zum Beginn der Konferenz.
Er brauchte etwas zum Anziehen, wollte aber nicht nach Hause in die Höhle des Drachen, schließlich war er nicht Siegfried und die Nibelungensage sowieso der größte Mist, den er je gelesen hatte. Also beschloss er seine Sekretärin loszuschicken, um ihn einzukleiden. Sabrina Ender lief die wenigen Meter bis zum nächsten Laden und kaufte einen Anzug, ein Hemd, eine Krawatte und Unterwäsche. Kurze Zeit später war sie wieder zurück. Die Sachen passten ihm sogar relativ gut. Franz nahm sich vor das Gehalt Sabrinas zu erhöhen und im Gegenzug einen der vorhin lachenden Mitarbeiter zu entlassen.
Er schlüpfte in seine neuen Klamotten und bereits wenige Minuten später trafen die Vorstandskollegen ein, die er in den Sitzungssaal geleitete. Die Konferenz begann.
„Herr Müller“, begann Franz Burgner aufbrausend. „Haben Sie komplett den Verstand verloren? Ihre Abteilung hat letzten Monat zweihundertdreißigtausend Euro Verlust gemacht. Erklären Sie das!“
„Aber ich“, stotterte Herr Müller. „Aber ... aber wir, wir haben doch Gewinn erwirtschaftet. Die zweihundertdreißigtausend Euro sind lediglich die Ausgaben. Denen stehen Einnahmen ...“
„Das ist mir scheißegal, wie viel Sie eingenommen haben! Ich will wissen, warum Sie so viel Verlust in ihrer Abteilung vorweisen?“, schrie Franz Burgmüller.
„Aber wir haben doch Gewinn erwirtschaftet. Gewinn! Verstehen Sie, Herr Burgner? Die zweihundertdreißigtausend sind nur die Ausgaben.“
„Natürlich verstehe ich. Was erlauben Sie sich, mich so zurechtzuweisen. Erklären Sie mir lieber mal die überhöhten Ausgaben!“
„Äh ... die Ausgaben ...“ Herr Müller begann stark zu schwitzen. „Die Ausgaben sind diesen Monat höher, weil ...“
Die fünf Augenpaare der anderen Vorstandsmitglieder richteten sich auf Herrn Müller. Ihre Blicke durchbohrten ihn fast, er fühlte sich in die Enge getrieben.
„I – I – Ich ... Ich habe mir einen Porsche gekauft und dachte es würde nicht auffallen“, wimmerte Herr Müller und rannte gleich darauf aus dem Büro.
„Vollidiot!“, ergänzte Franz höhnisch und drückte auf den Knopf an der Gegensprechanlage: „Frau Ender, würden Sie bitte so freundlich sein Herrn Müller zu entlassen. Danke.“ Er hörte noch „Ich soll Herrn Mül ...“, aber da nahm Franz bereits den Finger vom Knopf.
Die fünf Herren fällten im Verlauf der Konferenz einige Beschlüsse, die meiste Zeit verbrachten sie aber damit, ihren Kaffee vorsichtig zu schlürfen, um nicht einen ihrer teuren Armani- oder Lagerfeldanzüge zu beschmutzen. Jedes Mal wenn sich Franz nach einer Erklärung an der Flipchart mit samt Edding wieder zu seinem Platz begab, musste er den Tisch umrunden. Dabei versuchte er stets die Hemdkragen der zwei Vorstandskollegen, die an dieser Seite saßen, unauffällig anzumalen. Dieses Spiel versüßte ihm jede Konferenz. Auch jetzt schaffte er es wieder, Herrn Wagner unbemerkt einen Punkt aufzudrücken.
Zwei Stühle weiter hing das beige Sakko Herrn Schotts. Dieser hatte gerade kurz den Raum verlassen. Franz witterte seine Chance. Er öffnete den Edding, hielt ihn auf Hüfthöhe vom Körper weggestreckt und lief nahe am Stuhl vorbei. Er hatte ganze Arbeit geleistet. Ein langer schwarzer Strich zierte die Rückseite des Sakkos. Den Stift ließ er im Blumentopf verschwinden, zückte einen blauen aus seinem Federmäppchen und lauschte den Ausführungen der Anderen. Still lachte er in sich hinein. Der Verdacht würde sicher nicht auf ihn fallen. Er hatte nun lediglich einen blauen Stift auf dem Tisch liegen, wohingegen alle anderen mit schwarz schrieben. Nachdem die Konferenz zu Ende war, verabschiedete Franz seine Kollegen und verließ als letzter den Raum. Das beige Sakko hing noch über dem Stuhl, Franz nahm es und rief Herrn Schott nach: „Herr Schott, Sie haben ihr Sakko hängen lassen.“
„Oh ja, vielen Dank.“
Herr Schott drehte sich um und schritt auf Franz Burgner zu. Dieser hielt ihm mit todernster Mine das beige Jackett entgegen. Doch Herr Schott griff nicht zu dem beigen Sakko in Franz’ Hand, sondern zur Gardarobe auf der rechten Seite. Dort hing noch ein Schwarzes.
„Auf Wiedersehen.“, rief Herr Schott freundlich. „Und danke, dass sie mich an mein Sakko erinnert haben.“
„Auf Wiedersehen“, stammelte Franz noch, dabei betrachtete er seine Hose, die dem Sakko in seinen Händen verblüffend ähnlich sah.