Mitglied
- Beitritt
- 06.08.2008
- Beiträge
- 8
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Die Krise
Hannes hängt wie jeden Abend beim nach Hause kommen den Schlüssel ans Schlüsselbrett und begrüsst seine Angebetete mit einem hallenden Ruf durch die Wohnung. „Schatzi, ich bin Zuhause!“ Es ist still im Haus. Niemad erwiedert seinen Ruf. „Um diese Zeit müsste Sie doch längst daheim sein. Wo um alles in der Welt steckt sie nur?“ Ein kleines Schaudern läuft ihm über den Nacken, wie immer, wenn er sich solche Gedanken macht. Er ist ein sensibler, feinfühliger Typ, leicht aus der Bahn zu werfen. Emotional schwankend, laut Persönlichkeitstest, den er für den Besuch der höheren Fachschule absolviert hatte.
Der Brief auf dem Tisch war in einem neutralen Kuvert und trug den Schriftzug des Namens seiner Frau Linda, in geschwungener Schrift, die schönste Schrift, die er kannte. Das hatte sie noch nie getan. Weggegangen und einen Brief hinterlassen. Warum keinen Zettel? Warum einen Brief. War die Botschaft darin so schwer zu ertragen, dass der Inhalt durch ein Kuvert verdeckt werden musste? Würde Ihn der Schmerz beim öffnen der Nachricht weniger treffen als wenn sie plakativ auf einem Blatt Papier stehen würde? Welche Botschaft braucht einen solchen Vorboten des Unheils? Linda ist nicht da, ein Brief von ihr auf dem Tisch, das kann nur eines bedeuten. „Sie kommt nicht wieder, sie nimmt Abschied mit einem Brief. Nach fünf guten Jahren, nicht einmal das verflixte siebte haben wir geschafft.“ Tränen rinnen aus seinen Augen. Hannes beugt sich vor und nimmt das Kuvert. Seine Hände zittern. Er kann nicht fassen, dass es so weit gekommen ist. Der Streit heute Morgen war doch belanglos. Sie war ohne ein Wort aufgestanden und hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen. „Hätte ich die Konsequenzen gekannt, mein Gott, ich wäre nie zur Arbeit gefahren. Aber hätte ich es verhindern können?“ Seine Gedanken foltern ihn und schnüren seine Kehle zu. Grosse dunkle Punkte breiten sich auf dem Kuvert aus. Das Papier saugt die Tropfen schell auf. Hannes ist zu sehr in Gedanken als dass ihm die Tränen auf dem Couvert auffallen würden. Sein Gefühl und Gedanken drehen sich immer rasanter. In ihm beginnt es zu brodeln, er ist wütend über sich und seine Art. Er hätte es verhindern können! Warum war er zur Arbeit gegangen, warum hatte er es nicht gleich bereinigt. Er hätte auch anrufen können, sie hätte anrufen und es ihm persönlich sagen können. „Ich habe das Recht dazu!“ Seine Faust schlägt auf dem Tisch auf, die Schmerzen stören ihn nicht, sie bestätigten ihn in seiner Wut. Seine Hand zittert noch immer, aber nicht mehr vor Trauer und Angst. Die Anspannung zeigte sich an den Handsehnen und der pulsierenden Ader, die an seinem Hals zum Vorschein kommt. In seiner anderen Hand hält er den Brief der unter der Anspannung seiner Finger zu zerknittern beginnt. Nun nimmt er auch noch die zweite Hand dazu und zerknüllte den Brief mit aller Kraft.
Ruhe ist eingekehrt. Hannes sitzt am Küchentisch. Die Tränen sind längst abgetrocknet. Die Schultern hängen herunter, seine Arme sind lahm von der Anstrengung. Es kommt ihm vor, als wären Stunden vergangen, obschon er erst eine halbe Stunde zuhause ist. Die Tür klickt und die feinen darauffolgenden Schritte verraten Hannes, dass seine Frau heimgekommen ist. Meilenweit würde er ihre Schritte erkennen. Sein Herz rast, nichts darf sie ihm anmerken. Der Brief verschwindet in seiner Hosentasche, er setzt sein alltägliches Lächeln auf und dreht sich zum Kücheneingang. Linda erscheint und drückt Ihm einen Kuss auf. „Tut mir leid wegen heute Morgen, ich hoffe du hattest nicht einen schlechten Tag deswegen. Ich lass dich nicht gern aus mit schlechten Gedanken über mich dem Haus, dafür liebe ich dich zu sehr.“ Hannes kann nichts sagen. Seine Stimme würde ihn verraten, er nickt. „Wir haben einen Notfall im Geschäft, ich muss gleich wieder gehen. Den Brief hats du also gelesen? Sollte ne Überraschung sein.“ Hannes erstarrt. „Der Brief - ach ja - ich hab Ihn noch nicht geöffnet. Hab Ihn bei Seite gelegt. Werd ihn dann später öffnen. Erst mal muss ich was essen.“ Linda schwebt förmlich durch den Raum. „Ich muss wieder.“ Mit diesen Worten ist sie auch bereits bei der Haustüre. Hannes folgt ihr wie ein Hund seinem Herrchen. Linda dreht sich nochmals um und gibt Hannes einen Kuss. „Ich hab das hier vergessen.“ Sie schüttelt eine Schachtel mit der Aufschrift Verhü…, weiter kann Hannes nicht lesen. „Bis später Schatz und wegen der Überraschung – herzlichen Glückwunsch zum Diplom.“