Was ist neu

Die Kunst des heimlichen Souveräns

Mitglied
Beitritt
22.12.2008
Beiträge
9

Die Kunst des heimlichen Souveräns

Sie ist schön. Sie übte an diesem Abend eine Strahlkraft in meine Richtung aus. Ich war geblendet. Also setzte ich meine übliche gespielte Lockerheit auf, wie man eine Sonnenbrille aufsetzt. Echt ist anders, aber spielen kann ich gut. Wer würde es schon bemerken? Ich setzte mein Bier an, trank es aus, schüttelte mich kurz und heftig, wie sich ein nasser Hund schüttelt, auf dass die Schüchternheit abfällt. Sie fiel ab, genau wie sämtliche Schamgefühle, plus mein Anstand. Viele Jahre Erziehung weg. So was passiert, für so was gibt’s Alkohol. Jetzt zählt der Auftritt. Somit und sogleich streckte ich meine Brust heraus, zog meinen Bauch ein und setzte ein verschmitztes Grinsen auf. Ich sehe gut aus, sagte ich zu mir. Am frühen Abend war ich sicherlich noch hübsch. Denn ich bin jung, und die Frische des heranstürmenden Lebens, der Tatendrang und der Wissensdurst stehen einem Menschen gut zu Gesicht. Aber ich war mir wirklich nicht sicher, ob ich zu diesem Zeitpunkt immer noch gut aussah. Doch wusste ich auch, dass weiteres Zögern die Situation nicht retten würde. Bedächtig wankend, versucht elegant, nahm ich den Weg zu dieser Schönheit auf mich. Dann waren’s noch zehn Meter, dann noch acht und dann kam einer der bestimmt schöner ist als ich und legte seinen Arm um sie. Um den Zusammenstoss zu verhindern lenkte ich meine Schritte um das Pärchen welches sich gerade gebildet hatte. Futsch sind meine reizenden Fantasien. Dafür tauchte die Bar aus dem Dunst auf. Ich setzte mich an die Theke, stützte meinen Kopf auf und bestellte Bier. Trinken hilft, dachte ich mir.

Also trank ich. Ein Bier. Zwei Bier. Ein Bier mehr und so weiter. Der Nebel um mich herum wurde dichter und dichter. Hin und wieder tauchte ein vertrautes Gesicht auf. Manche redeten heftig auf mich ein. Durch die laute Musik drangen nur Gesprächsfetzen an meine Ohren. Der Alkohol schenkte mir einen Zustand von innigem Verständnis. Ich lächelte ein zutiefst seniles Lächeln. Alles war eins, nur ich war eins plus. Zumindest vorerst noch. Ich hatte noch einen Funken Kontrolle über meine Menschenmaschine. Noch hatte ich die Souveränität über mich. Dann gab’s die erste Lücke in meiner Erinnerung. Die Zeit verging im Eiltempo. Mittlerweilen klammerte ich mich förmlich an der Theke. Ich fühlte mich wie auf hoher See, bei sehr starkem Wellengang. Der Barhocker schaukelte gefährlich, jede weitere Welle in Form eines Biers würde mein Boot in gefährliche Schieflage bringen, Kentern nicht ausgeschlossen. Die Band hatte aufgehört zu spielen. Wegen denen war ich eigentlich gekommen. Dann kamen sie zu mir und fragten ob die Show gerockt habe. Ich johlte los, dass ich es überirdisch fand und sie definitiv die neue grosse Entdeckung am Rockhimmel seien. Darauf hin gab mir der Bassist die Flasche Wodka. Ich setzte an und...

Meine Schläfen vibrieren. Ein kurzer Lichtblitz durchdringt mich, die Zeit steht still, es gibt keine Vergangenheit, keine Zukunft mehr. Alles war ein Traum, jetzt erst sehe ich klar. Ich bin aufgewacht. War flüchtige Materie, war Mensch. War der, der gerade neben mir steht und lacht und trinkt und mitsingt und redet und der Vorbeigehenden auf das Hinterteil schaut und auf Glück hofft und Angst hat zu sterben. Da steht er. Er wird von einem Flimmern erfasst, als würde er verbrennen und schon ist er verdampft. Ein Summen wie von einem Bienenschwarm erfasst mich und trägt mich durch die Dunkelheit zu einem unerwarteten Bild. Ich stehe auf einer riesigen Scheibe, sehe mich von weit her. Bin um mich herum, um unerwartet heftig, mir ganz nahe zu sein. Fange an zu laufen, dränge hinweg über Wirrnisse und andere Hindernisse. Stolpere über meine Füsse. Schlage auf, pralle ab, schlage wieder auf, um gleich wieder abzuprallen. Der Film ist hängen geblieben. Der Aufprall wiederholt sich ständig. Jetzt laufe ich wieder und denke über den Film nach. Gedankenversunken komme ich endlich an. Hab den ganzen Weg auf mich genommen um hierhin zu kommen. Hier an den Rand meines Bewusstseins. Stehe an der Kante dieser gigantischen Scheibe, die über dem lieblichsten schwarz, über der unendlichen Wortlosigkeit, dem endgültigen nichts schwebt. Ein Wind erfüllt von tiefer Erschütterung zieht aus dem schwarzen tiefen Loch herauf zu mir. Ich weiss, ich werde abspringen müssen. Hier in diesem Zwischenbereich, zwischen Welt, Realität, Bewusstsein und mir, fühlt sich bloss ungefähr. In mir drängts zum Absoluten, zum Vollkommenen. Selbst wenn ich mich darin verliere. Selbst wenn ich mich auflösen sollte. Und ich schreie: Ja! und springe ab.
Ach, herrlicher Flug, ach selige Geborgenheit. Ich hab die Kontrolle abgegeben und der wahre Souverän hinter der Zeit und der Existenz aller Dinge erfasst mich. Alle sehen ihn, alle kennen ihn, doch niemand weiss, dass er da ist. Das ist seine grosse Kunst, das Offensichtlichste zu verschleiern.

 

Hallo Cueqzapper.

dann kam einer der bestimmt schöner ist als ich und legte seinen Arm um sie.
Oh ... :lol:

Mittlerweilen klammerte ich mich förmlich an der Theke.
Iek ... Entweder ich klammerte mich an die Theke oder ich klammerte an der Theke, aber bitte nicht mischen.

Alles war eins, nur ich war eins plus.
Hm, hat was.

Dann kamen sie zu mir und fragten ob die Show gerockt habe.
Hö, unwahrscheinliche Realität oder Alkoholtraum?

Hm, der zweite Absatz, dieses skurile Gewirr aus Gedanken und Empfindungen bildet einen Kontrast zum realistischen Anfang. Weiß nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll. Gut, weil es den Alkoholtraum besser verdeutlicht oder schlecht, weil du den Schreibstil änderst.

Abgesehen davon habe ich keine Ahnung, was du mit der Geschichte sagen willst. Dieser 'wahre Souverän hinter der Zeit und der Existenz aller Dinge' ist mMn Interpretationssache. Für den einen ist es Gott, für den anderen Schicksal, für den nächsten der Tod oder die Vernichtung, das Vergänglich, das ebenfalls immer da ist.

Tja, kann also wegen einem großen Fragezeichen über meinem Kopf der Geschichte nicht viel abgewinnen.

Grüße von Jellyfish

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom