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Die Kusssammlung

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06.05.2003
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Die Kusssammlung

Ich sammele Küsse.
Weiche, missglückte, schnelle, kunstvolle, hitzige, halbherzige, verschrobene und meistens schöne Küsse. Liebhaber sammeln wäre um einiges abgefahrener meint Mike, das würde wenigstens noch die Enkel beeindrucken, aber ich finde, für den Anfang reichen auch Zungenküsse. Meine Liste ist schon fast zwei Seiten lang, eine ziemliche Leistung für jemanden, der in geringster Weise vorhat, in der nächsten Zeit mit einem Typen ins Bett zu gehen, ganz im Gegensatz zu Mike, der angeblich schon mit 999 Mädchen in der Kiste war.
Zwischen uns war allerdings nie was, nicht mal ein winziges Freundschaftsküsschen hat es gegeben. Zum Glück, denke ich, denn Mike ist seit drei Jahren mein bester Freund und beste Freunde küsst man nicht auf den Mund. Auch dann nicht, wenn sie jede Menge Traumprinzen- Qualitäten besitzen. Allein schon Mikes Aussehen- puuh!-, außerdem ist er nett und charmant, kein Macho, aber auch kein Milchbubi, eben genau ein Typ von der Sorte, auf den die Mädchen reihenweise fliegen.
Ich allerdings käme nie auf die Idee, in seiner Nähe so etwas wie Schmetterlinge im Bauch zu verspüren. Warum, kann ich nicht sagen. Vielleicht, weil ich sowieso noch nie so richtig verliebt war? Vielleicht, weil es mir reicht, die Jungs auf meiner Kussliste zu vermerken und dann mit einem guten Gefühl im Bauch nach Hause zu gehen?
Das Beste an Mike aber ist, dass er mit seiner großen Kusine in einer WG wohnt, in der ständig die besten Parties gefeiert werden. Angeblich durfte er von zu Hause ausziehen, weil er Stress mit seinen Alten hatte, das alleine würde aber meinen Eltern nicht als Grund ausreichen, mich in einer WG wohnen zu lassen.
Auf dem Weg zu einer von diesen super Parties fällt mir ein, dass ich ganz vergessen habe, meiner Freundin Zarah von dieser Party heute zu erzählen. Zarah steht auf Mike- wie alle Mädchen- also wäre es wohl nett, wenn ich sie noch rasch informiere. Andererseits scharwenzelt sie dann sicher die ganze Zeit um ihn herum, während ich nur doof in die Luft gucke. Mike futsch. Zarah futsch. Und ob Tim eingeladen ist- ein Kandidat auf meiner Kussliste, ein netter Kandidat- weiß ich auch nicht.
Zarah also doch nicht anrufen? Einfach so tun, als hätte ich alles vergessen?
Kaum jedoch sitze ich im Bus, quält mich das schlechte Gewissen. Schnell krame ich das Handy aus der Tasche und schreibe Zarah eine SMS: „8 Uhr Party bei Mike. Du kommst doch hoffentlich?!“ Tamy
Du kommst doch hoffentlich... Gut, das war ein bisschen gelogen, andererseits hab ich Zarah viel zu gerne. Allein schon unser Gegacker und Geläster bei den Parties- nie könnte ich darauf verzichten!
Kaum zwei Minuten später klingelt mein Handy:„Verdammt, Tamy, warum sagst du das erst jetzt?!“, keift mir Zarah ins Ohr.
„Meine Haare sind fettig, die Partyklamotten dreckig. Mensch, Tamy...“
„Ich dachte, Mike hätte dir alles erzählt,“ murmele ich und obwohl mich Zarah gar nicht sehen kann, werde ich rot, denn man lügt seine Freundin nicht an. Schon gar nicht seine beste.
Am anderen Ende der Leitung ist nur ein Grummeln zu hören.
„Und wenn ich jetzt schnell umdrehe, den gelben Rock von zu Hause hole und ihn dir vorbei bringe?“ „Das würdest du echt machen?“
Zarah ist total von den Socken. Ich weiß, dass sie alles dafür tun würde, um einmal in meinem gelben Rock mit dem Blümchenmuster der Star des Abends zu sein.
„Klaro!“, sage ich und beende schnell das Gespräch. Zurück nach Hause, den gelben Rock einpacken, zu Zarah fahren.
Irgendwie sinkt meine gute Laune von Minute zu Minute.
Falls Tim kommt, hat er vielleicht schon eine andere an der Angel. Eine, die nicht erst schrille Röcke durch die Gegend kutschieren muss. Eine, die sich nicht scheut, auch mal eine Portion echte Gefühle zu zeigen.
Irgendwann, kurz vor neun kommen wir bei Mike an. Laute Musik dröhnt aus den weit geöffneten Fenstern. Fünfmal müssen wir läuten, bis Mike uns endlich die Türe aufmacht. „Na endlich! Ihr werdet schon vermisst.“ Flüchtig küsst Mike uns auf die Backe. Er riecht nach Rauch und en bisschen auch nach Lavendel.
„Scharfer Rock!“ Mike schaut Zarah bewundernd an, worauf Zarah lächelt, als wäre sie soeben auf Wolke7 gebettet worden.
„Wer ist denn alles da?“, frage ich so beiläufig wie möglich. „Schau doch selbst nach.“ Mike grinst und stößt die Tür zum Wohnzimmer auf, in dem die Leutchen dicht gedrängt herumstehen.
Kein Tim in Sicht. „Vielleicht hau ich doch gleich wieder ab.“, raune ich Zarah mit einem Anflug von Enttäuschung zu als Mike verkündet:“ Essen gibt’s in der Küche. Wenn ihr euch beeilt, kriegt ihr noch was von Tims italienischem Tomatensalat ab!“
Tim...italienischer Tomatensalat... Also wird mein Kusskandidat wohl doch anwesend sein! Ich lasse Zarah und Mike stehen und wanke auf Gummibeinen in die Küche.
Dort, am Büfett steht er. Groß, schlank, ein „dunkler“ Typ. Ein waschechter Italiener eben. Erst jetzt fällt mir auf, wie hübsch er eigentlich ist. Wir kennen uns jetzt schon seit fast einem Jahr, aber noch nie habe ich seine Schönheit bemerkt.
„Hallo Tim!“, sage ich mit Herzklopfen, einem mir völlig neuen Gefühl. „Kann ich dir irgendwie helfen?“ Man muss sich ja schließlich seinem Opfer unauffällig nähern. Das ist eine Erfahrung, die ich schon vor langer Zeit gemacht habe.
„Ääh, hallo Tamy! Ääähm, ja klar, wenn du willst, kannst du mir helfen, den Rest von meinem Tomatensalat auszuschöpfen!“
Der scheint ja auch reichlich nervös zu sein. Warum bloß?
Um meiner Verlegenheit aus dem Weg zu gehen, nehme ich mir auch ein
Salatbesteck und stelle mich hinter eine Schüssel voller Tomatensalat. Kurz darauf bin auch ich von einer Traube Menschen umringt, die alle noch was ausgeschöpft haben möchten. Nach ein paar Minuten ist meine Schüssel leer und diejenigen, die noch nichts bekommen haben, ziehen ab, denn auch bei Tim ist nicht mehr der kleinste Rest in der Schüssel. Eigentlich könnte ich ja jetzt gehen, was will ich überhaupt noch hier in der Küche? Ach ja, halt! Meine Kussliste! Aber irgendwie ist es doch ziemlich mies, mit den Gefühlen anderer zu spielen, nur, weil man selbst eine Liste vervollständigen will, irgendwie egoistisch.
„Na Tamy, wie geht’s denn so?“ „Ach ja, Tim! Eigentlich geht’s mir ganz gut, aber so langsam bekomme ich ziemlich Kohldampf.“ „Mmh, ich hätte dir gerne noch was von meinem Tomatensalat angeboten, jetzt ist er leider weg, aber vielleicht gibt’s draußen bei den anderen noch was!“ „Na ja, so großen Hunger hab ich eigentlich gar nicht mehr. Ich glaube, ich muss einfach nur etwas frische Luft schnappen.“ Und das stimmt, denn bei jedem Wort von Tim bekomm ich noch weichere Knie, ich kann das gar nicht verstehen, so was ist mir bis jetzt noch nie passiert.
„Geht’s dir nicht gut? Soll ich mitkommen?“ Tims Stimme, sein italienischer Akzent, meine Knie werden immer Gummibaum-ähnlicher. „Ja, ich glaube, das wäre gut!“, sage ich, denn immerhin wäre draußen ja auch eine geeignete Situation um ihn zu küssen.
Er legt seinen Arm um mich und führt mich raus. Irgendwie gefällt es mir da, geborgen in seine Achselhöhle. „Sicher geht es dir draußen gleich wieder besser. Hier drinnen ist aber wirklich eine zu schlechte Luft!“ Ich antworte nicht, lasse mich einfach nur führen, vertraue ganz auf Tim.
Endlich, endlich spüre ich einen Hauch frischer kühler Nachtluft auf meinem Gesicht, ich atme tief ein, immer noch mit Tims Hand auf meiner Hüfte. Ich lasse es zu, dass seine Hand dort liegen bleibt, auch als es mir eigentlich schon wieder viel besser geht. ’Jetzt küss ihn doch endlich!’, sage ich mir, aber wieder muss ich daran denken, dass ich ihn nicht so verarschen kann und irgendwie auch nicht möchte, denn ihm scheint offensichtlich viel an mir zu liegen.
Und zu meinem Entsetzten muss ich bemerken, dass er auch mir nicht mehr ganz so gleichgültig ist, wie ich zuerst dachte.
„Tamy, ich muss dich was fragen!“, weckt mich Tims Stimme aus meinen Gedanken.
Ohje, was kommt denn jetzt?
„Klar, dann tu’s einfach! Ich beiße nicht!“
Vorsichtig löst er sich von mir und stellt sich vor mich: „Was würdest du tun, wenn ich dich küssen würde?“
Mit allem habe ich gerechnet, aber damit nicht! Was soll ich denn jetzt tun?
Eigentlich hab ich ja gar nichts dagegen. Also antworte ich: „Probier’s halt aus!“
Und das tut er dann auch. Ich weiß nicht, wie lange, wir da auf der Terrasse waren, aber es muss schon lange gewesen sein, denn als sich unsere Münder voneinander lösen, sind nur noch 5 oder 6 Leute da, die Mike beim Putzen helfen.
Hand in Hand gehen wir nach drinnen. Da kommt uns Mike auch schon entgegen, man sieht ihm sein Erstaunen an, aber er sagt nichts außer: „Da seid ihr ja wieder. Wenn ihr wollt, könnt ihr nach Hause gehen, wir sind sowieso bald fertig mit aufräumen!“
Dieses Angebot nehmen wir gerne an und so stehen Tim und ich eine halbe Stunde später vor meiner Haustür, wo wir uns voneinander verabschieden.
Er wünscht mir eine gute Nacht und wir verabreden uns für morgen, um halb sieben, im Eiskaffee San Marco.
In meinem Zimmer angekommen, suche ich zuerst die Kussliste, eine Kerze, ein Feuerzeug und einen Stift. Dann setzte ich mich auf meinen kleinen Balkon und schreibe in die letzte Zeile auf meiner Liste:
Datum: 23.07.2003
Ort: Mike
Uhrzeit: ca.22.00 Uhr
Partner: Tim
Kommentar: Die schönsten Küsse meines Lebens!

Dann nehme ich die Liste, schließe sie in meine Schatzkiste, die ich in den nächsten 4 Jahren nicht einmal öffnen werde und lege mich in mein Bett, um von meiner Verabredung am nächsten Tag zu träumen.

 

Hej Tequillagirl,

willkommen auf kg.de! :anstoss:

Du hast eine nette kleine Geschichte geschrieben. Der Anfang gefällt mir total gut, die Idee, Küsse zu sammeln. Danach wird die Geschichte leider eher austauschbar, eine Liebesgeschichte, wie sie fast jeder Teenager schon mal erlebt hat.
Deine Art, zu erzählen, gefällt mir allerdings recht gut, Du schreibst sehr flüssig und ansprechend. Auch Tippfehler konnte ich nicht entdecken, lediglich einmal sind die End-Anführungszeichen zu früh gesetzt.
Lieben Gruß

chaosqueen :queen:

 

hey du,

jo, die geschichte hat mich echt ein bisschen überrascht. ich dachte in etwa dasselbe wie chaosqueen, eine fast typische teenager-geschichte, aber eine von der sorte, die man gern liest, weil sie gut geschrieben ist, überraschend gut für dein alter.
du erzählst flüssig, schnörkellos und sicher, bis auf einen satz finde ich nichts zum meckern (und dabei mecker ich doch so gern, gell) ;-))


"Ich weiß nicht, wie lange, wir da auf der Terrasse waren, aber es muss schon lange gewesen sein, denn als sich unsere Münder voneinander lösen, sind nur noch 5 oder 6 Leute da, die Mike beim Putzen helfen."

der erste abschnitt mit "... wie lange ... schon lange ..." klingt unschön, das würde ich noch anders lösen, ansonsten ein echtes kompliment

hoover (ist jetzt fast ´n bisschen neidisch geworden) *g*

 

hi Tequillagirl!

schöne Geschichte! alle Achtung!
Ja, es ist eine Teenager-Geschichte. Aber eine wirklich gut erzählte! Kompliment.
Ich mag die Gedanknegänge Deiner Protagonistin und auch die gewissen selbstkritischen Ansätze! ;)

Schreib mal schön weiter und gibt uns noch mehr schöne Erzählungen.

Lieben Gruß,

Frauke

 

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