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Die Lebenskapitel der Alice Plötz

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30.06.2001
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Die Lebenskapitel der Alice Plötz

Wissen Sie, was ein Abenteuer ist ?
Ich meine nicht die Art von Abenteuer, in denen sich ein blonder Held auch durch Dutzende von schmerzenden Schwertstichen nicht aus der Ruhe bringen lässt und weiter unbeirrbar das Gute verteidigt. In denen das tapfere Pferd erst nach dem letzten, alles entscheidenden Ziel schweißüberströmt zusammenbricht und erschossen werden muß, während eine schmachtende Jungfer ihren meterlangen Blondzopf aus einem turmhohen Erkerfenster wirft und dabei damenhaft schrill schreit.
Es gibt weder tiefe Schluchten noch undurchdringliches Dickicht und schon gar keine blinden, verschwiegenen, uralten Tattergreise, die mit ihrer jahrhunderte alten Weisheit immer dann am östlichen Horizont auftauchen und schnarrend daherreden, wenn man sie am allerwenigsten gebrauchen kann. Nein, wehrte Leserschar ! Es ist hier die Rede vom ganz und gar schlichten Abenteuer des Daseins ! Es ist hier die Rede von den heldenhaften Alltagsabenteuern der Alice Plötz. Wenn Sie an dieser Stelle bereits gelangweilt die Augen verdrehen, so sind Sie besser beraten, dieses Buch sofort zur Seite zu legen. Ist jedoch Ihr Interesse geweckt, so lesen Sie weiter, lassen Sie Telefon Telefon sein, gehen Sie nicht an die Türklingel und schließen Sie sich ein. Tauchen Sie ein in die abenteuerliche Alltagswelt von Alice Plötz.
Hier ist sie !


Geschichte:Eine Sequenz aus :Erstes Kapitel (von 18) in dem Alice beschließt, nicht erwachsen zu werden.

In den frühen Kindertagen der Alice Plötz gab es eigentlich nur zwei wirklich traumatische Erlebnisse, die nachhaltige Spuren hinterließen und zwei lebensphilosophische Erkenntnisse wie Negative in ihren kleinen Kopf prägten !
Das erste Trauma hatte damit zu tun, dass Alice eines frohen Sommers unbedingt wissen wollte, wie es wäre und was es bedeutete, wenn man "auf Urlaub" wäre.
Alle Erwachsenen schwärmten davon, wenn es draußen warm war, und sie anfingen, weniger anzuziehen.
Die Version des " auf Urlaub seins" war ja ganz harmlos und scheinbar etwas besonderes.
Die Erwachsenen erzählten und erzählten dann von seltsamen Ländern, Wein und Knoblauch, von einer Adria ( Alice wunderte sich stets, wieso alle dieselbe Frau kannten, die ja fern ab wohnte ?)
Es wurde gelacht über lustige Begebenheiten und gestaunt über wunderbare alte Häuser und Burgen und Schlösser. Wenn Erwachsenen auf Urlaub waren, schienen sie auch immer etwas frecher zu sein als sonst, überhaupt schien alles viel lustiger und vergnügter zu sein als sonst.
Alice hatte aber mitbekommen, dass es noch eine Version extra für Kinder gab, und die war ihr schon vom bloßen Zuhören unheimlich. Sie tat, was sie konnte, um nicht auf Kinderart in den Urlaub zu gehen.
Diese Art, wenn Erwachsene darüber redeten, erschauderte Alice. Sie hatte weder etwas Lustiges noch etwas Freches und vergnüglich schien es dort auch ganz und gar nicht zuzugehen,
Alice hätte alles in Kauf genommen, nur um nicht auf Kinderart Urlaub zu haben.
Sie wäre wochenlang bei ihrer fast stocktauben Tante geblieben, bei der es nichts zu spielen gab außer Handarbeiten und wo Alice am Abendbrottisch saß und der Geschmack von Hagebuttentee ihr die Tränen des Heimwehs in die Augen trieb, aber das wollte sie nicht zugeben. Außerdem musste sie bei besagter Tante immer schlafengehen, wenn draußen die von Alice über alles geliebte Sommerabendsonne noch so wach war und Alice lieber noch ein wenig draußen gespielt hätte in dem goldenen Abendlicht und sich in den Himmel geträumt hätte.
Seit der Zeit trank Alice keinen Tropfen Hagebuttentee mehr. Sofort bekam sie Heimweh, selbst zuhause.
Und im Hellen schlafengehen machte sie unruhig und sorgenvoll, so dass sie überhaupt nicht einschlafen konnte.
Dieses und auch den stets mürrischen Bademeister im Freibad, der einem alles verbot, was besonderen Spaß machte hätte Alice in Kauf genommen, um den Kinderarturlaub zu umgehen. Und dabei kam der Bademeister garantiert , wenn alles am lustigsten und Alice gerade stolz vom Beckenrand ins kalte Wasser gesprungen war. Dieser blöde Bademeister stand baumhoch am Beckenrand, sah zu ihr hinab und bevor sie noch den ersten Luftzug nach dem Auftauchen tun konnte, hatte er sie schon zusammengeschrien und wäre fast vor Zorn geplatzt.
Trotzdem war alles nicht mal halbsoschlimm wie Kinderarturlaub.
Kinderarturlaub war nämlich : Verschickt werden !!!
Diese zwei Worte jagten Alice Angst und Schrecken ein und jedes Mal, wenn ihre Eltern davon leise sprachen, bekam sie es mit der Angst zu tun.
Wie konnten ihre Eltern so schön von einer friesischen Insel sprechen, weit weg im Meer, wo alle Kinder dieser Welt " hinverschickt " wurden.
Hatte man sie jemals wieder gesehen ?
Alice glaubte es nicht, aber das allerschlimmste an der Sache war eine Frage, die Alice sich immer und immer wieder stellen musste.
Wie sollte es möglich sein, ein lebendiges Kind, wie sie eines war, in einen Karton zu stecken, den Karton zu verschnüren, zur Post zu bringen und ihn loszuschicken auf diese komische Insel ?
Wie sollte sie dort im dunklen Karton Luft kriegen ? Es war eng dort drinnen.
Nichts zu essen und zu trinken und wer wusste schon, wie lange man auf dem Postweg unterwegs war.
Wußten denn alle Postboten, wo beim Karton oben und wo unten war ?
Wie schrecklich, im Inselpostamt womöglich tagelang auf dem kopfüber gelagert zu stehen.
Wer, fragte Alice sich, konnte das jemals überleben ?
Einige von Alice Freunden wurden verschickt und kamen heil, etliche Zentimeter größer und schwerer wieder.
Trotzdem blieb Alice lange lange misstrauisch und war froh, dass sie es erfolgreich verhindern konnte, jemals verschickt zu werden !

Das zweite traumatische Erlebnis nach dem Hagebuttenteetrauma und dem Verschicktwerdentrauma erfolgte kurz darauf und hatte mit der freudigen Nachricht ihrer Eltern zu tun, sie würden am Sonntag gerne mit Alice in den Zoo gehen !
Als Alice das hörte, wurden ihre Augen riesengroß vor Freude und Aufregung und sofort begann sie, ihre Eltern mit Fragen zu löchern.
Was es da für Tiere gäbe und ob die auch gefährlich seien ?
Und wann sie dorthin gehen würden und ob "bald" oder " in drei Tagen" noch lange dauern würde ?
Sie fragte, ob die wilden Löwen sie fressen würden und ob die Affen auch wirklich so lustig seien und nur Unsinn machten ?
Ja, ja, ja antworteten ihre Eltern amüsiert und konnten so schnell nicht genug Antworten finden.
Alice glühte vor Aufregung und Vorfreude.
Sie konnte nicht mehr ruhig schlafen.
Ihre Gedanken galten nur noch dem Zoobesuch, den wilden Löwen, den Tigern und Affen, den Elefanten mit den Rüsseln und den Giftschlangen.
Es war bestimmt so gefährlich und abenteuerlich dorthin zugehen in den Zoo, aber ihre Eltern waren ja dabei und dann konnte ihr nichts passieren, das wusste Alice genau.
Wenn der wilde Löwe sie zerfleischen wollte, würde sich ihr Vater sicher dazwischen werfen und wenn eine Giftschlange begann, sich um ihren Hals zu schlängeln um sie zu ersticken, dann würde ihr Mutter sicher wie eine Retterin mit ihrem Regenschirm auf die Schlange eindreschen, bis diese betäubt und schlapp zu Boden fiel.
Oder die Elefanten !
Niemals würden sie es schaffen, Alice mit ihrem langen Rüssel zu packen um sie wie einen Baumstamm durch den Dschungel zu schmeißen, dafür würden ihre Eltern schon sorgen.
Nein, sie konnte ganz beruhigt sein !
Sie würden in den Zoo gehen und alle Tiere wären in Käfigen, wo sie niemals ausbrechen konnten um Menschen anzufallen, und sie würden die Tiere angucken und ein bisschen streicheln und alles würde furchtbar aufregend werden.
Wie im Dschungel oder bei " Daktari".
Eines Morgens war es dann soweit !
Ihre Mutter packte einen Korb mit " was zu essen für unterwegs" und Papierservietten ein, und als alles fertig und Alice hübsch angezogen war, ging es los, in den Zoo zu den wilden, gefährlichen Abenteuertieren !
An der Zooeingangspforte kaufte ihr Vater drei Eintrittskarten.
Während er das tat, guckte sich Alice verstohlen um, ob vielleicht von irgendwoher ein wilder Löwe oder eine Giftschlange angerannt kamen, aber es kam nichts angerannt und alles war ruhig.
Vielleicht schliefen sie ja alle noch, weil sie nicht wussten, dass Alice kam ?
Und dann gingen sie alle drei wirklich hinein in den Zoo !
Alice war nicht mehr zu halten und lief voran, hopste um die Gebüsche herum ,kam zu ihren Eltern zurück, zog und zerrte an ihnen, weil es ihr einfach nicht schnell genug ging, denn sie wollte endlich die wilden und gefährlichen Löwen in echt sehen.
" Wo sind die Löwen, wo sind die Löwen ?" drängelte Alice pausenlos.
Und dann waren die Löwen auf einmal da .
Sie stanken !
Sie stanken nach Piesche und Wildnis.
Das zumindest dachte Alice, weil sie diesen Geruch, der ihr in ihre kleine Nase stieg, überhaupt nicht kannte.
Die Löwen lagen träge schlafend in der Sonne.
" Sind die tot ?" fragte Alice ihren Vater.
" Nein," antwortete ihr Vater flüsternd, " die schlafen bloß."
Alice wollte aber nicht, dass die Löwen schliefen !
Alice wollte, dass die Löwen brüllen und ihre Mähnen gigantisch schütteln, Gazellen jagen und sich gegenseitig liebevoll anknabbern, deswegen war sie ja schließlich hierher gekommen und nicht um zu sehen, dass die wilden gefährlichen Löwen daliegen und schlafen und aussehen wie tot !
Sie überlegte.
Und sie versuchte einen Trick.
Alice stellte sich auf die Zehenspitzen, lehnte sich über die steinige Umzäunung und brüllte die Löwen so laut an , wie sie nur konnte.
" Wuuuuuaaaarrrrrgggghhh!"
Die Löwen waren sehr wenig beeindruckt, denn sie schliefen einfach weiter, als wäre nichts geschehen.
Alice versuchte denselben Trick noch
" Wuuuuaaaaaaaarrrrrgggghhhh!"
Nichts !
Blöde Löwen !!
Jetzt musste was gefährlicheres her.
Alice sammelte Spucke in ihren Wangentaschen und als sie genug zusammenhatte, holte sie tief Luft und spuckte es weit in das Löwengehege hinein.
Sie traf die Löwen nicht und ihre Spucke landete mit einem harmlosen Klatsch im Sand.
Auch durch dieses Geräusch ließen sich die Löwen nicht aus der Ruhe bringen!
Sie lagen einfach da, schliefen, zuckten ab und zu mit ihren Augen, als wollten sie eine Fliege verscheuchen und taten sonst nichts.
" Guck doch mal Alice, " meinten ihre Eltern, " wie die Löwen da liegen und schlafen. So richtig schön satt und faul !"
Alice schmollte.
" Ich hab Hunger !"
Ihren Eltern gefiel der Zoobesuch.
Sie setzten sich auf eine Bank in die Sonne und Alice Mutter packte alle Leckereien aus.
Alice kaute ein wenig verdrossen und enttäuscht auf ihrem Käsebrötchen herum und schlürfte Caprisonne-Saft.
Ihre Eltern sahen sich die Leute an, als wären die in einem Zoo.
" Wo sind die Tiger ?" wollte Alice wissen.
" Da kommen wir gleich hin !" versprachen ihre Eltern.
" Schlafen die auch bloß ?" wollte Alice weiter wissen.
" Nein !" empörte sich ihr Vater, " Tiger sind echte Wildkatzen und die sind gefährlich und jagen ihre Beute ."
Alice Aufregung kehrte langsam zurück.
Wildkatzen !!
Das hörte sich vielversprechend an.
Also gingen sie weiter durch den schönen Zoo.
" Tschüs ihr doofen Löwen !"
Alice streckte den schlafenden Löwen die Zunge heraus.
Dann gelangten sie zum Tigergehege.
Zwei große gestreifte, sehr gefährlich aussehende Tiger waren darin und sie stanken nach Piesche und Wildnis.
Die Tiger lagen träge in der Sonne und schliefen.
Einer von ihnen wedelte mit seinem gestreiften Schwanz elegant Fliegen fort.
Na immerhin, dachte Alice.
Und sie stellte sich auf die Zehenspitzen.
Sie brüllte die Tiger an.
Sie spuckte ins Gehege.
Nur den Stein, den sie aufsammelte, um die Tiger damit ein bisschen zu beschmeißen, den verbot ihr ihr Vater.
" Alice !" erklärte er, " wenn du das tust, dann werden die Tiger ganz böse. Und es tut ihnen weh !"
" Pöh !" sagte Alice und dann schrie sie !
" Papa, Papa ! er bewegt sich, schnell, guck mal !!"
Einer der Tiger aalte sich schwerfällig auf seine Tatzen und stolzierte im Gehege umher.
Er schleckte sich das Fell und glotze minutenlang die Zoobesucher an, die wiederum ihn anstarrten.
" Hallo, hallo Tiger !" Alice winkte dem Tier zu, " hier bin ich….!"
Der Tiger sah weg.
Er schüttelte seinen Kopf, legte sich nieder, schloß seine Tigeraugen, gähnte, dass Alice seine gefährlichen Wildkatzenzähne sehen konnte und schlief ein.
"Oooch !" Alice schmollte.
" Na, " schmunzelte ihr Vater, " Tiger müssen doch auch mal schlafen !"
Alice war verwirrt.
Alle, alle hatten ihr von wilden, gefährlichen Tieren im Zoo erzählt, sie dachte , es wäre ein echtes, richtiges Abenteuer, in den Zoo zu gehen.
Aber echte, richtige Abenteuer waren irgendwie ganz anders.
Nicht mit immer wieder Käsebrötchen und ein Eis und ganz viel Caprisonne- Safttüten mit Strohhalm.
Am Ende dieses Tages taten Alice die Füße weh und als sie schließlich einschlief, träumte sie von wilden, gefährlichen Löwen, die ihr Käsebrötchen aus der Hand fraßen, rülpsten und ihre Caprisonne- Safttüten austranken.
Alice hatte im Traum kein bisschen Angst vor ihnen und als die Löwen anfingen, sie zu bespucken, roch die Spucke seltsam nach Piesche und Wildnis.
Aber Alice wachte trocken und unverletzt auf.

 

sehr schöne Geschichte. Das erinnert doch sehr an die eigene Kindheit. Auch wenn ich das Verschicken nur von den Erzählungen meiner Mutter kannte, wurde auch mir damals gar nicht so recht klar, warum man die Kinder verschickt hat?
So ist es - man denkt als Kind ganz straight und muss noch vieles lernen, in einen Zusammenhang zu bringen.

Weiter so,

Gruss Andrew

 

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