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Die Legende vom Sanitäter

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20.12.2004
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Die Legende vom Sanitäter

Die Legende vom Sanitäter

Das Hämmern in meinem Kopf lässt langsam nach. Ich höre noch immer nichts, lediglich dieses hohe Piepen.
Einen der Jungs hat es wieder erwischt. Sie rennen auf mich zu, brüllen irgendetwas. Zumindest schließe ich das aus ihren vor Angst verzerrten Gesichtern. Mit weit aufgerissenen Augen starren sie mich an, ihre Uniformen blutverschmiert. Ich soll ihnen helfen, natürlich. Deswegen bin ich hier, in diesem Alptraum. Ich werfe noch einen Blick nach hinten, zu den anderen, bevor ich rübergehe. Während ich durch den Graben robbe, knackt es in meinen Ohren, ich kann wieder hören, und sofort stürzt der Lärm auf mich ein. Das Donnern der Flaks, drüben auf der französischen Seite ist kaum auszuhalten. Das allein reicht schon und ich wünsche mir diese angenehme Stille wieder, die kurz nachdem die Granate detonierte eingetreten war um dann von jenem Piepen abgelöst zu werden. Durch das Rattern der Schüsse und das Donnern der Flakkanonen kann ich ihre Schreie hören. ‚Nun kommen sie schon!’ Ich beeile mich, voranzukommen, doch seit es heute morgen geregnet hat, sind die Schützengräben voller Schlamm, sodass man kaum voran kommt. Als ich endlich bei ihnen bin und frage, wo der Verletzte sei, zeigt einer nach hinten. Während ich an ihm vorbeikrieche, redet er ununterbrochen, seine Stimme überschlägt sich hysterisch. Diese vier müssen gerade erst hier angekommen sein, ich kenne keinen von ihnen. Der, den es erwischt hat, liegt zwischen einem Haufen anderer, die ich kenne. Es sind größtenteils welche aus dem Schub, der nach meinem kam, ich erkenne den einen oder anderen. Doch sie sind schon ewig tot und diesen Neuankömmlingen wird es nicht anders ergehen, das weiß ich. Darin liegt das Dilemma, ich weiß, das sie alle sterben werden, egal wie oft ich sie verarzten und gerade noch vor dem Verbluten retten kann. Unsere Seite steht auf verlorenem Posten und dennoch kommen ständig Neue, meist fast noch Kinder, die sie in irgendeinem Dorf ihren Familien entrissen haben, die Tatsache, dass der Krieg eigentlich schon verloren ist, ignorierend und gewillt, selbst das letzte deutsche Leben sinnlos zu verfeuern, gegen einen Feind, der mehr Courage, mehr Männer und vor allem mehr Erfahrung hat, als dieser ganze Haufen hier zusammen.
Einer von ihnen, ich glaube er heißt Stahl, schreit mich wieder an, ich solle dem Jungen doch endlich helfen. Während ich mich dem beuge und ihn verarzte, wissend, dass das einzig Beste für den armen Kerl wäre, ihn nach Hause zu schicken, denn niemand kann mit einem von einem Dutzend Kugeln zertrümmerten Arm weiterkämpfen, nähert sich ein Offizier. Er will wissen, ob wir noch Munition für irgend so ein Maschinengewehr hätten, ich kenne mich damit nicht aus, hab tatsächlich noch nie eins in der Hand gehalten, geschweige denn kenne ich die Namen dieser Teufelsdinger. Ich habe ja nicht einmal eine Pistole bei mir. Stahl fängt an, irgendwelchen Kauderwelsch von sich zu geben, irgendwas von MP so und so, ich verstehe diesen ganzen Truppenjargon nicht. Er verschwindet kurz in einem Loch, kehrt mit einer halb leeren Munitionskiste zurück, sagt, das sei alles was wir noch haben. Der Offizier nimmt die Kiste so wie sie ist mit, verschwindet hinter der nächsten Biegung des Grabens. Ein kleiner Schmächtiger mit runder Brille meldet sich zu Wort:
‚Das war unsere letzte Munition.’ Stahl starrt ihn an, als wolle er ihm gleich den Kopf abreißen. ‚Weiß ich.’, knurrt er. Er wendet sich an mich.
‚Sanitäter.’
Ich werfe ihm einen flüchtigen Blick zu. ‚Ich bin gleich soweit.’
Der verwundete stöhnt, während ich den Verband anlege. Doch der Arm müsste geschient werden, die Kugeln, die im Knochen stecken müssten rausoperiert werden. Aber selbst dann würde er den Arm wohl nie wieder richtig benutzen können. Der Junge hatte mein Mitleid. Er kann mit Sicherheit nichts dafür, dass er hier gelandet ist. ‚Du bist sehr tapfer.’, sage ich, um ihn zu beruhigen.
‚Sanitäter!’, meldet sich Stahl wieder zu Wort, als ich gerade fertig bin. ‚Ja?’
‚Wie lang sind sie schon hier?’
Ich kann es ihm nicht sagen. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich jegliches Zeitgefühl verloren habe. Dieser sinnlose Krieg macht einen mürbe. Ich sage ihm, ich wisse es nicht, nur, dass seit dem sechs mal neue Soldaten kamen. Dem Mann entgleiten die Gesichtszüge. Ich will wissen was los ist. Er meint, allein zwischen den letzen zwei Schüben hätten vier Wochen gelegen. ‚Man hat uns gesagt, alle wären tot!’, fügt er verwirrt hinzu, als plötzlich irgend ein großes Projektil pfeifend über den Graben saust. Irgendwer brüllt: ‚Auf den Boden!’
Alle folgen diesem Befehl, werfen sich in den Schlamm und pressen die Hände auf die Ohren, die Augen fest verschlossen. Die Detonation ist gewaltig, es regnet Erdbrocken und durch das Dröhnen der Explosion hindurch höre ich die Schreie.
‚Scheiße!’
Wie es aussieht haben sie eins unserer MG-Nester getroffen, voll ins Schwarze.
Wir richten uns wieder auf. ‚Irgendwer verletzt?’, frage ich.
‚Nicht mehr als vorher.’, erwidert der Kleine mit der runden Brille. Ich weiß nicht, ob es sarkastisch gemeint ist oder nicht, auch für so was verliert man hier draußen mit der Zeit das Gefühl, da alle nur brüllen.
Wir setzen uns betroffen nebeneinander, waffenlos, weil der Offizier, der jetzt wahrscheinlich tot ist, das letzte Bisschen mitgenommen hat.
Eine Hand wird mir gereicht, ich ergreife sie, leicht verwirrt.
‚Stahl.’, sagt der Soldat, den ich schon vorher so genannt hatte. ‚Obergefreiter.’
‚Meißner.’, erwidere ich. ‚Sanitäter.’
Der Kleine beugt sich rasch vor um mich besser sehen zu können. ‚Sie sind der Sanitäter Georg Meißner?’
‚Ja. Woher kennen sie meinen Namen?’ Ich bin verwundert.
‚Das ist ja unglaublich!’ Er staunt. Auch Stahl macht zum wiederholten Mal große Augen.
‚Dann ist es wahr.’, stellt er heraus. Ich will wissen was denn wahr sei.
‚Als wir in die Kaserne kamen, erzählten sich die anderen Soldaten Geschichten über einen Georg Meißner, einen Sanitäter, der seit Monaten im Feld ist, der alle anderen überlebt hat.’
‚Ein Überlebenskünstler’, fügt der, den ich vorhin verarztet hatte hinzu, ‚der durch den Kugelhagel läuft, ohne jemals getroffen zu werden.’

Ich habe es nie wahrhaben wollen. Es stimmte tatsächlich. Ich hatte mir, mal abgesehen von ein paar Prellungen, noch keine einzige Verletzung, schon gar nicht durch Waffengewalt, zugezogen und das lag nicht daran, dass ich mich nie aus den Schützengräben herausbewegte. Doch gerade diese Tatsache machte den Krieg für mich umso traumatischer. Ich erinnerte mich plötzlich daran, wie ich einmal aus Frustration aus dem Graben herausgesprungen war, es war ein sehr verlustreicher Tag gewesen. Ich war schreiend quer über das Feld gerannt, war stehen geblieben, minutenlang. Die Franzosen hatten irgendwann aufgehört auf mich zu schießen, als sie erkannten, das sie nicht trafen. Ich war ewige über die Ebene gewandert, überall um mich herum hauchten Menschen auf dem blutgetränkten Grund ihr Leben aus. Es war so schrecklich. Dann hatte ich es verdrängt, ich fing an einfach in den Tag hinein meinen Job zu machen. Ich war Sanitäter gewesen.

Wir merken nicht, wie es plötzlich ruhig wird, so vertieft sind wir in die Geschichten, die in den Kasernen über mich, Georg Meißner, erzählt werden. Das Letzte was ich spüre, ist ,wie sich die Kugel aus dem französischen Gewehr in meinen Kopf bohrt.

 

Ich muss dazu sagen, dass mir der Titel im Nachhinein etwas unpassend erscheint...

Nun ja. Urteilt selbst.

 

Hi ridcully!

Ich mag die Story. Den Titel find ich ehrlich gesagt gerade gut! Die Legende vom Sanitäter. Da wird man doch hellhörig. Die Legende! Das klingt einfach mal toll!
Etwas gewagt finde ich jedoch, dass du den Krieg aus der sicht der Deutschen zeigts. Aber als echter Deutscher darf man das auch.

Frohet Fest und juten Rutsch!

 

Wünsch ich doch auch!

Ich denke viele der Deutschen werden nicht so von alledem gedacht haben,
wie die Leute im Ausland ihnen unterstellen. Die können ja nicht alle so blöd
und verblendet gewesen sein.
Warum so jemand wie Hitler so viel erreichen konnte ist natürlich merkwürdig,
ebenso merkwürdig ist allerdings auch, wie Bush nach einer derartigen Aktion
wiedergewählt werden konnte. Was hat all die Aufklärung denn genutzt?
Alles merkwürdig.

 

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