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Die Liebe zum Feind
Er rannte die Straße hinab denn er wusste, dass die anderen ihm gefolgt waren. „Dreckiges Schwein“, hatten sie gerufen, mit einem unvorstellbaren Hass in ihrem Unterton.
Hechelnd und komplett außer Atem stand er an einem Baum. Er blickte kurz um die Ecke, niemand war zu sehen, nur ein leiser werdendes Fluchen aus der Ferne war zu hören.. Seine Spraydose hatte er unterwegs wohl fallen gelassen, und nur ein paar Sprinkler erinnerten an seine Tat. Er wartete noch kurz in der Dunkelheit, schlich dann langsam die Straße hinab, sich immer wieder umschauend, ob ihm nicht doch jemand gefolgt war.
An einem Mauerspalt, bleibt er stehen, noch einmal sah er nach links und rechts, denn er wusste, sie würden ihn irgendwann erwischen. Schließlich schlüpfte er hindurch, schlich durch Büsche, vorbei an unheimlich mondbeleuchteten Bäumen, kläffenden Hunden und kaputten Häusern.
„Scheiss Nigger“ hatte er an ihre Hauswand gesprüht. Er war fest überzeugt „scheiss Niggern“ müsste man die Hölle auf Erden bereiten. An einem zerschlagenen Kellerfenster angekommen, hörte er Geräusche. Es war ein lautes Getrampel, aber keine Stimmen waren zu hören. Er zuckte mit den Achseln, stieg durch das Kellerfenster und trat in einen stockdunklen Raum. Er tastete sich vor bis zu seinem geheimen Schlafplatz, in einer Abstellkammer eines Mehrfamilienhauses. Zufrieden mit seinem Werk und sich sicher fühlend legte er sich auf eine alte Decke, mindestens 20 Jahre alt und längst vergessen, so wie er. Er blickte noch eine Weile durch das kleine Kellerfenster aus dem wenige Mondstrahlen in den kleinen Raum fielen und schlief dann ein.
Ein Gepolter riss ihn aus dem Schlaf. Erschrocken fuhr er auf und blickte sich hastig um. Es war bereits hell.
„Du hast wohl gedacht, wir kriegen dich nicht.“, flüsterte einer der Männer die um ihn herumstanden hämisch. Er war schwarz, also Grund genug ihn zu hassen. „Verpiss dich, Nigger“, antwortete er nun hellwach. Es schien nur eine Millisekunde später zu sein, als ihn schon der erste Schlag mitten ins Gesicht traf, ein zweiter, ein dritter. So geräuschlos wie möglich schlugen die Eindringlinge auf ihn ein.
Spüren konnte er schon seit dem zehnten Schlag nichts mehr, denn er wusste, sie würden ihn töten. Ob heute oder morgen, das war ihm egal, denn die Weißen hassten ihn, die Schwarzen hassten ihn, was hatte das Leben da für einen Sinn?
„Der scheiss Wigger ist tot.“, murmelte kurz darauf einer der Männer. Dem Blutenden auf dem Boden gab er noch einen Fußtritt und gab seinen Freunden das Zeichen zum Abflug.
Es dauerte lange bis er wieder zum Bewusstsein kam. Als er versuchte die Augen zu öffnen, war das Blut auf seinen Lidern bereits geronnen, er konnte nichts sehen und es war ihm egal, er würde sowieso bald sterben, aber er hatte ja damit gerechnet.
Er hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden, da knarrte die Kellertür. Eine Tür, die seit Jahrzehnten nicht bewegt worden war. Er konnte Schritte hören, doch er war zu schwach um sich zu bewegen und so wartete er, was blieb ihm auch anderes übrig ? Die Schritte kamen näher und hielten plötzlich Inne. „Was zum..?“ , hörte man eine Männerstimme sagen. Es dauerte eine Weile und er fühlte eine Hand auf seiner Stirn. Die unbekannte Person griff ihm unter die Arme, legte ihn auf etwas Weiches und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass ihm bestimmt jeder Knochen im Leib gebrochen sein musste. Der Unbekannte schaffte es irgendwie ihn zu bewegen und schleifte ihn in einen anderen, wärmeren Raum. Er war selbst zu schwach etwas zu sagen und sein Retter schien auch keine Fragen an ihn zu haben.
Wasser plätscherte in ein metallenes Gefäß und ein weiches Tuch wurde über sein rechtes Auge gerieben, dann auch über das linke. Er hatte Angst seine Augen zu öffnen, denn er hatte fest damit gerechnet zu sterben. Lange lag er da, während sein Retter ihn weiter verpflegte, verband und säuberte. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, soviel Aufmerksamkeit hatte ihm noch nie jemand geschenkt.
Nach einer scheinbar endlosen Zeit öffnete er seine Augen und das was er sah, hätte er nie erwartet. Eine schwarze ältere Männergestalt beugte sich über ihn, lächelte ihn freundlich an und sagte: „Da hast du ja noch mal Glück gehabt, ich war seit Jahrzehnten nicht in diesem Keller, ich brauchte bloß diese Decke, aber... ist ja auch egal“...Wichtig war nur, dass er lebte.