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Die Lilie

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30.01.2006
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Die Lilie

Die Lilie

Es war schon viel zu lange her...
Susann schlug die Augen auf und starrte im Halbdunkel der Dämmerung an ihre weißgetünchte Zimmerdecke. Der Wecker auf ihrem kleinen Nachttisch leuchtete ihr grell entgegen, so als wollte er ihr die Uhrzeit mit seinen ekelhaft grünen Ziffern entgegenschreien. Susann seufzte, wie immer, wenn sie zu früh aufgewacht war. Sie wusste genau, die zwei Stunden bis sie wirklich aufstehen musste würde sie sowieso nicht mehr einschlafen können. Aus Gewohnheit griff sie nach links, nur um festzustellen, dass da niemand mehr war mit dem sie die Zeit bis zum Aufstehen hätte verbringen können. "Es ist schon seltsam," dachte sie,"dass man die Anwesenheit eines Menschen niemals so intensiv spürt wie seine Abwesenheit."
Mit einem entschlossenen Ruck schlug Susann die Decke zur Seite und schwang sich aus dem Bett. Sie wollte den Tag nicht schon wieder mit trübseligen Gedanken beginnen. Schnell schlüpfte sie aus ihrem dünnen Nachthemd und wanderte ins Badezimmer. Einen Vorteil hatte das frühe Aufwachen: Sie konnte mit einem entspannenden Schaumbad in den Tag starten und würde später ruhig und ausgeglichen ins Büro fahren können. Diese Gelassenheit und die schwarze Kleidung, die sie auch nach einem halben Jahr noch trug, gaben ihr eine gewisse Sicherheit. So würde wenigstens niemand ihr zu nahe treten. Sie wollte Michael nicht zu früh vergessen, denn sie hatte ihm ja versprochen, ihm ihr Leben lang treu zu sein.
Als sie später am Frühstückstisch saß, hörte sie den Briefkastenschlitz klappern. Sie schmierte sich noch ihr Frühstücksbrot und stand dann auf, um die Zeitung zu holen. Diese war zu einer zusammengerollt, und in ihr steckte eine Lilie. Susann verzog das Gesicht. Machte ihr etwa der Zeitungsjunge Avancen? Nun, darauf konnte sie gut verzichten...
Die Lilie landete auf dem Weg zu Susanns Auto im Müll - noch.
In den nächsten Tagen erhielt sie täglich ihre kleine Blumenbotschaft und am Sonntag lag zwar keine Zeitung auf dem Fußabstreifer, dafür aber gleich ein ganzer Strauß der schönen Blumen, und diesmal brachte sie es einfach nicht übers Herz, sie wegzuwerfen. Neugierig legte Susann sich am Montag auf die Lauer, um hinter das Geheimnis der Identität des Blumenbotens zu kommen.
Kaum lag die Zeitung vor ihren Füßen, riss sie die Türe auf und um ein Haar hätte sie geschrien. Vor ihr stand Michael. Der Haarschnitt war ein wenig anders und eine kleine Narbe zog sich über sein Kinn, aber ansonsten glich ihr Blumenlieferant ihrem verstorbenen Mann bis aufs Haar genau.
"Bitte, ich wollte dich nicht erschrecken.", sprach der Doppelgänger auf sie ein. "Mein Zwillingsbruder hat mir so viel über dich erzählt in seinen Briefen und mir Fotos von dir geschickt, ich musste dich einfach kennenlernen. Ich bin Markus."
An diesem Tag ging Susann nicht ins Büro. Bis in die Nacht saß sie mit Markus in ihrer Wohnung und endlich war da jemand, der sie verstehen und den Schmerz mit ihr teilen konnte. Denn sie spürten beide, wie sehr sie den Verstorbenen geliebt hatten.
Zwei Wochen später legte sich Susann zu ihrem schwarzen Kostüm einen bunten Schal um den Hals. Und als sie ein halbes Jahr später wieder einmal zu früh erwachte, drehte sie sich nach links und schmiegte sich eng an den warmen Körper neben ihr. "Warum hast du mir damals eigentlich die Lilien geschickt?" - "Weil in dem letzten Brief von meinem Bruder stand, dass er nach der Bedeutung deines Namens geforscht hatte. Susann, die Lilie.", sagte Markus und zog sie sanft in seine Arme.

 

Hallo,

"Es ist schon seltsam," dachte sie,"dass man die Anwesenheit eines Menschen niemals so intensiv spürt wie seine Abwesenheit."

Wegen solcher Sätze habe ich deine Geschichte gern gelesen.
Der Stil ist nicht pathetisch, das empfinde ich bei diesem Thema als sehr gut. Für mich könnte er noch knapper sein.

Für mich käme das Ende wirklicher herüber, wenn die Geschichte so endete:

Zwei Wochen später legte sich Susann zu ihrem schwarzen Kostüm einen bunten Schal um den Hals

Das ist ein offeneres Ende (wobei sich der leser das gleiche denken kann, welches du schreibst). Mir wäre es lieber gewesen, wenn sie nicht mit Michaels Zwillingsbruder zusammenkäme..das wäre dem Leben näher und einfacherer erzählt. das andere ist - für mich - zu sehr Parabelerzählung und zu gut.

Liebe Grüße,
Blauer salon

 

Hallo!

Ja, das Happy End hat mir selber nicht so ganz behagt. Aber andererseits, warum nicht?

Danke fürs Lob!

LG, Penny

 

Hallo penny-lane!

Ich muss dir sagen, dass mir deine Geschichte nicht sonderlich gut gefallen hat. Den Anfang fand ich okay.
Allerdings stockte ich bei der "Blumenaktion" das erste Mal und habe kurz aufgehört mit dem Lesen. Ich habe das so verstanden, dass die Zeitung mit der Blume darin durch den Schlitz in die Wohnung geworfen wurde. Das kann ich mir auch noch vorstellen und nachvollziehen. Allerdings: ein ganzer Strauß passt da nicht durch. Oder meinst du, dass der Strauß vor der Tür liegt? Wenn ja, dann kommt das nicht an.

Und dann das Ende: Es erscheint mir wenig nachvollziehbar und etwas arg gekünstelt. Der Zwillingsbruder, von dem der verstorbene Mann nie ein Wort gesagt hat, sucht die ehemalige Frau/Freundin seines toten Bruders und beide sind hellauf begeistert voneinander. Nach 2 Wochen scheint die Trauer, die ein halbes Jahr andauert, wie weggeblasen. Dabei hat sie dem Verstorbenen doch geschworen, "ihm ihr Leben lang treu zu sein."
Und ein halbes Jahr später scheinen die beiden ein Paar zu sein und glücklich und happy.
Das mag ja alles so ablaufen können, aber für meinen Geschmack erzählst du zu wenige über die Prot., als dass der Leser verstehen kann, warum das plötzlich so schnell geht. Zack, alles vorbei, Friede, Freude Eierkuchen. Für mich nicht nachvollziehbar und mMn der größte Makel der Geschichte.


Eine Stelle ist mir noch aufgefallen:

In den nächsten Tagen erhielt sie täglich ihre kleine Blumenbotschaft und am Sonntag lag zwar keine Zeitung auf dem Fußabstreifer, dafür aber gleich ein ganzer Strauß der schönen Blumen, und diesmal brachte sie es einfach nicht übers Herz, sie wegzuwerfen.
Das finde ich ungeschickt formuliert. Tagen und täglich so dicht hintereinander ... liest sich nicht schön. "in der nächsten zeit erhielt sie täglich" oder so in der Art.


Vielleicht magst du ja an der geschichte arbeiten und das Ende etwas ausdehnen bzw. mehr Informationen an den Leser geben.

Lieben Gruß

 

Hallo moonshadow!

Zuerst mal danke für die ehrlcihe Kritik!

Ich weiß, dass die Geschichte ihre Mängel hat, aber das war eine der allerersten Kurzgeschichten, die ich geschrieben hab und ich möchte sie eigentlich so lassen.
Aus Fehlern lernt man, vielleicht werden dir meine anderen Geschichten ja besser gefallen...

LG, Penny

 

Hallo Penny_Lane,

nun ja, deine Geschichte hat mich nicht wirklich vom Hocker gerissen. Zum Einen liegt das sicherlich daran, dass deine Protagonisten mir sehr fremd geblieben ist. Du erwähnst zwar, dass sie traurig ist, aber der Leser spürt das nicht. Hier könntest du viel mehr aus der Geschichte herausholen, indem du z. B. schreibst, dass sie vielleicht einen Weinkrampf bekommt, als sie Nachts aufwacht, weil sie ganz automatisch nach dem Mann neben ihr tastet. Oder dass es einen Kollegen gibt, der sie evtl. interessiert, sie sich aber nicht traut, weil ihr das wie Untreue vorkäme etc.

Die Geschichte selbst? Nun ja, ich halte es für unwahrscheinlich, dass deine Prota nichts vom Zwilligsbruder ihres Mannes wusste. Das ist doch nichts, was man geheim hält oder nicht erwähnt. Es sei denn, sie hätten sich zerstritten - das kann allerdings nicht sein, weil der Tote seinem Bruder kaum so viel von deiner Frau hätte erzählen können. Nun ja, ich finde das jedenfalls sehr unrealistisch, sorry.

Zum Anderen finde ich es ein bisschen seltsam, dass der Zwillingsbruder vor dem Haus herumschleicht und ihr heimlich Blumen zukommen lässt. Normalerweise würde man sich erst einmal höflich vorstellen, weil man schließlich ahnen kann, dass die Frau einen Schock bekommt, wenn da plötzlich jemand um das Haus streunt, der aussieht wie der tote Ehemann.

Und auch ich glaube kaum, dass der Zwilligsbruder so schnell den Platz ihres verstorbenen Ehemannes einnehmen kann. Dadurch wirkt ihre Trauer sehr oberflächlich.

Die Spannung fehlt deiner Geschichte auch, gerade aus diesen Blumenszenen hättest du viel mehr herausholen können, z. B. indem du sie länger rätseln lässt, wer sie bringen könnte. Vielleicht hat sie sogar schon einen konkreten Verdacht und geht diesem nach?

Textkram:

Der Wecker auf ihrem kleinen Nachttisch leuchtete ihr grell entgegen, so als wollte er ihr die Uhrzeit mit seinen ekelhaft grünen Ziffern entgegenschreien.

Das Wort könntest du streichen, es stört den Lesefluss und ist unnötig.

So würde wenigstens niemand ihr zu nahe treten.

Das Wort "würde" kommt in deiner Geschichte sehr häufig vor. Sieh mal nach, ob du vielleicht das eine oder andere davon ersetzen kannst. Hier wäre zum Beispiel ein "könnte" möglich.

Diese war zu einer zusammengerollt, und in ihr steckte eine Lilie.

Zu einer was zusammengerollt? Hier fehlt ein Wort.

Edit:
Und mir ist nicht ganz klar, warum du eine Kurzgeschichte postest, die "einer deiner ersten" ist, wenn du dich zwischenzeitlich anscheinend verbessert hast (wie ich das an deinem Kommentar an moonshadow schließen darf) und außerdem auch nicht vorhast noch irgendwas zu ändern. Welchen Sinn hat das dann für dich?

Liebe Grüße, Bella

 

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