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Die Mahagonizwerge

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18.08.2002
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Die Mahagonizwerge

Ich hatte mein Taschenmesser gut geschliffen. Das hundertundelfte ‚P‘ ließ sich ebenso leicht in einen Birkenstamm ritzen wie das erste. Mein Fußstapfen und die Abdrücke meiner Krücke auf dem feuchten Waldboden genügten mir nicht. Sie waren vergänglich. Doch sollte man sich viel später noch erinnern: »Durch diesen Wald ist Peter einst gegangen, der einfüßige Vagabund. Das wissen die Rinden der Bäume.«
Jedes Mal sollte man sich bewusst machen, wie Waldwanderungen die Seele erfrischen. Mache ich mir Sorgen – was nicht gerade oft geschieht –, dann weiß ich, wo ich sie loswerden kann. Andere tauchen ihre Probleme in den Wein, aber sie kommen immer wieder zur Oberfläche. Ich riet den Leuten unermüdlich: »Tragt eure Sorgen zu den Krähen, die sie mit in den Tod nehmen«. Sie tippten sich stets an die Stirn. So gab ich es irgendwann auf. Viel Geduld habe ich nicht. Sollen sie doch in rauchige Kneipen flüchten, ich gehe in den Wald. Übrigens log ich, das sind gar nicht die Krähen. Ich sehe selten welche im Wald. Es ist vielmehr die Musik, das Gezwitscher der Vögel, das Geraschel des Reisigs, der Duft dazu, worin alle Leiden verschwinden. Doch halsen sich die Leute lieber Aberglauben auf.
Denn um der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, brauchten sie schon ein bisschen Mut.
»Herrgott, was machen Sie denn da!«, rief jemand.
Es war der Förster, der, zwischen den Bäumen stehend, einen Detektor in jede Himmelsrichtung streckte. Unauffällig ließ ich mein Messer in die Tasche gleiten und lächelte.
»Nichts. Was sollte ich schon machen – durch Ihren schönen Wald wandern?«
Das war eine überaus kindische Lüge. Aber der Förster war wieder mit seinem fiependen Gerät beschäftigt. In seinem Gesicht lag schwere Besorgnis.
»Was suchen Sie?«, fragte ich.
»Wild. In letzter Zeit hat mein Bestand dramatisch abgenommen. Orten kann ich im ganzen Wald nur noch fünf bis sechs Rehe und Hirsche.«
Das tat mir natürlich leid. Zu einem richtigen Wald gehört eben Hufwild genauso wie die Schale zum Ei. Ich konnte ihm leider nicht helfen, so machte ich mich verlegen davon.

Vor mir stand, so hoch, dass ich die Krone kaum ausmachen konnte, eine mächtige Eiche. Ihren Stamm vermochten drei Mann nicht zu umspannen. Er war innen hohl und bot eine Öffnung, die wie eine kleine Tür geformt war. Ganz einladend, vielleicht wohnte hier ja eine kleine Waldelfe. Schon hatte ich meine drei Wünsche zurecht gelegt: Einen neuen Wanderschuh, eine dicke Lederjacke gegen den nahenden Herbst, und zehn Taler für die Einkehr ins nächste Wirtshaus.
Bei einem näheren Blick zweifelte ich jedoch, ob da drinnen wirklich jemand hauste. Gleichwohl hatte dieser Ort etwas sehr Befremdliches. Dafür bin ich gern zu haben, wo sich doch mein früherer Lesespaß auf Märchen beschränkte.
Ich betrat den Höhlenraum und erschrak. Unter meinem Fuß hatte es geknarrt, als stünde ich auf Holzdielen. Es handelte sich um eine Falltür, doch das wusste ich erst mit Sicherheit, als mein Schicksal schon besiegelt war.

Hunderttausend steinerne Treppenstufen bissen mich ins Kreuz, schlugen mir den Schädel ein und schabten mir die Haut vom Fleische. Ich Dummkopf! Warum musste ich auch hüpfen, um die Verlässlichkeit der Falle zu prüfen. Jedenfalls hatte sie ihren Zweck erfüllt. Endlich fiel ich auf einen Absatz und kam dort zur Ruh.
Es war gar nicht sicher, ob ich immer noch lebte, oder »wiederauferstanden« war. Doch ließen die Schmerzen allmählich nach und meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Dabei war ich nicht arg tief gefallen. Nach oben zählte ich acht Fackeln an den Wänden, nach unten hin nicht weniger als zwei Dutzend, wobei die entferntesten, kaum größer als ein Punkt, nur noch mit Mühe zu erkennen waren.
Dann kam von unten her ein greller Schein. Eine kleine, gedrungene Silhouette hatte die Tür geöffnet. Dann herrschte wieder kärglich erleuchtete Finsternis. Flinke Schritte und unverständliches Gebrabbel näherten sich.
»Ei shaygú?«
»He?«
»Ei shaygú, hai?!«
»Tut mir leid, ich verstehe Sie nicht.«
In Märchen kamen zwar auch Ungeheuer vor, aber diese sprachen wenigstens meine Sprache.
Die Brummstimme fuhr daraufhin eine ganze Palette fremder Laute und Worte auf. Sie zischte, spuckte und fauchte, dass meine Ohrläppchen zitterten. Er musste erkannt haben, dass ich nicht zu ihnen gehörte. Eine Schweißperle auf meiner Stirn widmete ich dem Gedanken, als Beute in ihrem Topf zu landen.
Er nahm mich bei der Hand, die sich merkwürdig hölzern anfühlte, half mir auf die Beine und zog mich hinter sich her, treppabwärts.
Die Tür wurde geöffnet. Ein Schwarm Stimmen drang an mein Ohr. Der Geruch gebratenen Fleisches kroch in meine Nase. Aber ich blinzelte. Glotzte dann. Die Kreaturen vor mir auch. Zwerge! Aber nicht etwa von der Art, wie man sie kannte, mit einer Zipfelmütze auf dem Kopf, sondern stattdessen mit einer vollblättrigen, stammlosen Baumkrone, deren Wurzel sich an ihre Schädel klammerte. Überhaupt schienen sie ganz und gar aus dunklem Holz zu bestehen, welches jedoch genauso biegsam und lebendig war wie Menschenhaut.
Jener Baumzwerg, der mich hierher geführt hatte, hieß schroff einen anderen: »Túnit eaj qoróima, anáqh!«
Der sehr viel ältere Zwerg murrte und setzte sich unwillig in Trab. Hinter der Tür brachte er ein Werkzeugköfferchen zum Vorschein. Sodann stapfte er hinauf.
Mit dem Zeigefinger lockte er noch einen herbei, der mir jünger schien, fast noch jugendlich. Er ahnte wohl seine Aufgabe –
»Gúten Daaqh!« sagte dieser und streckte mir seine Hand entgegen. Ich erwiderte.
Er unterschied sich von den anderen durch die vereinzelten dunkelblonden Haarsträhnen, welche sich ihren Weg durchs Wurzelwerk bahnten.
»Ehze tûmni zag jéblodh!«, riefen sie ihm zu.
»Was ist dáin Name?«, fragte er.
»Peter. Nennt mich einfach Peter. Meinen Nachnamen weiß ich selbst nicht mehr.« Meine Stimme zitterte wie eine Kaulquappe.
»... bhe tûmni zans ejb-táuwa galh!« Sie stellten ihre Fragen an ihn und er übersetzte sie mir. Er war der einzige, der Deutsch konnte. Ihr Glück, mein Glück.
»Was ist mit dáin óne-Fus, mit dáin – ?«
»Mit meinem Stumpf? Ehm, das war ein Unfall mit einer fallenden Kreissäge – ... ein Zeugnis jugendlicher Unvorsichtigkeit.«
Man staunte und raunte einander Geheimnisse ins Ohr.
»Bhe tûmni ... –«
»Póu! Póu! Vûkhuta máth‘e!«, gellte es von weiter hinten. Dort stand wohlbeleibt ein anderer Zwerg und klatschte in die Hände. Alles wandte sich von mir ab und strömte in einen schwarzen Tunnel. Wie groß war nur die Höhle?
»Eaj nâtj. Komm, es gibt Essen«, sagte der junge Zwerg. Wir bildeten die Nachhut des Hungrigen-Zuges. Die Zwerge machten auf mich einen sehr freundlichen Eindruck und so brauchte ich wohl nicht befürchten, für eine gute Mahlzeit das Leben zu lassen. Im Gegenteil, es könnte alles ganz interessant werden.
Mein Magen meldete sich tatsächlich zu Wort. Das Buffet war eben nicht gleich nebenan, wie ich zuerst glaubte.

Welch dummes Gesicht würde der Förster machen, säh‘ er dies. Auf einem großen ovalen Mahagoni-Tisch, der mindestens fünfzig Mahagoni-Zwergen Platz bot, lag ein saftig gebratener Hirsch auf einem Bett aus Ananasscheiben und Sauerampfer. Ich betrachtete es als Zeichen der Höflichkeit, mich als Letzter zu setzen, aber da griff mich schon ein Zwergenweib beim Arm und wies mir unmissverständlich einen Platz zu.
Es war ganz gut, dass sich der Sprachgenosse an meine Seite gesellte, denn so bestand Aussicht auf ein lehrreiches Pläuschchen. Als jemand das Nöhlen der Kleineren niedermahnte, sagte er zum Beispiel: »Sie muégen dieses Fláisch nicht. Sind an Känguruhs gewähnt.«
»Känguruhs? Aber die gibt es doch nur in Australien!?«
»Aus Austrálien. Daher kommen wir auch. Als der verruckte Zauberer sich in sáin Búkh verirrte und wirns versehentlich nach Oiropa verhexte, hatte er láider nicht an Vorrát gedacht.«
Oh. Diese Zwerge wurden aus den australischen Wäldern hierher gezaubert. Irr-tüm-lich! Wenn das mein Onkel wüsste, der war nämlich Journalist mit großem Elan ...
»Hier scheint sich niemand um eine geordnete Vorstellung zu kümmern«, bemerkte ich leise.
»Auch wenn du mit uns zu Abend issd, bist du noch frend. Ein Gast, der die geheimen Námen nicht wissan muss.«
Die Gnomin von eben legte mir ein Stück von der Schulter auf den Teller, tat etwas Sauerampfer, Sellerie und Brot hinzu und watschelte weiter.
»Soso, hm. Aber deinen Namen kannst du mir doch verraten, oder?«
»Ich bin Vîmn Gávipel«, antwortete er.
»Aber mit diesem Namen bist du nicht geboren, nicht wahr?«
Er schien meine Anspielungen sehr gut zu verstehen, was seine Miene jedoch verschweigen wollte. Nach einer Weile, während der ich genüsslich von meinem Stück Fleisch abbiss (die kichernden Kleinen mir gegenüber drehten sich angeekelt um), holte er tief Luft und sagte:
»Nein, du hast Recht. Aber lass uns meinen richtigen Námen vergessen. Seit vier Jahren gehére ich zu den Mahagoniern. Siehst du die Stoppeln auf meinem Kopf? Langsam machen sie mich zu einem von ihnen. Mit Teebaumöl. Ihr dort oben habt doch nur Prügel und Knete im Sinn, das richtige Leben ist euch fremd.« Und dann sagte er noch fast zornig, als ob ich nur gekommen wäre, um ihn zurück zu holen: »Ich fühle mich hier wohler, tut mir leid!«
Bis zum Ende der Mahlzeit gingen wir dem Schweigen nach. Genauso still, wie die anderen unsere leise Unterhaltung hingenommen haben, befreiten wir Bissen für Bissen die Knochen vom Fleisch. Überraschenderweise rieben wir schließlich als gleichzeitig unsere satten Bäuche.

Die Zwerge hatten auch einen Alten, sowas wie einen Stammvater, der sich nun erhob und zu einer Rede Luft holte. Vîmn dolmetschte mir: »Ich begruüße im Namen von allen unseren Gast, Peter. Es geschah durch Zufall, dass er zu uns gestoßen ist. Aber es würde meinem Stamm sehr helfen, wenn er ein Weilchen bei uns bleibt und sich als Vermittler zwischen uns und den europäischen Menschen versucht. Wir bieten an, dass ihm Éia Rávuk, der Zwerge Zaubermeister, einen zweiten Fuß ansetzt – als kleines Willkommensgeschenk sozusagen.«
Es war nun nicht so, dass sie meine Zustimmung erwarteten. Schweigend wurde ich in ein anderes Zimmer geführt. Dort fierte ich abermals meinen Unterkiefer ab. Dass das Holz Borsten hatte wie ein Teppich, verwunderte mich nicht so sehr wie das Plateau, das in der Mitte des Raumes an der Decke hing und etwa einen Fingerbreit über dem Boden schwebte. Darauf stand ein Fass, worin ein Zwergenmännchen mit geschlossenen Augen hockte und sang. Aus der Tonne quoll schwerer Dampf heraus, und unter dem Plateau züngelten türkisfarbene Flammen empor. Der Kopf des Zwergs war nicht einfach grünbelaubt wie die der anderen. Seine Blätter schillerten metallisch in gelb, rot, grün, blau und seifenblasenbunt. Doch sein Körper wurde nach unten hin, zum nietenbeschlagenen Rand des Fasses, immer durchsichtiger, unwirklicher.
»Ehzin zans táuwa q‘ûmope, Eia Rávuk!«, sagte einer der vorderen.
Der Zwerg im Nebelbad schaute wie erschrocken zu uns auf, fluchte etwas in seinen Bart, hüpfte sodann aus der Tonne heraus und trat in voller Montur vor uns. Mir wurde flau im Magen. Beinahe unsanft schob man mich zu ihm hin. Der Zauberer hieß mich auf einer Pritsche in der Ecke des Raumes Platz nehmen, und schlug ein großes, angestaubtes Buch auf.
»Wollen doch mal sehen, was sich da machen lässt«, sagte er, ohne den Mund zu öffnen. Davon hatte ich schon immer geträumt, einfach – fernab aller Sprachbarrieren – meine Gedanken zu übertragen. Ich hörte hier etwas, was wohl niemand anders im Raum vernahm.
Er fegte regelrecht durch die Seiten, bis er die richtige Stelle gefunden hatte. Dann sog er viel Luft in sich hinein und sprach mit großer Feierlichkeit:

»Aréhit oghù pom inge pan. Lias táuwa-bel aréhinda oghù pom inge pan, qoróimene.«
Dies wollte er mich offenbar nicht verstehen lassen.

Ein tiefes, gleichmäßiges Donnergrollen machte sich im Raume breit. Trotz seiner Tiefe, das wusste ich plötzlich, würden niemals die vielen Gläser und Bottiche erzittern, welche die Regale zierten. Hören konnte nur ich es. Mein ganz persönliches Donnergrollen. Das beruhigte mich auf eigenartige Weise.
Doch der Donner wurde lauter und lauter. Ekel fühlte ich langsam in mir aufsteigen wie Faulgas im Morast. Aus meinem Stumpf quoll eine Tausendarmee giftgrüner Ameisen und umschwärmte diesen mit atemberaubender Geschwindigkeit, erfüllte ihn mit heißem Kribbeln. Um mich herum wütete bald ein Donnersturm, durch welchen ich nur noch den summenden Chor hören konnte; lauter und schneller rief man: »Oghù pom inge pan!«, »Oghù pom inge pan!«. Durch den Schwarm konnte ich schemenhaft meinen neuen Fuß erkennen, aber jetzt wollte ich diesem walpurgischen Wahnsinn nur noch entfliehen. Aber dann ...

»Oghù pom – Aréhun!« Ein dumpfer Paukenschlag und Stille.

Inzwischen war ich wohl bewusstlos geworden, da ich in einem ganz anderen Zimmer erwachte. Man reichte mir einen Krug Wasser. Während ich ihn in eiligen Zügen leerte, schielte ich zu meinem neuen Fuß. Selbstverständlich war er aus Mahagoni, fortan nenne man mich Pinocchio! Sollte ich mich ärgern oder darüber freuen? Immerhin war ich bisher ganz gut mit nur einem Fuß ausgekommen. Aber ich nahm mir vor, dankbar zu sein.
»Habt vielen Dank!«, sagte ich und bekam eine wegwerfende Geste zur Antwort.
»Zaubern wäre ja nicht schwer«, verriet mir Vîmn später.
»Was bedeutet eigentlich dein Name, wenn er denn überhaupt etwas heißt?«
»Natürlich heißt er was!«, empörte er sich. »Ich bin ‚der Einzige Gávipús‘. Gávipú ist diese etwas dicke Frau mit dem Zweigloch am Kinn. Sie hat mir einmal gesagt, sie könne leider keine eigenen Kinder bekommen, weshalb sie sich meiner angenommen habe.«
Es dauerte eine Stunde, bis ich wieder ganz bei Kraft und Sinnen war. Als ich aufstand, war es schon ein gutes Gefühl. Den neuen Fuß nahm ich genauso wahr wie den, der schmerzhaft der Säge zum Opfer gefallen war.
Vîmn erschien abermals in der Tür, jetzt mit einem ganz kleinen Zwerg auf dem Arm, und amüsierte sich über meine zweibeinigen Gehversuche.
»Komm«, ereiferte er sich, »Ich muss auf die Kleine hier aufpassen. Lass uns ins Theater gehen.«
»Ins Theater? Keine Angst vor den Journalisten? Die werden dich auspressen wie einen Schwamm.«
»Nein, nein. Theater heißt bei uns der untere Aufenthaltsraum, der kaum mehr genutzt wird, er wird seit längerem nämlich vom Zauberer beansprucht. Er vertraut mir, und so habe ich den Schlüssel.«
‚Unten‘ hieß bei den Mahagonizwergen wohl irgendwo neben dem Erdkern. Was mich in dieser Vermutung bestätigte, war die dort herrschende Hitze. Außerdem hatte ich schon wieder Magenknurren, als wir da ankamen.
Der Raum schien tatsächlich zu einem Theater zu gehören. Alles war vollgestellt mit Requisiten, Kostümen und anderem Gerümpel, und wir gingen im Storchenschritt durch den Raum.
»Müsste mal wieder unseren werten Herrn Intendanten besuchen«, kicherte ich.
»Das wirst du nicht tun!«, funkelte mich Gávipel an.
Wir setzten uns mit der Kleinen in eine Ecke, und Vîmn Gávipel klaubte ein paar Spielsachen herbei, die ihr sichtlich Freude bereiteten. Die Babies der Mahagonizwerge waren natürlich sehr viel kleiner als die unseren, meine Hand könnte ihnen durchaus als Wiege dienen. Von ihrem Kopf standen rechts und links zwei einblätterige Ästelchen ab, die federnd dessen Bewegungen folgten.

Vîmn hatte wohl auch sein Spielzeug. Er hielt einen scharfkantigen, metallisch glänzenden Handwürfel in der Hand und betrachtete seit einiger Zeit nur eine bestimmte Seite.
»Diese Seite ist neu. Ich kenne sie noch nicht.«
Gespenstische Stille. Nur das Baby plappert.
Ich setzte mich zu ihm. »Darf ich mal sehen?«
Die Seite stellte sowas wie ein Symbol dar. Ein kleines, in eine Ebene eingesenktes ‚v‘ mit einem schwarzen Punkt obendrauf.
»Der Zauberer sagte mir einmal, dass der Würfel Neues zeigt, wenn ein wichtiges Ereignis bevorsteht. Erst sehr abstrakt, aber dann, wenn alles vorbei ist, ein richtiges Relief.«
Die anderen Seiten stellten tatsächlich Bilder dar, allerdings konnte ich mir zu ihrem Inhalt keinen Reim bilden. Es war müßig, mich zu erkundigen. Ich verspürte gerade keine Lust, von verlorenen Mythen, Helden und Legenden, in aller Fülle ausgebreitet, erschlagen zu werden.
»Übrigens kann der Würfel sprechen. Zu einem Bild kann er dir eine ganze Geschichte erzählen, auch kann man einen Einblick in die Zukunft erhaschen. Du brauchst nur mit der Handfläche über die gewünschte Seite zu reiben und ihn in die Luft setzen, wo er schweben und sprechen wird. Je mehr du die Seite erhitzt, desto ausführlicher. Das heißt: Wenn du es dürftest. Niemand vom Stamm der Mahagonier hat die Erlaubnis, ihn zu berühren, außer ich, der Gehilfe des Zauberers. Reden lassen darf aber auch ich ihn nicht.«
Nachdenklich betrachtete Vîmn den Würfel. Plötzlich schaute er nach drüben zur Tür. Seine Miene verriet Hadern, den ewigen Kampf zwischen dem Trieb und dem Gewissen. Sein Trieb war die Neugier, die auch mich zu plagen begann: Was steckte hinter diesem Symbol?
»Nichts will ich«, sagte er im Flüsterton, »außer ihn einmal sprechen hören. Einmal in die Zukunft sehen, nichts weiter. Aber ich mag mir die Strafe nicht vorstellen, wenn mich Eia Rávuk ertappt. Übrigens ... eigentlich hat er mir ausdrücklich verboten, diesen Würfel je einem Menschen zu zeigen.«
»Was soll er schon groß tun? Als ich noch klein war und in meiner Neugier von einem Fettnäpfchen ins nächste trat, haben die Erwachsenen immer nur gelacht und mich gehätschelt. Außerdem: Wenn es ein so gravierender Fehler wäre, würden sie kaum einen Menschen wie dich schon soviel anvertrauen. Wenn der Éia Rávuk dir etwas tut, kann er sich mit einer Männerfaust verabreden!«
»Hehe, na dein Wort in Holz geschnitzt... Das Vertrauen wird so und so dahin sein. Nein, ich mache es nicht! Es ist zu gefährlich.«
Das träumtest du so. Während du das sagtest, hatte deine Hand, ob du nun wolltest oder nicht, schon die neue Seite des Würfels liebkost. Sie haftete ihm förmlich an; es schien, als hättet ihr beide einen Kampf geführt. Du hast jedenfalls verloren.
Dann ließ er den Würfel los, der fiel, aber nur ein kleines Stück. Er hielt sich tatsächlich in der Luft und begann, sich langsam um seine Achse zu drehen. Vîmn lächelte; seine Augen leuchteten auf. Er lauschte wohl der Stimme des Würfels, doch ich hörte nur ein sehr leises Singsang von ihm ausgehen. Er lächelte nicht lange, sondern zog die Stirn kraus, als ob er nicht verstünde, was der Würfel sprach. Vîmn seufzte, während das Ding müde seine Rede fortsetzte.

Der Zauberer war da. Der Würfel weg. Vîmn stand wie versteinert da, seine Lippe zitterte. Er sprang auf und ging rückwärts zur Wand, während der Hexer ihm lauernd entgegen schlurfte.
»Weshalb bist du hier unten?«, fragte er Vîmn. Ich verstand ihn zwar, erkannte aber sehr gut, dass er doch nur Schabernack mit mir trieb. Ich sollte ihn verstehen.
Ich war mir bei der Antwort Vîmns nicht sicher: War es »Weil ich auf Lipûndu aufpassen musste«? Oder eher: »Entschuldigt Meister, ich war der Neugier erlegen und hörte Eurem Schicksalswürfel zu. Eine Seite ist neu«? Ich wusste nicht einmal, ob ich beides zugleich hörte oder nur eine Mischung aus beidem. Und so zitterte auch ich. So wie die beiden Zwerge da standen, die Tatsache, dass sie sich – zumindest für meine Ohren – meiner Sprache bedienten, oder dass der Säugling weder der Situation noch seinem Spielzeug Achtung schenkte, sondern mich mit seinen schwarzen Augen unverwandt anfunkelte, all diese Umstände jagten mir plötzlich Angst ein.

»Söhnchen, jetzt da du, wie vorausgesagt, einen Schritt zu weit gegangen bist, wisse eines«, rief der Zauberer und ließ seine Blätter auf dem Kopfe rascheln. »Der Würfel unserer Geschichte weiß um deine unersättliche Neugier. Er kennt dich. Freilich, ja! hat er nur sechs Seiten. Doch das ist Schein. In Wahrheit enthält er viele, mir scheint unendlich viele – nenne mir nur ein Volk auf der Welt, dessen Geschichte nicht mehr als sechs Seiten hat.«
Der Zauberer stand nun dicht vor Vîmn. In solchen Gegebenheiten war es in den Märchen Gang und Gäbe, dass der Bedrängte klein wird, wurmklein, während sich sein Peiniger auf die doppelte Größe aufplustert. Bei den Mahagonis gab es hier eine interessante Besonderheit: Zwar wird Vîmn zu einem kleinen Nichts unter der Gewalt des Magiers. Aber dem Zauberer hätte ich nach wie vor auf den Kopf spucken können. Doch eben dieser, sein Kopf, wurde groß und kugelrund, wie der Mond, der Wächter der Nacht. In Nächten, denen ich mit Fußmeilen konterte, fühlte ich mich oft vom Mond beobachtet, und ich wurde nervös. »Den Würfel darf kein Mensch sehen, da er ihn mit seinem gierigen Blick in seinem Inneren zerstören würde. Doch wir brauchen ihn, denn er ist unser Geheimnis, und sein Geheimnis sind wir. Wird dieser Geheimnisbund gebrochen, ist dies ein großer Fehler. Du jedoch hast deine Schutzpflicht vernachlässigt, und nun ist, durch dich, durch di allei unse Verahenheit un unee Uunf ahin ...«
Der Zauberer sprach immer undeutlicher, während sich seine Gesichtzüge aufzulösen schienen, wie auch der Rest seines Körpers die Konturen verlor. Aber nicht nur der Zauberer zerging wie ein Stück Käse in der Nachmittagssonne. Das ganze Volk, welches sich zwischenzeitlich in diesem Raum versammelt hatte, verschwand mehr und mehr im Nirgendwo.

Ich war schließlich mit meiner Angst allein in dieser nun dunklen Höhle. Hörte keinen Laut, nicht einmal das Tropfen von Grundwasser. Wie Moor kroch die Stille durch meine Gehörgänge. Humpelte vorsichtig in der Dunkelheit herum, denn mein neues Bein war ich wieder los. In meiner Hand fühlte ich plötzlich eine Form aus Pappe. Es war eine Streichholzschachtel; eilig zog ich sie auf, entnahm ein Hölzchen und rieb es an der Seite entlang. Ein Funke – der Raum wurde hell, und ich sah mich an einer ebenen, anthrazitgrauen Wand stehen, die sich in der Dunkelheit verlor. Ich lief an ihr entlang, aber sie wollte kein Ende nehmen. Mein Streichholz erlosch. Ich entzündete ein neues und schickte mich an, einfach weiter zu gehen (irgendwann würde ich zumindest einen Lichtschalter finden), aber dann sah ich plötzlich einen schwarzen Punkt in der Wand – der sich als Loch erwies, und ich sah hinein. Ein kleines grünes Licht, irgendwo darin. Es wurde größer. Und größer. Fasziniert schaute ich es an, es pulsierte und war heiß, das spürte ich am Auge. Es begann zu schmerzen, und ich sah weg.

Es war ein großer Schwarm Glühwürmchen, der aus diesem Loch in den dunklen Raum hineinschoss. Ich humpelte dem Haufen hinterher, hörte es lieblich aus tausenden von Stimmchen wispern und flüstern, kam aber nicht nach, und er entfernte sich. Wie groß musste dieser Raum sein? Und keinerlei Echo, die Stille wurde schier unerträglich. Ich versuchte mich zu beeilen, denn der Schwarm war entfernt vor mir anscheinend zur Ruhe gekommen und erhellte etwas, was ich noch nicht erkennen konnte. Mühsam hüpfte ich mit schlechten Einbeinsprüngen voran.

Ein Schreibtisch. Er bestand aus Mahagoniholz, vielleicht war er das einzige Überbleibsel des Zwergenvolkes? Über dem Tisch bildete der Glühwürmchenschwarm eine Lampe, aber die Tierchen waren nicht mehr einzeln auszumachen, hatten sich vielmehr zu einer unermüdlich flüsternden, wispernden Masse verschmolzen. Um den Tisch herum türmten sich haushoch Stapel von Papier. Neben dem Schreibtisch stand ein Fass auf dem Steinboden, auf dem Schreibtisch lag eine Feder und ein Blatt Papier, das schon mit Buchstaben beschrieben war. Ich erschrak – die Buchstaben zitterten, kaum sichtbar, aber dennoch schauerte mir. Mühselig las ich laut vor mich hin:

»Mein Retter (hoff... hoffentlich), du be... bist im Würfel ange...kommen. Die ...Menschen ... sind – zu – unkreativ, ...ich bitte dich, Mahagonizwerge, tse! Wie oft habe ... ich schon von Maha... Mahagonizwergen gelesen in diesen drei... dreiein...halb Millllioonen Jahren! Schreeeiiib maal was O...Originelles.
In diiieesem Saaal giiebt es geeenug fffrischsche Luft. Schreib mir ... schreib mir eine Geschichte, ers...sinn mir eine neue, andere Welt.

Bitte, beeiil dich. Der Trick, sich frei... freizauubern zu lassen, isst jetzt übriiigens bekannt!«

[highlight]Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE (s. Profil)[/highlight]​

 

Hallo Floh,
hmm, seltsame Geschichte, genau das Richtige für diese Uhrzeit, wo ich gerade surreale Musik höre :D
Dein Prot ist mir unsympathisch. Er verschwendet seine drei Wünsche für völligen Nonsens, gerade, wo ich mir viel bessere drei Wünsche überlegt habe, mit denen ich die Welt genesen lassen könnte... *g*
Ich mag den Text. Die Erzählstruktur ist stimmig, nur das Ende kommt unerwartet. Ich weiß noch nicht so ganz, ob ich es auch mag. Ich finde, beim Würfel-Teil könntest du noch etwas kürzen, ich habe zuerst nicht so ganz verstanden, dass der Würfel jetzt plotrelevant ist, sondern dachte, dass der irgendwie - wie die Sache mit dem Fuß und die anderen Dinge - einfach in die Erzählstruktur gehört. Irgendwie hatte ich mich auf einen Text ohne größere Höhepunkte eingerichtet und war deshalb etwas überrascht, als dann tatsächlich einer kam. Vielleicht kannst du diese Entwicklung ja noch irgendwie einarbeiten? Deutlicher machen?

gruß
vita
:bounce:

 

Hallo FLoH!

Das träumtest du so. Während du das sagtest, hatte deine Hand, ob du nun wolltest oder nicht, schon die neue Seite des Würfels liebkost. Sie haftete ihm förmlich an; es schien, als hättet ihr beide einen Kampf geführt. Du hast jedenfalls verloren.
Das scheint wohl die entscheidende Stelle zu sein, die schon auf das überraschende Ende vorausweist: Der Verführung, eine neue Geschichte zu erzählen, kann das "Du" nicht widerstehen. Redet da der Ich-Erzähler mit sich selbst? Als er die Geschichte, die der Leser gerade liest, aufschreibt?

Mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen! Das ist Fantasy, wie sie sein soll! Man spürt die Lust am Erzählen, die Lust daran, der Fantasie freien Lauf zu lassen, sich was auszudenken. Mir gefallen auch die vielen Kleinigkeiten, die du in den Text einbaust und die die Fantasie, im Sinne einer inneren sinnlichen Vorstellungskraft, sehr anregen. Und dann noch die Verknüpfung mit der Idee des Autorseins! Ein Autor sitzt in einem grauen schmucklosen Würfel und schreibt, ein schönes Bild, das auch von der Distanz von der Außenwelt, die eine Autor braucht, um schreiben zu können, erzählt. Für wen er schreibt, wer das Wesen im Würfel ist, das lässt die Geschichte offen.
Ich find´s sehr gelungen! :thumbsup:

Fehler:

Ihren Stamm vermochten drei Mann nicht zu umspannen.
Ich finde „Stamm“ und „umspannen“ beißen sich irgendwie. Lies es mal laut!
Unter meinen Füßen hatte es geknarrt, als stünde ich auf Holzdielen.
Füße? Er hat doch nur noch einen!!
Hunderttausend steinernde Treppenstufen
steinerne
mich als letzter zu setzen
groß: als Letzter
Vîmn dollmetschte mir
dolmetschte
gleichmäßiges Donnergrollen, dass langsam und schleichend den Raum ausfüllte.
Donnergrollen, das langsam...
Tausendenarmee
„Tausendarmee“ würde ich besser finden
Pinoccio!
Pinocchio
Sollte ich mich ärgern, oder mich darüber freuen?
ohne Komma
Gespenstige Stille. Nur das Baby plappert.
Ist das Präsens hier Absicht?
während der Hexer ihm lauernd entgegen schlürfte.
schlurfte
Nächte, denen ich oft mit Fußmeilen konterte, fühlte ich mich oft vom Mond beobachtet, und ich wurde nervös.
Da stimmt was nicht: "In Nächten", oder?
Ich entzündete ein Neues und schickte mich an
klein: neues, da es sich auf Zündhölzer bezieht
Fasziniert schaute ich es an, es pulsierte und war heiß, dass spürte ich am Auge
das
Über dem Tisch bildete der Glühwürmchenschwarm eine Lampe, aber die Tierchen waren nicht mehr einzeln auszumachen, haben sich vielmehr zu einer unermüdlich flüsternden, wispernden Masse verschmolzen
Zeit einhalten: hatten sich...verschmolzen
merkwündig zitternden
merkwürdig

Gruß
Andrea

 
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(Das Warten auf weitere Kommentare hat sich leider als sinnlos erwiesen.)

Hallo ihr beiden,

danke für eure netten Kommentare, es freut mich, dass euch die Geschichte gefallen hat. Ich hatte absolut kein Schimmer, wie sie ankommt. Ich habe befürchtet, dass der Zeitraum von gut drei Jahren, der zwischen dem Auftreten des Würfels und dem Rest des Textes liegt, die Geschichte im Kern auseinanderreißen würde.

Ihr habt Recht: Das Ende muss mehr in die Geschichte passen. Dazu kann ich entweder ein ganz anderes Ende nehmen, oder den Text davor besser auf das bestehende Ende abstimmen. Mal sehen, wie ich das mache, leider werde ich in nächster Zeit kaum Zeit und Nerven haben, an der Geschichte weiter zu arbeiten.
Andrea: Der Protagonist duzt sich nicht selbst, das wäre sehr komisch. Eher adressiert er Vîmn Gavipel in Gedanken. Ich hoffe, das wirft jetzt nicht dein Verständnis meiner Geschichte durcheinander :shy:.

Mir gefallen auch die vielen Kleinigkeiten, die du in den Text einbaust und die die Fantasie, im Sinne einer inneren sinnlichen Vorstellungskraft, sehr anregen.
Ich fühle mich geehrt! :) Denn so hatte ich den Text intendiert, als echte Fantasy im Sinne einer Geschichte, die gewissermaßen "durch die Phantasie" gelesen wird.
Danke übrigens für deine Korrekturen und Verbesserungsvorschläge.

Wie gesagt, wird bestimmt noch eine ganze Weile dauern, bis ich eine überarbeitete Version der Geschichte veröffentlichen kann. In meinem Studium kommt es hart auf hart, aber mal sehen.


Vielen Dank,
-- floritiv.

 

Lieber floritiv!

Ich wünsch Dir, wenn auch leicht verspätet, alles Gute zu Deinem Geburtstag und viele gute Ideen für schöne Geschichten! :)

:hmm: Mit dem schönen Geschenk von Mirko kann ich da natürlich nicht mithalten! ;-) Und zum Glück hast Du die Geschichte klammheimlich an meinen Augen vorbeigepostet, sonst hätte ich jetzt eine aus 2003 ausgraben müssen. Soll heißen: Du solltest wirklich mehr schreiben, Dir das Ende dieser Geschichte zu Herzen nehmen. ;-)

Hat mir jedenfalls gut gefallen, Deine Welt der Mahagonizwerge, die Du sehr phantasievoll erzählt hast! :) Daß der Protagonist sein Mahagoni-Bein nicht behalten durfte, fand ich schade, sowas hat schließlich auch nicht jeder! Aber die Sache mit dem Würfel war schon sehr hinterlistig, gemein! Und wie sich der Glühwürmchenschwarm zu einer Schreibtischlampe formiert, hat mir auch sehr gut gefallen – so eine Lampe hätt ich gern! ;-)
Was mir nicht klar wird: Am Anfang steht das mit den Sorgen, die der Protagonist »zu den Krähen« trägt, und dann all das Folgende … Ist es denn jetzt schlecht, die Sorgen in den Wald zu tragen? Oder warum wird das am Anfang erwähnt? Hab ich was überlesen oder nicht verstanden? Steht es nur da, weil Du einen Grund brauchtest, um den Protagonisten in den Wald zu schicken – braucht er denn einen Grund? :susp: Allerdings finde ich den Gedanken mit den Krähen an sich sehr schön, sollte also keine Aufforderung sein, ihn rauszunehmen, sondern mehr, ihn zu einem richtigen Teil der Geschichte zu machen.
Sehr gut gefallen hat mir übrigens, wie das verschwundene Wild wieder auftaucht! Damit hatte ich nicht gerechnet, obwohl ich mich schon gefragt habe, warum der Förster überhaupt vorkommt. Und so würde ich auch gerne das mit den Sorgen wiederfinden, denn auch mit dem Schluß der Geschichte kann ich mir darauf keinen Reim machen. Der Protagonist wollte seine Sorgen los werden, stattdessen fällt er in die Falle zu den Zwergen und dem Zauberer, lernt deren Welt kurz kennen, tappt dann in die nächste Falle – in Form eines Würfels, der ihm aufgedrängt wird und durch den er das Zwergenvolk vernichtet, ohne daß er es wollte – und ist am Schluß in einem finsteren Raum mit einem Mahagoni-Schreibtisch und einer Glühwürmchen-Lampe, sowie Papier und Feder eingesperrt. Hm. Werden die Sorgen also größer, wenn man sie in den Wald trägt, statt anderen Menschen davon zu erzählen?
Aber ich seh schon, daß es Dir wohl gar nicht darum ging, den Krähen-Gedanken weiterzuverfolgen – da er aber schon aufgeworfen wurde, beschäftigt er mich jetzt trotzdem. Vielleicht findest Du ja einen Weg, dem Faden ein Ende zu geben. Zusätzlich wäre es natürlich nicht unbefriedigend, wenn der Protagonist auch wieder hinaus könnte – kannst Du den Schreibtisch nicht ins Freie oder zu ihm nach Hause verlegen, damit das Beschreiben des Papiers dann doch noch was von Freiwilligkeit erhält? Stell Dir vor, Du bist eingesperrt in einen finsteren Raum mit einem Schreibtisch und einer Glühwürmchen-Lampe, und weißt noch gar nicht, wie Du wieder raus kommst. Ob Deine Ideen da wohl sehr sprudeln würden? :susp:

Warum musste ich auch hüpfen, um die Verlässlichkeit der Falle zu prüfen.
Weil wir sonst nie von den Mahagonizwergen erfahren hätten. :)
Allerdings erscheinen mir …
Hunderttausend steinerne Treppenstufen
… schon enorm viel, das wären, über den Daumen gepeilt, so ungefähr 5000 Stockwerke. Gut, Du schreibst auch von der Nähe zum Erdkern, aber dann …
Endlich fiel ich auf einen Absatz
… laß den Protagonisten doch wenigstens weich fallen. Mensch, bist Du brutal … : D


Der Rest ist nicht viel für die Länge der Geschichte: :-)

»Mein Fußstapfen und der Abdruck meiner Krücke auf dem feuchten Waldboden genügten mir nicht.«
– Auch wenn er nur ein Bein und nur eine Krücke hat, macht er doch damit jeweils mehrere Abdrücke, wenn er nicht auf einer Stelle stehen bleibt: Meine Fußstapfen und die Abdrücke meiner Krücke …

»zehn Mark für die Einkehr ins nächste Wirtshaus.«
– so viele Ideen in der Geschichte und bei der Währung so realistisch? ;-)

»ob wirklich da drinnen jemand hauste.«
– würde ich umdrehen: ob da drinnen wirklich jemand hauste.

»Es war gar nicht sicher, ob ich immer noch lebte, oder wieder »auferstanden« war.«
– zusammen: »wiederauferstanden«

»Mit dem Zeigefinger lockte er noch einen herbei, dieser jedoch um so jünger, fast noch jugendlich.«
– dem »umso« (zusammen) fehlt der Vergleich, z. B. ein »als«, »desto« o. ä. (jünger als wer/was?)

»»Póu! Póu! Vûkhuta máth‘e!« gellte es von weiter hinten.«
– Beistrich nach der direkten Rede

»Aus Austrálien. Daher kommen wir auch.«
– da her auseinander, bzw. vielleicht besser: »Da kommen wir auch her« oder »Von dort kommen …«

»Aber mit diesem Namen bist du nicht geboren worden...?«
– Auf jeden Fall gehört eine Leertaste vor die drei Punkte. Wobei ich mich frage, wofür sie stehen, da die Frage ja vollständig ist. Würde das »worden« weglassen. ;-)

»Und dann sagte er noch fast zornig, als ob ich nur gekommen wäre, um ihn zurück zu holen: »Ich fühle mich hier wohler, tut mir leid!««
– zusammen: zurückzuholen
– Mir fällt auf, daß Vîmn hier im Mittelteil wesentlich besser deutsch spricht als zu Beginn.

»Überraschenderweise geschah es, dass wir schließlich alle gleichzeitig unsere satten Bäuche rieben.«
– würde das umstellen und vereinfachen: Überraschenderweise rieben wir schließlich alle gleichzeitig unsere satten Bäuche.

»Die Zwerge hatten auch einen Alten, sowas wie einen Stammvater, der sich dann erhob und zu einer Rede Luft holte.«
– das »dann« würde ich streichen oder durch z. B. jetzt, nun oder langsam ersetzen

»Dort staunte ich abermals Bauklötze.«
– Also die Bauklötze passen da aber wirklich nicht rein.

»Dass das Holz wie ein Teppich Borsten hatte,«
– würde ich umdrehen: Dass das Holz Borsten wie ein Teppich hatte, war gar nicht so wunderlich«
– verwunderlich, sonderbar

»»Ehzin zans táuwa q‘ûmope, Eia Rávuk!«, sagte einer der vorderen.«
– der Vorderen

»huppte sodann aus der Tonne heraus und trat in voller Montur vor uns hin. Mir wurde flau im Magen. Beinahe schon unsanft schob man mich zu ihm hin.«
– ähm, was sollte »huppte« bedeuten, hüpfte vielleicht?
– zweimal Satzende »hin«, das erste kannst Du ersatzlos streichen: trat in voller Montur vor uns.

»»Wollen doch mal sehen, was sich da machen lässt«, sagte er, ohne den Mund zu öffnen.«
– hier wird nicht ganz klar, ob das nun der Zauberer oder der Zwerg sagt. Auch im Nachfolgenden nicht, erst hinterher kann man es sich im Zusammenhang zusammenreimen.

»Schade, dies wollte er mich offenbar nicht verstehen lassen.«
– dieses »Schade« klingt nicht so ganz echt

»Es kam ein tiefes, gleichmäßiges Donnergrollen, das langsam und schleichend den Raum ausfüllte.«
– einfacher wäre: Ein tiefes, gleichmäßiges Donnergrollen füllte langsam und schleichend den Raum aus.

»aber jetzt wollte ich diesem walpurgischen Wahnsinn nur noch entfliehen. Aber dann...«
– zweimal »aber«, Leertaste vor die drei Punkte

»Sollte ich mich ärgern, oder mich darüber freuen?«
– ohne Beistrich

»Es dauerte eine Stunde, bis ich wieder ganz bei Sinn und Kraft war.«
– bei Sinnen – würde es aber umgekehrt schöner finden: bis ich wieder ganz bei Kraft und Sinnen war.

»und wir gingen im Storchgang durch den Raum.«
– Da wirst Du jetzt aber ein bisschen überkreativ! ;-) Was darf ich mir denn unter einem Storchgang vorstellen? Meinst Du eine Art Stolzieren? Oder wolltest Du einen Gänsemarsch originell umformen? Letzteres würde nicht passen, da Störche nicht wie Gänse oder Enten in einer Reihe einzeln hintereinander gehen. Ich denke aber, Du meintest wohl die Art des Gehens – in dem Fall würde ich es einfach noch kurz beschreiben und »Storchengang« oder noch besser »Storchenschritt« nennen. Oder vielleicht so in dieser Richtung: »Indem wir die Beine wie Störche hoben, schritten wir über das herumliegende Gerümpel.«

»Gespenstige Stille. Nur das Baby plappert.«
– Gespenstische Stille

»auch kann man einen Einblick in die Zukunft erhaschen, wenn es noch nicht passiert ist.«
– die Zukunft ist eigentlich nie schon passiert, oder?

»Wenn es ein so gravierender Fehler wäre, würden sie kaum einen Menschen wie dich schon soviel anvertrauen.«
– einem Menschen wie dir

»»Hehe, na dein Wort in Holz geschnitzt... Das Vertrauen wird«
– Leertaste vor die drei Punkte

»Das träumtest du so. Während du das sagtest, hatte deine Hand, ob du nun wolltest oder nicht, schon die neue Seite des Würfels liebkost.«
– Seltsam, das plötzliche »du« :hmm:

»»Weshalb bist Du hier unten?«, fragte er Vîmn.«
– du

»War es »Weil ich auf Lipûndu aufpassen musste!«? Oder eher: »Entschuldigt Meister, ich war der Neugier erlegen und hörte Eurem Schicksalswürfel zu. Eine Seite ist neu!«?«
– würde in in beiden Fällen das Rufzeichen auslassen, denn er kann den Satz nicht zugleich als Ausruf und als Frage beenden. Wenn Du es liest, klingt es wohl eher nach einer Frage, oder?

»Ich wusste nicht mal, ob ich beides zugleich hörte«
– schöner wäre »nicht einmal«; gerade, wo Du sonst eigentlich eine sehr schöne Sprache schreibst, würde ich auf solche neumodischen Kurzformen verzichten.

»»Söhnchen, jetzt da du, wie vorausgesagt, einen Schritt zu weit gegangen bist, wisse Eines:«, rief der Zaubere«
– wisse eines
– Doppelpunkt am Ende der direkten Rede würde ich ebenso wie den normalen Punkt weglassen, sieht so recht komisch aus.

»Aber dem Zauberer hätte ich nach wie vor auf dem Kopf spucken können.«
– auf den Kopf

»In Nächten, denen ich oft mit Fußmeilen konterte, fühlte ich mich oft vom Mond beobachtet,«
– zweimal »oft«

»Doch wir brauchen ihn, denn er ist unser Geheimnis, und sein Geheimnis sind wir, und wird dieser Geheimnisbund gebrochen, ist dies ein großer Fehler.«
– würde nach »sind wir« einen Punkt machen und das »und« streichen

»die Stille kroch wie Moor durch meine Gehörgänge.«
– auch ein seltsamer Vergleich, wie wärs z. B. mit Treibsand?

»Ich lief an ihr entlang, aber sie wollte kein Ende nehmen. Mein Streichholz musste ich auslöschen, damit ich mir nicht die Finger verbrannte.«
– Wie weit kommst Du mit einem brennenden Streichholz, ohne daß Du die Hand davor hältst, die den Wind abhält (die zweite Hand hat er ja wohl an der Krücke)? Es wird also wohl eher von selbst ausgehen. ;-)

»Neben dem Schreibtisch stand ein Fass auf dem Steinboden, auf dem Schreibtisch lag eine Feder auf einem Blatt Papier, das schon mit«
– Das muß aber ein großes Tintenfaß sein, wenn es auf dem Boden stehen muß … würde mich leicht überfordert fühlen, wenn mir jemand sowas neben den Schreibtisch stellt und sagt »Schreib!« … ;-)
– statt der Wiederholung von »auf« würde ich schreiben: »auf dem Schreibtisch lag eine Feder und ein Blatt Papier, …«

»merkwürdig zitternden – Buchstaben beschrieben war. Ich las mühselig:

»Mein Retter (hoff... hoffentlich), du be... bist im Würfel ange...kommen. Die ...Menschen ... sind – zu – unkreativ, ...ich bitte dich, Mahagonizwerge, tse! Wie oft habe ... ich schon von Maha... Mahagonizwergen gelesen in diesen drei... dreiein...halb Millllioonen Jahren! Schreeeiiib maal was O...Originelles.
In diiieesem Saaal giiebt es geeenug fffrischsche Luft. Schreib mir ... schreib mir eine Geschichte, ers...sinn mir eine neue, andere Welt.«
– Erst dachte ich: Warum sollte derjenige so seltsam schreiben? Dann wurde mir erst klar, daß Du es so aufgeschrieben hast, wie der Protagonist es entziffert, also so, als würde er es laut lesen. Daher würde ich den »Ich las«-Satz erweitern: Ich las mühselig und, um die Stille zu durchbrechen, laut:

»Viel Spaß!«
– für einen Hilferuf finde ich das unpassend, wäre eher für z. B.: »Schreib bitte schnell!« oder »Beeil dich bitte!«


Und das wars auch schon, bis zum nächsten Mal! :-)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Salut floritiv,
ich finde deine Kg echt toll, besonders die eigenartige Zwergensprache. :D Nur der Mittelteil hat mir nicht gefallen, genauer geschrieben: Er hat mich gelangweilt.
Das war für meinen Geschmack zuviel Beschrieben, ohne dass etwas interessantes passiert.

Viele Grüße
A.Merg

 

Hallo frisch gebackener floritiv

anscheinend willst du die neu eingehenden Kommentare nicht mehr kommentieren, aber ich spüle deine Kg trotzdem noch mal hoch, da ich sie schon mal gelesen habe :)

Um ehrlich zu sein fällt es mir nicht leicht, eine Kritik für deine Vision zu verfassen, da ich ich sie als sehr eigenwillig einstufe.
Aber genau hier liegt für mich der große Pluspunkt deiner Geshcichte. Sehr eigenwillig und dadurch seltsam spannend, da ich mir nie sicher sein konnte, was als nächstes folgen wird.
Auf jeden Fall zauberst du viele schöne Ideen, die angenehm locker aufflattern und nicht den üblichen verbauchten Fantasy-Duft mit sich tragen.
(Auch wenn das Ende das Gegenteil behauptet :D)

Das Ende selbst empfinde ich als ähnlich fies wie Häferl. Bein wieder weg und auf Ewig (?) eingesperrt, um zu schreiben. Hart.
Aber es fügt sich nahtlos in die Geschichte ein, wie ich finde.

INsgesamt sehr gerne gelesen

grüßlichst
weltenläufer

 

anscheinend willst du die neu eingehenden Kommentare nicht mehr kommentieren, aber ich spüle deine Kg trotzdem noch mal hoch, da ich sie schon mal gelesen habe.
Wo denkst du hin, natürlich wollte ich eure Kommentare beantworten, aber erst jetzt kann ich mir ein bisschen Zeit dafür nehmen.

Vielen lieben Dank Häferl, A.Merg und weltenläufer für eure Kommentare, Häferl besonders für ihre Korrekturliste (die ich noch umsetzen muss, die meisten Punkte jedenfalls), A.Merg für ihre Ehrlichkeit und dir, weltenläufer fürs Lob (das natürlich auch ehrlich ist, nehme ich an ;) ).

Da das Ende für mich selbst etwas unvermittelt und unpassend vorkommt, werde ich sehen, dass ich es zumindest besser integriere (vorbereite).


-- floritiv.

 

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