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Die Mine

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07.05.2005
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Die Mine

DIE MINE

Es war heiß. Genau so heiß, wie am Tag davor.
Arthur konnte sich nicht mehr erinnern, wann die Quecksilbersäule des alten Thermometers auf seiner Veranda das letzte Mal unterhalb der Marke von 39 Grad Celsius gestanden hatte. Vielleicht war es auch einfach nur kaputt.
So kaputt wie die Gegend hier. Eine karge Steinwüste.
Arthur hatte manchmal das Gefühl, dass er hier das Einzige war, das noch lebte. Hier draußen gab es niemanden außer ihm.
Menschen hatten hier einst gelebt. Davon zeugten die vielen Bretterruinen, die ihn umgaben. Nur er war übrig geblieben.
Die Sonne hatte fast ihren Zenit erreicht.
Arthur wippte stumm auf seinem knarrenden Schaukelstuhl vor und zurück und starrte auf das Eisenbahngleis, dessen Schienen sich in der Mittagsglut ausgedehnt und bizarr gekrümmt hatten. Menschen hatten hier einst gelebt. Davon zeugten die vielen Bretterruinen, die Arthur umgaben.
Kein anderer Mensch hätte es in dieser verlassenen Gegend länger als drei Tage ausgehalten. Aber Arthur war kein anderer Mensch.
Arthur wippte vor und zurück. Es war das einzige Geräusch, das die heiße Luft durchschnitt.
Vor und zurück. Jeden Tag das Gleiche.
Vor und zurück.
Und dann hörte Arthur auf zu wippen. Er verharrte einen Moment und horchte. Für einen kurzen, aberwitzigen Augenblick war er der Meinung, etwas anderes als das trockene Knarren seines Stuhls gehört zu haben. Wirklich aberwitzig!
Arthur seufzte schwach und wippte weiter.
Vor und zurück. Vor und ... da war es wieder!
Es hatte den gleichen monotonen Rhythmus, den Arthur seinem Stuhl vorgab.
Es war weit entfernt, aber es hörte sich fast genauso an wie sein Wippen. Nur klang es mechanisch. Ein mechanisches Schleifen. Und noch etwas fiel ihm auf: Es kam näher.
„Was zur Hölle ist das?“, murmelte Arthur.
Er erhob sich aus seinem Schaukelstuhl, und als er aufrecht stand, spürte er, wie ihm die brütende Hitze auf die Lunge drückte. Arthur hatte es stets gemieden, sich direkt der Sonne auszusetzen, doch dieses merkwürdige Etwas, das auf ihn zukam, ließ seine Furcht, einen Hitzschlag zu erleiden, vergessen. Arthur schaute nach Osten auf das Gleis.
Das Schleifen kam von den Schienen.
Sollte hier etwa wieder eine Eisenbahn fahren?
„Unmöglich!“, grummelte Arthur.
Es waren nur etwa zehn Meter von seiner Veranda bis zum Gleis. Die flimmernde Luft verbarg jedoch das Etwas, das näher kam. Das Etwas, das immer lauter und anscheinend immer schneller wurde.
Arthur bekam ein mulmiges Gefühl. Er wartete.
Dann konnte er etwas erkennen. Einen braunen Klumpen. Ein merkwürdiges Ding auf den Schienen. Irgendetwas bewegte sich auf dem braunen Ding.
Arthurs Pulsschlag erhöhte sich. Schweiß tropfte ihm von seinem Kinn.
Es kam näher. Es war aus Metall. Es quälte sich vorwärts.
Dann erkannte Arthur, was es war: Es war eine Draisine. Jemand stand darauf und drückte einen schweren Hebel auf und nieder, wodurch sich das Gefährt vorwärts bewegte.
Wer war so verrückt, bei dieser Hitze mit einer Draisine eine Spazierfahrt zu machen? Und vor allen Dingen: Woher kam der Unbekannte? Arthur wusste, dass es im Umkreis von mehr als vierhundert Kilometern nichts gab außer der Steinwüste.

Der Fremde auf der Draisine hielt unmittelbar vor Arthurs Füßen an. Es war eine knochige Gestalt, mehr tot als lebendig. Sein Gesicht, seine Haare und seine Arme waren bedeckt mit einer öligen Schicht aus Ruß und Schweiß. Mit seiner zerschlissenen Kleidung ging von dem Mann ein Hauch von – Arthur traute sich kaum diesen Gedanken zuzulassen –Verwesung aus. Der Mann atmete schwer und hustete bellend. Er hing über dem Hebel der Draisine und kämpfte gegen einen Kreislaufkollaps.
Die Draisine war über und über mit Rost bedeckt. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch gefahren war.
Arthur, der mit einer ihm bis dahin unbekannten Mischung aus Faszination und Entsetzen wie gelähmt dastand, bemerkte eine eingravierte Zahl auf der ihm zugewandten Seite der Draisine.
‚1876’ - Es war das Baujahr. Und noch etwas war darauf eingraviert: ‚P. W. Bergbau’
Die Gestalt auf der Draisine bemühte sich, langsam und kontrolliert zu atmen.
Arthur, unfähig etwas zu sagen, überlegte, ob er vielleicht Opfer einer Halluzination geworden war. Doch dem war nicht so. Die Hitze mochte zwar seine Sinne getrübt haben, aber das, was sich vor ihm auf dem Gleis abspielte, war real.
„Wer sind Sie?“, stammelte Arthur schließlich.
Der Mann, der sich immer noch am rostigen Hebel festhielt, hob wie in Zeitlupe seinen Kopf und drehte ihn in Arthurs Richtung. Zum ersten Mal sah Arthur nun in die Augen des Fremden. Und das, was er sah, erschreckte ihn so sehr, dass er zwei Schritte zurückwich. Es war nicht der gequälte Gesichtsausdruck des Mannes, der einem alleine schon das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen. Nein, es waren seine Augen an sich. Es fehlte etwas an ihnen. Der Lebensfunke in ihnen war erloschen.
Der Fremde öffnete den Mund, anscheinend, um Arthur etwas zu antworten. Doch statt zu sprechen überfiel ihn einen entsetzlicher Hustenanfall. Als ob seine Lunge randvoll mit Staub gewesen wäre. Arthur fürchtete, dass es der letzte Hustenanfall des Mannes auf der Draisine sein würde.
Als sich de Mann wieder gefangen hatte, rappelte er sich hoch und stieg von seinem eisernen Fahrzeug ab. Er schwankte einen Moment, als seine Füße den Boden berührten. Arthur kam ihm reflexartig zur Hilfe und packte ihn am Arm. Aber als er ihn berührte, ließ er jedoch blitzschnell wieder los, so als ob er sich die Finger verbrannt hätte. Mit diesem Kerl stimmte wirklich etwas nicht. Seine Kleidung, seine Augen. Und er fühlte sich irgendwie kühl an.
„Danke. Es geht schon!“, keuchte der Fremde.
„Wer sind Sie?“, fragte Arthur erneut, noch immer entgeistert.
„Du erkennst mich nicht mehr?“
„Nein, verflucht noch mal! Was machen Sie hier?“
Der Fremde hustete wieder Staub hoch.
„Können wir in den Schatten gehen? Ich glaube nicht, dass ich es noch eine Minute länger in der Sonne aushalten werde.“
„Natürlich“, sagte Arthur und führte den ungebetenen Gast zu seiner Veranda. Dort angekommen bot er ihm den Schaukelstuhl an. Dankbar fiel der Fremde in den Stuhl und schloss vor Erschöpfung die Augen.
„Ich werde Ihnen etwas Wasser holen“, sagte Arthur.
„Nein! Nein, das brauchst du nicht. Mir wird kein Wasser mehr helfen. Dafür ist es zu spät.“
„Was meinen Sie damit? Verdammt, wovon reden Sie?“
„Arthur, du musst mir jetzt genau zuhören!“, sagte der Fremde und fasste Arthur an der Hand.
„Woher kennen Sie meinen Namen?“
Arthur versuchte, sich von dem Griff des Fremden loszureißen, doch dieser entwickelte plötzlich eine Kraft, der er nichts entgegenzusetzen hatte.
„Du meine Güte, Arthur! Erinnerst du dich denn an nichts mehr?“
„Nein! Lassen Sie mich los, und dann verschwinden Sie von hier!“, brüllte Arthur.
Der Fremde ließ ihn daraufhin tatsächlich los.
„Womit haben wir das nur verdient? Warum gerade wir, Arthur?“, fragte der Mann traurig.
„Ich weiß absolut nicht, wovon Sie reden, Mann!“
„Arthur, bitte! Du musst mir zuhören! Wir haben nicht mehr viel Zeit. Du hast keine Zeit mehr!“
„Sie sind verrückt!“
„Ich wünschte es wäre so.“ Der Mann im Schaukelstuhl rieb sich die Augen.
„Zum letzten Mal: Wer sind Sie? Wo kommen Sie her?“, drängte Arthur mit leicht zitternder Stimme.
„Ich komme von dort, von wo auch du einst kamst.“
„Hören Sie auf in Rätseln zu sprechen!“
„Die Mine. Es war die Mine, in der alles begann.“
„Ich kenne keine Mine!“, fuhr Arthur den Mann an.
„Du musst dich nur erinnern, Arthur. Wir beide haben in derselben Mine gearbeitet. Die Mine, die in Vergessenheit geraten ist. Wir haben zusammen nach Gold gegraben. Die Schinderei unter Tage hat uns zu Freunden gemacht. Und weil ich dein Freund bin, bin ich gekommen, um dir zu helfen.“
Arthur schoss ein Bild durch den Kopf. Ein Bild von sich als junger Mann mit einer Spitzhacke in den Händen. Er fühlte, wie Staub in seiner Lunge kratzte.
„Erinnerst du dich jetzt?“, fragte der Mann.
„Ich... ich weiß nicht!“
„Das Bergwerk, Arthur. Der Ort, an dem nie die Sonne schien und an dem es noch heißer war als hier.“
„Wann soll das gewesen sein?“
„Es war dein 27. Geburtstag, Arthur, als das Schicksal uns einen üblen Streich spielte.
Es war im Juli 1883.“
„Das kann nicht sein. Das ist unmöglich! Das war vor über hundert Jahren!“ Arthur wurde übel.
„Ich weiß, dass es schwer für dich ist.“
Arthur tigerte auf seiner Veranda hin und her und wischte sich den Schweiß von der Stirn in sein graues Haar.
Der Fremde hatte recht. Arthur war dort gewesen.
„Mein Gott! Ich erinnere mich! Was ist geschehen?“
„Es war ein Unfall. Das dachten wir zumindest. Der Stollen, in dem wir arbeiteten, stürzte hinter uns ein. Nur vier Männer überlebten, darunter du und ich. Wir warteten auf Rettung. Wir hofften, dass uns jemand suchen würde. Aber es kam niemand. Wir waren allein in der Dunkelheit.
Nach sechs Tagen hatten wir uns damit abgefunden zu sterben. Doch dann geschah etwas Merkwürdiges. Einer der anderen beiden Überlebenden entdeckte ein Rinnsal, das aus einer Felsspalte trat. Wasser! Wir hatten Wasser! Einer nach dem anderen hat es getrunken. Und auch du, Arthur, auch du hast von dem Wasser getrunken. Doch es war kein normales Wasser: Es veränderte uns. Unsere Augen veränderten sich. Wir konnten in der Dunkelheit sehen. Und wir lebten. Wir saßen fast vier Monate in dem Stollen, ohne etwas gegessen zu haben, aber wir lebten!“
„Ich erinnere mich an den Stollen. Doch was geschah dann?“, fragte Arthur unsicher.
„Wir waren nicht allein unter der Erde. Dort war noch etwas. Es war sehr alt. Wir haben es gestört.“
„Was war es?“
„Das Rinnsal wusch den brüchigen Fels aus, bis die Wand an einer Stelle einbrach. Eine riesige Höhle verbarg sich dahinter. Dort lebte es.
In der Höhle war es kalt. Nur in der Kälte konnte das Wesen existieren.
Es war wohl das erste Mal, dass es Menschen begegnete. Es hatte keine Ahnung, dass es über ihm noch anderes Leben gab. Und darum beschloss es, uns zu untersuchen und zu unterwerfen. Es brach unseren Willen, stahl uns unsere Erinnerungen. Es hatte völlige Macht über uns.
Erinnerst du dich an die Schmerzen, Arthur?
„Ja“, flüsterte dieser.
„Ich weiß nicht mehr, wie lange wir dort unten waren. Es müssen Jahre gewesen sein. Bis eines Tages dieses Ding für einen Moment abgelenkt war. Wir erlangten für ein paar Minuten unseren Willen zurück. Und es war nicht das einzige Mal. In den Augenblicken, in denen es nicht die geistige Kontrolle über uns hatte, bereiteten wir unsere Flucht vor. Wir fanden schließlich einen Weg, der aus der Höhle führte. Nur wir beide haben es geschafft, zu entkommen.“
„Aber wie bin ich hierher gekommen? Wie konnte so viel Zeit vergehen, ohne dass ich es bemerkt habe?“
„Das Wasser, das wir im Stollen getrunken haben, hat unser Leben auf unnatürliche Weise verlängert. Und es hat unser Gedächtnis verdunkelt. Wir vergaßen, was mit uns unter der Erde geschehen war. Die Jahre gingen vorüber. Mehr als hundert Jahre sind verstrichen, und wir leben immer noch, Arthur. Wir sind verdammt zu leben!
Als wir uns sicher waren, dass das Wesen uns nicht mehr verfolgen würde, trennten sich unsere Wege. Du hast dich hier niedergelassen.“
Arthur schaute zur Draisine hinüber, die immer noch in der Sonne stand.
„Wieso bist du dann hier?“
Der Mann im Schaukelstuhl hielt sich die Hände vor das Gesicht:
„Vor einigen Wochen habe ich geträumt. Ich träumte von dem Stollen. Ich träumte von dem Wesen. Zuerst dachte ich, es wäre wirklich nur ein Traum. Ich hatte ja alles vergessen! Aber ich spürte, dass es wirklich war. Der Traum ging mir nicht mehr aus dem Kopf, und darum kehrte ich zurück. Oh, vergib mir Arthur! Ich kehrte zurück zu der Mine. Das Wesen lauerte dort auf mich. Und die Erinnerungen kehrten zurück. Wie damals bin ich geflohen. Ich benutzte die Draisine aus einem der Stollen. Das Wesen verfolgte mich. Ich konnte nur einen kleinen Vorsprung gewinnen.
Es wird bald hier sein!“
Arthur geriet in Panik:
„Es darf uns nicht finden! Was machen wir jetzt?“
„Meine Kräfte sind aufgezehrt. Ich kann nicht mehr davonlaufen. Ich bin müde, Arthur. Aber du, du kannst fliehen“, sagte der Mann und deutete auf die Draisine.
„Es hasst die Hitze. Je weiter du in Richtung Westen fährst, desto größer ist deine Chance, dass die Sonne das Wesen richten wird. Es kann nicht lange außerhalb seiner Höhle existieren.“
Arthur schüttelte verzweifelt den Kopf:
„Ich soll darauf fliehen? Das ist mein sicherer Tod! Die Hitze wird mich umbringen!“
Der Mann im Schaukelstuhl schaute Arthur fest in die Augen.
„Wir sind schon längst tot. Wir hätten schon vor langer Zeit sterben müssen. Hast du dich denn nie gefragt, warum das Leben um Dich herum vergeht und nur noch du alleine übrig geblieben bist? Du allein in dieser Geisterstadt?
Entweder du steigst auf die Draisine, oder das Wesen bringt dich wieder zurück in die Höhle, und macht dich zu seinem Gefangenen. Aber dieses Mal für alle Zeiten.“
Der Mann im Schaukelstuhl blickte auf das Thermometer. Es zeigte nur noch 27 Grad an.
„Es wird kälter! Es ist fast hier. Arthur, du musst gehen! Noch kannst du es besiegen!“
Arthur schaute in die Richtung aus der das Wesen anstürmte, und er spürte plötzlich die Kälte, die es vor sich herschob.
Alles, nur nicht wieder zurück in die Höhle.
Dann rannte er zur Draisine, sprang auf und bewegte den glühenden Hebel. Das Gefährt setzte sich langsam in Bewegung.
Nach mehren hundert Metern blickte Arthur noch einmal zurück zu der Veranda. Der Schaukelstuhl war leer.
Arthur fuhr weiter auf der Draisine. Nach Westen. Der Sonne hinterher.
Das Ding aus der Höhle verfolgte ihn.
Keiner von beiden würde freiwillig aufgeben.

Arthur stieg nie wieder von der Draisine ab, und das Wesen kehrte nie wieder in seine Höhle zurück.

 

Hallo Felix_S,

das scheint deine erste Geschichte in diesem Forum zu sein, deswegen begrüße ich dich erst einmal als neues Mitglied (obwohl ich hier auch ganz neu bin).
Es ist meine erste Kritik zu einer Geschichte und ich hoffe, dass sie dir weiterhilft.
Ich fange mal mit dem positiven an.

Die Einführung ist meiner Meinung nach gut geschrieben. Das einsame Leben von Arthur in einer verlassenen, unwirklichen Umgebung kommt atmosphärisch gut rüber. Die Ereignislosigkeit in seinem Leben wird nicht nur bloß behauptet, wie z.B. durch ein plumpes "sein Leben war ereignislos." oder ähnlichem. Du hast es durch sein ewiges, monotones "Vor und zurück" im "knarrenden Schaukelstuhl" gezeigt. Das wirkt lebendig.
Der Plot ist für eine Horror-Geschichte gut geeignet, das Ende schließt "rund" ab (es beginnt mit der Ewigkeit und endet mit der Ewigkeit).
An der Stelle, als die Draisine immer näher kommt und der Fahrer sich als abstoßende, knochige Gestalt herausstellt, kommt auf subtile Weise so etwas wie Horror oder Grusel auf (subtil daher, da Arthur alleine ist und keiner ihm helfen wird, wenn sich mit der Draisine eine Bedrohung nähert). Leider wird der Effekt abgeschwächt, indem die Gestalt als "der Mann", anstatt weiter als "die Gestalt" oder "die knochige Gestalt" bezeichnet wird.
Der Horror-Effekt hätte nach meinem Geschmack besser herausgearbeitet werden können, indem z.B. sein Aussehen und Verhalten noch erschreckender wirkt, und er in irgend einer Situation zu einer wirklichen Bedrohung für Arthur wird (es soll ja eine Horror-Geschichte sein).

Jetzt komme ich zu den Dingen, die ich nicht verstanden habe, die den Lesefluss stören oder auf eine andere Weise mir negativ aufgefallen sind. Es kann sein, dass ich dabei etwas vergesse oder zu unrecht erwähne.

dessen Schienen sich in der Mittagsglut ausgedehnt und bizarr gekrümmt hatten
Können sich Schienen krümmen, und wenn ja, kann man dann noch darauf fahren?

Menschen hatten hier einst gelebt. Davon zeugten die vielen Bretterruinen
Diese zwei Sätze kamen ein paar Zeilen vorher schon einmal vor.

Die flimmernde Luft verbarg jedoch das Etwas, das näher kam
Liest sich komisch. "Die flimmernde Luft verbarg etwas, das näher kam" hört sich besser an.

Schweiß tropfte ihm von seinem Kinn
Das "ihm" würde ich streichen. Es ist ein überflüssiges Füllwort.

‚P. W. Bergbau’
Ok, eine deutsche Draisine in einer riesigen, mega-heißen Steinwüste. Klingt etwas komisch.

Und das, was er sah, erschreckte ihn so sehr, dass er zwei Schritte zurückwich.
Liest sich holprig. Und außerdem: Etwas erschreckt ihn so sehr (jetzt vermutet man eine riesen Reaktion) und er geht nur zwei Schritte zurück (eine eher gefasste Reaktion).

Nein, es waren seine Augen an sich. Es fehlte etwas an ihnen. Der Lebensfunke in ihnen war erloschen.
"an sich" würde ich streichen. Die nächsten beiden Sätze würde ich umformulieren, etwa so: "Ihnen fehlte etwas. Der Lebensfunke war erloschen." Dann liest es sich flüssiger und die Wortwiederholung mit "ihnen" ist weg.

Arthur fürchtete, dass es der letzte Hustenanfall des Mannes auf der Draisine sein würde.
Hier will ich wissen, warum er sich fürchtet. Hat er etwa Mitleid mit dem fremden Mann? Bisher und danach reagiert er doch ablehnend, hat sogar Angst vor ihm.

Arthur kam ihm reflexartig zur Hilfe und packte ihn am Arm.
Besser wäre: "Arthur kam reflexartig zur Hilfe und packte seinen Arm."

Aber als er ihn berührte, ließ er jedoch blitzschnell wieder los
"Aber" und "jedoch" sind hier unnötige Füllwörter.

„Du erkennst mich nicht mehr?“
„Nein, verflucht noch mal! Was machen Sie hier?“
Der Fremde hustete wieder Staub hoch.
„Können wir in den Schatten gehen? [...].“
„Natürlich“, sagte Arthur und führte den ungebetenen Gast zu seiner Veranda. Dort angekommen bot er ihm den Schaukelstuhl an. [...]
„Ich werde Ihnen etwas Wasser holen“, sagte Arthur.
Hier handelt Arthur meiner Meinung nach völlig unglaubwürdig. Erst weist er ihn harsch und fluchend ab (aus Angst). Dann erfüllt er netterweise seinen Wunsch, in den Schatten zu gehen, mit einem höflichen "Natürlich" und behandelt ihn auf die vornehmste Weise, bietet den Schaukelstuhl an und will sogar Wasser holen. Irgendwie passt das nicht.

„Womit haben wir das nur verdient? Warum gerade wir, Arthur?“, fragte der Mann traurig.
Traurig? Das Wort wirkt stark verniedlichend und passt überhaupt nicht. Es zerstört den allerletzten Grusel, den man vor diesem Mann noch haben könnte.


Die darauf folgende Passage baut Spannung auf und liest sich gut.

„Ich komme von dort, von wo auch du einst kamst.“
„Hören Sie auf in Rätseln zu sprechen!“
Gut. Durch die rätselhafte, andeutungsvolle Ausdrucksweise des Mannes wird Spannung erzeugt. Arthur bringt es auf den Punkt und fordert wie der Leser, Klartext zu sprechen.

"[...] Die Schinderei unter Tage hat uns zu Freunden gemacht. Und weil ich dein Freund bin, bin ich gekommen, um dir zu helfen.“
Schön.

„Das kann nicht sein. Das ist unmöglich! Das war vor über hundert Jahren!“
Drei Sätze hintereinander, die mit "Das" anfangen.

Die Story mit dem Wunderwasser, das plötzlich kommt, die Sehfähigkeit auf die Dunkelheit ausdehnt, die Gabe verleiht, ohne Essen zu überleben, und dazu noch Unsterblichkeit verursacht, finde ich unglaubwürdig. Das ist etwas viel auf einmal, und ich muss leider sagen, zu einfach, um alle Seltsamkeiten zu erklären.

Es brach unseren Willen, stahl uns unsere Erinnerungen
Hier kommt mehrmals "uns" vor, was wie alle Wortwiederholungen negativ auffällt.

Erinnerst du dich an die Schmerzen, Arthur?
„Ja“, flüsterte dieser
Das "flüsterte dieser" drückt eine größere Distanz des Erzählers zu Arthur aus. Er bezeichnet ihn mit "dieser", wie einen Fremden. Bisher war er doch ein Personaler Erzähler, der aus der Sicht Arthurs erzählt, ohne große Distanz.

"[...] Zuerst dachte ich, es wäre wirklich nur ein Traum. Ich hatte ja alles vergessen! Aber ich spürte, dass es wirklich war. Der Traum ging mir nicht mehr aus dem Kopf [...]"
War es jetzt ein Traum oder die Wirklichkeit?

Und zu guter letzt, das Ende:

Arthur stieg nie wieder von der Draisine ab, und das Wesen kehrte nie wieder in seine Höhle zurück.
Die Wortwiederholungen "nie wieder" ziehen, gewollt oder ungewollt, das Ende ins Lächerliche. Das verhindert einen eventuellen Grusel-Effekt, der die Angst vor der Ewigkeit, oder besser, vor der ewigen Qual hätte auslösen können. Außerdem verstehe ich es nicht ganz. Ist das Schienennetz endlos oder (mehr oder weniger) kreisförmig, so dass er ewig fahren kann (also ständig im Kreis, wie in einigen lustigen Cartoons, wo Verfolger und Gejagter tausendmal im Kreis laufen, bis der Jäger auf die raffinierte Idee kommt, stehen zu bleiben und... na ja, das kennt man ja)? Und warum flieht er überhaupt, wenn das Wesen eh nicht lange außerhalb der Höhle leben kann, wie behauptet? Eine mögliche Variante ist, dass beide sterben, bevor der eine oder der andere die Gelegenheit hat, nach Hause zu gehen. Oder Arthur leidet an Verfolgungswahn, und bekommt nicht mit, dass das Wesen abgekratzt ist. Eine weitere Möglichkeit ist, das Arthur in ein endloses Schienennetz unter der Erde flieht, und....

Das reicht, ich hoffe ich kann dir damit weiterhelfen,

Larvalis

 

Danke für die detaillierte Kritik, Larvalis!

Der Satz, der doppelt vorkommt, war ein dummer Fehler von mir.
Sicherlich hätte ich auch den Gruseleffekt mehr herausarbeiten müssen.
Richtigen Horror wollte ich jedoch nicht aufkommen lassen, da es mir mehr um Arthurs plötzliche Wende in seinem Leben ging.
Den Mann auf der Draisine wollte ich auch nicht als eine Art widerwärtige lebende Leiche darstellen, sondern als jemanden, den man eher bemitleiden als fürchten müsste, weil er das gleiche durchgemacht hat wie Arthur.

Wahrscheinlich geht meine Story eher in Richtung Mystery als Grusel. Mir hat halt die Idee gefallen.
Ich habe zwar schon eine Idee für eine neue Story (diesesmal aber richtiger Horror), aber in nächster Zeit werde ich dafür leider keine Zeit haben.

Also, danke nochmal für die Tipps!

 

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