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Die Monster unter dem Bett
Die Monster unter dem Bett kennen keine Gnade. Für NIEMANDEN, den sie auserwählt haben. Es sei denn ...
Als er noch klein war, war er fest davon überzeugt, dass unter seinem Bett Monster hausten. Er hatte keine Ahnung, um wen oder was es sich bei diesen Monstern handelte, er konnte sich nicht einmal eine genaue Vorstellung von ihrem Aussehen machen – aber er war sich ihrer Existenz absolut sicher. Und er wusste, dass sie die fürchterlichsten Dinge mit ihm anstellen würden, war es erst einmal dunkel in seinem Zimmer geworden. Also weigerte er sich ganz einfach, es in seinem Zimmer dunkel werden zu lassen und löschte er nie das Licht vor dem Einschlafen. Mami und Papi fanden dies recht amüsant, und seine Begründung für dieses Verhalten fast noch amüsanter – allerdings nicht sonderlich lange. Doch weder Drohungen noch Versprechungen noch Besuche beim „Onkel Doktor“, wie seine Eltern diese Person nannten, konnten etwas an dem Umstand ändern, dass „Vatis Großer“ brüllte und weinte und schrie wie am Spieß, wenn er dazu gezwungen wurde, verdammt noch mal endlich verdammt noch mal das verdammte Licht auszumachen. Und schweiß- und uringebadet bald wieder erwachte, wenn er es denn geschafft hatte, einzuschlafen ...
Im Laufe der Jahre wurde ihm immer wieder vor Augen gehalten, dass die Monster, diese bösartigen Ungeheuer, keine Einbildung sein konnten. Oh nein – dafür waren sie viel zu real, dafür hatten sie zu sehr konkrete Gestalt angenommen: Sie waren lebende Leichen auf Crack, die im Rausch aus Spaß einen Menschen mit Buschmessern aufschlitzten, um ihm anschließend Batteriesäure in seine Wunden zu kippen. Eltern, die ihren Säugling in den Backofen schoben und auf 200 Grad stellten, weil sie sich von dem Balg belästigt fühlten. Soldaten, die schwangere Frauen vergewaltigten und ihnen danach ihre Föten aus dem Leib schnitten, um diese wie Trophäen zu präsentieren. Vollstrecker, die Delinquenten verstümmelten, weil sie gegen irgendwelche Gebote verstoßen hatten. Delinquenten, die die Vollstrecker waren.
Schlug er die Zeitung auf, erschienen sie ihm. Sah er fern, erschienen sie ihm. Hörte er Radio, erschienen sie ihm. Las er Magazine, erschienen sie ihm. Sie waren überall. ALLGEGENWÄRTIG.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie endlich unter seinem Bett hervorkriechen würden. Er wusste es ...
Er hatte einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich gebracht. Während die Rolltreppe ihn hinunter in den U-Bahn-Schacht beförderte, dachte er an nichts Besonderes. Er fühlte sich müde und abgespannt. Als er am Bahnsteig stand und den Zug herannahen sah, hörte er plötzlich einen Schrei. Sekundenbruchteile später vernahm er etwas an sich vorbei hetzen und auf das Gleis springen ...
Der Schock. Das Fassungslosigkeit. Die Verwirrung. Die Gesichter. Der ANBLICK. All das zog wie ein Film in Zeitlupe an ihm vorbei. Er hatte verstanden.
Es war soweit.
Als er aus der Kneipe ging, war es sehr spät geworden. Er war betrunken. Zuhause angekommen, brachte er den Schlüssel im dritten Anlauf im Türschloss unter; er drehte ihn nach rechts und verschaffte sich geräuschvoll Zutritt zu seiner Wohnung. Kaum dass er im Flur stand, ging das Licht an. Dann sah er seine Frau vor sich.
„Schatz, wo warst du denn so lange?“, hörte er sie mit einer Stimme fragen, die das Unbehagen, das komische Gefühl, das sie in den vergangenen Stunden verspürt hatte, zum Ausdruck brachte.
Ohne eine Antwort zu geben, zog er an ihr vorbei und wankte in die Küche. An der Spüle stützte er sich ab. Seine Frau war ihm nachgegangen und stand jetzt direkt hinter ihm.
„Schatz, ich ...“
„Wo ist die Kleine?“, unterbrach er sie.
„Die Kleine? Sie schläft. Warum ...“
Er öffnete eine Schublade, nahm ein großes Messer heraus und drehte sich um. Für einen kurzen Moment blickte er in ein verwundertes, erstauntes Gesicht, dann rammte er seiner Frau die Klinge in den Bauch. Er konnte das warme Blut an seiner Hand spüren, dann zog er das Messer heraus, um sofort wieder zuzustechen. Diesmal in den Hals, genau in die Schlagader ...
Als er fertig war, öffnete er mit der linken Hand, in der rechten das Messer haltend, so leise und vorsichtig es noch ging, die Türe zum Kinderzimmer.
Tatsächlich, da war sie. Sein Engelchen schlief tief und fest; süß und unschuldig lag sie vor ihm. So sacht wie ihm möglich näherte er sich ihrem Bettchen; als er die Kante erreicht hatte, nahm er das Messer in beide Hände, riss es über seinen Kopf nach oben und rammte es anschließend mit voller Wucht in den kleinen Körper.
Beim ersten Hieb vernahm er noch ein dumpfes Geräusch. Ab dem zweiten nichts mehr ...
Er stand auf dem Balkon, die blutverschmierten Hände über der Brüstung gefaltet, und starrte in die Welt aus Beton, die sich vor seinen Augen in ihrer ganzen Hässlichkeit feilbot. Der Mond tauchte alles in ein milchiges, ja, fast romantisches Licht, doch ihn konnte das nicht täuschen. Eine abgetakelte, alte, bösartige Hure konnte auch soviel Make-up tragen wie sie wollte, an ihrer Person, an ihrem Selbst änderte das gar nichts. Es konnte nur übertünchen.
Er wartete.
Und dann hörte er die Stimme hinter sich. Sie flüsterte seinen Namen.
ENDLICH.
Die Stimme wiederholte seinen Namen, dann fuhr sie leise, fast beschwörend fort: „Du bist jetzt einer von uns. Für immer und ewig!“
ENDLICH!!!
Er drehte sich nicht um. Dazu bestand kein Anlass. Nicht der geringste. Er lächelte den Beton vor seinen Augen an. Jetzt kam er ihm tatsächlich romantisch vor. Beinahe verführerisch ...
In ein paar Stunden, dachte er schließlich, würde ein neuer Tag anbrechen. Würden die Monster, die Ungeheuer wieder Tausende, Abertausende, Millionen von Menschen heimsuchen; so, wie sie in dieser Nacht noch Unzählige heimsuchen würden.
Ihn nicht mehr. Nie wieder.
Für alle Zeiten würde er nun gut in seinem Bett schlafen können. Tief, ruhig und lange.
Nie mehr auf einer Matratze, auf dem Boden.
Er konnte es kaum erwarten, seiner Frau die freudige Botschaft kund zu tun ...