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Die Nacht friert nie
Ich bin mir nicht sicher, ob es sein Gesicht ist. Ob es seine Augen sind oder sein Mund, der reglos über dem Kinn liegt. Er sieht aus wie ein Gemälde, nicht wirklich. Die kalte Hand liegt in meiner, als ich mit der anderen versuche seine Wange zu berühren, um sanft mit den Fingerspitzen am Wangenknochen entlang zu fahren. Damals im Sommer tat ich dasselbe. Meine Finger glitten über seine Haut, die von der Sonne warm war und leicht unter dem sanften Druck meiner Kuppen nachgab, nun streichen sie über etwas kaltes Lebloses, das Grautöne annimmt und nur im Ansatz an sein schönes Gesicht erinnert. Sein Lächeln zeigte seine perlmutfarbenen Zähne und zauberte mir ein Glänzen in die Augen, das nur für dieses eine Lächeln bestimmt war, jetzt hingegen warte ich nur auf ein einziges Zucken seiner Mundwinkel. Sein Lächeln bleibt stumm und das Glänzen verschwimmt zu Salzwasser. Ich weiß nicht… weiß nicht warum ich bleibe und etwas liebkose, das mich nicht fühlt. Wo ist er, wo ist sein Gefühl? Es kann doch nicht sein, dass es weg ist. Einfach so. Die starken Arme, die mich umarmten, die groben Hände, die mir sanft die Tränen aus dem Gesicht streichen konnten. Sie liegen einfach nur da und fühlen keine meiner Berührungen, die mir plötzlich so sinnlos erscheinen, dass ich aufstehen muss, mich wegdrehe und auf meine Hände blicke, die sich umarmen, in der Hoffnung sie würden sich gegenseitig Trost spenden.
Trost perlt ab,
er ist wie ein Lied,
das erklingt und plötzlich verstummt
in der Dunkelheit.
Als ich so da stehe merke ich das erste Mal, dass ich alleine bin. Nur der Wind, der meine Silhouette in der Dunkelheit umschmeichelt gesellt sich zu mir. Wäre er noch da, würde er meine Hand nehmen und mich küssen. Der Gedanke daran, dass die Gestalt des Mannes, die hinter mir liegt, aufstünde, um mein Alleinsein verschwinden zu lassen scheint fern. Dieser Gedanke flößt mir mehr Angst ein, als dass er mich tröstet. Ich will diese kalte Haut nie wieder spüren, sein verstummtes Atmen hören oder in die toten Augen blicken, in denen ich nichts mehr sehen kann. Ich hatte nie versucht perfekt für ihn zu sein, doch sah ich in seinem Blick, dass ich genau das für ihn war. Mein Kopf füllt sich mit der Melodie der Nacht. Es rinnt alles an mir hinab, bis meine Gedanken in den Boden sinken, ich selbst ein Teil der Nacht werde und mich fallen lasse. Erst dann merke ich, dass er auch perfekt war. Perfekt für mich war.
Ich spüre meine Haare, die die Blätter auf der Erde kitzeln, doch sogar die Blätter wagen nicht unter dieser Berührung zu lachen. Sie knirschen leidend als sie zu meinem Bett werden.
Glasklarer Wind trägt die Tränen davon.
Ich würde nicht weinen,
wenn meine Augen es nicht wollten.
Ich würde nicht hier liegen,
wenn meine Glieder es nicht sollten.
Mir ist nicht kalt, es sind nur meine Finger, die zittern. Wie könnte ich auch die Kälte spüren? Die Nacht friert nie.