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Die Nummer 2
Die Nummer 2
Auf unseren kleinen Bettchen standen unsere Nachnamen, Braun und Schulz, wir lagen direkt nebeneinander im Marienhospital, unsere Mütter sagten, dass wir beide wie Engel ausgesehen haben.
Sie lernten sich damals auf der Entbindungsstation kennen, wir beide haben davon aber anfänglich selbst nicht viel mitbekommen, erst als wir älter wurden und meine Mutter von meinem Vater verlassen wurde, erst da sahen wir uns wieder und wurden später beste Freunde.
Ich kann mich noch gut an unsere ersten Annäherungsversuche erinnern, wie ich schüchtern am Rockzipfel meiner Mutter hing und mir euer prachtvolles Haus ansah, riesig war es, sogar ein Pool im Keller besaßt ihr und du warst voll locker, hast mir auf den Oberarm gehauen und gesagt: „Ich bin der Frank, willst du mein Zimmer sehen? Ich habe da eine irre große Ritterburg!“ Ich weiß nicht warum, aber das hat mir imponiert wie du das gesagt hast, in einem so entspannten Ton das es mir zum ersten Mal leicht viel, mich von meiner Mutter zu lösen.
Nachdem du mir all deine Spielsachen gezeigt hattest, spielten wir noch den ganzen Tag zusammen und wir stritten uns nicht ein einziges Mal, zwischen uns war so eine unsichtbare Kette die uns verband.
Dass wir am gleichen Tag Geburtstag haben erzählten uns unsere Mütter noch am selben Abend, wir konnten es gar nicht fassen, dass wir nicht nur im gleichen Alter sondern auch noch am selben Tag geboren waren.
Wir löcherten unsere Mütter den ganzen Abend immer wieder mit der Frage, wer denn nun der ältere von uns beiden sei.
Du warst ganze sieben Minuten älter als ich, somit hast du dir damals auch das Recht raus genommen mich bei jeder Gelegenheit zu beschützen, die dir nicht koscher vorkam.
„Nein ich muss das Essen als erstes probieren!“ war einer deiner Sprüche die mich in unseren ersten gemeinsamen Jahren immer wieder begleitete.
Ich fand es seinerzeit aber gar nicht so toll, immer in allem der zweite zu sein, war zwischenzeitlich sogar ziemlich genervt darüber, nur die Nummer 2 zu sein.
Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke hat es auch seine Vorteile gehabt, immerhin musste ich mich bis auf das eine mal nie prügeln, weil du auch bei Konfrontationen immer den Vortritt wolltest.
Das eine mal hast du allerdings übelst auf die Mütze bekommen, ich muss zugeben, der Junge war auch mindestens einen halben Kopf größer als du und für ein Kind schon von stämmiger Statur.
Eigentlich wollte er mich verprügeln, aber du bist mal wieder für mich in die Bresche gesprungen, hast gezeigt wie viel dir unsere Freundschaft bedeutet. Du hast bei der Prügelei einen Milchzahn verloren, weil dieses Kind dich mit der Faust geschlagen hat, kein Schwitzkasten, festhalten, Wurf oder Griff, nein er schlug dir mit seiner Faust mitten in dein Gesicht.
Als du da so hilflos am Boden lagst, musste ich zum ersten mal in meinem Leben eingreifen, ich war plötzlich auf mich selbst gestellt, hatte die Chance bekommen aus dem Schatten der ewigen Nummer 1 herauszutreten, also rannte ich mit lautem Getöse auf dieses stämmige Kind zu; ich sah damals im Fernsehen mal eine Kindersendung in dem über Notwehr geredet wurde, dieser Karatemeister sagte man könnte einen psychologischen Effekt bei seinem Gegner erzielen wenn man beim Angriff laut schreit.
Bei diesem üblen Jungen, der meinem besten Freund den ersten Milchzahn ausgeschlagen hat, wirkte das allerdings überhaupt nicht, so das ich mir das Geschrei für spätere derartige Begegnungen schnell wieder abgewöhnte.
Dieser stämmige Junge lachte mich aus, fand mich witzig, ich jedoch rannte weiter mit lautem Getöse auf ihn zu und als er den ernst seiner Lage begriff hörte er schließlich auch auf mit seinem Gelächter, stattdessen haute er auch mir eine rein. Ich verlor keinen Zahn, lediglich ein blaues Auge zeichnete sich später aus diesem Kampf in meinem Gesicht ab.
Wir lernten damals, dass die Guten nicht immer gewinnen können, aber unsere Wunden trugen wir zu jener Zeit nicht ohne einen gewissen Stolz. Ich zeigte jedem anderen Kind gerne mein blaues Auge, stolzierte wie ein Gockel um die Mädchen herum und erzählte von dem irren Kampf den wir boten.
Unsere Gegner; es wurden für unsere Geschichte vier an der Zahl, sahen noch viel schlimmer aus bezeugten wir immer wieder.
Wir ließen uns feiern, aalten uns im Ruhm.
Ich erfreute mich endlich mal ein bisschen aus deinem Schatten treten zu können, doch das währte nicht lange, denn du trafst es mit deiner Zahnlücke mal wieder besser wie ich mit meinem blauen Auge, denn die Mädchen standen auf dein neu gewonnenes charmantes Lächeln.
Ich konnte erzählen so viel ich wollte, sie sahen zu jenem Zeitpunkt nur noch dich an, du warst mal wieder der Star, ich gönnte es dir, denn immerhin hatte ich meinen ersten kleinen Sieg errungen und zum ersten mal beweisen können, dass ich auch alleine klar kommen könnte.
Du bekamst damals deinen ersten Kuss, ich musste noch ganze drei Jahre warten es dir gleich zu tun, Jenny hieß sie, ich zog ihr in unserer ersten Begegnung in der großen Pause auf dem Schulhof unserer Grundschule beim vorbei rennen den Rock hoch, als sie gerade beim Seilspringen das Seil schwingen musste.
Sie hatte lange blonde Haare war sehr zierlich und hatte das süßeste Lächeln der ganzen Schule, sie verfolgte mich nach diesem Streich, aber sie kriegte mich nicht.
Doch ich hatte seitdem ihre Aufmerksamkeit gewonnen, wir lächelten uns ab jenem Zeitpunkt immer wieder zu, wir nutzen jeden Moment der uns gegeben war um unsere ersten Flirtversuche zu üben.
Jedes mal wenn wir in Zweierreihen darauf warteten, dass die Klassenlehrer uns in die Klassenzimmer führten, waren wir untrennbar von einander, wurden wie magisch angezogen von unseren Blicken.
Es dauerte auch nicht lange und wir jagten uns in jeder Pause; wenn man von einer ersten, zwischen den Geschlechtern festen Beziehung sprechen kann, dann war das wohl, mal abgesehen von meiner Mutter, die erste, die ich hatte.
Ganze drei Jahre nach deinem ersten Kuss, passierte es dann schließlich auch endlich bei mir.
Jenny jagte mich mal wieder, nachdem ich sie ärgerte, sie trieb mich in die Eingangstür zur Sporthalle, in der für mich keine Fluchtmöglichkeit mehr existierte und dann passierte es, sie küsste mich auf die Wange.
Ich war zu diesem Zeitpunkt wohl der glücklichste Junge der ganzen Schule, immerhin hat mich das süßeste Mädchen das ich kannte, geküsst.
Du warst glaube ich, damals ein wenig eifersüchtig, denn wir hatten nach der Schule unseren ersten richtigen Streit. Wir kündigten unsere Freundschaft für eine ganze Stunde, dann haben unsere Mütter uns wieder zusammen gebracht, indem sie uns gezwungen haben das wir einander die Hand reichen und uns für das Verhalten das wir an den Tag legten, zu entschuldigen.
Nachdem wir uns vertrugen, grinste ich dich schon wieder an und auch du musstes lachen, es gab nicht viel was mir in diesem Moment wichtiger war wie unsere Freundschaft.
Ich denke, auch du hattest zu jener Zeit dieses Gefühl, das wir uns brauchten, denn noch am selben Abend besiegelten wir unsere Freundschaft mit Blut.
Eine Nähnadel piekten wir uns in unseren rechten Zeigefinger, dann drückten wir einen Tropfen Blut daraus, um anschließend einen Schwur mit einer Berührung in der unser Blut sich zu einer Suppe vermischte, zu besiegeln.
Wie waren nun Brüder, untrennbar voneinander, wie Zwillinge waren wir ja schon am selben Tag geboren und nun waren wir richtige Brüder, verbunden durch viel mehr als dieses innere Band, das uns schon vorher aneinander fesselte.
Die Jahre vergingen und unsere Freundschaft wuchs mit uns, doch dann kam eine erneute Bewährungsprobe für Dich und mich.
Die Pupertät.
Sie ergriff erst Besitz von dir, wie konnte es auch anders sein. Ich gewöhnte mich so langsam daran in allem was uns beide betraf die Nummer 2 zu sein, aber es nagte trotzdem noch immer an mir, wie eine üble Angewohnheit die man einfach nicht ablegen kann.
Dir sprießen die ersten Stoppeln, Flaum nannten unsere Mütter es, was es zwar irgendwie verniedlichte, jedoch dessen ungeachtet nicht leichter für mich machte.
Meine liebe zu Gott wuchs zu jener Zeit, denn ich betete seit jenem Flaum von Dir jede Nacht um einen eben solchen, dabei verlor ich Dich ein wenig aus den Augen, denn du lerntest Alexandra kennen.
Als wenn die Zeit, damals nicht schon so schwer genug gewesen wäre, hatte ich nun ein weiteres Problem mit dem mies klingenden Namen Alexandra, denn dieses Mädchen war zu jenem Zeitpunkt bei all unseren Unternehmungen dabei.
Ständig hörte ich: „Alexandra komm mal her!“ „Alexandra hast du das gesehen!“ Alexandra, Alexandra, Alexandra immer wieder fiel dieser Name und das ganze zwei Wochen lang.
Dann machte Alexandra Schluss, wahrscheinlich konnte sie ihren eigenen Namen schon selbst nicht mehr hören.
Ich war jedenfalls froh diesen Vornamen nicht mehr vernehmen zu müssen, dir hingegen ging es zu jener Zeit schon ganz schön dreckig, du fragtest ständig nach dem warum, das du zu oft ihren Namen erwähnt hattest, habe ich dir damals nicht erzählt.
Es dauerte ganze drei Wochen bis du über Sie hinweg warst, zu jener Zeit fingst du auch an, dir Schnulzen von deutschen Schlagersängern anzuhören. Liebeskummer nannte es meine Mutter.
Ich fand es grausam, der Name Alexandra war mir da, fast schon wieder lieber.
Doch auch mich ergriff später der erste Liebesschmerz und da Du ja schon Erfahrungen damit hattest, gabst Du mir die besten Ratschläge.
Ich denke, ich habe nur durch dich, meinen ersten Liebeskummer in der hälfte der normalen Zeit durch gestanden.
Tanja so hieß meine Angebetete damals, war das glaube ich, gar nicht recht, dass ich so schnell über sie hinweg gekommen bin, denn als ich eine Woche später, schon die nächste Freundin hatte, wollte sie mich zurück.
Ich gab ihr seinerzeit telefonisch eine Abfuhr, die mir innere Genugtuung, für den Kummer den sie mir beibrachte, verschaffte.
Weißt Du noch als wir unser erstes Doppeldate hatten, ich fand es super, wir saßen beim Italiener und bestellten uns Pizza, in der ganzen Gegend gab es keine bessere Magharita als bei Enzo.
Wir genossen es, endlich zur gleichen Zeit eine Freundin zu haben, wir kamen uns schon so erwachsen vor, wir bestellten uns das erste eigene Bier und genossen die Blicke der anderen Jugendlichen, die auch nicht älter waren als wir selbst und neidisch unsere Begleiterinnen angafften.
Lucy und Svenja hießen unsere Herzensdamen mit denen wir ganze zwei Monate unser Leben teilten, die beiden waren schon süß, aber länger hat es trotzdem nicht gehalten, da wir auf lange Sicht doch einfach zu verschieden waren.
Ich erinnere mich allerdings noch gerne daran, wie ich bei Lucy meine ersten Versuche unternommen habe ihr unter den Pulli zu gehen.
Langsam und vorsichtig unternahm ich meinen ersten Versuch, mir wurde heiß und kalt zur selben Zeit doch als ich endlich am Ziel meiner Träume ankam war ihr Kommentar leider eher weniger einfühlsam:
„Und was hast du jetzt davon?“ fragte sie mich damals, es hatte ganze sechs Monate gedauert bevor ich es bei jemand anderes wieder versuchen konnte, mein Selbstvertrauen hatte einen ganz schönen Knacks abbekommen.
Dir habe ich von diesem Spruch natürlich nie erzählt, ich wollte mir vor dir keine Blöße geben, immerhin ging es bei Dir und Svenja ja auch alles ohne solche Probleme.
Nach Svenja und Lucy sind wir immer gemeinsam auf Frauenfang gegangen, wir baggerten förmlich um die Wette, doch wie schon damals mit deiner Zahnlücke, hattest du mal wieder die besseren Chancen bei dem weiblichen Geschlecht.
Du bist öfter mal zwei- oder dreigleisig gefahren, wohin ich hingegen, mit nur einem Mädel auskommen musste.
Manchmal ging das auch schief und die anderen erfuhren voneinander, natürlich alles ohne mein hinzutun, aber auch dann standest du nie alleine da, eine blieb immer bei dir, du Glückspilz.
Nachdem du deinen Autoführerschein machtest und deinen ersten Wagen von deinen Eltern bekommen hast, verloren wir uns eine zeitlang aus den Augen.
Du warst da zu beschäftigt, erzähltest mir oft, du hast keine Zeit.
Ich litt seinerzeit, dachte unsere Freundschaft wäre nun zu Ende, doch als auch ich zirka ein Jahr später meinen Führerschein machte, trafen wir uns wieder öfters und es war so als wenn unsere Freundschaft nie auf die Probe gestellt wurde.
Doch dann hast du geheiratet, Bettina hieß sie und zerstörte unsere Freundschaft, wir verloren und vollends aus den Augen, du zogst weg aus Dülmen nach Köln, der Job und deine Frau wollten es so.
Ich war nun auf mich allein gestellt, doch auch ich traf zu jener Zeit die Liebe meines Lebens im Cafe Huckemuck in dem wir oft zusammen rum hingen, lernte ich Daniela kennen.
Sie war schlichtweg einzigartig, traumhaft ihr Lächeln, wunderschön sah sie in diesem roten Kleid aus an diesem ersten Abend an dem ich sie für mich entdeckte.
Daniela zog mich aus dem tiefen Loch in das du mich gestoßen hast, gab mir neue Kraft, das Leben zu meistern.
Ich liebte sie, ich vergaß dich, sie war eben meine beste Freundin, wir erzählten uns von nun an alles.
Du warst für mich nicht mehr von Bedeutung, ich war zu jener Zeit wieder glücklich, als Daniela mir drei Jahre später eine Tochter schenkte, war ich der beneidenswerteste Mensch auf Erden. An dich dachte ich nun überhaupt nicht mehr, ich war nun Vater.
Die nächste Zeit verbrachte ich viele Stunden am Tag mit meiner Frau und meiner Kleinen, Cathy tauften wir sie, jede freie Minute die ich hatte, nutzten wir gemeinsam.
Wir gingen viel spazieren, gingen in Freizeitparks, unternahmen ausgiebige Fahrradtouren, besuchten andere Eltern die wir im Kindergarten kennen lernten und sahen unserer Cathy beim spielen zu.
Das machten wir eh fast die ganze Zeit, wir sahen unserer Tochter beim spielen zu und zeigten ihr dabei die Welt.
Als Cathy fünf wurde, bekam Daniela Brustkrebs, wir suchten die besten Ärzte auf, die fanden sich allerdings nicht hier in Dülmen, also zogen wir in die nächstliegende große Stadt mit einem guten Krankenhaus.
Wir zogen nach Köln, in die Stadt in die du damals abgehauen bist.
Daniela konfrontierte mich zu jener Zeit immer wieder mit ihrem Tod, ich musste ihr versprechen, das wenn sie mal nicht mehr da ist, ich ihren Körper verbrennen lasse und ihre Asche über den Ozean verstreue.
Zu dieser Zeit hatte ich oft Angst sie zu verlieren, ich machte mir Gedanken über ein Leben ohne sie, dieses Gefühl der Einsamkeit und Leere, die ich empfand machte mich fast selbst krank.
Meine Frau hingegen war stark, sie nahm das ganze lockerer, zwar wollte auch sie alt werden und Cathy beim erwachsen werden beobachten, aber sie glaubte an Gott und erzählte mir dann immer das sie uns von oben beobachten würde, wenn sie den Kampf gegen den Krebs nicht überleben würde.
„Ich werde immer bei dir sein!“ sagte sie dann immer zu mir.
Der Kampf gegen den Krebs dauerte drei Jahre, dann erlag meine Frau Daniela der Krankheit, Cathy ist seinerzeit gerade acht geworden und sie brauchte mich zu jener Zeit mehr denn je.
Ich versuchte ihr weiterhin ein guter Vater zu sein, verkroch mich allerdings abends wenn sie schlief hinter dem Alkohol um Ablenkung von Danielas Tod zu finden.
Ein endlos tiefes Loch hatte mich nun endgültig gefangen und ließ mich auch nicht mehr los, meine Möglichkeiten aus diesem Dunkel herauszukommen schrumpften immer mehr auf ein Minimum.
Ich besuchte immer öfters Kneipen, war nachts nicht mehr für meine Tochter da, verlor sie fast durch das Jugendamt, da mich die Nachbarn anschwärzten.
Sie sagten ich kümmere mich nicht um meinen kleinen Schatz und das obwohl sie doch das einzige war was mir auf dieser Welt noch etwas bedeutete.
Ich musste mich zusammen reißen, was mir eine Zeit auch ganz gut gelang, aber die Sucht zum Alkohol wurde immer wieder stärker und machte alles immer nur noch schlimmer.
Als Cathy sich langsam von mir abwandte musste unbedingt eine Lösung her, ich nahm meine ganze Kraft zusammen und ging zu den anonymen Alkoholikern, dort traf ich dich wieder.
Du warst alt geworden, hattest inzwischen drei Ehen hinter dir und ebenfalls ein Alkoholproblem.
Außerdem war deine Mutter gestorben, die einzige Frau die dir je wichtig war und deine Ex-Frauen verweigerten dir obendrein den Kontakt zu deinen Kindern. Gründe satt, der Sucht Alkohol zu verfallen.
Wir saßen direkt nebeneinander als ich aufstehen musste und mein Problem eingestehen sollte:
„Ich bin Alkoholiker!“ sprach ich entschlossen und du sahst mich mit weit aufgerissenen Augen an und fragtest mich:
„Ben, bist du das?“
Nummer 2 war der erste Gedanke, der mir bei diesem Satz durch den Kopf schoss.
Nachdem dieses erste ungute Gefühl verschwand, war ich froh dich wieder zu sehen, denn nach dieser Versammlung von Ex-Trunkbolden die sich gegenseitig Besserung gelobten, gingen wir noch in ein Cafe und erzählten uns alles was in den vergangenen Jahren passiert war.
Mir fiel ein Stein vom Herzen, ich redete über all meine Probleme mit dir, als wärst du nie weg gewesen und unsere Freundschaft festigte sich schon wieder in nur diesem einem Gespräch.
Wir machten uns gegenseitig Mut, versuchten uns Kraft zu geben um den Kampf gegen den Alkohol zu gewinnen und ich muss sagen in dieser Unterhaltung, die wir beide hatten, habe ich kein einziges Mal an den teuflischen Fusel gedacht.
Ich war einfach nur noch froh dich wieder zu sehen.
Wir trafen uns seitdem Tag wieder öfter, immerhin wohnten wir ja nun erneut in derselben Stadt, ich nahm Cathy so oft es ging mit und versuchte ihr wieder ein guter Vater zu sein.
Den Satz „Papa, ich hab dich lieb!“ hörte ich wieder öfter, er gab mir Kraft, die Lebenskraft die ich schon früher hätte haben können, aber erst jetzt sah ich wieder Perspektiven in meinem Leben.
Du hast mich wachgerüttelt und mir die Augen für meine Tochter geöffnet, dafür danke ich dir.
Als Cathy dreizehn wurde bekam ich die Asche meiner Frau aus dem Krematorium, endlich konnte ich ihren Wunsch erfüllen und ihre Überreste verstreuen.
Im Krematorium erzählte man mir allerdings, dass man die Asche nicht einfach so verstreuen darf, also informierte ich mich und bekam den Tipp von Dir sie in den Niederlanden über dem Wasser zu verstreuen, da es dort wohl erlaubt sein sollte.
Ich fuhr damals mit Cathy nach Amsterdam um meiner Frau den letzten Wunsch zu erfüllen, wir stellten uns auf eine der vielen Brücken und nahmen Abschied von Daniela, der Frau und Mutter die wir liebten.
Cathy erzählte mir später, dass sie in diesem Augenblick wirklich loslassen konnte, sie dachte an ihre Mama und sah sie in ihren Gedanken als wenn sie noch ein letztes Mal vor ihr stehen würde. Sie hatte ihr weißes Nachthemd an, dass sie immer zum schlafen trug und ihre Haare tanzten mit der leichten Brise die vom Westen herkam, erzählte sie mir, dann verabschiedete sie sich mit einem Lächeln und einer verabschiedenen Geste von ihr um anschließend über dem glitzernden Wasserspiegel wieder hinweg zu schweben.
Ich fand diese Vorstellung schön, denn sie gab mir das Gefühl das Daniela mich wirklich von oben beobachtet und immer bei mir sein wird.
Als Cathy später Bernd heiratete warst du auch eingeladen, inzwischen warst du ja auch schon ein Teil unserer Familie geworden, du gehörtest dazu.
Wir feierten sehr lange, es war richtig schön, du erzähltest mir an diesem Tag, dass du der glücklichste Mensch auf Erden bist und dass meine Tochter dir wie eine eigenes Kind ans Herz gewachsen ist.
Du bedanktest dich bei mir, dass ich dich in meine Familie aufgenommen habe, schließlich durftest du ja deine eigenen Kinder nie sehen, aber in diesen Moment, vergaßest du all das, du warst einfach nur noch glücklich, erzähltest du mir.
Ich sah in diesem Moment zum ersten Mal deinen entspannten Gesichtsausdruck wieder, der mich als Kind schon so beeindruckte, dann gingst du und kamst nie wieder.
Ein Autounfall ließ dich aus dem Leben scheiden, im Polizeibericht stand, du hast Alkohol getrunken, ich habe es auf der Hochzeit nicht bemerkt und machte mir lange Zeit Vorwürfe deswegen.
Jetzt im Nachhinein denke ich, du hast dich erst später betrunken, nach der eigentlichen Feier.
Ich weiß nicht warum du rückfällig geworden bist, aber eigentlich ist das nun auch nicht mehr wichtig, es ist lange vorbei.
Ich bin noch oft traurig, wenn ich wie jetzt an deinen Grabstein stehe, denke oft an dich, meinen besten Freund den ich im Leben hatte, die Nummer Eins.
Mein Leben war erfüllt, ich bin alt geworden wie du siehst, ich erlebte auch ohne dich noch viel in meinem Leben, sah wie meine Enkel groß wurden, ging auf Reisen und sah viel von der Welt, aber das weißt du ja sicher.
Daniela und Du, ihr hattet immer ein Auge auf mich, ihr habt mein ganzes Leben auf mich aufgepasst und wenn ich in Momenten wie diesem nach oben schaue und bemerke wie sich die dichte Wolkendecke an einer kleinen Stelle löst und ein Lichtstrahl hervor lugt und Teile meiner Umgebung hell erleuchtet, bin ich mir sicher das ihr immer bei mir sein werdet.
Weißt du noch unsere Mütter erzählten uns damals, wir sahen aus wie zwei Engel, noch liegt Braun nicht wieder neben Schulz, aber wenn es so weit ist, wirst du mich wahrscheinlich am Himmelstor empfangen und mir wie damals als wir uns kennen lernten auf den Oberarm hauen und mir alles zeigen wollen, da bin ich mir sicher.