Mitglied
- Beitritt
- 24.06.2001
- Beiträge
- 13
Die Party
Die Party
Die Party ist bereits in vollem Gange. Das Licht gedämpft, sanfte Musik aus einer Stereoanlage und die Luft von Rauch, Schweiß und ausgeatmeter Luft dick, schlecht zu atmen. Ich stehe an der Tür, schaue in den dahinter liegenden Raum. In meiner Hand noch die Flasche Martini, ein Geschenk für den Gastgeber. Dazu gedacht, sofort getrunken zu werden.
War es ein Fehler, hierher zu kommen? Es ist schon spät, und die meisten Gäste sind nicht mehr ganz klar. Entweder Alkohol oder Schnee. Das weiße Zeug liegt auf kleinen goldenen Tabletts, darf von jedem genommen werden. Der Obolus dafür wurde bereits beim betreten der Wohnung entrichtet. Ein Hunderter Pro Nase - und dies ist hier mehr als wörtlich zu nehmen.
Langsam gewöhnen sich meine Augen an die mich umgebende Dunkelheit. Bekannte Gesichter tauchen in den Rauchschwaden auf, nur um sofort darin zu versinken. Leise Geräusche dringen an mein Ohr, lauter als die Musik. Stöhnen und Seufzen aus Nebenzimmern, dort wo die Kissen liegen und Filme laufen. Die Party ist von einem Mann organisiert, der keine Ahnung hat von weiblicher Erotik. Typische Schnellschussbilder flimmern über die Mattscheiben, Frauen willig und Männer potent. Eine Traumwelt. Aufgebaut, um die niedersten Instinkte zu wecken. Aber auch diese wollen von Zeit zu Zeit befriedigt werden. Und heute ist diese Zeit.
Eine private Orgie der Sinne. Hochtrabend formuliert konnte es durchaus zutreffen.
Noch immer stehe ich in der offenen Woihnzimmertür, kann mich nicht entscheiden. Die Flasche wird mir von einem herbeieilenden Kellner abgenommen und zu den restlichen Getränken gestellt. Mein Blick fällt auf den Po des Mannes. Knackig, wohlgeformt. Etwas zum anfassen und reinkneifen. Aber Personal ist tabu. Zudem würde ich mich auch nicht mit einem Angestellten abgegeben.
Wieder huschen meine Augen über die Tanzenden. Vielleicht bin ich einfach zu klar im Kopf. Die Schale mit dem weißen Gold steht keine zwei Meter von mir entfernt, wirkt einladend. Wie lange ist es her seit meiner letzten Line? Eine Woche? Oder schon zwei?
Das Pulver ist erste Qualität. Nicht so ein billiger Verschnitt, wie ihn sich die Junkies auf der Straße reinziehen. Nein, hierfür legt man mehr als einen Hunderter pro Dosis auf den Tisch. Wesentlich mehr. Beweis der Großzügigkeit des Gastgebers oder doch zur Schau getragene Eitelkeit? Egal. Es macht den Stoff nicht schlechter.
Vorsichtig nehme ich eine Ration, lege sie zu einer Linie und hacke mit einem kleinen Messer etwas darauf rum. Je feiner der Schnee, um so besser. Dann rolle ich einen Fünfziger zusammen, setze ihn an und sauge das Kokain tief hinein in meine Nase. Die Wirkung. Sie setzt ein, putscht auf, sorgt für ein gutes Feeling. Ich bin satt, habe kaum den Drang, mich zu bewegen. Ein vollkommenes Gefühl.
Sitzgelegenheiten gibt es hier nicht, nur im Nebenzimmer. Dort, wo auch die Filme laufen. Aber es ist mir egal, wenigstens für den Moment. Sitzen, die Wirkung der Droge voll auskosten, genießen. Sonst möchte ich nichts.
Die Couch sieht bequemer aus, als sie letztlich ist. Designermöbeln, nur etwas fürs Auge, konnte ich noch nie etwas abgewinnen. Nein, hierhin setze ich mich doch nicht.
Also wandere ich durch das Haus. Küche, Arbeitszimmer, dann die Treppe hinauf, hier Schlafzimmer, Gästeraum und Bad. Eine Frau steht unter der Dusche, seift sich ein. Ihr Blick fällt auf mich, und fast spielerisch bittet sie darum, ihr den Rücken zu schrubben.
Wie Irreal. Ein Traum? Nein, es ist echt. Das alles hier. Auch wenn es sich dabei um eine von Drogen verzerrte Realität handelt. Niemand käme auf die Idee, in einem fremden Haus zu duschen. Oder gehört sie hierher? Wohl kaum. Ich kenne den Gastgeber. Er ist schwul, hat für Frauen nur freundschaftliche Gefühle.
Die Kleine wartet, hält mir die Bürste hin. Meine Augen gleiten über ihren Körper. Feste Brüste, etwas mollige Figur, aber durchaus einen zweiten Blick wert.
Die Bürste hat einen runden, sehr kurzen Stiel und ist nass. So nass wie mein Slip. Die Geräusche und Szenen im Erdgeschoss, der Schnee - all dies hat mich erregt. Die Fremde dreht mir jetzt, nachdem ich die Bürste in der Hand halte, den Rücken zu, wartet darauf, dass ich etwas tue. Ein wilder Gedanke zuckt durch meinen Kopf, und ohne darüber nachzudenken steige ich zu ihr unter die Dusche. Kein Erstaunen in ihrem Blick, als ich ihr Gesicht etwas drehe. Sie scheint darauf gewartet zu haben, packt meine Schultern und küsst mich. Die Zungen spielen außerhalb unserer Mundhöhlen ein heißes Spiel, wecken Verlangen ohne Einschränkungen. Noch immer läuft das Wasser aus der Brause, durchnässt mich und meine Kleider. Eng klebt das weiße T-Shirt an meinen Brüsten, lässt mehr sehen, als es verdeckt. Ihre Hände wandern sofort darüber, streicheln mich. Unsere Lippen treffen sich, vereinigen sich, lassen uns kaum atmen. Die Begierde will gestillt werden. Ihr Körper öffnet sich mir, als mein Mund auf Wanderschaft geht. Wie lange sie wohl schon darauf gewartet hatte, dass jemand kommt?
Der Illusion, dass nur ich sie nehmen darf, gebe ich mich gar nicht erst hin. Ihr wäre jeder recht gewesen, dass weiß ich genau. Aber es ist mir egal. Zudem setzt das Denken aus, gewinnen meine Triebe die Oberhand. Und ihre Lustschreie tun ein Übriges. Explosiv ergibt sie sich dem Höhepunkt, lässt sich von ihm durchschütteln.
Ein paar Sekunden vergehen, bevor sich ihre Augen öffnen. Tränen stehen darin, und noch ehe ich es begreife, beginnt sie zu weinen. Keine Freudentränen nach einem tollen Orgasmus, wie so oft in kitschigen Filmen dargestellt. Nein, es sind die Tränen der Depression. Wenn das Hochgefühl nachlässt, die Droge ihre Wirkung verliert, kommt der Sturz. Alltägliche Probleme erscheinen unüberwindlich, Angst, Trauer und Furcht potenzieren sich vielfach. Noch habe ich diesen Level nicht erreicht, lässt mich der Schnee auf Wolken gehen. Wortlos gehe ich hinaus, überlasse sie ihrem Emotions-Chaos. Nach der feucht-warmen Luft im Bad brauche ich etwas Abkühlung.
Nass, aber nicht frierend stehe ich auf dem Balkon, lasse meine Gedanken treiben. Kreative Gedanken. Neue Romane entstehen vor meinem geistigen Auge, Seite für Seite. Ideen werden geboren und ziehen davon, zu schnell, um aufgegriffen zu werden. Die Droge bringt das Beste in mir hervor, lässt mich zu der Autorin werden, die ich immer sein wollte. Morgen, wenn der Schnee mein Gehirn verlassen hat, werde ich am Schreibtisch sitzen und nicht wissen, welche Kapitel mich just in diesem Moment in Erregung versetzen, welche mich schauern lassen. Dann wird die Versuchung da sein, erneut zu dem Pulver zu greifen, den Rausch wieder herbeizuholen, nur um ein Buch zu schreiben, jene Gedanken mit der Tastatur einzufangen, welche mich jetzt durchfließen.
Eine Hand unterbricht sie. Sie schiebt sich von hinten unter mein nasses T-Shirt, knetet meine Brüste, spielt an den noch immer harten Knospen. Eine männliche Hand, und eine männliche Art, mich zu liebkosen. Ich drehe mich nicht um. Auch nicht, als er von hinten meine Jeans öffnet, sie mitsamt dem Slip hinunter streift. Männer sind es meist nicht wert, dass man sie anschaut. Statt dessen spreize ich meine Beine etwas, lasse ihn eindringen. Es gibt keinen Platz für Männer in meinem Leben, aber gegen einen guten Fick gibt es nichts einzuwenden.
Hart stößt er mich, stöhnt dabei. Auch ich werde von der Lust davon geschwemmt, will ihn tiefer, härter in mir spüren. Aus den Augenwinkeln sehe ich das Mädchen aus dem Bad. Sie tritt ebenfalls hinaus auf den Balkon, schaut uns kurz zu und starrt dann in die Ferne. Sie trägt jetzt einen Jogginganzug, der ihr nicht richtig passt und wahrscheinlich dem Gastgeber gehört. Schuhe oder Strümpfe hat sie keine an. Ihre Augen blicken leer und mit einer Traurigkeit, die mich für den Bruchteil einer Sekunde berührt. Aber dann ist die Geilheit größer. Zudem interessiert mich nicht wirklich, wie es ihr geht. Schnee lässt mich gefühllos werden. Die Droge bringt auch das Schlechteste in mir hervor.
Der Andere stöhnt lauter, stößt mich heftiger und kommt, bevor ich komme. Seinen Samen spüre ich nicht, denn glücklicherweise hatte er ein Kondom drüber. Er geht, ohne Worte. Ich hingegen ziehe mich wieder an. Die Wirkung lässt nach, und es ist Zeit, zu gehen. Ein letzter Blick zur Seite. Das Mädchen ist nicht mehr da, wahrscheinlich wieder nach unten gegangen, um sich eine neue Line reinzuziehen. Damit kann man den Absturz nicht verhindern. Nur hinauszögern.
Ich bin bereit dafür, erwarte den Fall. Der Schmerz ist ein Bestandteil der Lust, nicht ihr Gegenspieler. Das Eine kann nur mit dem anderen existieren, und wenn man Lust will, muss man den Schmerz akzeptieren.
Ich heiße ihn willkommen, als er kommt. Durch das Gewühl der Tanzenden schiebe ich mich dem Ausgang entgegen, gebe mich jener Melancholie hin, welche immer auf einen guten Rausch folgt. Sie ist ein Teil der Kraft, welche mir meine Geschichten diktiert, mich zu einer ganz passablen Schriftstellerin macht. Geschichten voll Lust, Leid und Schmerz, die den Menschen als das zeigen sollen, was er eigentlich ist. Ein von Trieben gelenktes Wesen - nicht mehr. Keine Krone der Schöpfung, sondern ein selbstzerstörerrischer Tölpel. Auch ich bilde da keine Ausnahme.
Als ich zu meinem Wagen gehe, sehe ich die Kleine. In einer großen Pfütze aus Blut liegt sie auf der Straße, die Knochen zerschmettert. Menschen stehen um sie herum, reden, tuscheln. Sie trägt noch den Jogginganzug. Ihr Blick, vom Tode gebrochen, wirkt auf eine eigentümliche Art erleichtert. Sie muss in dem Moment gesprungen sein, als der Typ...
Zu hart trifft mich dieser Anblick, zu stark sind die nun aufkommenden Gefühle. Der Fall, um ein tausendfaches verstärkt. Trauer, Wut über mich selbst, Verzweiflung. Ich könnte dort liegen. Oder einer meiner Freunde. Waren ihre Tränen ein letzter Hilferuf an mich? Eine letzte Chance, die ihr das Unterbewusstsein gab, bevor sie sich in die Tiefe stürzte, um all den Sorgen, dem Kummer und den Schmerzen zu entgehen? Oder auch nur dem oft unerträglichen Sein? Und hatte ich ihr mit meiner Ignoranz letztlich den kleinen Schubs gegeben, der sie hierher brachte?
Aus der Ferne ertönt das schaurige Geräusch eines sich nährenden Krankenwagens. Zu spät, er kann sich Zeit lassen. Die Kleine ist tot, und nichts wird sie wieder zurückholen.
Betroffen kehre ich zurück in das Haus, schiebe mich durch das Wohnzimmer. Die goldene Schale wartet auf mich, verspricht Linderung meiner Seelenpein.
Wieder ziehe ich mir die Line rein, erlebe ihre erleichternde Wirkung. Wenn sie es so wollte, bitte schön. Trauer, Angst und Betroffenheit verschwinden, weichen dem mächtigen Gefühl der Überlegenheit. Sie war schwach und starb den Tod der Schwachen. Ich aber gehöre zu den Starken und überlebe.
Jedenfalls so lange, bis die Droge erneut ihre Wirkung verliert.
Ende
by G. Arentzen 1999. All rights reserved.
Nachdruck, als Auszug oder im ganzen, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors.
Jede Veröffentlichung, auch in Mailboxen und / oder auf Webseiten bzw. Newsgroups bedarf der schriftlichen Genehmigung des Autors. Zuwiderhandlungen werden gerichtlich verfolgt.
Diese Geschichte ist geistiges Eigentum des Autors und darf nicht verändert, gekürzt oder sonst wie manipuliert werden.