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Die Porzellanpuppe
Inspektor Malroney stand, eine dicke Zigarre im Mundwinkel haltend, vor den Auslagen des Antiquitätenladens in der Bondstreet. Im Schaufenster lagen einige erlesene Exponate, die ihn interessierten. Gerade in dem Augenblick, als eine attraktive Dame an ihm vorbei lief, krachte es hinter seinem Rücken. Ein großer blauer Laster war auf einen Kleinwagen aufgefahren und es gab sofort den üblichen Tumult während der Hauptverkehrszeit. Achselzuckend warf Malroney die noch glühende Zigarre in den Rinnstein und setzte seinen Weg zum Polizeipräsidium fort.
Die ausgesstellten Puppen waren wirklich sehr schön. Sie würden genau in die Sammlung von Tante Wendy passen. Ob er doch mal nach dem Preis fragen sollte? Sicher waren sie ungeheuer teuer. Aber immerhin war Tante Wendy die einzige nähere Verwandte, die ihm noch geblieben war, und zusätzlich mit einem Vermögen ausgestattet, auf das er in schwachen Minuten spekulierte. Aber vielleicht würde sie doch alles dem Tierschutzverein vermachen, da sie Malroney als den nicht standesgemäßen unehelichen Sohn ihres Bruders im Grunde genommen eher verachtete. Außerdem gab es da noch diese Haushälterehepaar, das sich bei Tante Wendy so gerne einschmeichelte und aus purer Gefallsucht Tante Wendys Pekinesen verwöhnte. Vielleicht würde Tante Wendy auf diese beiden Schmeichler hereinfallen und ihnen ihr Vermögen hinterlassen?
In diesen Gedanken vertieft, fiel ihm ein, dass wahrscheinlich Chefinspektor Reeves schon ungeduldig auf ihn warten würde.
Tatsächlich war alles in heller Aufregung, als er sein Büro betrat. Vor ein paar Minuten war ein Mord in der Bondstreet gemeldet worden und Reeves hatte sich mit der Spurensicherung sofort auf den Weg gemacht. Die übrige Mannschaft war bereits dabei, die Datensicherung zu übernehmen.
"Hey Malroney! Der Chef wartet auf dich am Tatort! Beeil dich, er flucht schon die ganze Zeit darüber, dass du immer zu spät kommst! Diesmal ist er wirklich sauer!
Sue reichte ihm einen Zettel mit der Adresse des Tatorts. Malroney las ihn schnell durch und blieb wie angewurzelt stehen.
"Ich an deiner Stelle würde mich jetzt beeilen!" sagte Sue zu ihm.
"Mein Gott! Das gibt es doch gar nicht!", durchfuhr es ihn, "Sue wer ist der Tote?"
"Fahr doch in den Antiquitätenladen! Wir wissen nur von einer männlichen Leiche."
Im Eiltempo erreichte Malroney den Laden. Eine Menschenmenge versammelte sich bereits vor dem Eingang. Malroney drängte sich durch die Masse in den dunklen Laden. Hinter der Theke lag ein Mann, offensichtlich der Besitzer des Ladens, mit einer Kugel in der Brust.
"Da sind Sie ja endlich! Warum kommen Sie eigentlich immer zu spät? Können Sie mir das vielleicht mal verraten?", fuhr Reeves ihn an.
Malroney störte sich nicht daran, was der Chefinspektor zu sagen hatte, sondern betrachtete die Leiche.
"Was starren Sie so rum? Gehen Sie jetzt mal an die Arbeit, Malroney!"
"Ich bin wahrscheinlich schon länger mit diesem Fall vertraut als Sie", besann sich Malroney leise...
Reeves verstand Malroney nicht auf Anhieb und so fragte er noch einmal nach: "Warum wollen gerade Sie mit dem Fall schon länger vertraut sein? Sie kommen doch immer zu spät wenn mal was ist!"
"Ich kenne diesen Mann. Er war öfters bei Wendy Sheffield."
"Wer ist denn Wendy Sheffield?"
"Sie ist meine Tante. Sie wohnt oben in der Mainestreet in der hübschen großen Villa."
"Und was soll das jetzt mit diesem Fall zu tun haben? Mich interessiert es jetzt wirklich nicht, dass Sie eine Tante haben, die ein riesen Vermögen besitzt! Strengen Sie mal ihr Spatzenhirn an und tragen Sie mal was Nützliches dazu bei!"
"Ich wollte damit eigentlich nur andeuten, dass wir vielleicht jetzt die ersten Personen haben, die wir befragen könnten!", sagte Malroney ganz ruhig während er sich eine neue Zigarre ansteckte.
Edgar Page kam auf die Beiden zu. Er war von der Spurensicherung. Malroney sah ihm an, dass sie wahrscheinlich nicht viele Indizien gefunden haben. Page gab den Beiden die Hand und sagte: " Das Einzige, was wir bis jetzt herausgefunden haben ist, dass die Kugel, die in der Brust des Mannes steckt, von einem sehr alten Revolver stammt. Es muss ein Exponat sein. Kaufen kann man dieses Stück heute nicht mehr."
"Und sonst haben Sie noch nichts herausgefunden?", hakte Reeves nach.
" Um einen Raubmord handelt es sich auf keinen Fall. Das Geld liegt immer noch unangetastet in der Kasse und demoliert ist hier auch nichts. Außerdem haben wir keine Fingerabdrücke, keine Hautabschürfungen an der Leiche oder sonst was gefunden."
Während Reeves mit sich selbst kämpfte, um nicht ganz die Beherrschung zu verlieren, schaute Malroney sich nochmals die Auslagen des Ladens an. Zu seinem eigenem Erstauenen, stellte er fest, dass die Porzellanpuppe, die er Tante Wendy vielleicht kaufen wollte, verschwunden war...
Den ganzen Weg zu Tante Wendys Wohnsitz, lies Malroney sich nochmal alles durch den Kopf gehen. Doch er kam auf keinen grünen Zweig. Man muss aber auch sagen, dass der Fall auch noch ganz frisch war.
Er parkte seinen Wagen vor dem großen Eingangstor der Villa und klingelte. Aus dem Lautsprecher kam die vertraute Stimmte des Hausmädchens Olivia. "Wer ist da?"
"Ich bin es. John Malroney. Ich möchte gerne zu Tante Wendy!"
Das Tor gab ein leises Summen von sich und schwang auf.
Als er zu Haustür lief, betrachtete er das Haus und fragte sich, wie man nur so ganz alleine, nur mit Hauspersonal, in dem riesen Schloss wohnen konnte. Die Haustür stand schon offen und David, der Butler hielt ihm die Tür auf und begrüßte ihn: "Guten Tag Mr. Malroney. Ihre Tante ist in ihrer Suite. Sie kennen den Weg?"
"Ja, ich finde ihn schon. Danke."
Malroney hatte wirklich Schwierigkeiten den Weg zu der Suite zu finden. Er war schon lange nicht mehr dort gewesen und so musste er erst einen Moment stehen bleiben um sich wieder zu entsinnen. Doch da hörte er schon die Stimme seiner Tante: "Na? Wen haben wir denn da? Schön, dass du dich auch mal hier blicken lässt! Das muss ja wirklich schon lange her sein, sonst würde ich mich noch daran erinnern."
Malroney schaut zu ihr auf und schämte sich ein wenig. Ja, er war wirklich nicht mehr lange hier gewesen. Er hatte auch nicht mehr oft an Wendy gedacht. Er bekam ein schlechtes Gewissen. Doch als er in das alte, mit Falten gezierte Gesicht, seiner Tante schaute, sah er keinen Zorn in ihrem Blick, sondern Freude. Und er bemerkte auch ein kleines Lächeln, dass sich um ihre schmalen Lippen kräuselte.
Jetzt saß er in einem großen grauen Sessel und es hing der Duft von Orchideen in der Luft. Tante Wendy mochte schon immer diese Blumen und in ihrem Zimmer roch es immer danach. Schon als kleines Kind mochte er diesen Duft. Doch über die Vergangenheit konnte er jetzt nicht nachdenken. Er musste seine Tante trösten. Malroney hätte nicht gedacht, dass Wendy bei der Nachricht vom Tod dieses Mannes, beinahe einen Nervensusammenbruch erleidet.
"Wer könnte ihn denn umgebracht haben?"
"Wie nah standest du ihm?", fragte Malroney.
"Er war ein Freund von mir. Ich habe ihn in seinem kleinen Laden in der Bondstreet kennengelernt. Ich mag doch die kleinen zierlichen Puppen, die immer in seinem Schaufenster stehen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass ihn jemand umbringen wollte! Er hatte doch keine Feinde!"
"So wie es aussieht hatte er doch welche..."
Nachdem Malroney seine Tante dazu überreden konnte sich ein wenig auszuruhen, schaute er sich ein wenig im Haus um. Er hatte ein komisches Gefühl. Irgendetwas stimmte an der ganzen Sache nicht. Aber was stimmte nicht? Er hatte ein schlechtes Gewissen. Warum schnüffel ich hier in diesem Haus rum? Tante Wendy hat ihn nicht umgebracht! Aber in seinem Inneren wusste Malroney, dass er etwas hier in diesem Haus finden würde, dass zur Aufklärung dieses Falles beitragen würde.
Er ging im Haus herum und schaute in allen Schränken, Nischen und Regalen nach. Doch er fand nicht. Nada! Er gab die Suche auf und wollte wieder in die Suite seiner Tante. Doch auf diesem Weg fiel im ein, dass er noch nicht in den Zimmern der Eheleute David und Oliva Allen war. Ach komm, mach dir doch nichts vor! Die zwei haben bestimmt nichts mit der Sache zu tun! Doch ein unangenehmes Gefühl machte sich in seiner Magengrube breit und veranlasste ihn sich doch in das Zimmer zu schleichen...
Bevor er in das Zimmer trat, drehte er sich nochmal in alle Richtungen um, um sich zu vergewissern, dass ihn niemand beobachtete. Natürlich wusste er, dass er das eigentlich nicht durfte. Er hatte kein Durchsuchungsbefehl. Man konnte es eigentlich schon mit Hausfriedensbruch gleichsetzen, weil er es ja ohnehin auch heimlich tat. Aber er hatte wieder so ein Gefühl. Und Malroney hatte sich noch nie getraut diesem Gefühl nicht zu folgen. Denn immer wenn er dieses hatte, lag er mit seinen Vermutungen auch immer richtig.
Im Zimmer angekommen, schaute er in allen Schränken und Regalen. Er schaute unter das Ehebett und auch hinter den Bildern, die an der Wand hangen. Doch er fand wieder nichts. Das kann doch nicht wahr sein! Als er dann schon die Hoffnung aufgegeben hatte und sich wieder aus dem Zimmer schleichen wollte, sah er auf dem Nachttischschränkchen einen vertrauten Gegenstand. Die Porzellanpuppe, die er noch vor wenigen Stunden Tante Wendy kaufen wollte, saß wie unangetastet auf dem Nachttischschränkchen! Er ging näher auf sie zu und schaute sie sich noch mal ganz genau an. Dann entdeckte er eine kleine Kiste, auf der die Puppe saß. Er zog sich Handschuhe an, nahm sie und öffnete sie. In ihr befand sich ein alter Revolver aus dem auch eine Kugel fehlte...
Edgar Page von der Spurensicherung ließ sich eine Menge Zeit um das Ergebnis seiner Untersuchungen Preis zu geben. Das Ehepaar Allen wurde zwischenzeitlich festgenommen, damit man mit den Befragungen sofort beginnen konnte, falls sich Malroneys Verdacht bestätigen sollte. Nach einer Zeit, als fast alle schon eingeschlafen wären, schwang die Tür auf und Page kam in Malroney Büro reingeplatzt: "Die Kugel stammt aus dem Revolver, den Sie bei den Allen's gefunden haben! Wir haben sogar Fingerabdrücke auf dem Revolver gefunden Malroney! In ein paar Minuten werden wir wissen, ob Sie wirklich ganz richtig liegen."
Während die Fingerabdrücke untersucht wurden, saßen David und Oliva in Malroneys Büro.
"Ich weiß wirklich nicht was das soll John! Warum verdächtigen Sie gerade uns! Das ist doch nicht wirklich Ihr Ernst, oder? Sie wissen ganz genau, dass wir zu so etwas nicht im Stande sind. Weder ich noch meine Frau Olivia!"
"Ich weiß, dass Ihnen die ganze Sache auf dem Magen schlägt, aber wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Sie unter dringenden Tatverdacht stehen. Alle Indizien, die wir haben, sprechen nicht für Sie, sondern gegen Sie! Außerdem habe ich die Puppe, die im Schaufenster von Mr. Tales Lädchen stand, bei ihnen im Zimmer gefunden und auch den Revolver, mit dem Mr. Tale umgebracht wurde."
"Das ist doch eine Verschwörung! Wir würden so etwas nicht tun! Wir kannten diesen Mann noch nicht ein mal!"
Gerade als Malroney ihm antworten wollte, platze Chefinspektor Reeves in sein Büro rein: "Die Fingerabdrücke stammen von David Allen!"
David Allen wurde von einer auf die anderen Sekunde bleich und ihm stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Malroney sah ihm an, dass er gleich ein Geständnis ablegen würde: "Warum haben Sie das getan David?"
"Sie wissen, dass Olivia und ich nicht das meiste Geld haben. Wendy war so gut mit ihm befreundet. Er kam oft zu ihr. Manchmal nur um ihr Guten Tag zu sagen. Als er dann immer öfter kam, wurden wir schon unruhig. Wir wussten, dass Wendy uns ein bisschen Geld hinterlassen wollte. Nicht viel. Aber für unsere Verhältnisse hätte es gereicht. Wir hatten einfach Angst, dass sie ihm alles vermacht und das wir davon keinen Cent zu Gesicht bekommen würden!"
"Und dann haben Sie sich gedacht, dass sie ihm in seinem Laden auflauern und erschießen!", sprach Malroney weiter. "Nur haben Sie den Fehler gemacht und haben etwas aus dem Schaufenster entwendet, was ich dann glücklicherweise wiedererkannt habe. Warum haben Sie sich die Porzellanpuppe mitgenommen?"
"Ich habe sie mir als Souvenir mitgenommen."
Am Ende dieses Tages angelangt, stand Malroney auf seinem kleinen Balkon und starrte in den Sternenhimmel. Wie immer eine Zigarre in seinem Mundwinkel, lies er den Tag noch ein mal Revue passieren. Natürlich ist ein Mord eine Sauerei, aber in diesem Fall bescherte es Malroney wahrscheinlich eine Menge Geld. Nun hatte er die größten Chancen Wendys Vermögen zu erben.