Die Regenbogenforelle
Es ist ein netter Brauch, der Blumen gießenden Nachbarin eine Kleinigkeit aus dem Urlaub mitzubringen. Manchmal vermiest es aber den frisch Erholten die letzten schönen Stunden, wenn sie gehetzt von einem Souvenirladen zum nächsten jagen, weil sie sich nicht zwischen der tuffigen Vase mit Landschaftsmotiv und dem Aschenbecher mit Abziehbild entscheiden können. Am besten beides, kann ja nicht schaden. Vielleicht gießt sie dann im nächsten Jahr noch mal...?
Nicht so meine Nachbarn! Zugegebenermaßen macht mir das Blumengießen dort immer besondere Freude, denn diese Wohnung ist dermaßen überladen eingerichtet, dass es wie in einem Museum immer was Neues zu entdecken gibt. Jedenfalls war das keine wirkliche Arbeit für mich und ich habe auch kein Mitbringsel erwartet.
Doch dann kam der Abend der Schlüsselrückgabe: "Schön, dass ihr wieder da seid!" und "Wie war's denn?" und "Habt ihr euch gut erholt?" - und --- "Ach, bei euch gibt's Fisch zum Abendbrot, na dann guten Appetit!" "Nein, halt mal, der ist für dich, lass es dir gut schmecken!" "Für mich?!? Aaaber der guckt doch noch!" (Zum Glück weiß ich ja, wo der Müllschlucker ist...)
Schluck, würg, ein kleines tapferes Lächeln...
Hanne schaut etwas pikiert ob meines entgleisenden Gesichtsausdruckes; Jürgen rettet die Situation und erklärt mit der Inbrunst eines eingefleischten Anglers, dass dies doch zwei Regenbogenforellen seien. Und die sind Anfang des Jahrhunderts von Nordamerika nach Europa gebracht worden. "Nicht geschwommen" - versuche ich die Kurve wieder zu kriegen. "Nein, nicht geschwommen, aber ganz was Feines und gestern erst frisch gezogen."
"A ja, aber - das wird euch jetzt ganz witzig vorkommen - ich hab noch nie in meinem Leben einen Fisch zubereitet!" Entgeisterte Blicke. Tja, so was soll's ja geben. Was mach ich nun mit den armen Kerlen, die Hanne so schön auf eine ovale Servierschale drapiert und mit Klarsichtfolie abgedeckt hat??? Eigentlich ganz appetitlich, denke ich ganz im geheimen und beginne, mich heran zu tasten. Also, meiner Tochter darf ich damit nicht kommen, für Mandy hört der Spaß bei Fischstäbchen auf. Und keinen Hering weiter. Früher brauchte ich nie Fisch zubereiten, weil ich mit einem Fischeiweißallergiker die Küche teilte. Hm, und nun? "Na ja, einen kannste ja einfrieren und den anderen brätst du dir" - höre ich Hanne sagen. Ich lächle inzwischen wieder unverkrampfter und erinnere mich der vielen Kochbücher in meinem Küchenregal. Und meine Mutti hat das schließlich auch immer gut
hingekriegt. Na, das wäre doch gelacht...
Ich bedanke mich artig für die nette Überraschung und trage meine Schätze nach nebenan. Hanne hatte noch einige 'Raffaelo' draufgelegt, als Fischfutter sozusagen. Fische - dachte ich mir - hat Mandy doch gerade in Biologie dran. "Hey Mausi, guck mal, was ich hier hab'..." Mit halbem Blick zum Fernsehgerät schaut sie auf dieses seltsame Arrangement und ruft: "Hm, Raffaelo!" Gefolgt von einem kräftigen: "Iiii, was ist das denn?!?" "Zwei Regenbogenforellen" sage ich tapfer, "ganz was Feines!" "Mensch Mama, die gucken ja noch! Und haben Zähne im Maul - iiii! Nee, so was ess’ ich nicht, niemals!"
Okay, 1:0 für mich, aber dann kam die Stunde der Wahrheit. Die Folie musste runter, denn einer sollte ja den Weg ins Gefrierfach antreten. Wirklich chic, dieser Regenbogenschimmer. Bloß: Der Kopf muss irgendwie ab vor'm Zubereiten - na gut, schnell weg mit diesem Gedanken bis es so weit ist. Vorsichtig einen in Folie gerollt und ab in den Tiefkühler mit kühnem Schwung. Buuuh! Folie wieder über den Teller und ab mit Nr. 2 ins Gemüsefach. So, jetzt wird erst mal eine Nacht über diesen Schreck geschlafen. Fische, bei mir, im Kühlschrank, fast lebendig! Unmöglich! Die gehören ins Aquarium oder in den Teich, na gut, oder ins Restaurant fix und fertig auf den Teller. Aber bei mir in der Pfanne... Aaach, wenn sie doch erst mal in der Pfanne wären...
Am nächsten Tag - mutterseelenallein mit einer Forelle und vielen guten Vorsätzen. Ich spreche mir Mut zu und lese bestimmt 10 mal das Kapitel über die Zubereitung von Fisch in meinem Lieblingskochbuch. Denn wenn ich was nachschlage, dann immer nur in diesem einen, obwohl da vielleicht 10 Bücher im Regal stehen. Egal, denn diese Seiten waren mir völlig neu. Ah, die Regenbogenforelle ist sogar mit einer Zeichnung abgebildet. Wie hübsch! Ich erfahre etwas von der 3S-Regel und befolge sie artig: säubern, säuern, salzen. Zuvor kam jedoch die Überwindungsaktion schlechthin. Richtig, die Sache mit dem Kopf. Fernsehreif für eine Komödie. Vorabendprogramm. Ich konnte dem Kerl nicht ins Auge schauen und habe meine Hand unter der Folie versteckt. Transparente Folie, aber egal. Schneid - knirsch - schneid - knirsch. Boh ey, da war er ab, der Kopf. Beim Schwanz und den Gräten ging es dann wesentlich besser.
Nun konnte mich nichts mehr halten. Ich panierte die Filets ordentlich in Ei und Semmelbrösel und ließ sie erleichtert in die heiße Kräuterbutter gleiten. Drei Kartoffeln dazu und nach kurzer Zeit dinierte ich auf's Feinste mein erstes eigenes Fischgericht. Mit Petersilie von Balkonien und einem großen Glas Mineralwasser dazu, denn Fisch will ja bekanntlich schwimmen. Lecker!!!
Später rief ich meine Mom an und fragte, wie sie so den Sonntag verbringt. Eigentlich wollte ich das nicht wirklich wissen, sondern voller Stolz von meinem schier unglaublichen Mittagsschmaus berichten. "Hm, lecker" hörte ich sie sagen, "da wäre ich gerne bei dir gewesen." "Ja schön, dann besuch mich doch mal, ich hab noch eine Forelle eingefroren. Die reicht für uns beide..."