Die Rente ist sicher
Die Rente ist sicher
Letztens, am vergangenen Sonntag, ich hatte gerade mein Frühstücksei verspeist, schlürfte genüsslich den Morgenkaffee und legte mir eine Scheibe Salami auf das Käsebrötchen, da lugte meine Frau über den Zeitungsrand ihrer Sonntagszeitung und meinte:
„Schatz, hast du dir schon mal was wegen der Rente überlegt? Die schreiben hier schon wieder, jeder müsse an die Zukunft denken!“
„Was für ne Zukunft?“, fragte ich mürrisch zurück. Meine Frau musste offensichtlich einen sehr seltsamen Artikel in ihrer Zeitung gelesen haben.
Mir fielen jedenfalls meistens nur die Berichte auf, in denen ausführlich das herannahende Ende der Welt beschrieben wurde.
So richtig schöne Horrorszenarien.
Neben der sowieso ins Haus stehenden Öl- und Energiekrise, kamen da, je nach Meinung der verschiedenen Wissenschaftsgurus, ja noch erfrieren oder verdursten in Betracht.
Außerdem konnte einem jeden Moment so ein Felsbrocken aus dem All auf den Kopf fallen und so jeder Form von Rente, ob privater oder generationenvertragter, überhaupt endgültig den Garaus machen.
„Mensch, natürlich unsere Zukunft, deine und meine.“, entgegnete sie.
Das war ja eine hochinteressante Überlegung. Wir hatten also, glaubte ich meiner Frau, trotz des unmittelbar bevorstehenden Ausbruchs des Supervulkans im Yellowstone National Park der USA, doch noch eine Zukunft.
Sogar eine gemeinsame!
An die man demzufolge dann natürlich auch noch denken müsste!
Immerhin eine mutige Voraussage, die einen bei den sonstigen in den Medien immer wieder beschriebenen Bedrohungen von Leib und Seele wie:
Vogelgrippe, Arbeitslosigkeit, Terroristen, Krebs, Altersdemenz, Gesundheitsreform, Gen-Mais und Oskar Lafontaine eigentlich richtig optimistisch stimmen könnte. Schließlich bekam man in einem Teil dieses schönen Landes ansonsten in letzter Zeit immer öfter den Eindruck, es wäre besser nicht groß über die Zukunft nachzudenken und am aller besten, keine eigene Vergangenheit zu besitzen. Wie ich jüngst erfahren habe, betrifft das nicht nur kleine, einfache Personen, sondern sogar unsere Bundeskanzlerin. Der wurde aus dem Westen nämlich auch schon mal vorbeugend vorgeworfen, sie sei in ihrer Schulzeit im Osten für die Gestaltung einer Wandzeitung verantwortlich gewesen.
Aber großer Gott!
Reichte es nicht, wenn ich mich fragte, was meine Frau wohl heute zum Mittag auf den Tisch bringt, anstatt wie ein Sternendeuter im Kaffeesatz lesen zu wollen, was mit der Rente ist?
Schließlich hatten uns für diesen Sonntag nach längerer Zeit unsere Kinder ihren Besuch angekündigt.
Apropos Kinder!
Das hat ja auch etwas mit Rente zu tun.
Und so überlegte ich ernsthaft, ob ich die Gelegenheit nutzen sollte, um unserem Nachwuchs am Mittagstisch eine besonders meiner Frau unter den Nägeln brennende Frage zu stellen:
„Wie ist es eigentlich, habt ihr eingeplant uns doch irgendwann einmal, in nächster Zeit, Oma und Opa werden zu lassen?“
Tatsächlich! So etwas wollte ich andiskutieren, denn immerhin sind sie nun schon 35 und eigentlich sollte man, unserer Meinung nach, seinen ersten Nachwuchs wenn möglich bereits vor dem Beginn des eigenen Rentenalters bekommen.
Aber, weil ich meine Kinder gut kannte, hatte ich auch keine Schwierigkeiten mir vorzustellen, mit welchen Argumenten sie mir begegnen würden:
„Kinder!? Wie denn Papa, wo wir gerade jetzt die ersten Stufen der Karriereleiter erklommen haben und bislang noch nicht einmal unser Bafög und die Studiengebühren zurückzahlen konnten.
Außerdem sollen wir doch gleichzeitig noch etwas für unsere spätere Rente zurücklegen und die ersten richtig teuren Zahnarztbesuche stehen auch bald an. Zugleich reicht unsere Geld nach den Anpassungen der Löhne an die Globalisierungserfordernisse schon jetzt kaum noch für die Miete und einen Urlaub!
Wovon bitte schön soll man sich da noch Kinder leisten?“ „Hoffentlich“, entgegne ich in so einer Diskussion immer, „ist es nicht irgendwann dann auf einmal überhaupt zu spät für eigene Kinder. Denn eins ist doch so sicher wie das Amen in der Kirche, billiger wird hier nichts mehr.“
Aber irgendwie haben sie doch auch Recht, was würde denn allein ökonomisch betrachtet geschehen, wenn sie sich jetzt wirklich ein Kind zulegten. Erst einmal müsste einer von ihnen für Betreuungsaufgaben zu Hause bleiben. Einerseits prima fürs Kind, andererseits im großen Ganzen gesehen, weniger toll für die Rentenkassen. Denn von den jetzt schon in völlig unzureichendem Maße vorhanden Einzahlern, fiel dann ja für einige Jahre noch einer aus!
Wahrscheinlich müssten sie sich sogar eine größere und daher auch teurere Wohnung suchen und dafür bei allen anderen Ausgaben sparen. Kinobesuch, Disko- und Gaststättenaufenthalte wären also für lange Zeit gestrichen. Schnell wird ersichtlich, dass ihre Entscheidung für ein Kind sofort eine gewaltige negative Spirale des Arbeitsplatzabbaus, mit all seinen gefährlichen Folgen für die Rente, in Bewegung setzen würde.
Da stellt sich einem doch unwillkürlich die Frage, sind die wenigen Eltern in diesem Land, mit ihrer unverständlichen Konsumverweigerung, vielleicht letztlich Schuld am Abbau von Jobs? Gefährden sie am Ende die Rente viel stärker als die dynamischen Singles, die viel Geld verdienen und mit jedem trockenen Martini, den sie sich an einer Bar hinter die Binde kippen, die Gesellschaft überhaupt am Laufen halten?
„Wir haben gar keine Aktien!“, unterbrach meine Frau die genialen Überlegungen meinerseits.
„Hier steht, die Säule einer jeden guten Altersvorsorge sind Aktien.“, las sie aus ihrer Zeitung vor.
„Steht da auch für wessen Altersvorsorge der Erwerb von Aktien eine gute Sache ist?“,
erwiderte ich trocken.
Ich konnte mich noch sehr gut an den Tag erinnern als einer meiner Kollegen sein, für ein kleines Häuschen zusammengespartes Geld, am so genannten neuen Markt verzockt hatte. Schon nach der ersten anschließend gemeinsam geleerten Flasche Wodka wollte der, obwohl er eigentlich seit der Wende immer FDP gewählt hatte, sogar die Mauer wieder haben!
Ich ärgerte mich, denn eben war ich dabei gewesen einen grandiosen Gedanken zu entwickeln. Seine Weiterführung hätte vielleicht die Lösung der demographischen und wirtschaftlichen Probleme Deutschlands ermöglicht. Da musste mich meine Frau mit diesem Aktienblödsinn unterbrechen! Jetzt fiel mir natürlich nichts Vernünftiges mehr zu dem von ihr aufgeworfenen Rentenproblem ein.
Ein letzter Gedanke meiner umwerfenden Theorie blitzte, dann völlig überraschend allerdings doch noch für den Bruchteil einer Sekunde erneut in meinem Hirn auf:
„Wenn man von jeder Maschine, die einen Arbeitsplatz ersetzt, einen monatlichen Beitrag zur Rente verlangen würde, wäre da nicht die absolute Zahl der zukünftigen menschlichen Beitragszahler zu vernachlässigen?
Ja, könnte man bei dem voraussichtlichen Einsatz weiterer Maschinen nicht vielleicht sogar die Rente für alle ständig erhöhen und die Arbeitszeit der Mitarbeiter in den Firmen, weil die Anlagen ja in derselben Zeit bedeutend mehr Güter herstellten als zuvor, gleichzeitig senken?“
Aber einen solch unsinnigen Gedanke konnte man natürlich keinem erzählen, wenn man nicht schon wieder einmal als Bürger riskieren wollte, in einer staatlichen Beobachtungsakte zu landen. Was neuerdings selbst Abgeordneten des Bundestages passiert sein soll.
Also begann ich stattdessen meiner Frau vorzurechnen, was nach 30 Jahren vom Sparstrumpf ihrer Großmutter in Köln, bei Berücksichtigung einer jährlichen Inflationsrate von nur 2 Prozent, übrig geblieben war:
„Damals vor Jahren, hätte die Oma von dem Geld eine schöne Reise nach Italien unternehmen können!“ versuchte ich darzulegen.
„Heute jedoch reicht die zurückgelegte Summe gerade noch für einen Ausflug in den Spreewald!“
Nichts gegen den Spreewald, immerhin gibt es da außer Mücken auch jede Menge schmackhafte saure Gurken und die machen einen, glaubt man dem Volksmund, nach drei Tagen sogar lustig.
Und wer ist nicht gerne mal fröhlich?
Selbst Politiker zeigen doch manchmal ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Frohsinn.
Und so richtig heiter soll es dann ja auch in der Bundesregierung zugegangen sein als drei Tage nach der, Verkündung einer weiteren Erhöhung des Renteneintrittsalters klar wurde, dass die Bevölkerung weiter die Schnauze halten würde. Auch wenn die meisten Bürgern ziemlich sauer waren, drohte damals dennoch niemand mit Generalstreik und keine Menschenmassen zogen wie in Frankreich protestierend durch die Städte.
Durchhalten bis zum Endsieg und Gefolgschaft bis in die Rente (wann immer es die dann wohl gibt) ist offensichtlich die herausragende Eigenschaft des deutschen Michels.
Aber wo Frohsinn herrscht, folgt bekanntlich meistens auch bald Katzenjammer und so geschah es auch in der Bundesregierung.
Am vierten Tag nach dieser nicht zu überbietenden Sozialakrobatik, hat sich plötzlich einer der Politiker an den Kopf gegriffen und laut erklärt:
„Mensch, wir Blödmänner! Wenn wir bloß gewusst hätten, dass sich keine Sau für diese Maßnahme interessiert!
Da wäre es doch ohne weiteres möglich gewesen, gleich die Rente ab 78 einzuführen. Das ganze lästige Problem hätten wir dann ein für alle mal vom Tisch gehabt!“
Doch diese Chance wurde, wie so manch andere auch, offensichtlich von der Regierung vertan.
So spielt eben das Leben.
Apropos Leben!
In den Großstädten soll es ja immer gefährlicher werden. Ich habe gehört die Überfälle nehmen weiter zu. Doch in der Zeitung steht, die Polizei hilft den Bürgern auch immer besser.
Nein, die nehmen nicht mehr Kriminelle fest, aber sie geben einem viel mehr wertvolle Hinweise als früher.
Zum Beispiel bekommt man Anweisungen, wie man sich bei einem Raubüberfall richtig zu verhalten hat.
Da soll man als Opfer vor allem Ruhe bewahren und sich ja nicht wehren, damit einem nicht noch Schlimmeres passiert.
Vielleicht haben sich so etwas ja auch die Gewerkschaften gedacht. Ich meine, als sie auf die Minderung der Rentenanspruchszeit ihrer Mitglieder so auffällig zurückhaltend reagierten. Aber ich frage Sie ernsthaft, wie würden Sie sich verhalten, wenn Ihnen jemand auf offener Straße sagen wir mal 10000 Euro abnimmt?
Würden Sie nicht wenigstens:
“Hilfe haltet den Dieb!“,
rufen und den Vorfall anzeigen?
Und wie könnte man denjenigen bezeichnen, der den Versuch macht Ihren Kindern die entsprechende Summe abzunehmen, indem er die arme alte Oma als Geisel nimmt?
Stellen Sie sich vor, Herr Jauch würde Ihnen diese Frage in seiner Sendung stellen und folgende Begriffe ständen für die Antwort zur Auswahl:
A: ein Verbrecher ,
B: ein Schurke,
C: ein Gangster oder
D: ein Regierungspolitiker.
Welche Antwort wäre richtig?
Haben Sie es?
Vielleicht möchten Sie für die richtige Antwort ja noch den Publikumsjoker einsetzen?
Oder benötigen Sie doch nur eine Werbeunterbrechung?
Ich sah zu meiner Frau hinüber. Sie war seltsam still geworden. Nachdem sie aus ihrer Tasse einen großen Schluck Kaffee getrunken hatte, blätterte sie intensiv weiter in ihrer Zeitung und dozierte dann plötzlich mit einem vernichtenden Blick:
„Was aber ist mit Immobilienfonds?
Kann man mit denen nicht prima für die eigene Rente vorsorgen? Häuser können doch wohl nicht an Wert verlieren!“
Das war wirklich ein richtiger Überraschungsangriff!
Weil ich gerade erneut von meinem Käse-Wurst-Brötchen abgebissen hatte, verschluckte ich mich beinahe bei meiner Erwiderung:
„So, so! Häuser verlieren also ihren Wert nicht. Warum reißt man dann deiner Meinung nach so viele Wohnungen in Ostdeutschland ab?
Und wieso sind ganze Wohnungsgesellschaften und Unternehmen schon in Konkurs gegangen?“
Jetzt fiel meiner Frau, selbst unter zur Hilfenahme ihres Wurstblattes, offenbar nichts Rechtes mehr ein.
Weil ich aber bemerkte, wie ernst sie die ganze Angelegenheit nahm, sah ich mich genötigt, zartfühlend wie ich bin, mit einem konstruktiv optimistischen Beitrag ihre Stimmung wieder etwas aufzuheitern. Schließlich war doch Sonntag und die Sonne lachte ins Fenster.
Da sollte man keinen so trübsinnigen Gedanken Raum geben.
„Weißt du Schatz!“
, begann ich,
„So schlimm kann das alles mit der Geldentwertung und den Rentenkürzungen auch wieder nicht werden.
Bis wir mal Rente bekommen, ist nämlich die Zivilisation in Mitteleuropa mit Sicherheit wegen einer Klimakatastrophe, der Vogelgrippe, einer Inflation oder einfach wegen der Unfähigkeit der Regierungen und der Geldgier der Unternehmer zusammengebrochen.
Dann wird auch die Wirtschaft auf die Stufe des Tauschhandels zurückfallen!“
„Das soll mich jetzt wohl aufmuntern?“
, entgegnete meine Frau mit zweifelnder Stimme.
Und irgendwie sah sie dabei gar nicht so fröhlich aus. Jedenfalls nicht so, wie das in Ehren ergraute Ehepaar, in der Geldanlagenwerbung der Deutschen Bank, wenn es mit seiner Millionenjacht auf türkisblauem Meer dem Sonnenuntergang entgegenfährt.
„Ja klar, muss dich das erfreuen! Weißt du auch warum?“, trumpfte ich auf:
„Weil mit Tauschhandel kennt sich doch in Deutschland keiner mehr aus.
Nur wir alten Ossis haben noch eine Ahnung davon wie das funktioniert!
Deshalb wird man uns dann dringend brauchen - als Berater im Westen!
Da haben wir dann überhaupt keine Zeit mehr an die Rente zu denken!“
Irgendwie hatte ich meine Frau wohl nicht überzeugen können, denn sie sah ungeachtet meiner Ausführungen weiter missmutig von ihrem Platz zu mir herüber.
Bestimmt stellte sie sich in diesem Moment gerade vor, dass ich bei meiner zukünftigen wochenlangen Tätigkeit in den Altbundesländern unweigerlich kaum noch Zeit finden würde nach Hause zu kommen.
Eigentlich war ich mir hundertprozentig sicher, dass allein diese Überlegung die Ursache dafür sein konnte, dass sie sich, trotz der dann doch bestimmt reichlich fließenden Trennungsgeldendschädigung, immer noch Sorgen machte.
Oder sollte es die für Ossis dann etwa nicht geben?