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Die Rente
Die schillernd grüne Eidechse flitzte durch die Ritzen und Spalten des sonnenwarmen Steines und verschwand in einer kleinen Höhle unter der Mauer. Gelangweilt fuhr Siv ihren Weg mit einem Finger nach, an dem ein grüner Stein wie ein eingefrorener Tropfen in einem Goldring prangte.
Geschlagene drei Stunden wartete sie jetzt schon auf Darnor, während die Sonne immer höher stieg und ihr langsam Schweißperlen ins Gesicht trieb.
Nachlässig wischte sie sich mit dem Ärmel über das Gesicht und starrte in den wolkenlosen Himmel.
Sie hätte sich niemals auf diese bescheuerte Geschichte einlassen sollen. Ihr Maul nicht so weit aufreißen sollen. Sie hätte wissen müssen, dass Darnor unzuverlässig war. Sie hätte es sich denken können, als er am vorigen Abend so geheimnistuerisch verschwunden war.
Hätte, hätte, hätte. Jetzt war es zu spät.
Energisch stand Siv auf und streckte sich. Genug gewartet. "Dann muss ich mein Schicksal eben selbst in die Hand nehmen." brummte sie, schulterte ihr schmales Bündel und lenkte ihre Schritte auf den engen Pfad, der sich zwischen den Felsenbrocken entlang schlängelte.
Nach etwa zwei Meilen würde er hinter einem Wasserfall hindurch führen, und dann nach einer Gruppe grauer Erlen steil ansteigen, bis er sich auf der Ebene des Hochplateaus im staubigen roten Grund verlieren würde. So zumindest hatte Darnor den Weg beschrieben. „Und der ist offensichtlich nicht die zuverlässigste Quelle!“ dachte Siv erbost.
Sie so zu verraten, nachdem er sie dermaßen gelockt hatte! „Unvorstellbare Schätze, Mädchen, Gold und Silber soweit das Auge reicht! Schließlich opfern die braven Bürger von Hjölm ja jeden Vollmond den siebten Teil ihrer Einnahmen, und das schon seit Jahrzehnten!“ Der dickliche, glatzköpfige Bäcker hatte sie mit glitzernden Äuglein angesehen, die Stirn gerunzelt in Erwartung ihrer Antwort.
Siv hatte gezögert, denn obwohl der Wein in der Schenke ihren Verstand benebelt hatte, war sie doch noch nicht bereit gewesen, sich auf ein solches Abenteuer ein zu lassen. „Du wärst reich, Kind, und, mit Verlaub: eine so tapfere und gewandte Kriegerin wie du....“ hatte der Alte nachgelegt. „Meint Ihr?“ hatte Siv argwöhnisch gefragt, und doch gefühlt, wie die Schmeichelei sie wärmte.
Zusammen mit dem verfluchten Wein, dachte sie mürrisch, als sie jetzt den Wasserfall erreichte und vorsorglich ihre Feldflasche wieder auffüllte. Sie hatte heute Morgen einfach unerträglichen Durst gehabt, und sogar jetzt noch schmerzte ihr Kopf erbärmlich.
Obwohl sie am Abend in der Schenke, angefeuert durch den Bäcker, irgendwann angefangen hatte mit ihren Heldentaten anzugeben, hatte sie selbstverständlich nie die Absicht gehabt, die kleine Stadt Hjölm tatsächlich von ihrem Fluch zu befreien und sich den Schatz unter den Nagel zu reißen.
Aber als sie in der Früh die Augen aufgeschlagen hatte, war schon der Bürgermeister an ihrem Bett gestanden und hatte ihr unter Tränen gedankt. "Der Bäcker hat mir zugetragen, du hättest dich bereit erklärt, die Bestie zu besiegen", hatte er mit vor Rührung zitterndem Kinn gestammelt. Und da wäre er aber froh, hatte er erklärt, denn unter diesen Umständen könnte man natürlich darüber hinweg sehen, dass sie die Zeche geprellt und Gold aus dem Beutel des Wirts gestohlen hatte und deshalb eigentlich längst im Kerker schmachten sollte. Um auf ihre Hinrichtung auf dem Schafott zu warten, hatte der Bürgermeister freundlich hinzugefügt, als Siv ihm entschlossen die Hände zur sofortigen Verhaftung gereicht hatte.
Darnor würde sie führen, sagte man ihr, er erwarte sie oben an der kleinen Lichtung, von der aus man die Stadt so schön im Blick hatte.
Und jetzt befand sie sich also auf dem Weg zu den Drachenhöhen.
Vielleicht würde sie den Drachen ja besiegen können: Noch vor zehn Jahren war sie eine ausgezeichnete Kriegerin gewesen. Aber dann war der Krieg vorbei gewesen, und sie war überflüssig geworden. Für ehemalige Söldnerinnen jenseits der Blüte ihrer Jahre gab es keine Zukunft. Und keine Rente. Siv seufzte resigniert.
Taumelnd begann sie den Anstieg hinauf auf das Drachenplateau. Die sengende Hitze setzte ihr arg zu, und das Blut rauschte in ihren Ohren. Sie hielt einen Moment inne um Atem zu schöpfen, als sie ein Grollen bemerkte. Es war schwach, kaum mehr als ein Zittern unter ihren Sohlen und ein unbestimmtes Summen in der Luft, stieg aber immer weiter an, bis es sich zu einem Donnern erhob, das die Erde erbeben ließ.
Siv versuchte ihr Gleichgewicht zu halten und gleichzeitig ihr Schwert aus der Scheide zu ziehen. Angespannt blickte sie den Pfad hinauf. Aber was auch immer da oben sein Unwesen trieb, war ihren Blicken durch den steilen Abhang des Hochplateaus verborgen. Als das Grollen verebbt war, setzte die ehemalige Kriegerin ihren Weg mit zitternden Knien fort.
Keuchend erreichte sie den Rand der Hochebene gerade in dem Moment, als hinter einem der verstreut liegenden roten Felsen ein zorniges Fauchen aufstieg. Siv schluckte und packte den Griff ihres Schwertes fester. Sie versuchte den Schweiß zu ignorieren, der ihr brennend in die Augen lief und die Sicht nahm. Schritt für Schritt näherte sie sich dem Felsen.
Ein weiteres dröhnendes Grollen brachte sie zu Fall und ließ kleinere Steine von dem Felsen bröckeln. Rauch stieg auf und brannte in Sivs Augen. Das Schwert lag unnütz einige Schritte von ihr entfernt.
Entsetzt rappelte sie sich auf und wollte sich zur Flucht wenden, als unter erneutem Donnern der Felsen brach, und dahinter das greuliche Ungeheuer sichtbar wurde. Siv starrte.
„Darnor!“ hauchte sie verdattert. Der dickliche Mann nickte verlegen und zeigte auf sein grünschuppiges linkes Bein.
„Kannst du mir helfen? Ich hab mir den Fuß...die Tatze eingeklemmt, und deshalb kann ich mich nicht ganz verwandeln. Wie tollpatschig von mir!“ , erklärte er bis über seine Glatze errötend. „Das hat mich so wütend gemacht. Ich wollte dich nicht erschrecken.“
„Aber... ich meine.. äh, wo ist denn der Drache?“ Sivs Gedanken hatten sich heillos verknotet.
„...ichbinderDrache...“ grummelte Darnor schüchtern. „Wie war das?“ „Ich sagte: Ich bin der Drache. Hilfst du mir jetzt bitte?“
„Du?" Siv fühlte ein hysterisches Kichern in sich aufsteigen.
"Entschuldige bitte, aber du siehst gar nicht aus wie ein Drache. Außerdem bist du der Bäcker.“ platzte es aus ihr heraus. Dann schlug sie beschämt die Hände vor den Mund. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie gerade etwas ziemlich Blödes gesagt hatte. Vielleicht konnte man ja beides sein?
Zerstreut kam sie seiner Aufforderung nach und zog an dem Drachenbein, bis es sich mit einem leisen Plopp aus der Felsspalte löste, in der es festgesteckt hatte. Darnor dankte ihr feierlich. „Ich weiß, das muss alles sehr seltsam auf dich wirken“, fügte er verständnisvoll hinzu. Dann schüttelte er hilflos den Kopf. „Ich muss zugeben, manchmal verwirrt es mich ja selbst ein bisschen. Aber weißt du, die Leute in der Stadt verlieren ihre Angst vor mir, also dem Drachen, weil noch nie jemand von ihm getötet worden ist, und jetzt wollen sie die Opfergaben einstellen und mich jagen. Das ist aber meine wichtigste Einnahmequelle, denn, um der Wahrheit die Ehre zu geben, meine Brötchen schmecken ziemlich scheusslich. Als menschlicher Bäcker würde ich nicht überleben! Und wie stünde ich denn dann da: Als Drache ohne Schatz!
Da habe ich mir gedacht, wenn der Drache, also ich, jemanden töten würde...“ Siv zuckte zusammen, als ihr klar wurde, dass sie den Drachen gerade befreit hatte und ihm jetzt schutzlos ausgeliefert war.
„Aber nein!“ rief Darnor entsetzt, und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, „Nein! Wo denkst du denn hin! Ich würde nie jemanden töten! Wie abscheulich! Ich dachte eigentlich an eine List: Wenn du deine Kleider ausziehen würdest, und in das Blut in dem Eimer dort tränken würdest, dann würde ich als Bäcker die Fetzen mitnehmen und den Bürgern von Hjölm sagen, du wärest leider getötet worden. Dann würden sie mich wieder fürchten. Du bekommst dafür einen Teil von meinem Schatz. Und was Neues zum Anziehen. Das würde mir zumindest einen Aufschub verschaffen." Flehend blickte der Bäcker die Kriegerin an.
Siv nickte benommen. Ihre Gedanken rasten. Dann grinste sie. „Ich hätte da so eine Idee, da wäre uns beiden auf lange Sicht geholfen. Hör zu...“
Wenige Monate später betrat eine vermummte Gestalt die Kirche von Hjölm gerade, als das Endgebet des Gottesdienstes angestimmt wurde. Verschiedene Amulette baumelten von ihrem muskulösen Hals, und Drachenhaut zierte den Helm der Kriegerin. „Ich höre, ihr habt hier ein Problem mit einem Drachen?“ Einen Moment lang lag ihr Blick schelmisch auf der Gestalt des Bäckers. An ihrem Finger blitzte ein grüner Stein auf wie ein eingefrorener Tropfen. Dann liess sie sich von den aufgeregten Bürgern zum Bürgermeister führen.
Der Bäcker nickte zufrieden.
Bevor die Gestalt in Richtung der Drachenhöhe davon stapfte, murmelte er dankbar: „Bis zum nächsten Mal, Siv.“