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Die Revolution des netten Mannes
Wir.
Wir sind der singende, tanzende Abschaum des Nachtlebens. Wir sind genau das, was alle sich angeblich wünschen, aber niemand wirklich will. Wir reduzieren Frauen nicht auf das Äußere, behandeln sie nicht wie ein Stück Fleisch. Wir sind die netten Männer mit Stil, Charakter und Humor, die sympathischen Kerle von Nebenan, die immer da sind, wenn man sie braucht, aber niemals für mehr in Betracht kommen.
Wir sind der ungeliebte Querast der Evolution. Wir werden niemals eine Chance bekommen, uns fortzupflanzen. Wir werden niemals erfahren, wie es ist, wenn aus einem Ich ein Wir wird.
Wir sind nicht allein.
Wir sind eine Armee.
(Karl Tünker - "Die Revolution des netten Mannes")
Ja, ich werde sterben. Hat er gesagt. Genau hier, in genau diesem Moment, in genau dieser dreckigen Gasse. Es wird mein letzter Moment sein und ich weiß, dass ich ihn genießen werde. Ich bin gespannt. Man sagt, das komplette Leben würde an einem vorbeiziehen, wenn man dem Tod ins Auge blickt. Das Gehirn würde aus den wichtigsten Sequenzen einen Film schneiden und ihn kurz vor dem letzten Vorhang aufführen, während die Realität eine Pause einlegt und sich mit Popcorn und Cola auf den Sitz neben einem fallen lässt.
Die Leinwand ist das Leben, der Soundtrack ist ein Schmerzensschrei der Seele und der Abspann ist bereits geschrieben.
Klingt gut, oder?
...
"Hier, nich schummeln!"
"Maul."
"Ey, hör doch mal auf, hier immer gleich so rumzustänkern."
"Ich schummel nicht."
"Ach? Und warum gewinnst du dauernd?"
"Du hast es einfach nicht drauf. Ich nehm drei."
Irgendwann vor vier Monaten oder so. Günne, Pockenhelge und ich in der nach Altöl stinkenden Garage von Günnes großer Schwester.
Die hat vor ein paar Jahren den Siggi geheiratet und heißt jetzt nicht nur Traber mit Nachnamen, sondern hat auch schon zweimal geworfen. Günne selbst hats ja nicht so mit dem Heiraten. Also, er hätte schon, aber da es ihm an der erforderlichen Frau fehlt und alleine Heiraten irgendwie auch nicht so das Wahre ist, hat ers gelassen. Stattdessen hockt er den ganzen Tag in der Garage und schraubt an seiner Karre rum. Ein alter verbeulter Ford irgendwas, der nur deshalb noch nicht in seine Einzelteile zerfallen ist, weil Günne gut mit Tesafilm umgehen kann.
Pockenhelge hat noch nie in seinem Leben ans Heiraten gedacht. Die Frauen, die er kennt, sind meistens zweidimensional und bestehen aus Druckerschwärze. Fiese Akne seit der Pubertät, dazu eine totale Affinität zu dunklen Räumen und seine natürliche Abneigung gegenüber allem, was im Entferntesten mit frischer Luft zu tun hat, haben jeweils einen guten Teil dazu beigetragen, dass sein Gesicht in Form und Farbgebung mehr dem Mond ähnelt als, sagen wir mal, George Clooney. Das ist hart, aber, scheiße noch eins, das Leben ist halt so.
Ich würde inzwischen wohl so ziemlich alles heiraten, was zwei Beine und ebensoviele Brüste hat, aber aus irgendeinem Grund werde ich in genau den Momenten transparent, in denen eine Frau zufällig in meine Richtung blicken könnte. Es gibt viele Leute, die so lange alleine sind, dass es ihnen wie zehn Jahre vorkommt. Richtig übel wirds aber erst, wenn aus den gefühlten Jahren langsam tatsächliche werden.
Ich nehme also drei. Günne eine.
"Drilling! Ha!" Er grinst und schiebt seine Chips in die Tischmitte. "Hier, All in und so."
"Günne, ich sags ungern, wirklich, aber das mit dem Bluffen, das üben wir besser noch mal."
"Wieso?"
"Man sagt erst ganz am Schluss, was man hat."
"Ich bin raus, ne." Pockenhelge schmeißt und geht hinters Haus, pinkeln. Weil es in Günnes Garage kein Klo gibt und man dazu nach draußen muss, wartet er damit immer, bis es dunkel ist.
"Hier, Hosen runter", ruft Günne ekstatisch und zeigt seine Karten. Drei Achten, tatsächlich. Er will gerade nach dem Pott greifen, da zeige ich ihm meine beiden Damen und die drei Könige. Eine Verteilung fast wie im wahren Leben.
"So, der ist wohl mir."
Irgendwie schon ein bisschen langweilig, oder? Ich meine, ich fand mein Leben ja schon fad, als ich es gelebt habe, aber jetzt so rückblickend fällt mir auf, dass es tatsächlich keine großen Höhepunkte hatte.
Ich bin kurz davor, den Löffel abzugeben und alles, an was ich mich erinnere, ist so ein bekacktes Pokerspiel. Mal im Ernst, das ist deprimierend.
...
"Weißt du, was mich manchmal an euch Frauen echt irritiert?"
"Unsere Intelligenz? Oder unsere generelle Überlegenheit dir gegenüber?"
"Ja. Nee. Auch. Also, außerdem. Ihr sagt immer, dass ihr nen netten Kerl sucht, der euch zum Lachen bringt, ehrlich ist, treu und so. Euch nicht verarscht und gut behandelt, intelligent, romantisch. Weißt schon, die ganze Palette halt."
"Stimmt ja auch. Und?"
"Naja, hab ich, bin ich, mach ich, kann ich. Alles. Und trotzdem denken Frauen nie an mich, wenn sie sowas sagen. Ich bin der lebende Beweis, dass ihr Lügner seid."
Eine Parkbank, knapp vor einem halben Jahr, irgendwann im Herbst. Eine dieser Nächte, die so verflucht kalt sind, dass man sich fragt, ob man sich nicht auf dem Weg zur Kneipe verlaufen hat und in Sibirien gelandet ist, die aber gleichzeitig so verflucht schön sind, dass man nicht eher nach Hause gehen will, bevor die Sonne nicht mit den Sternen Pacman gespielt hat. Okay, mieser Vergleich, aber hey, ich bin kurz vorm Sterben und hab nicht mehr soviel Zeit.
Das kleine Häufchen Elend, das da von der Nacht ausgekotzt auf der linken Seite der Bank zusammengekauert rumlümmelt und sich mit dem Rücken an die metallische Seitenlehne lehnt, das bin ich. Karl Tünker. Und das auf der anderen Seite ist Nathalie.
Kurze Rückblende. Tschuldigung, ist wohl ziemlich chaotisch, mein Film, aber ich kanns nicht ändern. Anderthalb Jahre vorher, gleiche Bank, gleiche Personalie, ähnliche Körperhaltung, anderer Grund. Zuvor waren wir im Kino, Pearl Harbour, einfach nur so. Blöder Film, aber schöner Abend. Wie immer mit Nathalie.
"Du, Nathalie... wir kennen uns jetzt ja schon ne ganze Weile... ich meine..."
"Ja?"
"Also, wir sind ja inzwischen Freunde und so. Aber da gibt es etwas, was ich dir sagen muss. Schon länger."
"Oh nein... bitte nicht..." Diesen Ausdruck in Nathalies Gesicht habe ich noch nie gesehen.
"Ich... oh, Mann, das ist echt schwer, wenn man es ernst meint... ich hab keine Ahnung, wie ich das sagen soll."
"Dann sag es einfach nicht. Es würde alles kaputtmachen. Wir beide kennen deine Frage und ich möchte sie nicht beantworten."
"Oh... verstehe..."
"Hör mal, Karl, du bist wirklich
Das große Wörterbuch der Dinge, die Frauen sagen und der Dinge, die sie meinen, wenn sie die Dinge sagen, die sie nicht so meinen, wie sie sie sagen:
- "Du bist ein netter Kerl, wir können Freunde bleiben"
Ich habe nicht das geringste Interesse an dir.
- "Ich bin sicher, dass du irgendwann eine Frau finden wirst"
Ich habe nicht das geringste Interesse an dir, werde diese eine Frau also ganz sicher nicht sein.
- "Du bist ein echter Freund."
Ich habe nicht das geringste Interesse an dir und das wird sich niemals ändern.
ein netter Kerl. Und ich möchte unsere Freundschaft nicht mit so etwas aufs Spiel setzen."
"So etwas?"
"Na, du weißt schon. Es würde alles verändern und niemals wieder so werden, wie jetzt. Wir könnten nie wieder so wie jetzt einfach nur hier sitzen und über schlechte Filme lachen. Verstehst du? Ich mag dich und es soll so bleiben."
Zurück ins Jetzt. Also, nicht ins Jetzt, denn da würde nicht mehr viel kommen, sondern zurück in das Jetzt vor einem halben Jahr. Herbstabend, Parkbank und so. Man kann über Nathalie vielleicht auch Schlechtes behaupten, aber eine Lügnerin ist sie nicht. Ihr ist unsere Freundschaft wichtig. Eine Frau, die zwar kein Interesse an mir hat, aber immer für mich da ist, wenn ich mal wieder am Boden bin, weil irgendeine Frau mal wieder kein Interesse an mir hat.
Und deshalb können wir an diesem Abend auch einfach nur so auf der Bank sitzen und ich ihr von Rita erzählen.
"Rita? War das nicht die eine vom Spar?"
"Ja, die Blonde an der Kasse. Weißt schon, die mich so angelächelt hat." Ich bin öfter mal mit Nathalie einkaufen gewesen. Warum auch nicht? Danach sind wir zu ihr, was kochen und dann so lange labern, bis ich irgendwann auf dem Sofa eingepennt bin.
Rita hab ich natürlich nie angesprochen. Sowas gehört zu den Dingen, die ich einfach nicht fertig bringe. Mein Kumpel Ulf hat mir schon oft gesagt, dass... nee, das ist ein anderes Kapitel. Kommt vielleicht noch, mal sehen. Also, irgendwann hat Rita mich dann angesprochen. Warum ich in letzter Zeit öfter ohne meine Freundin einkaufen gegangen wäre. Es würde sie natürlich nichts angehen, aber sie hätte es halt mitbekommen.
"Warte mal", unterbricht Nathalie. "Die hat echt gedacht, wir beide..."
"Ja, sieht so aus. Kaum zu glauben, oder?" Ich hab die Sache dann klargestellt und Rita auf nen Kaffee eingeladen. War nett, auch die beiden Male, als wir Essen waren. Naja, und dann kams. Der nette Kellner mit dem Soßenfleck am Revers hat gerade den Nachtisch abgedeckt, als Rita auf einmal ernst wurde.
"Willst du wissen, was sie mir gesagt hat? Willst du das wissen?" Ich sehe Nathalie in die Augen und weiß, dass sie es nicht wissen will. Aber ich sags ihr trotzdem. "Sie würde einen Mann suchen, der mit ihr auf einer Welle liegt, ihr zeigt, dass sie die wichtigste Person auf der Welt wäre und so. Einen Mann mit Humor und Stil, keinen Macho, sondern einen Mann zum Altwerden. Naja, und dann hat sie noch gesagt, dass es ihr Leid tut, aber es einfach nicht gefunkt hat."
"Scheiße... Das tut mir echt Leid."
"Ja, ich weiß"
"Weißt du, was dein Problem ist? Du bist zu gut."
"Zu gut?"
"Ja. Du bist einfach ein zu guter Kerl."
An diesem Abend habe ich die ersten Zeilen des Manifests geschrieben.
...
"Freunde, so kanns nicht weitergehen", sage ich und stehe auf. Ein wenig schwankend, denn der Abend war lang und feucht, aber ich stehe.
"Was denn? Du hast doch gewonnen. Mit deinem scheiß Full House hier."
"Günne, du hast keine Ahnung, worum es geht."
"Nee, woher auch. Hast ja noch nix gesagt."
"Ja... ja, du hast Recht. Aber ich möchte warten, bis Helge vom Pissen zurück ist."
"Wie du willst. Sieht aber albern aus, wie du da jetzt so rumstehst."
"Das ist zur Steigerung des Moments."
"Welcher Moment?"
"Ja, gleich, wenn Helge da ist. Wart nur ab."
"Okay. Aber, wenn du eh gerade stehst, kannst du vielleicht Bier ausm Kühlschrank holen?"
"Ich glaube, du verkennst den Ernst der Lage."
"Karl, wir kennen uns jetzt seit wie lange?"
"Aber hallo!"
"Eben. Wir kennen uns seit Ewig, aber so müsseri... mysteriös kenn ich dich gar nicht."
"Dann wird’s Zeit." Habe ich erwähnt, dass Helge zum Pinkeln immer bis nachts wartet? Ja, hab ich. Vielleicht hätte ich noch sagen sollen, dass er dazu immer grob zwanzig Minuten braucht, weil er erstens unseren Busch im Dunkeln nie findet und zweitens ewig braucht, bis er sicher ist, dass keiner zuguckt. Ich glaube, damit ist Helge einer der Hauptschuldigen an den Ereignissen, die Inspiration sozusagen. "Verdammt, wo bleibt der Bengel?"
"Pissen."
"Ich weiß, wo er ist, ich frage mich und zum Teil ja auch dich, also sozusagen uns beide, warum das so lange dauert."
"Woher soll ich das wissen?" Meine Güte, mein Leben muss echt total unspektakulär gewesen sein, wenn mein Film sich soviel Zeit an dieser Stelle lassen kann. Vielleicht sollte ich nach oben gehen und dem Kerl, der die Rollen wechselt, mal sagen, dass er spulen soll. Ich meine, immerhin ist das mein Film, ich bin der Chef im Kopfkino.
"Freunde, was ist denn hier los? Warum stehst du?"
"Der Karl will uns was sagen. Was Wichtiges."
"Oha. Haben wir kein Bier mehr?"
"Halt die Klappe und setz dich", blaffe ich Helge an. Lauter, als beabsichtigt vielleicht. Er setzt sich und ich kann endlich loslegen. Wird auch Zeit. "Also, es kann so nicht weitergehen."
"Weiß ich. Hast du schon gesagt", feixt Günne, von dem ich davor nichtmal wusste, dass er das überhaupt kann.
"Ich meine, wir verbringen unsere Wochenenden damit, hier in dieser vergammelten Garage zu pokern."
"Ey, noch ein Wort gegen meine Garage und... ja, schon gut."
"Das kanns doch nicht sein! Ich meine, Helge, wann hast du das letzte Mal mit ner Frau gesprochen? Mal ehrlich."
"Das ist gar nicht so lange her... lass mich überlegen..."
"Siehst du? Und du, Günne? Wie siehts aus? Deine Schwester zählt nich."
"Weiß nicht... letzte Woche?"
"Eben. Freunde, das kanns doch nicht sein. Also, wie gesagt. Ich meine, wir können doch nicht ewig hier rumsitzen und darauf warten, dass unsere Traumfrau durch die Tür kommt. Wir können nicht erwarten, dass sie uns suchen. Wir müssen etwas tun, wir müssen handeln! Es liegt an uns."
"Du willst Weiber aufreißen gehen?"
"Nein. Nein, das hat keinen Sinn. Sie würden uns nicht mal ansehen, denn wir haben ein Problem. Wir drei und tausende andere Männer auf der Welt. Millionen andere Männer. Unser Problem ist das hier!"
"Dein altes Diktatheft?"
"Schlag es auf und lies." Ich warf Günne mein Heft auf den Schoß. Das Manifest, zwanzig Seiten handgeschrieben. Nicht viel Text, aber viel Wahres.
"'Wir sind der singende, tanzende Abschaum des Nachtlebens'? Was heißt das?"
"Das ist nur die Einleitung. Lies weiter. Dann wirst du verstehen."
Er las weiter. Und er verstand.
...
"Weißte, was dein Problem ist, Kalle?"
Oh ja, da ist er ja endlich. Ulf. Einer meiner ältesten und besten Freunde. Kaum zu glauben, dass einer wie er und einer wie ich sich tatsächlich anfreunden konnten. Während ich mich während der gesamten Schulzeit wie ein Bekloppter anstrengte, ein Lächeln aus meinem Schwarm Laura rauszukriegen, musste er nur einmal Schnippsen und hatte mindestens sieben Telefonnummern gesammelt. Je nachdem, wie viele Frauen das Schnippsen zufällig gehört hatten.
"Ja, ich bin zu nett." Eines unserer endlos vielen Gespräche damals während der Schulpausen.
"Du glaubst den Weibern. Scheiße, die verarschen dich nur. Die wollen nicht geliebt werden, wollen keinen netten Kerl, keinen Beziehungsmist. Weiber wollen einen Arsch, der sie kurz durchvögelt und dann links liegen lässt. Die stehen da drauf."
"Komische Philosophie."
"Nix Philosophie. Frauen stehen auf diese ganze Machoscheiße. Draufgängertypen, die im Stehen pinkeln und sich hinterher rülpsend am Sack kratzen. Sie erzählen netten Typen wie dir nur immer, dass sie einen netten Typen wollen. Willst du wissen, was Laura gesagt hat, als ich mich hinterher wieder angezogen hab?"
"Du hast mit Laura..."
"Sicher. Ziemlich durchtriebenes Stück übrigens, hätte ich der gar nicht zugetraut. Willst du wissen, was sie hinterher zu mir gesagt hat? Ich meine, wir hatten Spaß und ich wollte abhauen. Diese ganze Kuscheltour ist nicht meins, hab ich gesagt. Weißt du, was sie geantwortet hat?"
"Nee, du hast es ja immer noch nicht erzählt. Aber eigentlich will ich es auch gar nicht..." Er erzählt es mir.
Naja, rückblickend hatte die Sache ein Gutes. Von da an hab ich nicht mehr von Laura geschwärmt und konnte wenigstens mit klarem Kopf mein Abi machen.
"Weißt du, du musst einfach nur mehr Arsch in der Hose haben. Einfach mal hingehen und die Weiber anlabern. Die wollen alle und sie würden auch mit dir."
"Aber wer sagt, dass ich das will? Ich will keinen billigen Sex, ich will eine Frau."
"Jeder will billigen Sex. Hier, ich geb dir mal ihre Nummer."
"Wessen?"
"Was weiß ich, ist doch egal. Hier, zieh eine." Er hält auf einmal einen Haufen kleiner Zettel in der Hand. Post-Its, Bierdeckel, Kalenderblätter, Schulheftecken, sogar einen Fetzen Klopapier. Ich ziehe eine Telefonnummer und so hab ich Jacqueline kennen gelernt.
War ein ganz netter Abend. Natürlich hat er nicht im Bett geendet - womit ich vermutlich der einzige Kerl überhaupt gewesen bin, der nicht mit Jacqueline im Bett gelandet ist. Er endete auch nicht in ihrem Herzen. Es war ein Abend, der, hätte ich sie damals schon gekannt, mit Nathalie auf der Parkbank geendet hätte. Natürlich kannte ich Nathalie damals noch nicht, also musste ich allein damit fertig werden.
"Weißt du..."
"Karl."
"Weißt du, Karl, es hat nichts mit dir
Das große Wörterbuch der Dinge, die Frauen sagen und der Dinge, die sie meinen, wenn sie die Dinge sagen, die sie nicht so meinen, wie sie sie sagen (Fortsetzung):
- "Es liegt nicht an dir, ich habe momentan keine Lust auf Beziehungen."
Ich habe nicht das geringste Interesse an dir, es sei denn vielleicht, du wärst nicht du.
- "Vielleicht hätte was aus uns werden können, aber leider wohnst du zu weit weg und für Fernbeziehungen bin ich nicht der Typ."
Ich habe nicht das geringste Interesse an dir und sogar der Weg zwei Straßen runter zu deiner Wohnung wäre mir zu weit.
- "Ich mag dich." bzw "Ich hab dich gern."
Ich habe nicht das geringste Interesse an dir, aber vielleicht gehe ich aus Mitleid mal mit dir ins Kino oder so.
zu tun, aber ich hab in letzter Zeit so viele Scheißtypen gehabt, dass ich erstmal nichts mehr davon wissen will. Ich weiß, du bist sicher nicht wie sie und du kannst auch nichts dafür, aber trotzdem... tut mir Leid." Ich packe Jacqueline nicht am Kragen, schüttle sie nicht und brülle ihr auch nicht ins Gesicht, dass es total paradox ist, mich mit der Begründung abzuservieren, dass ich nicht so bin, wie die Typen, mit denen sie nichts mehr zu tun haben will und dass sie entweder vollkommen bescheuert ist, wenn sie das nicht kapiert oder sie sich ihre beschissenen Ausreden in den Ausschnitt schieben kann.
Stattdessen gehe ich nach Hause.
...
Vorspulen. Die Szenen im Kindergarten fliegen an mir vorbei, ebenso wie Familienfeste, Schulparties, die Arbeit, meine Fahrten morgens im Bus und mein Kennenlernen mit Nathalie.
Oh ja, diese Szene ist toll, halt... die erste Sitzung des Clubs. Sieben Männer drängen sich in Günnes Garage, angelockt durch unsere Flugblätter. Sie stehen unschlüssig herum, als wüssten sie nicht genau, was sie hier eigentlich sollen. Und, um ehrlich zu sein, ich weiß es auch nicht so wirklich. Ich weiß nicht, wohin das führen wird, ich weiß nur, dass es irgendwo hinführen wird. Um Punkt acht Uhr betrete ich das Rednerpult, die Motorhaube von Günnes Schrottwagen.
"Männer, ihr seid hier, weil es euch genauso geht, wie mir. Ihr seid hier, weil ihr es nicht versteht, weil ihr jeden Morgen aufwacht und euch diese eine Frage stellt. Dieselbe Frage, die ich mir jeden Morgen stelle. Ich werde euch diese Frage nicht beantworten können, das kann niemand. Ich weiß nur, dass es an uns liegt, etwas zu ändern. Nur wir können es beenden." Guter Anfang. Jetzt, aus der Beobachterposition heraus, finde ich, dass ich noch nie so selbstsicher ausgesehen habe, wie in diesem Moment. Vor sieben Unbekannten, vor Günne und vor Helge.
Es ist unsere erste Sitzung, unser erster Schritt zur Revolution des netten Mannes. Fortan bemühen wir uns, mehr Mitglieder zu werben. Wir besuchen Singleparties und gesellen uns zu den Typen am Losertisch, wir gehen in Kaufhäuser und sprechen jeden Kerl an, der World of Warcraft kauft, wir setzen uns auf die Parkbänke vor dem Frauenfitnessstudio, das mit der großen Glasfront, die zum Durchsehen und Träumen einlädt, wir grasen Internetforen ab und wir schicken Agenten zum Sparmarkt um jeden Mann zu rekrutieren, der eine Pizza, eine Tütensuppe und eine Flasche Bier im Einkaufswagen hat.
Am Ende waren wir wirklich eine Armee.
...
Vielleicht hätte ich noch mal mit Nathalie reden sollen, dann hätte sie mir die Sache vielleicht ausreden können und es wäre nicht so weit gekommen. Vielleicht hätte ich diesen Tag dann überlebt. Keine Ahnung, ist auch egal.
Jedenfalls holt mein Film die Realität langsam ein und wir nähern uns dem Jetzt. Heute ist der Tag. Der Tag, an dem wir unsere Revolution starten wollen. Der Tag, an dem wir der Welt zeigen wollen, wozu nette Kerle wie wir in der Lage sind.
Der Plan ist perfekt. Helge kann gut mit Elektronik und hat letzte Woche jedem von uns etwas gebastelt. Eine Art Zeitschaltuhr, jede auf exakt dieselbe Sekunde gestellt. Niemand von uns weiß, wann dieser Zeitpunkt sein wird, aber Fakt ist, dass irgendwann alle Mitglieder ein Signal erhalten würden. Und dann würde es losgehen, das Ende der bisherigen evolutionären Weltordnung. Unser Eintritt in die Welt derer, die es wert sind, sich zu paaren.
Dienstag, zwölf Uhr siebenunddreißig. Ich bin auf dem Weg in meine Mittagspause und es geht los. Ich will gerade das Restaurant betreten, da klingelt meine Uhr. Es ist ein schönes Gefühl, dass es jetzt endlich vorbei ist, dass ich nie wieder diesen Satz hören muss, der mich mein ganzes Leben hindurch begleitet hat. Ich weiß, dass genau in diesem Moment überall in der Stadt Männer das denken, was ich jetzt denke und das tun werden, was ich jetzt tue.
Also lasse ich die Hose herunter und pisse gegen den nächsten Baum. Ich verberge nichts, ich achte nicht darauf, ob jemand hinsieht, ich lasse einfach laufen. Und es fühlt sich gut an. Von diesem Moment an bin ich kein netter Kerl mehr, der Rücksicht auf andere nimmt, mit Manieren durchs Leben geht und deshalb ignoriert wird. Von jetzt an bin ich ein rücksichtsloses Arschloch, das in aller Öffentlichkeit gegen einen Baum pisst.
Es ist unser Moment, es ist unsere Revolution.
...
Und jetzt? Naja, jetzt stehe ich hier, in dieser vergammelten Gasse. Es ist immer noch Dienstag, aber nur noch etwa zwei Stunden lang. Für mich wird er vermutlich noch schneller vorbei gehen. Ich bin nicht allein. Das ist irgendwie ein tröstlicher Gedanke, immerhin sterbe ich in Gesellschaft.
Ich weiß, dass ich jetzt vermutlich erzählen sollte, wie es dazu kam, dass ich hier stehe und einer Faust gegenübersehe, die sich meinem Gesicht nähert. Ich weiß, dass ich das jedem schuldig bin, der sich diesen Film mit mir angesehen hat. Und obwohl ich spüre, wie langsam die Zeit in den Moment zurückkehrt, das Standbild sich auflöst und langsam dem Abspann weicht, werde ich versuchen, es zu tun. Ich habe wohl nicht viel Zeit und vielleicht sollte ich sie lieber nutzen, um meine Liebsten zu grüßen, mein Testament zu machen oder mir zumindest noch einmal mein Poster von Keira Knightley in Erinnerung zu rufen. Aber das werde ich nicht tun, ich werde erzählen.
Also, ich feierte meinen Sieg. Und es war ein großes Gefühl. Endlich ein Arschloch, endlich die Chance, geliebt zu werden. Und mit diesem Selbstvertrauen bin ich am Abend in eine Kneipe gegangen und habe die erstbeste Frau angesprochen. Ulf wäre stolz auf mich gewesen.
"Hallo, ich bin ein Arschloch. Ich respektiere dich nicht, dein Leben interessiert mich einen Dreck, denn du bist für mich nichts weiter als ein schöner Arsch und große Titten. Ich will mich nicht mit dir unterhalten, will dich nicht kennen lernen. Ich will nur kurz mit dir vögeln. Haste Bock?" Sie hatte nicht. Stattdessen hatte sie einen Freund, der allerdings vermutlich ebenfalls keinen Bock hatte. Kann ja keiner ahnen, dass dieser Typ, der da völlig desinteressiert und mit einer anderen flirtend an der Bar lehnte, zu ihr gehörte.
Naja, jedenfalls hat er dann einen ordentlichen Aufriss gemacht. Was mir denn einfiele, einfach so seine Perle anzubaggern und dann auch noch mit so einer dreckigen Masche. Ja, er hat wirklich Perle gesagt. Dann hat er zwei andere Typen gerufen und die haben mir dann den Weg nach draußen gezeigt.
Man muss der Frau zu Gute halten, dass sie echt versucht hat, ihren Freund davon abzuhalten. Sie hat auf dem Weg zur Tür ständig an ihm rumgezupft und gesagt, dass er das doch bitte lassen solle, weil ich bestimmt eigentlich ein ganz netter Kerl wäre. Okay, sie hat also nichts kapiert, aber es war trotzdem ein feiner Zug.
Ja, so war das. Und gleich ist es zu Ende. Ich weiß nicht, ob ich wirklich sterben werde. Ich meine, vielleicht bricht er mir nur die Nase, wer weiß. Aber ich glaube, dann wäre mein Leben nicht an mir vorbeigezogen. Das sollte eigentlich ein sicheres Zeichen für den Tod sein, denke ich mal. Ich gehe also einfach davon aus, dass meine Ankündigung nicht gelogen war.
Vielleicht sollte ich traurig sein, um Gnade flehen oder so was. Aber wozu? Selbst wenn ich sterben sollte, geht es ja nicht zuende. Mein Manifest bleibt und vermutlich werden morgen die Männer einer anderen Stadt irgendwohin pinkeln. Mal sehen, ob ich das noch erlebe.
Mein Gehirn beendet also den Film und ich lasse mich überraschen.