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Die Sammlung
Die Sammlung
Es war schon kurz vor Mitternacht und der Vollmond tauchte Reinhard Dokovnys Anwesen in ein fahles Licht. Der alte Herr saß immer noch mit Pfeife und Cognac in der Bibliothek und blätterte in einem ledergebundenen Folianten. Ein mechanisches Rattern war zu vernehmen, er sah auf und wie erwartet schlug die Wanduhr 12 Schläge zur Mitternacht.
Es klopfte an der uralten Eichentür und Dokovny legte seine Pfeife auf den handgeschnitzten Halter neben der Cognac-Flasche ab, er glättete seine Hausjacke und durchmaß den Raum mit schnellen Schritten. Er öffnete das Portal und der kalte Herbstwind fegte augenblicklich herein und brachte Regen und einige Blätter mit sich. Vor der Tür stand ein Mann mittleren Alters, schwarz gekleidet mit Brille und Hut, dem der Herbststurm offensichtlich nichts anhaben konnte.
'Ah, Herr Anderson, bitte kommen sie doch herein.' begrüßte Dokovny den späten Gast und machte eine einladende Handbewegung ins Innere.
Schnell verschloß er die Tür wieder hinter dem Neuankömmling, der bereits die Diele betrat und seinen Hut ablegte.
'Ich nehme an, sie haben den es bei sich?', fragte er mit einem nervösen Unterton in der Stimme und half Anderson aus dem Mantel.
Dieser nickte nur knapp und hob bestätigend den kleinen Koffer leicht an, der Dokovny bis jetzt entgangen war.
'Setzen wir uns doch in die Bibliothek. Hier entlang, bitte. Möchten sie etwas zu trinken?', Dokovny ging voraus und umrundete den Tisch. Er wies auf einen zweiten barocken Lesesessel und wandte sich in Richtung der kleinen Bar.
'Einen trockenen Rotwein, wenn sie haben', es waren die ersten Worte, die der späte Gast gesprochen hatte, seine Stimme klang heiser und kratzig.
Dokovny entnahm der Hausbar, eine Kristallkaraffe in der ein schwerer Rotwein schwang und füllte ein passendes Glas.
Er reichte es Anderson, der am Tisch Platz nahm und den Koffer abstellte.
Anderson lehnte sich zurück, genoß das Bouquet des Rotweins, trank einen Schluck und stellte das Glas ab.
Mit geübtem Griff ließ er den Verschluß des Koffers aufschnappen, es war ein altmodischer Arztkoffer - kein Aktenkoffer, und schob ihn über den Tisch.
'Der Dolch der Gräfin Elisabeth Bathory', lächelte Anderson dünnlippig und lehnte sich zurück.
Dokovny griff in den kleinen Koffer und nahm den Gegenstand heraus, der in Ölpapier eingeschlagen darin lag. Mit zittrigen Fingern wickelte er ihn aus. Das Alter hatte kaum Spuren hinterlassen, die Waffe lag fast warm in seiner Hand.
'Aus dem… Nachlass eines ungarischen Sammlers', lächelte Anderson. Dokovny entging nicht das gekünstelte leise Zögern bei dem Wort 'Nachlass'.
Er legte den Dolch auf das Ölpapier und sah auf., 'Wieviel verlangen sie für dieses Stück?'
Anderson nannte ihm eine Summe.
'Was? Das können sie nicht im Ernst meinen!', keuchte Dokovny.
‚Ich pflege in geschäftlichen Dingen keine Scherze zu machen’, gab Anderson kühl zurück.
‚Aber diese Summe ist Wahnsinn!’
'Wie sie meinen, Herr Dokovny', erwiderte Anderson, 'für dieses Stück finde ich ganz sicher einen Abnehmer. Der Dolch der Gräfin Bathory, der Blutgräfin. Mit diesem Dolch hat sie zwischen 1585 und 1610 mindestens 174 junge Mädchen getötet um in ihrem Blut zu baden. Sie glaubte daran, das diese Prozedur ihr Leben verlängern würde.'
'Aber... Ich kann ihnen doch unmöglich... damit wäre ich ruiniert', keuchte Dokovny.
'Dann tut es mir leid ihre Zeit verschwendet zu haben. Schade, er wäre die Krönung ihrer Sammlung gewesen', lächelte Anderson und griff nach dem Koffer.
'Halt! Warten sie.', Schweißperlen glänzten auf der Stirn des Alten.
'Nun?'
Irgendetwas in Dokovny setzte aus. Er spürte den warmen Dolchgriff in seiner Rechten. Mit einem schnellen Schritt war er um den Tisch herum und stürzte sich auf den Unterhändler. Dieser versetzte ihm einen Faustschlag gegen die Brust und hechtete seitlich aus dem Sessel. Direkt in die offene Klinge. Dokovny stieß Anderson den Dolch bis ans Heft in die Brust, durch die Rippen direkt ins Herz. Er spürte den Griff des Dolchs noch einige Male im Takt des ersterbenden Herzens zittern, Anderson öffnete die Lippen und sein Blick war ein einziges 'Warum?'. Er sank tot zu Boden.
Dokovny erwachte wie aus einer Trance. Entsetzt blickte er auf den Toten, der mit starrem Blick auf dem Boden lag und auf die Blutlache die sich rasch vergrößerte. Er sah auch das Blut an seinen Händen und auf seiner Hausjacke.
Für einen panischen Moment erwog er zum Telefon zu greifen und die Ambulanz zu rufen, die Polizei... irgendwen. Dann besann er sich. Er schloß die Augen und atmete tief durch. Es war nun nicht mehr gut zu machen, er hatte den Unterhändler getötet. Er griff nach dem Dolch und zog ihn aus der Brust des Toten. Es ging viel leichter als er gedacht hatte und mit der schaurigen Mordwaffe in der Rechten fühlte er sich sogleich wieder als Herr der Lage.
Nun gut, er hatte Anderson getötet, diesen schmierigen Kerl. Aber er hatte mit dieser Tat seiner Sammlung die Krone aufgesetzt und nicht einmal Geld dafür bezahlt. Er lachte leise vor sich hin und fasste den Toten an den Schultern. Eine halbe Stunde später lag Anderson bereits in einem leeren Steinsarg in der Gruft im untersten Kellergewölbe.
Dokovny kehrte in frischer Kleidung in die Bibliothek zurück. Den Dolch, den er ebenfalls von Blut gesäubert hatte, trug er dabei in der Rechten. Mit einem zufriedenen Lächeln öffnete er einen Seitenflügel der Bibliothek und betrat sein Allerheiligstes.
Eine Galerie breitete sich vor seinen Augen aus, zu beiden Seiten von Vitrinen bestanden. Seine Sammlung, sein Lebenswerk.
Direkt neben der Tür lehnte ein wuchtiges Henkersbeil an einem Holzblock, beides stammte aus britischen Museen. Daneben stand ein alter deutscher Lastkraftwagen, dessen Abgase hunderte von Menschen getötet hatten.
‚Die Handwerkzeuge der größten Massenmörder der Geschichte’, murmelte Dokovny und trat weiter in den Raum. Er legte einen Schalter um und der Saal wurde in Neonlicht getaucht. Er schritt die Vitrinen ab, bis er die Stirnseite des Raums erreicht hatte. Dort befand sich eine einzeln stehende offene Vitrine mit einem roten Samtkissen darin. Es bot exakt genug Platz für den Dolch der Gräfin Bathory. Jener Blutgräfin, die im 16 Jahrhundert abscheuliche Blutriten mit dieser Waffe praktiziert hatte. Sie war eine Vorfahrin von Dokovny gewesen und das Schicksal hatte es so gewollt, das sie damals für ihre Bluttaten im Turmzimmer eben jenes Anwesens lebendig eingemauert worden war, das Dokovny heute bewohnte. Mit zittriger Hand legte er den Dolch ab, es war endlich getan, seine Sammlung war komplett.
Ein trockenes Knistern ließ ihn zusammenzucken, dann erloschen alle Lichter im Saal. Nicht einmal die kleinen roten Lampen der Alarmanlage blieben von dem Stromausfall verschont. Dokovny fluchte leise.
Draußen hämmerte es gegen die Tür. Wer konnte das jetzt noch sein?
Dokovny drehte sich vorsichtig in der Finsternis herum und bewegte sich auf den Ausgang zu. Langsam tastete er sich dabei an den Ausstellungsstücken und Vitrinen entlang.
Das Pochen an der Tür verstärkte sich noch und Dokovny stieß mit dem Fuß gegen einen Gegenstand, scheppernd umkippte und im Dunkeln über den Boden davonrollte. Einen Moment kämpfte er um sein Gleichgewicht, dann ging er noch vorsichtiger weiter.
Endlich, die Tür zur Bibliothek. Dort spendete die Glut des inzwischen heruntergebrannten Kaminfeuers ein fahles rotes Licht. Dokovny fand mit sicherem Griff das kleine Bord mit den Kerzen und den Streichhölzern. Er steckte sie schnell auf den tragbaren Leuchter, entzündete die Dochte. Die Kerzen gaben ein flackerndes Licht ab, das unheimliche Schatten an den Wänden tanzen ließ. Dokovny fröstelte, er spürte wie sein Herz raste.
Das Pochen an der Tür klang wütend und Dokovny zuckte zusammen. Es war fast 2 Uhr in der Frühe, wer konnte das noch sein? War das Polizei? Freunde von Anderson, die gewartet hatten?
‚Wer ist da?`, rief er und zwang sich dabei vergeblich zu einem forschen Ton.
Die Antwort war ein noch wütenderes Pochen.
Dokovny trat vor und öffnete vorsichtig die Tür. Kaum hatte er die Klinke gedrückt, schwang sie auch schon nach Innen auf. Im Türrahmen stand Anderson. Der Tote! Sein Gesicht war ausdruckslos, seine Augen so schaurig nach oben verdreht, das nur noch das Weiße zu sehen war, aus seinem halb geöffneten Mund drang ein schauriges Stöhnen.
Dokovny prallte entsetzt zurück. Der Lebende tote drängte herein, die Arme tastend vorgestreckt.
Dokovny tat einen Schritt rückwärts und stellte fest, das er den Dolch in der Hand hielt. Er hatte ihn wohl instinktiv bei dem Stromausfall wieder an sich genommen. Oder? Es konnte nur so gewesen sein.
‚Dann werde ich dich eben wieder töten, Anderson’, keuchte er und hob die Waffe.
Eine Berührung an der Schulter ließ ihn herumkreiseln. Er glaubte wahnsinnig zu werden. Neben ihm stand ein Mädchen in einem weißen Kleid. Auch sie hatte die Augen verdreht und trug eine grauenhafte Wunde am als. Man hatte ihr die Kehle durchgeschnitten!
Und weitere Untote drängten aus dem Dunkel auf ihn ein.
Dokovny schüttelte sie ab und prallte an den Tisch. Immer mehr weißgekleidete Untote erschienen. Die Opfer der Gräfin Bathory!
Dokovny schüttelte ihre kalten toten Hände ab, bahnte sich einen Weg in die einzige Richtung, die ihm nicht verstellt war. In Richtung der Galerie, zu seiner Sammlung!
Totenkrallen rissen an seiner Kleidung, er schaffte es gerade noch durch die schwere Tür und schlug sie hinter sich zu.
‚Versucht mal hier hereinzukommen’, keuchte er, ‚das ist massive Eiche.’
Er lachte hysterisch.
In dem Moment sah er im Licht der einzigen noch brennenden Kerze einen kopflosen Körper auf sich zutorkeln. Und dann noch einen. Und noch einen. Und im der Dunkelheit regten sich noch Weitere.
Dokovny schrie gellend und prallte rückwärts gegen die Tür. Er spürte eine kalte Hand an seinem Hals. Einen fauligen Gestank direkt neben seinem Gesicht. Der Arm mit dem Kerzenleuchter wurde ihm aus dem Gelenk gedreht. Das Licht erlosch. Mit einem Ruck stieß er sich sebst den Dolch ins Herz. In der leeren Galerie sank er auf die Knie und fiel vornüber, die Klinge des Dolchs zerbrach.
In diesem Augenblick endete sowohl die Ahnenlinie der Dokovnys als auch der Fluch der Blutgräfin…..