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Die Schlange

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16.09.2002
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Die Schlange

Die Schlange

Einmal mehr ging ich durch die Wüste. Braun. Soweit man sehen
konnte. Braun.
Oder war es doch eher Orange? Oder schien mir das Braun
einfach nur Orange zu sein, da doch die Sonne ihr sadistisches
heißes Lachen schon so lange auf mich herab warf, dass die
einzige Farbe, die ich noch kannte, die Hitze selbst war?
Was störte es mich, ob es nun Braun oder Orange war? Ich
würde es ohnehin nicht mehr lange machen. Denn keine eine
andere Farbe erstreckte sich auch nur annähernd in erreichbarer
Nähe.
Das war mal wieder typisch für mich. Im Angesicht des Todes,
weit und breit keine Rettung in Sicht, dachte ich über Banalitäten
nach. War dies vielleicht ein Schutzmechanismus? Eine dieser
komischen psychologischen Vorgänge, die einen ganz unbewusst
den Ernst der Lage vergessen machen? Nun ja, die Lage war
ernst, gar keine Frage. Doch was konnte ich schon tun? Mein
Leben neigte sich gen Ende. Wer sollte mich retten? Ich war
allein.
Amüsiert über die Tatsache, dass ich in den letzten Minuten
meines Lebens über Farben nachdachte, mir selbst gegenüber
argumentierte, welche wohl die richtige Antwort sei, das Für und
Wieder abwog um mich anschließend auch noch selbst zu
analysieren, da musste ich einfach Lachen. Laut lachte ich, so laut,
dass ich hätte schwören können, jenseits der heißen Farben
müsse jemand sein, der mich hörte.
Ein leises Zischen lies mein Gelächter abrupt verstummen. Vor
mir, im heißen Sand, offensichtlich ganz unbekümmert der
ausweglosen Situation, in einer sich ewig weit fortsetzenden
Wüste festzustecken, schlängelte sich eine giftgrüne Schlange.
Erschrocken wich ich zurück, nur um kurz darauf erneut laut
aufzulachen. Ich würde Sterben, so oder so, was hatte ich da
noch Angst vor einer Schlange?
„Worüber lachst du?“ fragte die Schlange.
„Nun ja“ sagte ich zur Schlange „Ich werde sterben.“
„Achso“ erwiderte die Schlange. „Und ich dachte es wäre etwas
lustiges. Hier in der Wüste gibt es nämlich nicht all zu viele
lustige Dinge, weißt du? Hier gibt es nur den blauen Himmel und
die braune Wüste.“
„Danke liebe Schlange!“ rief ich da. „Endlich hab ich die
Antwort: Es ist braun, nicht orange.“
„Natürlich ist es braun“ sagte die Schlange. „Es ist schließlich
Sand.“
Natürlich war es braun. Es war schließlich Sand.

Wir hatten uns gemeinsam in den heißen (braunen) Sand gesetzt.
Am Hang einer hohen Düne saß ich da, die Schlange neben mir.
Wozu noch weitergehen. Wohin denn!?
„Und, fürchtest du dich vor dem Tod?“ fragte die Schlange.
„Ich weiß nicht.“ antwortete ich wahrheitsgemäß. „Ich glaube
ich habe mich nie davor gefürchtet tot zu sein, sondern immer
nur davor zu sterben. Vor den Schmerzen.“
„Aha“ meinte da die Schlange. „Du glaubst also, dass es
wehtut?“
„Natürlich tut es weh! Es ist schließlich der Tod!“ entgegnete ich
entrüstet.
Die Schlange schwieg eine Weile. Dann kroch sie vor meine
Füße und sah mich funkelnd an.
„Weißt du, was man über Sex sagt?“ fragte sie. „Man sagt, es sei
der kleine Tod.“
„Ja, das hab ich schon einmal gehört.“ antwortete ich.
„Und?“ fragte die Schlange. „Tut das weh? Sex?“
„Nein. Na ja, gut, vielleicht beim ersten Mal ein bisschen,
zumindest den Frauen. Aber alles in allem ist es recht
angenehm.“
„Siehst du“ sagte die Schlange. „Wenn der kleine Tod schon
angenehm ist, wieso sollte sein großer Bruder nicht noch
angenehmer sein? Ich glaube nicht, dass es weh tut. Na ja, gut,
vielleicht beim ersten Mal. Aber sicher nur den Männern.
Ausgleichende Gerechtigkeit, du verstehst?“
Ich verstand.
„Weißt du, was man über Schlangen sagt?“ fragte ich. Und die
Schlange grinste schuldbewusst.

Eine ganze Weile saßen wir einfach so da. Betrachteten
gemeinsam den blauen Himmel, die braune Wüste, und die
orange Sonne (oder war sie gelb? Oder gar weiß, und nur die
Reflexion der Wüstenfarben lies sie farbig erscheinen?).
„Du nimmst es recht gelassen“ sagte die Schlange auf einmal.
„Das mit dem Sterben und so meine ich. Vor einer Weile hast
du sogar darüber gelacht. War dein Leben denn nicht schön?“
Hm, war mein Leben denn nicht schön? Darüber musste ich
nachdenken. Es gab viel schönes in meinem Leben, aber auch
vieles, das nicht schön war, das alles andere als schön war.
„Ich weiß nicht so recht“ antwortete ich der Schlange. „Mein
Leben hatte viele Hochs und Tiefs, du verstehst?“
Die Schlange verstand.
„Wenn du all das Gute, dass dir im Leben widerfahren ist, auf
eine Seite einer Balkenwaage legst, und all das Schlechte, das es in
deinem Leben gab, auf die andere Seite, welche Seite hinge dann
tiefer?“ wollte die Schlange wissen.
Ich überlegte kurz und antwortete dann „Die Seite mit den
schlechten Dingen. Die würde sicher ein gutes Stück tiefer
hängen, als die andere Seite.“
„Tja, dann war dein Leben nicht schön“ meinte die Schlange.
„Weißt du, Schlange, irgendwie doch. Ja, es war schön. Es war
schön zu leben, so schwierig es auch manchmal war. Ein Weiser
Mann hat einmal gesagt…“
„Oh, jetzt komm mir bitte nicht mit so ’nem Scheiß!“
unterbrach mich die Schlang. „Die weisen Männer sind doch alle
längst tot. Wer kann denn schon sagen, ob ihre Weisheiten
überhaupt noch in die heutige Zeit hineinpassen? Ich meine, guck
dich doch einmal an! Du sitzt hier mitten in der Wüste und redest
mit einer Schlange! Wie viele weise Männer kennst du, die schon
einmal in so einer Situation waren? Verlass dich nicht immer auf
die Erfahrung anderer, sondern stell deine eigenen Weisheiten
auf! Dein Leben ist bald zu Ende. Hast du denn nichts gelernt in
der Zeit, die dir gegeben war, dass du auf das Wissen anderer
zurückgreifst?“
Ich war erstaunt über diese Reaktion. So kannte ich die
Schlange gar nicht. Gut, ich kannte die Schlang ohnehin nicht
wirklich, denn ich kannte sie noch nicht lange genug, um sie
wirklich zu kennen. Aber kann man eine Schlange überhaupt
wirklich kennen? Es ist und bleibt schließlich eine Schlange…
„Ach Schlange“ sagte ich zu ihr. „Was ich sagen wollte, wenn
auch nicht in meinen eigenen Worten, jedoch aus meiner eigenen
Erfahrung, ist, dass es besser ist, etwas schönes erlebt und es
verloren zu haben, als nie etwas schönes erlebt zu haben. Das
Leben ist mehr als Gut und Böse. Es ist mehr als die Summe
seiner Teile. Selbst wenn das Schlechte überwiegt, und man denkt
was für ein Scheiß das alles doch ist, so würde man das, was man erlebt
hat doch um keinen Preis missen wollen, denn es macht uns zu
dem, was wir sind, zu dem, wer wir sind. Und vielleicht machen
wir so auch teilweise andere zu dem was sie, und wer sie sind.
Nicht war, Schlange?“
Die Schlange zischte vergnügt. „Schön, dass du das endlich
begriffen hast. Schade ist nur, dass es so lange gedauert hat, und
du erst in die Wüste gehen musstest, um deine eigene Wahrheit
zu finden.“

„Mir ist so unerträglich heiß. Ich schwitze wie ein…wie
ein…verdammich, mir fällt kein Tier ein, dass so schwitzen
könnte wie ich es gerade tue. Seit ich weiß nicht wie vielen
Stunden habe ich nichts mehr getrunken, woher also kommt all
dieser Schweiß!?“
„Sei froh“ sagte die Schlange. „Noch ist es warm, doch schon
bald kommt die Nacht, und die Nacht wird kalt sein.“
Die Schlange sollte Recht behalten.
Die Sonne ging unter und es wurde bitterkalt.
„Mir ist verflucht kalt“ meinte ich zur Schlange.
„Memme“ erwiderte sie.

Wir lagen im Sand, am Hang der Düne, und starrten in den
Himmel hinauf.
„Ich glaub, ich habe noch nie in meinem Leben so viele Sterne
gesehen. Sie sind nicht nur über uns, nein sie reichen von
Horizont zu Horizont. Wie ein gewaltiges gepunktetes Dach über
der Welt. Es ist wirklich wunderschön.“
„Ja, das ist es in der Tat“ nuschelte ich leise, kaum verständlich,
denn ich war am Ende. Ich hatte Durst, mir war kalt, und meine
Kraftreserven schienen vollends erschöpft.
„Kommt jetzt der Tod“ fragte ich die Schlange.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, jetzt gehst du nach Hause“
sagte sie.
„Ah ja, das ist eine schöne, wenn auch etwas kitschige Art es
auszudrücken“ entgegnete ich.
„Nein, so hab ich das nicht gemeint“ sagte die Schlange. „Du
stehst jetzt auf, und dann gehst du Heim. Versteh mich bitte
nicht falsch, der Tag mit dir war schön, und der Abend ebenso.
Aber es ist spät, und auch ich bin müde. Also komm, steh auf, ich
bring dich nach Hause.“
Also stand ich auf, und wir gingen zusammen fort. In welche
Richtung kann ich nicht sagen, ich hatte jeglichen
Orientierungssinn verloren. Ich stolperte, ich kroch mehr als ich
ging. Ich sah verschwommen… Dann fiel ich hin.
„Das ist nicht so schlimm“ sagte die Schlange. Dann
verschwand sie. Dann verschwand die Wüste, dann die Sterne.
Alle, bis auf einen. Ein Stern funkelte weiter, und wurde heller
und heller, und größer und größer. Mir war nicht länger kalt, mir
war auch nicht heiß. Ich fühlte mich einfach nur wohl. Es war
angenehm.
Von weit entfernt konnte ich die Stimme der Schlange hören.
„Siehst du“ sagte sie einmal mehr. „Ich hatte doch Recht, oder
nicht?“
„Ja, du hattest Recht“ dachte ich. Und die Schlange, als hätte
sie meine Gedanken gehört, sprach, immer weiter entfernt,
immer leiser werdend „Man kann nicht immer gewinnen, man
kann nicht immer an sein Ziel gelangen. Wichtig ist nur, dass man
es versucht, und immer wieder aufsteht, wenn man am Boden
liegt, und weitermacht. Es geht auch gar nicht ums Gewinnen,
sondern nur darum, dass es Spaß macht zu spielen, nicht war? Du
hast es nicht geschafft, aber es gibt dir ein gutes Gefühl, dennoch
so weit gekommen zu sein, nicht war?“
„Du irrst dich liebe Schlange“ antwortete ich ihr in Gedanken.
„Ich bin doch am Ziel.“

In jener Nacht bin ich in der Wüste gestorben. Doch das war
nicht so schlimm, denn ich hatte eine neue Freundin gefunden,
ihr Leben durch meine Erfahrungen, meine Weisheit, meine
Wahrheit bereichert, und sie so zu dem gemacht, was sie ist, wer
sie ist.

Und ihr, die ihr meine Geschichte gelesen habt, hab ich auch euer
Leben bereichert? Wenn dem so ist, dann freue ich mich
natürlich. Aber gnade euch Gott wenn ich irgendwann einmal
meine Worte mit der Einleitung „ein Weiser Mann hat einmal
gesagt“ hören sollte!

Wir alle gehen in unserem Leben durch unsere Wüsten, und jeder
von uns hat seine eigene, speziell für sich gemacht. Doch wer
sich von der Sonne in die Knie zwingen lässt, sich mit
unwichtigen Banalitäten beschäftigt statt einen Ausweg zu
suchen, wer irgendwann einfach aufgibt, der kommt aus seiner
Wüste nicht wieder hinaus. Wenn ihr also durch eure Wüste geht,
und eure eigene Schlange trefft, dann erzählt ihr von eurem
Leben, nicht von mir, nein, denn weise Worte langweilen sie nur.
Erzählt ihr von euch und wie schön euer Leben ist, dann hilft sie
euch vielleicht den Weg hinaus zu finden.


Hallo zusammen,

ich war ewig nicht mehr hier... :shy: Nach fast drei Jahren gibt's aber endlich mal wieder 'ne neue Geschichte von mir. "Die Schlange" habe ich an einem sonnigen Nachmittag in einem Kölner Café geschrieben. Das ist nun auch schon etwas länger her. Leider habe ich die Geschichte deshalb nur noch als PDF und die schöne Formatierung ist beim einfügen in die HTML Version verlorengegangen... Aber ich hoffe die Geschichte gefällt euch auch so, trotz der Formatierungsmängel und der vielen Rechtschreibfehler... *g*
Kommentare sind sehr willkommen!
Wer gern das PDF haben will, kann den untenstehenden Download Link verwenden.

So long...
André

:thumbsup:

Download - Die Schlange

 

Hallo

Leider gefällt mir die Geschichte nicht so gut. Lob bringt einen sowieso nicht weiter.
Erst dachte ich, die Schlange wartet einfach nur darauf, den Prot fressen zu können. Für mich ist eine Schlange nicht der leibe Freund.
Irgendwie konnte ich mich nicht entscheiden, ob es eine Fabel ist, oder die sprechende Schlange nur eine Haluzination. Beim ersten dürfte die Schlange in der kalten Nacht allereings nichts mehr machen (Warmblüter), und für eine Fabel-Schlange war sie mir dann doch zu "nett".
Also Halluzination, aber dann passt das ganze nicht mehr richtig zum Schluss. Wobei für mich vieles dafür spricht, dass der Prot verrückt ist/wird.
Die Idee gefällt mir ganz gut, dass er erst verrückt werden muss, um an seinem (wahrscheinlich beschissensen) Leben und dem Tod etwas gutes zu finden und sich sogar über den Tod freuen zu können. Dann müsste man ihn gegen Ende vielleicht noch etwas verrückter gestalten.
Mir hätte eine kleine Begründung gefallen,warum Sex ein kleiner Tod sein soll. Ich kenn das Sprichwort nämlich nicht.
Die Interpretation am Schluss hätte ich weggelassen. Ist mir zu sehr nach dem Motto: Und die Moral von der Geschicht...

Was mir beim Lesen noch so aufgefallen ist.

Denn keine eine andere Farbe erstreckte sich
Ich finde das eine hier nicht so passend.

„Natürlich ist es braun“ sagte die Schlange. „Es ist schließlich Sand.“
Natürlich war es braun. Es war schließlich Sand.
Machst du hin und wieder mal, dass du Aussagen direkt wiederholst. Gefällt mir nicht so.

Viele Grüße
EinMensch

 

Mir hat sie gefallen. Sehr gut sogar. Was das nun für eine Schange ist, ist doch eigentlich unerheblich. Ich meine, es spielt keine Rolle, ob es logisch ist, daß sie auch nachts noch bei ihm ist oder ob es eine Halluzination ist. Und gerade, weil eine Schlange sofort mit Böse gleichgesetzt wird, bekommt der Dialog hier eine ganz neue Wendung.
Auch der Prot geht anfangs davon aus, von der Schlange getötet zu werden. Dann aber zeigt sie ihm die Wahrheit, oder besser eine Wahrheit, denn ganz weit hinten klingt ja auch mit, daß es nur individuelle Wahrheiten gibt.

Erst die Schlange lenkt seine gedanken in die richtige Richtung und aus der Summe der Erfahrungen bereichert er das Leben der Schlange, indem er ihr etwas Neues verraten kann, über seinen Tod hinaus. Ein netter Gedankenansatz, der mich ein wenig an die Lehren der buddhistischen Religion erinnert.

Darüber hinaus auch gefällig geschrieben, so daß man es gerne liest. Für mich eine sehr gut gelungene Kurzgeschichte.

 

hey,

ich finde deine geschichte echt gut. es ist gleich die erste die ich überhaupt hier lese. ich mag philosophie und fabel, deshalb stach mir deine geschichte gleich ins auge.

ich kritisiere den den stil und die art jetzt nicht, weil ich mich mit kurzgeschten nicht wirklich auskenne.

die idee mit der schlage, das untypisch für fabeln ist, fand ich, wie einer meiner vorredner, auch sehr gut.

nur das ende hätte ich weggelassen. so wie du es schreibst, kann man es sich denken, wenn mn es denn will, aber so bekommt man deine meinung, dein fazit aufgedrückt. die bemerkung sich "von der sonne in die knie zwingen lassen" fand ich nicht zur geschichte passend, denn in deiner geschichte wird deine person zunächst auch in die knie gezwungen und kommt für sich gesehen noch gut dabei weg. ansonsten sollte man sich natürlich nicht in die knie zwingen lassen, das ist klar.

die neuen erkenntnisse machen ihn das ableben vielleicht leichter, aber
unklar ist mir, warum dein charakter sich über einen neuen freund freut? er stirbt doch sowieso...

so, auf wenn es dir nicht so vorkommen mag, ich fand die geschichte toll =)

 

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