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Die Schuld
Meine Beine fühlen sich an, wie heißes Blei. Jeder Atemzug schmerzt. Weiter! Sie sollen mich nicht kriegen! Weiter!
Der Polizist spähte aufmerksam zur Seite, während er den schweren Dienstwagen gemächlich durch die zugeparkte Nebenstraße fädelte. Von draußen drang das Heulen des Windes nur gedämpft in das zweckmäßige Innere des Kombis, doch er wusste, dass es bitterkalt sein musste. Der Gedanke an den Pappbecher mit dampfendem Kaffee im Getränkehalter beruhigte ihn ein wenig.
Ohne genau hinzusehen schleudere ich den Rucksack über irgendeinen Zaun. Der rostige Draht schneidet schmerzhaft in meine Hände, als ich mich hastig daran hochziehe. Weiter!
„Sag mal, Klaus?“
„Hm..“
„Wie lang kennen wir uns jetzt schon?“
„Hm?“
Während er das Fahrzeug sanft in eine abzweigende Straße dirigierte, nestelte sein Kollege unnötig umständlich an dem Klemmbrett mit den Einsatzprotokollen.
„Ich denk mal so, grob über den Daumen gepeilt mein ich, in etwa so zwölf Jahre.“
„Hm... Denke schon. Wieso?“
„Klaus? Wie oft hab ich mich in den zwölf Jahren jetzt geirrt?“
„Hmm...“
„Kein einziges Mal, Klaus.. Nich ein Mal.“
Meine glatten Turnschuhe verlieren auf dem schlammigen Untergrund den Halt. Ich schlittere, falle, rappele mich wieder auf die Beine und spurte weiter. Es fühlt sich an, als ob meine Lunge mir aus dem Rachen hängen würde. Doch es ist nicht der Gedanke an Blaulichter und Martinshörner, der mich weitertreibt.
Er nahm schlürfend einen Schluck von dem heißen Kaffee.
„Und was war mit dem Einen? Dieser Junge letzte Woche. Der mit dem Arschgesicht und den Scheißhosen. Der hat das Bushäuschen nicht angemalt, wie du gesagt hast.“
„Aber Gras vertickt hat er.“
„Ja schon, a-“
„Nix aber. Straftat is Straftat.“
Als der Wagen auf einen Feldweg holperte, verschüttete Klaus etwas von seinem Kaffee. Er fluchte. Sie verließen das Wohngebiet in Richtung Gleisanlage.
Diese Augen starren mich immer noch an. Kalt und leer starren sie. Nicht einmal vorwurfsvoll. Einfach nur leer. Nichts wie weg! Es kann gar nicht weit genug sein.
„Und was hat der jetzt gemacht?“
„Ist weggerannt, das reicht ja wohl.“
„Naja...“
„Wenn da nix faul is, fress ich nen Besen samt Putze, das kannste mir aber glauben.“
„Ja schon. Aber das war doch noch ein Kind. Was soll der schon groß ausgefressen haben? Wird wahrscheinlich bloß ein bisschen Shit dabeihaben. Und mächtig kalte Füße...“
Beide schwiegen und nickten unfreiwillig vor sich hin, während sie weiter den Feldweg entlang rumpelten. Das Prasseln des Schotters in den Radhäusern zerrte an den Nerven.
„Und wenn schon. Im Zweifelsfall krieg ich den für arglistiges Herumlungern dran.“
Nach einer kurzen Pause brachen sie in angespanntes, gereiztes Gelächter aus.
„Arglistiges Herumlungern“, echote Klaus.
Plötzlich richtete er sich auf und gestikulierte mit ausgestrecktem Arm irgendwo nach vorne.
„Oh mann, da isser ja! Rennt, als wär der Teufel hinter ihm her. Mach mal das Blaulicht -“
Das blaue Blinken interessiert mich kaum. Mich verfolgen andere Teufel für meine Taten. Doch wenn sie mich anhalten, holt es mich vielleicht ein. Dieses Ding. Und dann starrt es mich mit diesen kalten, toten Augen an. Diese Augen.
Mit einem gewaltigen Knall kam der Wagen an einem Baumstamm zum stehen, den der Sturm wohl auf den Waldweg geworfen hatte.
„VERDAMMTE, BLÖDE -“
„Mensch Achim! Kannste nicht aufpassen? So ne Scheiße!“
Der gesamte Vorderwagen triefte von dem verschütteten Kaffee.
„Und was is jetzt mit dem Kleinen?“
„DU IMMER MIT DEINEN.. DEINEN MÖCHTEGERNSCHWERVERBRECHERN!“ Auf Klausens puterroter Stirn pulsierte ein Netzwerk aus kleinen Adern. Mühsam bekam er sich wieder unter Kontrolle.
„Lass ihn doch rennen. Mich interessiert jetzt eher, wie wir das dem Chef erklären.“
Zischend entwich die strapazierte Kühlflüssigkeit unter der zerstauchten Motorhaube und bildete dichten weißen Nebel um den Wagen herum.
Ich renne und renne. Dass Blaulicht ist weg, die Dämonen nicht. Ich will nur weg von dem Ding, meinem Kumpel, dem Ding, also renne ich weiter. Wie es mich aus toten Augen anstarrt. Ich will es nicht wieder schütteln, seinen Namen schreien. Nicht wieder begreifen müssen, dass es totes Fleisch ist, dem ich da erzähle, dass alles wieder gut wird und dass es keine Absicht war. Will ihm nicht wieder meine rauchende Knarre in die Hand drücken und es dann mit meiner Schuld liegenlassen. Weiter!
Die Dämonen heulen hinter mir. Sie sollen mich nicht kriegen.