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Die Schuld

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20.12.2006
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Die Schuld

Meine Beine fühlen sich an, wie heißes Blei. Jeder Atemzug schmerzt. Weiter! Sie sollen mich nicht kriegen! Weiter!

Der Polizist spähte aufmerksam zur Seite, während er den schweren Dienstwagen gemächlich durch die zugeparkte Nebenstraße fädelte. Von draußen drang das Heulen des Windes nur gedämpft in das zweckmäßige Innere des Kombis, doch er wusste, dass es bitterkalt sein musste. Der Gedanke an den Pappbecher mit dampfendem Kaffee im Getränkehalter beruhigte ihn ein wenig.

Ohne genau hinzusehen schleudere ich den Rucksack über irgendeinen Zaun. Der rostige Draht schneidet schmerzhaft in meine Hände, als ich mich hastig daran hochziehe. Weiter!

„Sag mal, Klaus?“
„Hm..“
„Wie lang kennen wir uns jetzt schon?“
„Hm?“
Während er das Fahrzeug sanft in eine abzweigende Straße dirigierte, nestelte sein Kollege unnötig umständlich an dem Klemmbrett mit den Einsatzprotokollen.
„Ich denk mal so, grob über den Daumen gepeilt mein ich, in etwa so zwölf Jahre.“
„Hm... Denke schon. Wieso?“
„Klaus? Wie oft hab ich mich in den zwölf Jahren jetzt geirrt?“
„Hmm...“
„Kein einziges Mal, Klaus.. Nich ein Mal.“

Meine glatten Turnschuhe verlieren auf dem schlammigen Untergrund den Halt. Ich schlittere, falle, rappele mich wieder auf die Beine und spurte weiter. Es fühlt sich an, als ob meine Lunge mir aus dem Rachen hängen würde. Doch es ist nicht der Gedanke an Blaulichter und Martinshörner, der mich weitertreibt.

Er nahm schlürfend einen Schluck von dem heißen Kaffee.
„Und was war mit dem Einen? Dieser Junge letzte Woche. Der mit dem Arschgesicht und den Scheißhosen. Der hat das Bushäuschen nicht angemalt, wie du gesagt hast.“
„Aber Gras vertickt hat er.“
„Ja schon, a-“
„Nix aber. Straftat is Straftat.“
Als der Wagen auf einen Feldweg holperte, verschüttete Klaus etwas von seinem Kaffee. Er fluchte. Sie verließen das Wohngebiet in Richtung Gleisanlage.

Diese Augen starren mich immer noch an. Kalt und leer starren sie. Nicht einmal vorwurfsvoll. Einfach nur leer. Nichts wie weg! Es kann gar nicht weit genug sein.

„Und was hat der jetzt gemacht?“
„Ist weggerannt, das reicht ja wohl.“
„Naja...“
„Wenn da nix faul is, fress ich nen Besen samt Putze, das kannste mir aber glauben.“
„Ja schon. Aber das war doch noch ein Kind. Was soll der schon groß ausgefressen haben? Wird wahrscheinlich bloß ein bisschen Shit dabeihaben. Und mächtig kalte Füße...“
Beide schwiegen und nickten unfreiwillig vor sich hin, während sie weiter den Feldweg entlang rumpelten. Das Prasseln des Schotters in den Radhäusern zerrte an den Nerven.
„Und wenn schon. Im Zweifelsfall krieg ich den für arglistiges Herumlungern dran.“
Nach einer kurzen Pause brachen sie in angespanntes, gereiztes Gelächter aus.
„Arglistiges Herumlungern“, echote Klaus.
Plötzlich richtete er sich auf und gestikulierte mit ausgestrecktem Arm irgendwo nach vorne.
„Oh mann, da isser ja! Rennt, als wär der Teufel hinter ihm her. Mach mal das Blaulicht -“

Das blaue Blinken interessiert mich kaum. Mich verfolgen andere Teufel für meine Taten. Doch wenn sie mich anhalten, holt es mich vielleicht ein. Dieses Ding. Und dann starrt es mich mit diesen kalten, toten Augen an. Diese Augen.

Mit einem gewaltigen Knall kam der Wagen an einem Baumstamm zum stehen, den der Sturm wohl auf den Waldweg geworfen hatte.
„VERDAMMTE, BLÖDE -“
„Mensch Achim! Kannste nicht aufpassen? So ne Scheiße!“
Der gesamte Vorderwagen triefte von dem verschütteten Kaffee.
„Und was is jetzt mit dem Kleinen?“
„DU IMMER MIT DEINEN.. DEINEN MÖCHTEGERNSCHWERVERBRECHERN!“ Auf Klausens puterroter Stirn pulsierte ein Netzwerk aus kleinen Adern. Mühsam bekam er sich wieder unter Kontrolle.
„Lass ihn doch rennen. Mich interessiert jetzt eher, wie wir das dem Chef erklären.“
Zischend entwich die strapazierte Kühlflüssigkeit unter der zerstauchten Motorhaube und bildete dichten weißen Nebel um den Wagen herum.

Ich renne und renne. Dass Blaulicht ist weg, die Dämonen nicht. Ich will nur weg von dem Ding, meinem Kumpel, dem Ding, also renne ich weiter. Wie es mich aus toten Augen anstarrt. Ich will es nicht wieder schütteln, seinen Namen schreien. Nicht wieder begreifen müssen, dass es totes Fleisch ist, dem ich da erzähle, dass alles wieder gut wird und dass es keine Absicht war. Will ihm nicht wieder meine rauchende Knarre in die Hand drücken und es dann mit meiner Schuld liegenlassen. Weiter!
Die Dämonen heulen hinter mir. Sie sollen mich nicht kriegen.

 

Hallo frankazoid,

zum einen vermisse ich den gesellschaftlichen Aspekt der Geschichte, zum anderen vermisse ich die im Titel versprochene Auseinandersetzung mit Schuld.
Dein Prot läuft einer Schuld davon. Und du möchtest durch die Szenen im Polizeiwagen wahrscheinlich auf zweierlei hinaus. Durch das Weglaufen, ist er für die Polizei schon schuldig, auch wenn sie den Schuldgegenstand
betreffend irren. Es findet zwar eine Vorverurteilung statt, die ist aber "berechtigt". Insofern stützt die Geschichte die These, wer wegläuft hat auch etwas zu verbergen.
Die Szenen im Polizeiauto sind ein bisschen auf Slapstick angelegt. Das kann man machen, erweckt hier aber eher den Eindruck einer Actionkomödie (in der bei Verfolgungsjagden auch immer die Polizeiwagen zu Bruchgehen), als den einer Geschichte über Schuld.
Allgemein wirkt die Geschichte dadurch ein bisschen ungenau auf mich, etwas zu wenig reflektiert. Damit meine ich die Überlegungen des Autors, warum er die Geschichte wie und auf welche Weise erzählt.
Ganz im Gegensatz zum Prot der kursiven Stellen. Der reflektiert für eine Flucht zu sehr. Da hielte ich eine Erzählweise, in der die Gedanken wild strömen für angebrachter.
Details:

Ohne genau hinzusehen schleudere ich den Rucksack über einen Maschendrahtzaun. Der rostige Draht schneidet schmerzhaft in meine Hände
Zum einen finde ich ja das Wort Maschendrahtzaun, dem Raabekel sein Dank, ganz fürchterlich besetzt, zum anderen ist es hier aber ohnehin nicht nötig, da die Beschreibung des in die Hände schneidens es eh klar macht (oder noch eher an einen Stacheldrahtzaun denken lässt).
Meine glatten Turnschuhe finden auf dem schlammigen Untergrund der Böschung keinen rechten Halt.
Für eine Verfolgungsszene aus der Perspektive des Gejagten schon fast zu lang. Dadurch bremst du das Tempo. Ich meine nicht die Anzahl der Wörter, sondern die Struktur. Lass ihn die Flucht erleben. Scheiß glatte Turnschuhe, ich finde keinen Halt auf dem schlammigen Untergrund, schlittere, falle ... So wird der Satz zwar länger, durch die Kommasetzung aber zerhackter und damit gehetzter.
Das Prasseln des Schotters in den Radhäusern ging ihnen wohl beiden auf die Nerven.
Ging es ihnen nun auf die Nerven oder nicht? Klar ist, dass die Körper bei den Schlaglöchern mitgehen.
Strafe hätte ich wohl verdient.
zu reflektiert bei einer Flucht und für SoC. Treffender fände ich sollen sie mich doch bestrafen.
Doch wenn sie mich anhalten, holt es mich vielleicht ein. Dieses Ding. Und dann starrt es mich vielleicht wieder mit diesen kalten, toten Augen an. Diese Augen.
Zu viele Tempo bremsende Wörter, zu viele vielleicht. Wenn sie mich anhalten, holt es mich ein - dieses Ding - dann starrt es mich wieder an - diese Augen - dies kalten, toten Augen.
Je überzeugter er von seinen Albtraumbildern ist, je besser kannst du auch mich als Leser davon überzeugen.
und dass es keine Absicht war. Will ihm nicht wieder die rauchende Knarre in die Hand drücken und es dann mit der Schuld liegenlassen. Weiter!
Ich finde es unklar. Zwar kann ich so einigermaßen den Hergang konstruieren, aber "mit der Schuld liegen lassen" ist unsauber, weil es für mein Gefühl so eher die Schuld des Kumpels wäre, mit der dieser liegengelassen wird. Dabei läuft der Prot ja eher vor seiner eigenen Schuld davon. Und die kann er nicht liegen lassen.

Lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

hm. da ist was dran.
der gesellschaftliche aspekt soll vage in richtung ineffiziente exekutive gehen. der prot wird verurteilt, aber für etwas, das er nicht getan hat und das lange nicht so schwer wiegt, wie das, was er getan hat.
Ich habe jetzt mal versucht, die Änderungsvorschläge in den Text einzuarbeiten. Vielleicht wird es so klarer. Für die Stilfragen muss ich mich mal länger an den Text setzen.

 

Hi frankazoid,

am Text orientiert wird der Prot nicht verurteilt, nicht mal gefasst. Schließlich lässt du die Polizisten etwas tölpelhaft gegen den Baum fahren.
"Meine rauchende Knarre" habe ich wohl gelesen. Daraus lässt sich schließen, dass der Protagonist seinen Kumpel wohl beim Spiel erschossen hat. Es kann sich auch versehentlich ein Schuss gelöst haben. Wozu da eine Auflockerung?

Lieben Gruß, sim

 

naja, er wird pauschal von achim verurteilt. für ihn ist er so gut wie schuldig.
meinst du de slapstickhaften polizisten mit der auflockerung? ich wollte da ein wenig groteske hineinbringen. die beiden haben es ihrer ansicht nach ja mit einem recht banalen kleinverbrechen zu tun und behandeln die verfolgung entsprechend. die funktionslogik der drei figuren würde das ja erlauben.

ich bin mir da selber nicht so sicher, ob dieser stilmix eher wirkt oder nicht.
hast du einen vorschlag, wie ich die polizisten glaubhafter bzw. passender gestalten kann?

 

ah, okay, wir kommen dem näher. Ich verstand Verurteilung im juristischen Sinne, nicht im moralischen von Vorverurteilung.
Die Polizisten können ihn nicht für eine Tat suchen und verfolgen, von der sie noch keine Kenntnis haben. Ihnen erscheint erstmal nur verdächtig, dass er wegläuft.
Sie sind ja nicht unglaubwürdig, sie haben nur aus der inneren Logik der Geschichte heraus keine andere Chance. Ich persönlich finde es immer etwas unfair, jemanden als dumm vorzuführen, der noch keine Kenntnis von etwas haben kann. Hätten sie über den Funk schon von einem Leichenfund gehört, hätten sie vielleicht die richtigen Schlüsse gezogen, wer weiß?

Auflockerung bezog sich erstmal auf deine inzwischen editierte Bemerkung zu meinem letzten Vorschlag. In dem Stream of Councenious muss nichts aufgelockert werden.
Ob die slapstickartigen Einlagen bei den Polizisten so geschickt sind, weiß ich nicht. Für mein Gefühl bremsen sie die Emotionen, die die Flucht begleiten aus.
Ich weiß nicht, ob du Achim angesichts seiner Aussagen im Kontrast zu dem Verhalten als Wichtigtuer darstellen wolltest. Deine Kommentare und Erläuterungen legen das nahe, da er sich ja irrt. Mir erschien er eher trotz dieser Aussagen als Zweifler. Da hallt der erste Dialog zwischen den beiden sehr nach.

Lieben Gruß, sim

 

ich glaube, da sprichst du einen weiteren schwachpunkt an. einen zweifler gibt es zwar, aber das ist klaus. es ist eher achim, der auf eine nicht geklärte art und weise die schuld des verfolgten erahnt. oder einfach annimmt. das soll offen bleiben.
wahrscheinlich sollte ich versuchen, die dialoge etwas zu entzerren und beide polizisten zu kennzeichnen. mir ist auch gerade aufgefallen, dass es in der mitte des textes eine passage gibt, die man genau spiegelverkehrt lesen könnte, so dass achim klaus ist und umgekehrt.
ich werde das bei gelegenheit in angriff nehmen.

 

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