Die schwarze Gestalt
Er stand auf der anderen Straßenseite, als sie auf den Bus wartete. In der Dunkel-heit konnte sie nur seine Umrisse erkennen. Er war groß und schlaksig. Obwohl er ihr Gesicht ebenso wenig sehen konnte, wie sie seines, vermied Jenny, direkt in seine Richtung zu starren. Sie tat so als versuchte sie in der Dunkelheit, die nur durch das Flackern einer Straßenlaterne unterbrochen wurde, das Herankommen des Busses zu erkennen. Aber sie schielte immer wieder zu dieser Gestalt auf der anderen Seite der Strasse, die reglos dastand – zu ihr gerichtet.
Was tat er da? Vielleicht wartete er auf jemanden, überlegte Jenny.
Die Scheinwerfer eines einsamen Autos wurden immer heller. Für einen kurzen Augenblick beleuchteten sie das Gesicht des Fremden. Jenny stockte der Atem, als sie für einen Bruchteil einer Sekunde ein Grinsen in dem Gesicht des Mannes aufflackern sah. Er sieht mich an, schoss es ihr durch den Kopf. Er hat mich die ganze Zeit angesehen - mich beobachtet. Jenny sah auf die Uhr. Wo blieb bloß der Bus? Er müsste schon längst hier sein. Sie blickte sich um. Die Strasse war leer. Aus den Fenstern der Häuser brannte kaum mehr ein Licht. Normalerweise war sie kein ängstlicher Mensch. Bis jetzt hatte es ihr noch nie etwas ausgemacht, bei später Stunde noch allein unterwegs zu sein. Doch in dieser Minute bereute sie den Vorschlag ihrer Freundin sie zu begleiten abgeschlagen zu haben.
Endlich, der Bus kam. Sandra stieg ganz vorne beim Fahrer in den leeren Bus ein und setzte sich in einen der verlassenen Sitze, als sie hörte, dass weiter hinten die Türe –es musste die letzte sein - ebenfalls geöffnet wurde. Jemand stieg ein. Dann ging die Türe wieder zu und der Bus fuhr an. Mit einer eigenartigen Ahnung drehte Jenny ihren Kopf nach hinten. Was sie sah bestätigte, was sie ohnehin innerlich gewusst hatte. Eine schwarz angezogene Gestalt saß ungefähr fünf Reihen hinter ihr - mit dem Rücken zu ihr.
Als ihre Station immer näher kam und sie immer noch zu zweit im Bus saßen, wurde Jenny immer nervöser. Was, wenn er ihr folgte? Sie stand auf und das Gefühl, als wären ihre Beine aus Gummi, wurde immer stärker. Noch saß er und rührte sich nicht. Vielleicht fuhr er einfach weiter.
Die Station kam immer näher. Immer noch saß er reglos da. Auch dann noch, als der Bus langsamer wurde und er schließlich zum Stillstand kam. Er saß auch noch da, als sich die Türen öffneten und Sandra ausstieg.
Als sie den Asphalt unter ihren Füssen spürte rannte sie so schnell sie konnte die Strasse entlang. Sie hatte es nicht weit von der Busstation. Sie wohnte gleich in der nächsten Seitengasse der Hauptstrasse. Er war Gott sei Dank nicht mit ausgestiegen, doch ihre Gelassenheit, die sie sonst hatte, wenn sie spät abends nach Hause kam, war verflogen. Sie kam sich vor wie in einem Traum; sie rannte, konnte aber nicht schnell genug sein.
Gleich hatte sie ihre Gasse erreicht. Sie hörte den Bus hinter ihr und fühlte sich ein klein wenig sicherer durch die Helligkeit der Scheinwerfer und das Wissen, dass der Fahrer sie – wenn auch nur für ein paar Sekunden - sehen konnte.
Der Bus fuhr an ihr vorbei. Leer mit verlassenen Sitzen.
Hoffe, meine erste Geschichte ist nicht so schlecht.