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Die Show
Er schmiss sich zu Boden. Sein Quengeln wurde lauter, steigerte sich zu einem Heulen. Dieses abgehackte, stakkatohafte, nervende Heulen. Sie hasste das, oh Gott, wie sehr sie das hasste.
Er strampelte mit den Beinen. Seine kleinen Hacken knallten auf den Boden. Sein Kopf ruckte hin und her, dass seine dünnen Haare wie ein Mopp über die dreckigen Supermarktfliesen rutschten. Sie sah, wie sich kleine, schwarze Krümel darin verfingen.
Die Wut kochte in ihr hoch; langsam erst, stieg warm an ihren Armen hinauf. Sie spürte, wie die Leute stehen blieben, sah aus den Augenwinkeln die Blicke auf sich gerichtet. Diese mitleidigen Blicke. Verachtende Blicke. Genervte Blicke.
Sie ballte die Hände, drückte ihre Fingernägel ins Fleisch, spürte den Schmerz.
Klar, er war noch klein, konnte sich noch nicht kontrollieren, das wusste sie.
Aber jedesmal zog er diese Show ab; JE-DES-MAL! Und natürlich nur dort, wo sie von so vielen Menschen gesehen werden konnte.
Die Wut erreichte ihren Bauch, zog ihren Magen zusammen, kroch in ihre Eingeweide. Sie wusste, was kommen würde.
Sie würde zu ihm gehen, versuchen ihn zu beruhigen, ihn an den Armen hochziehen. Er würde sich wehren, noch mehr strampeln und sich in ihrem Griff winden. Sie würde fester zupacken. Würde merken, wie sich die Haut an den kleinen Arme unter ihrem Griff eindrückt. Sein Heulen würde sich zum Schreien steigern. Alle würden sie anschauen, den Kopf schütteln. Manche würden sogar lachen. Sie würde rot werden, würde schwitzen, würde stottern.
Die Wut erreichte ihren Kopf, schoss in ihr Gesicht, ließ die Röte den Hals hinaufsteigen.
Sie wollte ihn beruhigen, besänftigend auf ihn einsprechen, ihn ablenken.
Sie sog die Luft in ihre Lungen und öffnete den Mund.
Und dann schrie sie…! Ein langgezogener, anhaltender, kreischender Schrei. Immer lauter werdend.
Sie sah die Leute zurückzucken. Sah die Blicke. Entsetzte Blicke. Verstörte Blicke. Eine Frau schlug die Hand vor den Mund.
Der Schrei drückte ihre Lungen zusammen, schmerzte in ihren Eingeweiden, krümmte ihren Körper. Doch sie konnte nicht aufhören.
Dann fiel ihr Blick auf ihn. Er war verstummt. Saß auf dem fleckigen Boden, starrte sie an. Sie sah seine Augen. Sah die Angst darin. Angst vor ihr.
Sie klappte den Mund zu, erstickte den Schrei. Verschluckte das Kreischen.
Tränen stiegen in seine Augen, seine Hände zitterten.
Sie stürzte zu ihm, schlang ihre Arme um ihn, fühlte sein Weinen; ganz anders als das Geheule vorher. Sein Weinen war herzzerreißend. Bohrte sich in ihren Körper, wie Finger, die sich um ihren Magen krallten. Und zudrückten.
Der Schmerz stieg ihre Kehle hinauf, kam in einem Schluchzen heraus. Sie drückte ihn an sich. Er krallte sich an ihre Schulter, versteckte seinen Kopf in ihrem Haar. Nie wieder würde sie ihm so Angst machen. Nie wieder würde sie ihm so wehtun. Nie wieder! Versprochen!