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Die Smetana-Verberger

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26.04.2005
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Die Smetana-Verberger

Haben Sie schon mal die Musik von Bedrich Smetana gehört? Seinen monumenthaft pulsenden Bilder-Zyklus "Ma Vlast", was so viel heißt wie "Mein Vaterland", aus dem man den Teil über die Moldau so spielen kann, dass der Zuhörer das Wasser jenes Flusses wirklich um sich herum fliessen, strömen, gurgeln zu hören glaubt? Seine scheinbar so seichte und plätschernde Salonmusik für Klavier bzw. Flügel, der man erst anmerkt, wie weltmännisch sie eigentlich ist, wenn man ihr mehrere Stunden gelauscht hat? Oder seine schlichte und elegante Triumphsinfonie, eins der größten Meisterwerke rein baulicher Tonkunst? Und wissen Sie auch, wer diese Meisterwerke bisher am besten dirigiert hat? Richtig! Es ist Karel Ancerl. Jaaa – dann wissen Sie nun auch, warum es mich so rasend machte, als ich einmal in München auf ein paar alte Supraphon-Aufnahmen mit Musik von diesem Meister stieß und durch die widrigsten Umstände davon abgebracht wurde, sie mir anhören zu können. München ist eine recht snobistische Stadt; wo man geht und steht, begegnet man Leuten, die sich furchtbarlich was drauf einbilden, Bürger der bayrischen Metropole zu sein, in die ja die Mehrzahl der Bundesdeutschen ziehn würde, wenn sie`s könnte, zumindest Meinungsumfragen zufolge. Ich machte meinen Fund in einem Trödlerladen nahe der Altstadt, diesem durch die Kriegsereignisse so bedauernswert ausgedünnten und verlangweiligten Kern, in dem das Kapital und die teuren Klamotten hausen. Der Inhaber des Geschäfts war zwar gesprächig, aber ich hatte kein Geld bei mir, und ohne eine Anzahlung wollte er mir das Objekt meiner Begierde nicht zurücklegen. Also verließ ich das Etablissement eilig wieder, beim Hinausgehen dem Geschäftsführer hoffnungsvoll nachwinkend, um ihm damit zu bedeuten, dass mein Kauf-Interesse nicht verscheiden würde...

Als ich in meine Bank kam, wurden mir bereitwillig zweihundert Euro ausgezahlt, und flugs machte ich mich wieder auf den Weg zurück zu den heiss von mir begehrten Smetana-Platten. Ich hatte mir die Situation des Ladens, auch den Weg von dorther in die Innenstadt (meine Bank war am Marienplatz) gut gemerkt und fand mich deshalb rasch wieder dorthin. Aber was musste ich erfahren, als ich den Raum betrat?! "Ah! Herr Dunkelberg! Ihre Smetana-Platten sind verkauft! Soeben war ein Herr da, der hat sie mitgenommen." – Nun ja! Ich weiß, dass es mysteriöse Zufälle gibt im Leben, ich habe dergleichen oft genug erlebt, oft schon bin ich dadurch in die heillosesten Verquickungen gekommen, verdächtigt worden, weil, was geschah, so unwahrscheinlich ausschaute, zumal, wenn man mir gleichzeitig auch noch übelwollte. Aber dies hier ging mir denn doch irgendwie gegen den Strich. Nur ein paar wenige fünf Minuten, nachdem ich in dem Geschäft gewesen war, sollte ein Herr sich dort ausgerechnet für mein ganz persönliches besonderes Steckenpferd, alte Supraphon-Aufnahmen der Musik von Bedrich Smetana, dirigiert zum größten Teil von Karel Ancerl, interessiert haben? Ich fragte den Besitzer des Ladens, Herrn Müller, wie der Kerl ausgeschaut hatte. "Ach ja, ein stattlicher Kerl, ja ja..." – mehr war nicht aus ihm herauszubringen. Bestimmt ein Tscheche! – Nun gut, ich gehe also weiter meines Weges durchs innere München, und was sehe ich da? Vor mir, auf dem Trottoir, schlendert in der besten Laune von der Welt Herr Eisenbrei, mein einstiger Lehrer. Russisch und Religion. Es ist ein hochgewachsener, etwas schäbig wirkender Typ, er hat glattes dunkelblondes, kurz geschnittenes Haar, in diesem Moment trug er ein graugrünes Jackett, das auch schon bessere Zeiten gesehen hatte, und an seiner Seite ging der anscheinend letzte Stern seines Herzens – oder vielleicht eher der letzte Schrei –, ein zierliches Weib mit einer Kombination aus dünnem weißem, schwarzem und weinrotem Tuch auf ihrem Leib, sie mag fünf Jahre jünger gewesen sein als er. Eisenbrei beugte sich gerade zu ihr herunter, um ihr mit der Miene großer Wichtigkeit irgend etwas vollkommen Bedeutungsloses mitzuteilen, als ich ihn von hinten anrief: "Bester Freund! Was für eine Überraschung!" Er drehte sich nach mir um, die esoterisch Angehauchte neben ihm wandte nur halb den Kopf, um meiner mehr astralisch als visuell ansichtig zu werden, und Volker – denn so hieß er – stieß hervor: "Haaans! Was machen Sie denn hier?" – Es ist eine alte Unsitte meiner früheren Schullehrer, mich auch als Erwachsenen, ihnen schon Entwachsenen und Entlaufenen dreist weiter mit meinem Vornamen anzusprechen. "Herr Dunkelberg" würde ihnen zu pathetisch vorkommen, also denken sie sich, es wird mich schon keiner dafür bestrafen, nenne ich ihn eben einfach weiter Hans. "Was machen Sie in München?" frage ich ihn. "Wir haben grad ein paar Schallplatten gekauft!" – "Sagen Sie bloß nicht, von Smetana." – "Woher wissen Sie denn das?!!!!!" – "Nun ja, ich wollte sie auch kaufen." – "Hach das tut mir aber jetzt Leid." – "Ja, das sind schon tolle Sachen. Haben Sie sie auch gekauft, weil sie von Ancerl dirigiert sind?" – "Nein, wer ist Ancerl?" – "Na, der Dirigent, der Ihre Sachen dirigiert!" – "Ach so! – Herr Dunkelberg, wir müssen jetzt weiter. Wir sehn uns mal in Wangen, ne... Tschüss!" Und weg war er mitsamt der filigranen Brünetten, die mit ihm ging.

Ich rief ein paar Wochen danach bei Eisenbreis an und fragte, ob ich mir die Smetana-Platten nicht würde aufnehmen dürfen; ich sagte, ich habe eine ordentliche Ausstattung dazu, ein gutes Mikrophon, ich würde sie mir auf CD brennen. "Welche Smetana-Platten???" – "Die, die Sie neulich in München gekauft haben!" – "Hä? Wo gekauft? Wovon reden Sie?" Nein, das ging nicht, aber ich könne mal auf einen Kaffee vorbeikommen.

Die Eisenbreis bewohnen einen stillgelegten Bauernhof am westlichen Rand vom Allgäu, dort, wo die vielen kleinen Hügel, von Gletschern aufgetürmt, langsam verenden und weiteren und volleren Wiesen-Zügen Platz machen. Noch westlich von Wangen im Allgäu. Ich betrat ihr Haus am Sonntag um zehn Uhr vormittags. Frau Eisenbrei-von-Veitschmock packte mich leicht an den Armen, aber zog ihre Pranken gleich wieder von mir fort. Das Erste, was ich dann wahrnahm, war das Geschrei ihrer vielen Kinder. Vor allem das Geschrei von zweien von ihnen: Fedor und Gabriela. Der Bub acht, sie neun. Sie stritten sich um ein Diabolo oder sowas. Frau Eisenbrei-von-Veitschmock verwies sie aggressiv in ihre Schranken. Ich dachte mir: Nun gut, sind ja ihre Kinder. Wenn sich dieses Weib mal die hervorragenden Smetana-Aufnahmen anhören würde, die ihr Mann da in München gekauft hat, würde sich der Ton, in dem sie zu ihren Kindern spricht, aber verschönern. Man lebt nur einmal! Es wäre doch jammerschade, wenn man die wenigen Jahre, die uns hier herunten vergönnt sind, damit vertrödeln sollte, dass man sich gegenseitig das Leben zur Hölle macht. Aber das ist es ja, was die Leute aus dieser Szenerie nicht zu begreifen scheinen, sie glauben an die Wiedergeburt, aber, scheint`s, nur for show, um dadurch alles Mögliche rechtfertigen zu können, sonst würden sie sich ja ganz anders verhalten... Es ist... Frau Eisenbrei-von-Veitschmock riss mich durch ein Angebot aus meinen theologischen Betrachtungen: "Magst du ´n Tee?" – "Oh ja, gern, sehr gern." Anna-Grazia kam aus dem Wohnzimmer geschossen und fragte ihre Mutter, ob sie die großen Reitstiefel anziehen soll, denn sie wollte mit dem Pony ausreiten. "Ja ja, mach das mal so, wie du`s für richtig hältst." Ich wurde dann gefragt, was ich denn so in der letzten Zeit getrieben habe, aber ich merkte, dass Frau Eisenbrei-von-Veitschmock sich nicht wirklich dafür interessierte. Volker sei gerade nicht da, er habe mit dem Auto in die Stadt fahren müssen, um für seinen Sohn Werkzeug zu holen. Der Tee war irgendsowas wie Matte oder Plunder, ich kann`s nicht sagen, ich kenn` mich damit nicht gut aus. Ich hab` mir einverleibt, was in den unterschiedlichen Lebensmitteln drin ist, aber Tee-Sorten unterscheiden zu lernen, dazu hat meine Zeit bisher einfach nicht ausgereicht... Ich versuchte, mir vorzustellen, wie das Sexualleben der Eisenbreis, beziehungsweise der Eisenbrei-von-Veitschmocks, aussehen könnte, aber wurde davon durch die Worte der denn doch erstaunlich liebreizenden Frau abgezogen, die mich umgab. "Also was für Smetana-Aufnahmen sind das?" – "Sehr gute! Sie sind von Karel Ancerl dirigiert, das ist für mich einer der größten Dirigenten überhaupt." – "Aaach." – "Ich hab selbst schon ziemlich viel von ihm, auch Smetana-Sachen... Aber die Sachen, die Sie jetzt in München gekauft haben, kannte ich noch überhaupt nicht, aber sie haben mich sehr interessiert, die Titel sind mir einfach interessant vorgekommen." – "Aaach." – "Ja, ich muss Ihnen erklären, warum ich überhaupt so genau weiß, was das ist! Ich war durch puren Zufall ganz kurz vor Ihnen in dem Laden, und ich wollte die Sachen eigentlich schon kaufen, aber ich konnte sie mir nicht reservieren lassen, weil der Typ mich nicht kannte, und als ich vom Marienplatz mit meinem Geld von der Deutschen Bank zurückkam, da waren Sie schon dagewesen und hatten mir sinnigerweise genau das weggeschnappt, was ich eigentlich hatte kaufen wollen." – "Aaach. – Jaaa, also ich kenne die Platten jetzt gar nicht, der Volker hat die schon woanders hingebracht... Aber vielleicht wollen Sie mit uns Kuchen essen?! Bleiben Sie doch einfach bis zum Nachmittag da, Sie können mit den Kindern spielen, ich bin froh, wenn ich ein bisschen Ruh` hab, weißt du, unsere Kinder sind immer so laut..." Anna-Grazia (sie war dreizehn) steckte ihren Kopf und auch noch einiges mehr durch die Tür herein und ließ verlautbaren: "Die Schallplatten sind auf dem Dachboden. Der Volker hat sie da raufgetan. Er hat gesagt, sie sollen da oben bleiben." – "Anna-Grazia, kannst du mal von den Hühnern die Eier holen?!" – Anna-Grazia machte immer wieder ein paar kurze Schritte vor und wieder zurück, sie schwankte gewissermaßen sagittal – irgend etwas erregte sie. War es meine Anwesenheit? Ich hoffte dies inständig, sind doch junge, unschuldige Mädchen der beste Lackmus-Test, den es gibt, für den Charakter eines Mannes. Wären sie nur flau herumgehangen, die Beine und auch die Arme von dem Mädchen, ich hätte schließen müssen, dass ich ein verbrauchter, moralisch kaputter Mann bin. Aber nein, steif ragte der junge Körper vom Boden auf und folgte den abrupten Befehlen, die ihm die noch frische Seele, der noch nicht missleitete Willen von Anna-Grazia gab. Schließlich ließ sie von uns ab und machte sich zu ihren Hühnern, und dann wohl auch noch zu ihrem Pony, mit dem sie ja anscheinend Gott-weiß-wohin reiten wollte. Die Smetana-Platten würden sie dabei nicht mehr besonders interessieren, nein, sie würde einfach weitertrotten auf ihrem Pony, bis sie dort ankommen würde, wo sie hinwollte.

 
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Hallo Hans Dunkelberg,

und herzlich willkommen bei uns.
Die Geschichte hat leider so gar nichts von Smetana außer dem Titel. An musikalischer Spannung kann sie ihm aber nicht das Wasser reichen. Das ist für eine Hommage an ein Genie vergangener Zeiten ja auch nicht nötig.
Trotzdem fragt man sich ein bisschen, warum wird diese Geschichte eigentlich erzählt? Warum muss ich sie wissen?
Die gleichzeitige Verwendung von Nick und Namen in der Geschichte sollte ich natürlich nicht dazu verwenden, Autor und Protagonist zu verwechseln. Sonst müsste ich ja auf den absurden Gedanken kommen, dass eine relativ langweilige Episode aus dem Schreiberleben schon für wichtig genug gehalten wurde, sie aufzuschreiben und damit zu langweilen.
Sprachlich sicherlich gelungen fand ich die Geschichte leider nicht lesenswert. Manch belauschte Gespräche in der Bahn sind da spannender.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Hans Dunkelberg,
ich kann meinem Vorredner nur zustimmen - sorry -, aber irgendwie erkenne ich auch keine Existenzberechtigung für diese Geschichte. Sie ist sprachlich recht gut erzählt, ich finde sie tatsächlich auch spannend. Und das ist auch das Problem: Der Spannungsbogen steigt, man beginnt, sich Fragen zu stellen. Etwa, warum werden unserem verhinderten Smetana-Käufer die Platten vorenthalten? Was hat es mit dieser seltsamen Familie auf sich? - über die ja durchaus auch gelästert wird. Und überhaupt, man fragt sich wo führt die Geschichte hin. Und dann ist sie unvermittelt zu Ende. Der Schluss franzt aus, das junge Gör trottet davon - und mit ihm der Sinn der Geschichte! Trotzdem: gute Schreibe, ganz ehrlich.

Gruß Herr_Ehrlich

 

Ich hab das durchaus nicht so erlebt. Ich hab drauflosgeschrieben und nachher noch ein paar Stellen verbessert. Als ich so weit geschrieben hatte, wie man es oben sehen kann, schien mir einfach, dass ich aufhören muss. Sorry! Der Schluss scheint mir im Sinn eines impressionistischen Bildes gelungen, eine Richtung, in der man auch das Ganze auffassen kann.

 

Nochmal hallo Hans Dunkelberg,
Ich hab´ sicherheitshalber nochmal nachgeguckt. Deshalb hier ein Ausschnitt der Interpretation der Kunstrichtung Impressionismus (damit wirklich klar ist, wovon wir hier reden), von: http://impressionismus.adlexikon.de/Impressionismus.shtml: "Die Maler des Impressionismus versuchten, einen Gegenstand in seiner augenblicklichen, zufälligen Erscheinungsform zu erfassen statt in seiner inhaltlichten Bedeutung."

Diese akademische Herangehensweise hat bestimmt ihre Berechtigung. Aber ich als einfacher Leser will zum Nachdenken angeregt werden (deshalb lese ich!) - die "impressionistischen" Anregungen in Deiner Geschichte aber geben mir einfach keine Anhaltspunkte, um großartig weiter über Dein "Bild" nachzudenken. Da dreh´ ich mich um und schau mir das nächste an - und das willst Du doch nicht erreichen. Denn ein bisschen Inhalt will ich schon - auch wenn´s (um im Bild zu bleiben) ein impressionistisches Werk ist! Vielleicht bin ich aber auch ein Kunstbanause...

Beste Grüße Herr_Ehrlich

 

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