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Die Strauch-Dynastie
„Seht nur, ist er nicht wundervoll?“, flüsterte Jörg Strauch. In seiner Mimik mischten sich Stolz, Liebe und gespannte Erwartung zu einer grotesken Fratze. Zustimmendes Gemurmel erhob sich, doch sofort legte Strauch den Zeigefinger an die Lippen und das Gemurmel starb augenblicklich ab.
„Schscht, er ist ganz konzentriert, seht Ihr? Heute wird etwas Großes passieren, da bin ich mir ganz sicher“, hauchte Strauch so leise, dass nur die unmittelbar neben ihm Sitzenden es hören konnten.
Martin Schwarz rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her. Die fünfzig Kilo Übergewicht schnürten ihm die Luft ab. Langes Sitzen war am schlimmsten. Seufzend zog er ein Taschentuch aus der Anzughose und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Neben ihm betrachtete Adam Günzich seine Fingernägel. Rita Makkaroni war die einzige außer Strauch, die ihre ganze Aufmerksamkeit dem kleinen Jungen auf dem Teppich schenkte. Der legte gelangweilt den Teddy beiseite und griff sich ein neues Spielzeug. Ruckartig setzte Strauch sich auf.
„Da, er hat den Panzer genommen“, stieß er atemlos hervor. Sofort richteten sich weitere achtzehn Augenpaare auf den Jungen, der nun völlig in sein Spiel vertieft war. Er ließ seinen Panzer über die Weltkarte fahren, die in den Teppich eingewebt war, quer über den Mittelkontinent bis hin in das östliche Vorland.
„Akir, er ist in Akir eingedrungen!“ Strauch sprang von seinem Sessel auf, lief zu seinem Sohn und nahm ihn in die Arme. „Gut gemacht, mein Junge. Dafür schenke ich dir ein Pony und einen neuen Cowboyhut. Na, wie findest du das?“
Der kleine Junge strahlte über das ganze Gesicht. Präsident Strauch gab ihm einen liebevollen Klaps und wandte sich wieder den anderen Anwesenden zu.
„Ihr habt es gesehen. Also los, macht die Truppen startklar und setzt sie in Bewegung. In drei Tagen will ich eine unbesiegbare Streitmacht in Akir haben!“
„Aber, Herr Präsident …“, meldete sich Günzich schüchtern zu Wort.
„Was? Was willst du?“, stieß Strauch hervor. Seine Augen funkelten. Jeder im Raum wusste, dass er Widerworte nicht mochte.
„Wie wollen Sie dieses Vorgehen dem Weltsicherheitsrat erklären?“
Rita Makkaroni runzelte die Stirn. Dieser Bastard wagte es doch tatsächlich, die Anordnung des Präsidenten anzuzweifeln!
„Ähm, na ja, hat die Regierung von Akir nicht kürzlich gegen die des Nachbarstaats gepöbelt? Schwarz, wie heißt dieses Niemandsland noch einmal?“
„Kutawi, Herr Präsident.“
„Genau, wir werden also Kutawi zu Hilfe kommen. Sonst noch was?“
Günzich beschloss, den drohenden Unterton zu ignorieren und sein eigentliches Anliegen vorzutragen.
„Solch ein Krieg kostet Geld. Viel Geld. Das gibt mein, ich meine, das gibt der Staatshaushalt nicht her.“
„Sie sind hier das Finanzgenie. Sie werden das schon irgendwie hinbekommen. Außerdem bringt ein Krieg die Wirtschaft in Schwung. Sie werden sich bald vor Einnahmen nicht mehr retten können.“ Der Präsident ließ seinen Blick über die Runde schweifen. „Damit wäre das auch geklärt. Jetzt aber los, die Zeit läuft. Drei Tage, habe ich gesagt!“
Dreißig Jahre später
„Sitzt meine Krawatte auch richtig? Und passen die Schuhe zum Hemd?“
„Du siehst großartig aus, mein Schatz.“ Bettina stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Peter einen Kuss. „Das muss ja ein überaus wichtiges Geschäftsessen sein. So eitel kenne ich dich ja gar nicht.“
„Ja, es ist wirklich sehr wichtig“, murmelte Peter. Den Grund dafür behielt er lieber für sich. Seit vier Jahren arbeitete er für die Sicherheitsabteilung im Präsidentenpalast. Durch sein Engagement und seine kühle, überlegte Art hatte er sich schnell hochgearbeitet. Und heute war der große Tag. Er würde dem Präsidenten Jörg Strauch Junior das erste Mal persönlich begegnen. Es sollte einen kleinen Empfang geben, und er war für die Koordination der Sicherheitskräfte verantwortlich. Da ihm jedoch strikte Geheimhaltung auferlegt worden war, sagte er lieber gar nichts darüber – selbst zu Bettina nicht.
„Okay, ich muss los. Bis später. Ich liebe dich!“
„Und ich liebe dich!“
„Ah, Peter, da sind Sie ja. Der Präsident ruht sich noch ein wenig aus. Kommen Sie, ich stelle Sie ihm vor. Danach können Sie sich dann um Ihre Leute kümmern.“
Peter folgte dem Verteidigungsminister Willi Braun ins Amtszimmer des Präsidenten. Und da saß er. Peter stockte der Atem. Aber er wollte sich nichts anmerken lassen. Der Präsident kauerte auf dem Boden, inmitten von Spielzeug und ließ ein Flugzeug über den Boden kreisen.
„Herr Präsident, hier ist Peter Bender. Er ist heute für die Sicherheit verantwortlich“, sagte Braun.
Der Präsident legte das Flugzeug beiseite und nahm stattdessen einen Zinnsoldaten.
„Peng, pengpeng.“
„Der Präsident muss sich konzentrieren. Möchten Sie einen Kaffee?“ Braun geleitete Peter zu einem langen Tisch am Fenster, auf dem Kaffee, Tee, Kekse und Obst aufgebaut waren. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Carola Makkaroni betrat das Zimmer.
„Herr Präsident? Sie müssen sich jetzt umziehen.“ Sie hielt ihm einen dunkelgrauen Anzug hin.
„Nein, nein, ich will keinen Anzug tragen! Ich hasse Anzüge! Ich will meinen Cowboyhut!“, plärrte der Präsident.
„Das geht aber nicht. Kommen Sie, ziehen Sie den Anzug an. Es ist ja nur für eine Stunde“, bettelte Carola.
„Sie ist seine strategische Beraterin“, flüsterte Braun Peter zu. „Ihre Mutter war die Kinderfrau des Präsidenten.“
Carola seufzte. „Okay, wie wäre es dann mit der Fliegerjacke? Die mögen Sie doch so gerne. Ja?“
Der Präsident klatschte in die Hände.
„Sehr schön, dann wäre das also geklärt.“ Carola verschwand mit dem Anzug.
‚Oh Gott, der Präsident ist schwachsinnig’, schoss es Peter durch den Kopf.
„Minister Braun, wie wollen Sie den Empfang bestreiten? Ich meine, der Präsident erscheint mir etwas … abwesend.“ Peter blickte mit gerunzelter Stirn auf das Bild, das sich ihm am Boden bot. Strauch Junior hatte sich inzwischen einen Spielzeugpanzer gegriffen.
„Brumm, brummbrumm“, murmelte er.
„Machen Sie sich keine Sorgen. Wenn es drauf ankommt, ist der Präsident voll da“, erwiderte Braun.
Carola kam mit der Fliegerjacke zurück und blieb wie angewurzelt mitten im Zimmer stehen.
„Sehen Sie, sehen Sie nur“, flüsterte sie.
„Oh nein, nicht schon wieder“, stöhnte Braun. „Das letzte Mal war ein absolutes Fiasko!“
„Sie haben den Befehl des Präsidenten gesehen. Wir geben in einer Stunde eine Pressekonferenz. Herr Bender, sorgen Sie für das Nötige!“
„Was ist denn nur los?“, flüsterte Peter Braun zu.
„Der Präsident will in Akir einmarschieren“, raunte der ebenso leise zurück.
„In Akir? Aber warum denn?“
„Keine Ahnung, aber wir sollten es lieber tun, sonst brüllt und tobt er wieder, bis wir seinem Befehl letztendlich doch Folge leisten.“
„Ich will einen Cowboyhut, ich will sofort einen neuen Cowboyhut!“, schrie der Präsident.
Carola ging zu ihm und strich ihm besänftigend über den Kopf. „Natürlich, Sie bekommen Ihren neuen Cowboyhut. Aber erst nach der Pressekonferenz.“
„Frau Makkaroni, zurzeit besteht keine Veranlassung, in Akir einzumarschieren“, versuchte Peter es noch einmal.
„Wir werden schon etwas finden. Sagen Sie den Geheimdiensten Bescheid, sie sollen sich was einfallen lassen. Dafür werden sie schließlich bezahlt. Und besorgen Sie mir die Tonbandaufnahmen von der Pressekonferenz des Vaters des Präsidenten. Wir werden sie brauchen.“
„Wofür?“, fragte Peter verwundert.
„Der Präsident kann sich verbal nicht so gut ausdrücken. Aber das Thema ist schließlich dasselbe. Wir lassen das Tonband ablaufen, und der Präsident steht am Rednerpult. Das merkt kein Mensch“, erwiderte Carola gelassen.
„Und Sie machen da mit?“ Zornig blickte Peter auf Braun.
„Allerdings. Und Sie auch. Vergessen Sie nicht: Sie wissen jetzt zuviel. Unsere Geheimdienste sind vielfältig einsetzbar. Und Sie möchten doch nicht, dass Bettina etwas zustößt, oder? Sie heißt doch Bettina, nicht wahr?“
Peter wurde blass. Wortlos drehte er sich um und schlug voller Wut mit der Faust so kräftig gegen die Wand, dass Blut von seinen Knöcheln tropfte.
„Nun machen Sie schon, sichern Sie den Konferenzraum und instruieren Sie Ihre Leute. Ich hole inzwischen das Tonband.“ Braun zog Peter mit sich und verließ mit ihm das Zimmer.
Als sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, tätschelte Carola liebevoll den Rücken des Präsidenten.
„Brav, das hast du fein gemacht. Endlich hat sich das Üben gelohnt. Nun endlich bekommt meine Mutter Gerechtigkeit für das, was die Akiri ihr angetan haben. Der Mann ermordet, das Haus niedergebrannt, musste sie – eine Fürstin! – in dieses Land fliehen und hier unter falschem Namen Kinderfrau spielen. Aber nun bekommt sie ihre Rache. Und ich, die ich Prinzessin gewesen wäre, auch. Auf Befehl des Präsidenten von Westland!“
Und dann lachte sie und lachte, bis ihr Tränen die Wangen hinunterliefen. Der Präsident sah mit leuchtenden Augen zu ihr auf und klatschte in seine Hände.