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Die Suche nach dem gar nicht mal so großen Donnerkristall
"Du bist der Antiheld", sagte der Held und säbelte dem finsteren Ork mit einem Zing den Kopf von den grünen Schultern.
"Ich will aber nicht der Antiheld sein! Warum kann ich nicht einfach nur Held sein?"
"Weil ich bereits der" - Zing, Ork Nummer zwei - "Held bin. Und es kann immer nur einen Helden in jedem Abenteuer geben."
"Ja, aber..."
"Da gibt es keinen Grund zur Aberei. Fürderhin bist du klein." Zing "Du bist dick." Zing "Du bist hässlich." Zing "Du hast überall Pickel." Zing "Du trinkst und rauchst wie ein Schlot." Zing "Und vor allem stink..."
"Ja, ist ja gut." Es war nicht ganz einfach, dem Helden zu folgen - immerhin musste ich nicht nur den Orks und ihren zu Boden regnenden Köpfen ausweichen, sondern auch seinen zwar unterschwelligen aber einem so sensiblen Wesen wie mir natürlich unentgehbaren Beleidigungen.
Mein Name ist BenLego und ich gehöre dem Stamm der Ekeloiden an. Ihr kennt doch bestimmt diese weichen, puscheligen Knuddelwesen mit lieblich riesengroßen Augen, seidig glänzendem Fell, knuffig unbeholfener Gangart und diesem unerträglich süßlichen Glucksen, wenn man sie unter dem unendlich niedlichen Kinn krault? Also, die haben wir einst ausgerottet. Und da, wo die früher gelebt haben, da leben jetzt wir.
Ekeloiden sind kleine, weitgehend orangefarbene Wesen etwa von der Größe eines kleinen Hundes. Rehpinscher etwa. Oder Dackel. Und ja, ich muss zugeben, dass das mit den Pickeln nicht ganz falsch war, allerdings handelt es sich bei den lilan Pusteln um Glückspickel. Man sagt, wann immer einem Ekeloiden so ein Knubbel aufeitert, dann...
"Komm schon, wir müssen weiter!" Der Held stützte sich auf den Griff seines im Brustkorb eines Orks steckenden Schwertes und trommelte ungeduldig mit seinen Fingern auf den Knauf.
"Aber ich war gerade dabei, den Leuten ein wenig über mich zu erzählen. Hintergründe und so."
"Welche Leute?"
"Kennst du nicht. Immerhin bin ich hier der Erzähler."
"Fürwahr. Und wahrlich."
"Und der Antiheld", grummelte ich hinterher.
"Grummelei ist fehl am Platze, junger Freund. Antiheld sein ist toll. Du darfst Alkohol trinken. Hast du schon mal einen Helden gesehen, der sich den Freuden des Lasters hingibt? Nein, Helden machen so etwas nämlich nicht, denn die sind immer rein und gut und solcherlei. Schluderei geziemt sich nicht. Hast du eine Ahnung, wie gerne ich mal wieder eine schöne saftige Zigarre..."
"Aber du kriegst am Ende das Mädchen."
"Welches Mäd... ach, meinst du die Tochter von König Pumpernickel? So toll ist das auch nicht. Fürwahr, die ist so schlau, wie du schön und sieht obendrein so aus, als hätte jemand versucht, ihr die Mondoberfläche direkt ins Gesicht zu modellieren."
"Versucht?"
"Komm jetzt, wir haben einen Donnerkristall zu bergen."
"Hast du denn auch schon artig alle Orks abgemurkst?"
"Ich denke schon. Oder siehst du noch einen, der sich beweglich zeigt?"
"Der da hinten."
Zing
...
"Ach, ist der niedli... oh nee, doch nicht."
"Müssen wir uns hier aufhalten?"
"Ja", antwortete der Held und stellte uns der Hexe vor. "Seid gegrüßt, werte Hexe. Ich bin der Held. Du weißt schon, glorreicher Retter der Welten, siegreicher Zerstörer all seiner Feinde, Vernichter allen Übels und so. Und der kleine Kerl, der, wie du eben so trefflich formuliertest, erheblich an Niedlichkeit zu wünschen übrig lässt..."
"Arsch."
"... trägt den Namen BenLego. Mit großem L in der Mitte."
"Hach, wie eloquent du sein kannst, wenn Frauen anwesend sind", säuselte ich und gab mich wieder meinem erstaunlich bröckeligen Raucherhusten hin.
"Dein Freund klingt, als würde er gleich sterben."
"Das muss so sein, gute Frau. Er ist immerhin der Anthiheld."
"Ah, verstehe."
"Sagt an, werte Hexe, habt ihr schon einmal vom großen Donnerkristall gehört?"
"Nein."
"Wie jetzt... echt nicht?" Irgendwie schien der Held damit nun gar nicht gerechnet zu haben.
"Ich kenne einen Donnerkristall", fuhr die Hexe fort. "Aber der ist nicht besonders groß. Um genau zu sein, ist er ziemlich klein. So klein etwa, wie das Furunkel auf der Stirn deines Freun..."
"Könnten wir jetzt bitte damit aufhören?", fuhr ich dazwischen. "Sonst könnt ihr gleich ohne Erzähler weitermachen. Und dann will ich euch mal sehen, wie ihr... wie ihr... naja, ohne Erzähler halt!"
"Entschuldige", sagte die Hexe. "Also, der Donnerkristall gehörte König Pumpernickel. Doch dann hat der finstere Zauberer ihn gestohlen."
"Der Zauberer?"
"Ja."
"Du meinst den Antagonisten?"
"Genau den."
"Der gemeinsam mit seinen finsteren Schergen der Dunkelheit sein Dasein im ewig lichtlosen Turm der unendlich unendlichen Nonlumination umgeben von vermutlich ziemlich gemeinen..."
"Ja. Den meine ich."
"Fürwahr?"
"Und wahrlich."
"Nun denn, junger BenLego, lass uns einen Feldzug sondergleichen beginnen."
"Kann ich vorher noch kurz pinkeln gehen?", fragte ich. "Ich meine, ich kenn dich, und da wo du dich immer rumtreibst, ist es echt schlecht mit Sanitär und so."
"Ich bin der Held, ich spüre nie Verlangen nach solcherlei Betätigung."
"Ich auch nicht", grinste die Hexe. "Darum hab ich auch kein Klo. Du solltest übrigens echt was gegen den Husten unternehmen."
...
"Jetzt mal ehrlich, wollen wir nicht mal die Klischees tauschen?"
"Was meinst du?"
"Naja, dass ich dann mal der Held sein kann und du der An..."
"Bist du mit der Gesamtsituation unzufrieden?"
"Ach, ich weiß nicht... seit meine Frau mich verlassen hat, ist alles so komisch."
"Du hattest ein holdes und vermutlich blindes Weib an deiner Seite? Erzähl."
"Hey, ich hab die letzten Jahre damit verbracht, die Sache im Alkohol zu ertränken und zu vergessen."
"Und?"
"Jetzt hab ichs vergessen."
"Du hattest es echt schwer, oder? Keks?"
"Sag mal, wie weit ist es eigentlich bis zu diesem Zaubererturm?"
"Zwei bis drei Monde schätze ich."
"Nimms mir nicht übel, aber als Gott die Längenmaße verteilt hat, warst du sicher pinkeln."
"Wie ich sagte, ich bin ein Held und brauche nicht..."
Zwei bis drei Monde später erreichten der Held und ich tatsächlich den ewig lichtlosen Turm der undendlich unendlichen Nonlumination, der interessanterweise inmitten einer sehr hübsch gestalteten Waldlichtung stand. Ein paar Rehe ästen, niedliche Kaninchen tollten im Geäst des prunkvollen Buschwerks und hordenweise Glühwürmchen gaben sich alle Mühe, die Szenerie in ein verheißungsvoll romantisches Licht zu tauchen.
"Mann... um die Büsche zu fällen, braucht man sicher einen guten Hering", sagte ich.
"Wie meinen?"
"Ach nichts. Kleine Fremdanspielung. Das gehört sich so in Heldenepen."
"Ist das wieder so eine Erzählersache?"
"Ja. Gehen wir rein?"
"Harre ein, werter Freund." Ich harrte einen Moment ein, wobei ich die meiste Zeit damit verbrachte, mich zu fragen, wie das geht, und folgte mit meinem Blick dem emporgereckten Zeigefinger des Helden. Er deutete auf einen Typen, der aus einem der oberen Fenster des Turms baumelte und sich mit letzter Kraft am Sims festhielt. Man konnte förmlich spüren, wie ihn die Kräfte verließen, und als er sich schließlich nicht mehr halten konnte...
"Ach, das ist nur ein Cliffhanger. Ich würde jetzt wirklich gern reingehen, bevor ich so ganz antiheldenmäßig von einem Pfeil oder so getroffen werde."
"Hier gibt es keine Pfeile, werter BenLego."
"Das spielt keine Rolle. Wir kriegen immer eine Schusswunde mit."
"Es würde mir das Abenteuer fürwahr ein wenig erleichtern, wenn deine ewige Grummelei über dein Schicksal sich im Rahmen halten würde."
"Ich grummel gar nicht, ich wollte nur die Brenzligkeit der Situation herausstellen... da! Siehst du, jetzt ist es passiert." Ich zog den Pfeil aus meiner Schulter und präsentierte ihn dem Helden.
"Wahrlich, du hast Recht. Lass mich das eben regeln."
"Soll ich mitkommen?"
"Bei allem Respekt, junger Freund, dies ist eine Heldenangelegenheit."
Sprachs und betrat den Turm alleine.
Natürlich wäre es jetzt eine tolle Sache, wenn ich seinen heldenhaften Weg die Stockwerke hinauf schildern könnte, die wahnwitzigen Kämpfe, die grandiosen Siege, die haarsträubenden Manöver knapp am Tode vorbei, die ellenlangen und spannungsgeladenen Dialoge mit dem Zauberer, die schier nervenzerfetzend gefährlichen Kontermanöver des Antagonisten, den wahrhaft perfekten und vollkommen überraschenden Plan des Helden, den damit einhergehenden grausamen Tod des Zauberers und schließlich den glorreichen Moment, in dem der Held den Donnerkristall in die Hände nimmt und voller Zuversicht und Freude über die damit perfekte Rettung der Welt den Rückweg antritt. Kann ich aber nicht, denn ich war nicht dabei. Bin ja schließlich der Antiheld unter den Erzählern.
Stattdessen kann ich aber erzählen, wie ich mich die Zwischenzeit über beschäftigt habe. Zuerst verbrachte ich ein paar schweißtreibende Momente damit, meine Wunde zu verarzten. Da ich kein Unterhemd hatte, das ich zwecks Verbandbildung zerreißen konnte, mussten ein paar Löwenzahnblätter herhalten. Danach lehnte ich mich an die Turmwand und betrachtete eingehend meine Fingernägel, bohrte ein wenig in der Nase, rauchte ein oder zwei Zigaretten, seufzte das ein oder andere Mal über die Ungerechtigkeit dieser Welt und meinen Platz darin, bereute, dass ich keinen Alkohol mit auf unsere Odyssee genommen hatte und verfluchte meine Exfrau auf mehr als kreative Art und Weise.
"So, da bin ich wieder", sagte der Held.
"Hast du den Kristall?"
"Fürwahr."
"Fein. Dann kannst du ja jetzt die Belohnung einheimsen."
"Du meinst die Hand der liebreizenden Prinzessin, deren Liebreizendheit sich eigentlich in der Tatsache beschränkt, dass sie eine Prinzessin ist?"
"Genau. Ich beneide dich nicht wirklich um dieses Los. Ich meine, die olle Schrulle ist echt nicht ganz das, was ich mir unter einem netten Lebensabend vorstellen würde..."
"Ja. Aber auch diese Pflicht gehört zu den Lasten eines Helden."
Naja, und dann geschah, was halt geschehen musste. Eine meiner Glückspusteln platzte und erfüllte mir meinen größten Wunsch.
"Das war irgendwie zu erwarten."
"Hey, wir haben die Rollen getauscht!", sagte der ehemalige Held. "Jetzt kannst du ja die Prinzessin heiraten."
"Fürwahr", grummelte ich. "Und wahrlich."