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Die Uhr

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03.10.2007
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Die Uhr

Gestern habe ich meine Taschenuhr verloren oder irgendwo vergessen oder jemand hat sie mir geklaut. Wenn ich das nur wüsste. Jedenfalls war sie weg. Die Uhr.
Und ich hänge doch so sehr an dem Ding.
Wissen Sie, es war kein Geschenk von meinem Großvater oder ein Liebesbeweis meiner ehemaligen Verlobten. Nein. Ich habe die achtzehn Karat Gold Savonnette vom A. LANGE & SÖHNE, Baujahr 1902, selber gekauft. Schon vor Jahren.
Herrje, mein Herz blieb fast vor lauter Schreck stehen, als ich bemerkte, dass sie nicht mehr auf dem Nachtkasten lag.
Die ganze Wohnung habe ich durchwühlt; die Teppiche blieben auch nicht verschont. In meiner Torheit ließ ich beinahe meinen geliebten „Dodo“ entkommen, als ich in seinem Käfig nach der Uhr suchte. Ja, sogar im Keller ging die Suche weiter, obschon ich seit Tagen nicht mehr unten war.
Meine Verzweiflung, die war unermesslich.
Deswegen kam ich zu spät zur Arbeit. Das erste Mal seit…seit…Ach, das erste Mal überhaupt.

„Heute so in Eile, Herr Postdirektor?“ Fragte mich der Frisör.
„Mein lieber Emil, lassen Sie bitte das Scherzen, sehen Sie nicht, dass ich kopflos bin? Ich habe meine Savonnette verloren. Es ist furchtbar, einfach schrecklich.“
Ich ließ ihn wortlos zurück, wo er weiter auf dem Platz vor dem Eingang seines Salons zusammenkehrte.
Doch die Straße war lang und jeder Geschäftsmann, der sich in den ersten Morgenstunden vor seinem Laden befand, stellte eindeutig fest, dass ich, Albert Hlavac, gewissenhafter und überpünktlicher Postdirektor, äußerst zerstreut und gehörig unfreundlich wirkte.
Was würden Sie sonst über einen Mann denken, der auf die Frage „haben Sie schon gehört, unser Herr Bürgermeister erlitt gestern Nacht eine Blutvergiftung?“, folgende Antwort gibt: „Jaja, Frühlingswetter. Ihnen auch einen schönen Tag.“
Als ich zu allem Übel noch feststellte, dass ich meinen Hut zu Hause vergaß und stattdessen die ganze Zeit die leere Luft zum Begrüßen erhob, guckte ich nur noch beschämt auf den Boden und beschleunigte meinen Schritt. Doch dann fiel mir ein weißgelber, runder Fleck auf meinem Schuh auf.
„So ein Mist!“
Das Gesicht der Operndirektorin, die mich just in dem Augenblick nach meinen Impressionen der gestrigen Aufführung fragte, verzog sich schmerzhaft und sie verpasste mir noch ein paar eindrucksvolle Schläge mit ihrem Sonnenschirm.
„Sie Rüpel, Sie.“
„Frau Zagorsky, Sie haben…Sie haben mich falsch verstanden“, rief ich verzweifelt. „Bitte hören Sie…Ich kann alles erklären.“ Vergeblich. Sie eilte beleidigt davon.

Im Büro angekommen, ließ ich mir von Lucie, meiner Sekretärin, sofort einen kalten Umschlag für meinen brummenden Schädel bringen, ein Glas Zuckerwasser und ihren Fächer. Mein Gesicht war krebsrot, ich schwitzte und war außer Atem. Die letzten fünfhundert Meter bin ich nur noch gerannt; weil mich die schöne Konstanze, während ich meinen Schuh putzte, nach der Uhrzeit gefragt hatte. Ich ließ sie einfach stehen und rannte - ohne ein einziges Wort zu sagen -, wie von einer giftigen Schlange gebissen, davon.
Armes Ding, was wird sie wohl über mich denken?
Das muss wieder gutgemacht werden.
„Lucie, kommen Sie bitte in mein Büro.“
Sie erschien mit einer Notiz.
„Schicken Sie bitte Fräulein Konstanze einen prächtigen Blumenstrauß. Rosen, Gladiolen, Nelken…keine Ahnung, welche Blumen ihr Herz begehrt. Aber keine, die so schnell welken. Vergessen Sie auch nicht, eine Entschuldigungskarte zu schreiben. Wie meinen, Sie wissen nicht, was Sie schreiben sollen? Herrgott, Lucie, lassen Sie sich doch etwas einfallen. In Ordnung? Eine Kleinigkeit noch, verbinden Sie mich bitte mit dem Polizeipräsidium.“

Kommissar Wachowsky, der seinen Ruhm durch die Erfassung eines Landstreichers erlangte, dessen Tat im Stehlen eines zum Abkühlen abgestellten Blaubeerkuchens bestand, hörte mit Staunen und Neugierde meine Geschichte. Er kannte die Savonnette und es machte ihn betroffen, dass ‚so viel Abschaum draußen frei herumläuft’.
„Wäre ich nicht so konsequent und hartnäckig, hätte ich den Dieb damals niemals gefasst.“ Seine Stimme klang jetzt verbittert und er hörte sich wie ein stolzer Kriegsveteran an. „In was für einer Welt leben wir…wenn aus Angst keine Hausfrau mehr ihren Blaubeerkuchen auf die Fensterbank abstellen darf?
Herr Postdirektor, Sie können sich auf mich verlassen. Wissen Sie, in der Zelle haben wir einen Kerl liegen, der, wenn Sie mich fragen, wie ein geborener Uhrendieb aussieht.
Igor und ich, wir werden das Vögelchen schon zum Singen bringen.“
Auf einmal wurde der Kommissar wütend.
„Wer weiß, vielleicht ist der Kerl sogar Anführer einer ganzen Bande, die in der Gegend Ausschau nach heißen Kuchen halten, welche sie dann genüsslich im Walde verspeisen? Ohne Schlagsahne und ohne Himbeersaft. Ich bezweifle sogar, dass sie Servietten benützen. Doch sie haben nicht mit mir gerechnet. Herr Postdirektor, ich berichte Ihnen später, welche Erkenntnisse die Befragung erbracht hat. Auf Wiedersehen.“
Die Zeit, bis er wieder anrief, schlug ich mit Pflanzengießen und lustlosem Stempeln verschiedener Formulare tot.
Kurz vor Dienstschluss meldete sich der Kommissar erneut.
„Tut mir Leid, Herr Postdirektor, aber ich habe einfach schlechte Nachrichten für Sie. Mein Vögelchen ist mit Sicherheit kein Uhrendieb, denn, wie ich feststellen konnte, fehlte ihm das Wissen des Uhrzeitablesens. In mühevoller, stundenlanger Arbeit, erklärten ihm Igor und ich, welche Bedeutung die beiden Zeiger haben. Außerdem kann er jetzt bis zehn zählen, ohne seine Finger benützen zu müssen. Das Schreiben mancher Buchstaben bereitet ihm noch Schwierigkeiten, doch das Wort MAMA, schrieb er ganz alleine und ohne unsere Hilfe.
Göttchen, der arme Kerl wusste bis heute nicht wie ein gegrilltes Hähnchen schmeckt. Und beim Anblick eines Blaubeerkuchens, brach er in Tränen aus. In was für einer Welt leben wir, in der nach Blaubeerkuchen hungrige Analphabeten nach Erkenntnis suchen und…“
Ich legte auf. Ein paar Minuten vergingen, bevor ich erneut den Hörer in die Hand nahm.
„Hallo.“
„Guten Tag. Hier spricht Postdirektor Hlavac. Wir sollten uns treffen.“

Auf dem Weg nach Hause begegnete ich Konstanze. Als sie meine Stimme hörte, öffnete sie sofort ihren Schirm, welchen sie mit ausgestreckter Hand vorm Gesicht hielt. Es schien, als wollte sie sich damit verteidigen.
„Stehen bleiben“, schrie sie, „bleiben Sie wo Sie sind und kommen Sie ja nicht näher.“
„Aber Fräulein Konstanze“, ich blieb tatsächlich stehen, „was haben Sie? Wieso darf ich Ihnen nicht näher kommen?“
„Das wissen Sie ganz genau, Herr Postdirektor, Sie haben es mir heute selber geschrieben. So eine Chinesische Grippe, die Sie haben, ist mit Sicherheit hoch ansteckend.“
„Chinesische Grippe? Wer? Ich?“
Erst jetzt fiel mir die Entschuldigungskarte ein. Diesmal hat es meine Sekretärin ganz weit getrieben.
„Liebe Konstanze“, ich kam einen Schritt näher, „das ist ein Missverständnis…“
Zum zweiten Mal an diesem Tag rannte ich. Sie schrie so laut, dass mir einfach keine andere Wahl übrig blieb, als davon zu laufen.

Er wartete auf mich, außerhalb der Stadt, alleine.
„Ist schon eine Weile her, Herr Postdirektor, nicht?“
„Ja, ein paar Jahre oder so. Haben Sie die Ware mit?“
„Selbstverständlich. Was ist eigentlich mit der alten passiert?“
„Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht hier…Der Preis, der ist doch gleich geblieben, oder?“
„Für Sie schon.“
Mit beiden Händen öffnete er seinen Mantel, in dessen Innenwänden unzählige Uhren verschiedener Größen und Formen hingen.

 

Das erste Mal seit…seit…Ach, das erste Mal überhaupt.
seit ... seit ... ach; vor und nach den drei Auslassungspunkten je eine Leerstelle, ist noch paar mal so
„Heute so in Eile, Herr Postdirektor?“ Fragte mich der Frisör.
?", fragte
Was würden Sie sonst über einen Mann denken, der auf die Frage „haben Sie schon gehört, unser Herr Bürgermeister erlitt gestern Nacht eine Blutvergiftung?“, folgende Antwort gibt: „Jaja, Frühlingswetter. Ihnen auch einen schönen Tag.“
hehe
Als ich zu allem Übel noch feststellte, dass ich meinen Hut zu Hause vergaß und stattdessen die ganze Zeit die leere Luft zum Begrüßen erhob
vergessen hatte
und rannte - ohne ein einziges Wort zu sagen -, wie von einer giftigen Schlange gebissen, davon.
Komma weg
„Wer weiß, vielleicht ist der Kerl sogar Anführer einer ganzen Bande, die in der Gegend Ausschau nach heißen Kuchen halten, welche sie dann genüsslich im Walde verspeisen? Ohne Schlagsahne und ohne Himbeersaft. Ich bezweifle sogar, dass sie Servietten benützen. Doch sie haben nicht mit mir gerechnet.
hehe
„Tut mir Leid, Herr Postdirektor, aber ich habe einfach schlechte Nachrichten für Sie.
leid

Hallo so_04,

und herzlich willkommen auf kg.de :anstoss:

Deine Geschichte finde ich einigermaßen amüsant, nichts, was einen vor Lachem vom Hocker fallen lässt, aber an manchen Stellen taucht schon ein Grinsen auf.

Das Ende ... hmja, man hätte eine richtige Pointe erwartet. So ist es etwas ... lau, sag ich mal.

Aber als Einstand hier fand ich die Geschichte gut, nur weiter so :)

Bruder Tserk

 

Halli-Hallo :)

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren, und auch für die nette Begrüßung.

Ihr habt recht, die Pointe ist mir nicht so großartig gelungen, vielleicht kann ich das Ende anders gestalten, damit die Geschichte nicht so abrupt endet.

Tserk, deine Korrekturvorschläge habe ich gleich übernommen :thumbsup:

Bis zum nächsten Mal,

so_04

 

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