Die Verwandlung
Die Verwandlung
Es begann während ich einkaufen war und war schon dort, so rede ich es mir zumindest ein um mein Gewissen zu beruhigen, nicht mehr aufzuhalten.
In der linken Hand hielt ich eine kleine Tüte mit meinen neusten Errungenschaften, welche sich aus einer CD und einer kleinen Aufmerksamkeit für meine Freundin zusammenstellten. Mit der anderen Hand schaltete ich meinen Mp3-Player ein, wählte ein Album aus und ließ mich durch die ertönende Musik von der Welt um mich herum abkoppeln.
Die erste Ampel auf meinem Weg zurück nach Hause glomm rot. Da bemerkte ich die seltsame Schwüle zum ersten Mal. Es war nicht wirklich warm, aber dennoch erschienen mir Pullover und Anorak auf einmal zu viel und ich öffnete letzteres. Dann warf ich einen Blick nach oben. Der Himmel war wolkenverhangen, grau mischte sich in grau und es war kein strahlendes Hitzewetter zu erkennen. Stattdessen kämpften sich nur einzelne Sonnenstrahlen durch die zugezogene Decke. Dennoch wurde mir die Luft immer bedrückender und schwerer. Zudem irritierte mich noch ein zweites Leuchten am Himmel, dem der getrübten Sonne ähnlich, nur weiter nördlich. Dieses Licht strahlte allerdings weniger intensiv und flackerte ein klein wenig.
Ein jähes Vibrieren in meiner Hosentasche riss meinem Blick zur Erde hinab.
„Ja“, meldete ich mich an meinem Handy nachdem ich es hervorgezogen und Samanthas Namen auf dem Display gelesen hatte.
Sie erzählte mir, dass sie noch mit ein paar Freundinnen shoppen war und beschwerte sich über die Wärme. Während wir redeten überquerte ich die Straße bei Grün und ging nach Hause.
„Ich mich auch Schatz“, antwortete ich , meine Freude auf unseren bevorstehenden gemeinsamen Nachmittag ausdrückend, und verabschiedete mich zum Schluss: „Bis dann!“
Kurz nachdem ich das Handy weggesteckt hatte, hielt ich es in meinem Anorak nicht mehr aus. Ich entledigte mich ihm, indem ich ihn mir über die Schulter warf.
Als der große graue Block in Sichtweite kam, bemerkte ich auch die Reaktionen meiner Mitmenschen auf diese Wetterkapriole. Einem alter Mann, der mir entgegen kam, lief so stark die Nase, dass der vordere Kragen seiner Jacke schon komplett durchnässt war. Außerdem hustete er sehr stark und schüttelte sich dabei heftig. Beide Hände vor Mund und Nase stolperte er an mir vorbei.
Das Nächste war ein Säugling, der in seinem Kinderwagen zum Gotterbarmen schrie, und dieses Schreien nur durch ebenfalls herzerweichende Hustanfälle unterbrach. Die junge Mutter des Kleinen wirbelte mit Tränen in den Augen um ihr Kind herum und schien völlig verzweifelt. Ich wusste gar nicht, wen ich mehr bemitleiden sollte und beschleunigte meine Schritte.
Pkws, wohl schon alt und mit zerfressenem Unterboden, stockten auf der Straße neben mir und blieben gurgelnd stehen.
Konnte ich diese Anzeichen alle noch notfalls ignorieren und vergessen, so schien dies, als ich um die letzte Häuserecke auf meinem Weg bog, unmöglich. Dort standen zahlreiche Vögel, Tauben, Spatzen, Amseln, Nebelkränen, alle tummelten sich auf dem Pflaster vor meinem Häuserblock, obwohl sie doch sonst in den Bäumen saßen oder in den Wänden hockten. Sie blickten um sich und ließen einige verwirrte Passanten durch ihre Mitte, flogen aber nicht davon fast so, als wäre ihnen die Luft zu schwer zum Fliegen.
Auch ich suchte meinen Weg hindurch, immer darauf Bedacht, keines der kleineren Tiere zu zertreten. Aber so schwerfällig waren sie dann doch noch nicht. Stattdessen hüpften sie von meinen Schritten davon oder über meine Schuhe drüber.
Die halbverglaste Haustür war beschlagen. Ich holte meinen Schlüssel aus der Hosentasche, wobei mir auffiel, wie sehr ich schwitze. Mein Pullover war in der Achselgegend ekelhaft feucht.
Oben, im sechsten Stock angekommen, begann ich vor meiner Wohnungstür stehend ebenfalls zu husten.
Das Kratzen hatte ich schon vorher bemerkt, doch erst jetzt stichelte es auch in meiner Lunge und ich wollte es raus haben.
Nach einigen angestrengten Versuchen tränten mir die Augen. Ich musste mich vornüberbeugen und erschrak, denn die Luft in der Wohnung war stickig und erdrückend. Mit einer Schere hätte ich wahrscheinlich ein Stück herausschneiden können. Kurz weigerte ich mich die Tür hinter mir zu schließen.
Irgendwas sagte mir, dass es mir in der Wohnstube besser ergehen würde. Allerdings musste ich mich zu jedem Schritt zwingen da ich kaum noch atmen konnte. Zudem verfolgte mich ein grauenhaft schmatzendes Geräusch. Der Teppich unter mir hatte sich mit Wasser vollgezogen. Ich hatte keinen Schimmer woher das Wasser kam, aber es füllte langsam den Flur.
Die Tüte war mir aus den Händen gefallen. Ich brauchte alle beide um mir den Mund und die Brust zu halten. Es brannte fürchterlich in meiner Kehle und ich watete weiter durch den ansteigenden See inmitten meiner Wohnung.
Mir wurde schwindlig. Luft, Luft ich wollte es ausschreien, aber hatte kaum noch Kraft dazu. Bald schmerzte mein ganzer Körper.
Das Fenster zu öffnen, um alle Luft der Außenwelt in mich aufzunehmen, schien meine einzige Möglichkeit wieder zu atmen. Ich hatte Angst.
Der Griff war nass, ich rutschte mehrmals ab bevor er sich drehen ließ. Dann stützte ich mich aufs Fensterbrett, hielt meinem Kopf nach draußen und atmete tief ein.
Die Schmerzen stießen mich brutal ins Zimmer zurück. Keine Luft füllte meine Lungen, es konnte irgendein anderes Gas gewesen sein, aber ganz sicher nichts zum Atmen, stattdessen schien es, als hätte jemand brennendes Stroh durch meine Nase, durch die Luftröhre bis hinab zu den Lungenflügeln gestopft. Was darauf geschah, nahm ich nun bloß noch am Rande wahr.
Ich stolperte und fiel rückwärst. Dabei stießen ein Schwall Wasser in einem weiteren Hustenkrampf aus Nase und Mund. Rücklings landete ich in dem Becken, welches sich inzwischen im Wohnzimmer gebildet hatte. Das Wasser schlug über mir zusammen und da ich es nicht mehr länger aushielt nahm ich einen tiefen Schluck und zog es auch durch die Nase.
Zuckungen überfielen meine Körper. Immer wieder schossen meine Arme und Beine nach oben, warfen Tropfen empor, die darauf auf mich nieder plätscherten.
Draußen regnete es.
Zuletzt sah ich Samantha, über den Boden des Einkaufzentrums schwebend. Ihre langen dunklen Haaren umgaben ihren Kopf wie ein Schleier und ihre Jacke plusterte sich auf. Um sie herum trieben andere, von denen manche noch kämpfend zuckten.
Ihre leeren Augen...