Die Verwandlung
Als Grgr Summsumm eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in einen winzigen Menschen verwandelt. Er kauerte, wie zur Nachtruhe gewohnt, unter einem Haufen aus morschen Holzresten und fauligen Blättern, doch das dabei stets empfundene warme Gefühl der Geborgenheit war verschwunden. Stattdessen drückten ihn die scharfkantigen Holzstückchen an etlichen Stellen seines Körpers — sein ehemals so imposanter und seidig-grün schimmernder Panzer hatte sich in eine weiche, warme, mit leichtem Flaum bedeckte Haut verwandelt —, und der modrige Geruch, eigentlich beruhigend, hing ihm dick in der Nase, sodaß ihm das Atmen schwer fiel.
Um von diesem Unsinn Abstand zu finden, versuchte er im Halbschlaf, sich tiefer in seinen Haufen zu graben und noch ein Weilchen zu dösen. Doch das stellte sich schnell als unmöglich heraus. Nicht nur, daß seine starken Beine mit ihren imposanten Krallen, die ihn hier gestern noch mühelos eingegraben hatten, zu schwächlichen und verletzlichen Stümpfen geworden waren, die bei jeder Berührung mit ihrer Umwelt schmerzten, es fehlten ihm auch noch zwei Stück.
Vollends erwacht, wurde ihm sogleich wieder diesig, als er zur Orientierung seine Fühler ausstrecken wollte — er hatte keine mehr. Die Welt erschien ihm dumpf und platt, wie durch einen allesumfassenden Nebel; er fühlte sich taub durch und durch, fast entleibt.
— Dabei spürte er seinen Leib deutlich wie nie zuvor. Die feuchten Blätter klebten an ihm und ließen ihn frösteln; ein merkwürdiges Gefühl. Er konnte jeden einzelnen Abschnitt an seinem Körper genauestens lokalisieren und wahrnehmen — überall pieksten ihn harte Spitzen und Kanten und wollten in ihn eindringen.
Diese Absonderlichkeiten und die Beengtheit seines Haufens, die am Vorabend noch so anheimelnd war, ihn nun jedoch auf unnatürliche Weise quälte, ließen eine leise Panik in ihm aufkommen, die ihn, das fühlte er genau, bald seine Selbstkontrolle kosten würde.
„Beim Skarabäus!“, dachte er. „Ich muß an meiner Lebenssituation arbeiten! Denn irgendwo existiert bestimmt eine höhere Macht, die mich hier im Augenblick beobachtet und von mir erwartet, daß ich mein Schicksal zu meinem eigenen und dem Besten der Allgemeinheit in die Hände nehme. Dann werden Ruhm und Ehre meinen Erfolg krönen!“
Verwundert über die fremdartigen Gedanken, die sich wie von selbst in ihm formten, kämpfte er den Drang zu beten nieder und klappte seine verbliebenen Gliedmaßen ein sogut es ging, um sich zu beruhigen.
„Heute werde ich den ganzen Tag krabbeln. Das wird toll. Vielleicht bekomme ich ja endlich den Herrn Schlingensief von nebenan zu packen, der sieht schon seit Tagen so nahrhaft aus. Ob ich das Fräulein Brummse wiedersehen werde? Hach, ich könnte mich Stunden lang an ihren fetten Unterleib heften. Zum Glück ist der schreckliche Rockotock letzte Woche den Wieselschweiflings zum Opfer gefallen. Obwohl die Wieselschweiflings gefährliche Freßfeinde sind, denen man nichts gönnen sollte, bin ich mithin wenigstens einen los.“
Solchen und ähnlichen rechtschaffenen Gedankengängen folgend schöpfte Grgr langsam aber stetig Mut und Zuversicht aus seiner Käfermitte, und alsbald hatte er das garstige Aufwachen vergessen. Von frischem Tatendrang gestärkt befreite er sich endlich aus dem dunklen Innern seines Schlafhaufens.
Draußen angekommen erregte er freilich sofort großes Aufsehen unter seinen Mitkäfern — so ein Ding hatten sie noch nie gesehen. Alles kam herbeigekrabbelt, Fühler betasteten ihn, und nachdem die Ersten herausgefunden hatten, daß dieses Ding weich und schutzlos war, probierten sie ein Stück. Schnell begriffen alle, daß es sich hier um eine ganz besondere Leckerei handelte, und so hatten sie ihn innerhalb von wenigen Minuten bis auf’s Skelett abgenagt.
Obwohl Grgr Summsumm bis zuletzt nicht müde wurde, zu betonen, er habe Verbindungen nach ganz oben und er wolle sofort mit dem Verantwortlichen sprechen und das alles werde ein Nachspiel haben.