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Die Würde des Menschen
Genervt, gelangweilt und gestresst, stellte ich mich in der Schlange an, die mir die kürzeste schien und knallte meine Packung Kaugummi auf das Fließband; Gerade so, als wollte ich die mütterlich aussehende Frau, die vor mir stand, darauf aufmerksam machen, dass ich nur ein Teil kaufte und dass von einer höflichen Person erwartet würde, dass man einem Einteil-Kunden den Vorrang lässt, wenn man im Begriff ist einen so riesigen Berg Fleischwurst zu kaufen.
Natürlich hatte ich es nicht mit einer höflichen Person zu tun und um mein Recht gewaltsam einzufordern, fehlte mir das Rückrad, sodass ich mich mit meiner Position in der Nahrungskette, direkt hinter dem Berg Fleischwurst abfinden musste.
Plötzlich näherten sich von hinten zwei Einzelkämpfer, die sich langsam aber bedrohlich in der Schlange vorankämpften. Es handelte sich um zwei türkische Kinder, die so ungefähr neun Jahre alt gewesen sein mussten. Einer von beiden wirkte frech, der andere rotzfrech. Obwohl ich keine klare Information darüber hatte, ob meine Vorurteile zutrafen, stellte ich mir vor, wie mir einer gleich die Zunge rausstrecken würde und nahm sofort fürchterlich Rache, indem ich mich so langsam voranbewegte, dass sie hinter mir vergammeln mussten..
„Entschuldigung! Pause ist gleich um! Kannst du uns bitte vorlassen?“
Erstaunt über die höfliche Absicht der Nachfrage, winkte ich die beiden durch und bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich sie so falsch eingeschätzt hatte.
Dennoch scheiterten die beiden genau wie ich an der Fleischwurstmama, die auf ihre ebenso höfliche Anfrage nicht einmal reagierte und platzierten ihre Schokoriegel dementsprechend hinter den Einkaufsutensilien der Dame.
Ich entschied mich einzugreifen um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen und machte sie darauf aufmerksam, dass die Jungs sie höflich gefragt hätten, sodass sie augenrollend zur Seite bockte und sich überholen ließ.
„1,17€!“,
forderte der Kassierer ebenso augenrollend, nachdem er die Schokoriegel durch den Scanner gezogen hatte und würdigte die beiden dabei keines Blickes.
„1,17€! Wat is? Brauchse dat auf türkisch?“,
wiederholte der Kassierer seine Forderung mit ungeduldiger Stimme.
Der Junge, den ich zuvor fälschlich als rotzfrech eingeschätzt hatte, kramte einen Berg Kleingeld aus der Tasche, der so aussah, als sei er abgezählt.
„Jetz bezahlt der mich in Lire!“
Langsam fand ich, dass der Kassierer mit seinen Kommentaren zu weit ging. „Dat is zu wenig!“,
jammerte er nachdem er das Geld gezählt hatte und löste eine gewaltige Diskussion auf Talkshow-Niveau aus, in die sich nicht nur die Fleischwurstmutti sondern auch zwei Jugendliche, und die Filialleiterin einschalteten.
„Das is so typisch! Die Jugend von heute ist nichmal fähig, einfache Rechenaufgaben zu lösen!“
„Klar! Fällt ja auch dauernd aus, der Unterricht! Hauptsache die kleinen Scheißer lernen ihr Muttersprache! Als ob sie das zu Hause nicht schon genug tun würden!“
„Meine Familie sitzt zu Hause und wartet aufs Essen, weil ich hier von zwei Blagen aufgehalten werde die genauso gut im Türkenladen einkaufen könnten, wo das normal is mit Kleingeld zu bezahlen!“
Obwohl das Gespräch immer schlimmer wurde und den beiden die Demütigung deutlich anzumerken war, als von Hinten sogar schlechte Kanakenwitze auf dümmliches Gelächter stießen, hielt ich mich raus, blieb ganz ruhig und wartete, bis ich dran war.
Verdutzt schaute der Kassierer mich an, als ich ihm ebenfalls einen Berg Kleingeld entgegenprasseln ließ und fragte mich was das denn solle.
„Tut mir leid! Ich bin leider nicht fähig, diese einfache Rechenaufgabe zu bewältigen, da Mathe heute wiedereinmal ausgefallen ist und muss Sie darum bitten, das für mich zu machen.
In der Zwischenzeit kann ich ihnen aber gerne erzählen, was ich dafür in Geschichte gelernt habe:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Daraufhin ging ich und ließ sowohl mein Kleingeld und die Packung Kaugummi, als auch einen verdutzten Haufen urdeutscher Arschlöcher zurück.