Die Wahrheit schläft nie tief genug
„Ich hasse Zehen. Zehen, Ohren und die Nase sind etwas vom Ekligsten am Menschen. Doch diese Zehen sind perfekt. Geschmeidig, sympathisch-trollig. Sogar die Zehennägel sehen aus, wie frisch von der Pedicure. Dann die schönen Beine. Nicht so hässlich behaart. Sie sind glatt und doch kräftig, atlethisch, männlich. Starke Knochen und Muskeln spannen die Haut. Das schmale Becken mit seiner leichten, weichen Rundung. Als wollte es nicht protzen. Selbst sein Geschlechtsteil wirkt nicht irgendwie ordinär. Keine Scham umfliegt mich, wenn ich mit meinen Augen darauf haften bleibe und mein Blick darauf ruhen lasse. Es ist, als würde man ein perfektes Gemälde von höchstem künstlerischen Anspruch studieren. Der Oberkörper ist schlank. Weniger hager, als zierlich, als elegant und geschmeidig. Die Schultern sind kräftig und breit. Die Arme lang und sehnig. Die Hände die eines Kreativen. Lange grazile Finger, deren Kuppen geschützt von glatten, sauberen Fingernägeln sind. Ein langer Hals führt zu seinem Gesicht. Seine Augen geschlossen. Die feminin langen Wimpern, scheinen den Wangenansatz zärtlich zu berühren. Die grossen Augen sind geschlossen, als würden sie einen wertvollen Schatz behüten. Zwischen ihnen beginnt die Erhebung des Nasenbeines. Wie ein starkes Gebirge, führt es zum breiten, zierlichen Mund hinunter, der zu einem Strich gebildet ist. Ein fleckenloses, schlafendes Gesicht. Ich verbleibe lange Zeit mit dem Blick darauf, bevor ich mich überwinde und das weisse Tuch hochziehe und den toten Körper überdecke, verschwinden lasse, vor meinem verzauberten Auge.“
Kristo Marre hörte wie die knirschende Tür hinter ihm aufging und drehte sich vom Leichnahm des 22jährigen Jungen weg.
„Ist er schon verstaut?“, fragte der Eindringling. Ein mitte vierzig jähriger Mann mit streng gekämmten Haar und gepflegtem Schnäuzer im Gesicht.
„Er liegt hier, zugedeckt, Mario.“, antwortete Kristo Marre, der mit der linken Hand noch immer den Tuchsaum des Lakens hielt, das über dem toten Körper lag.
„Du willst mich doch nicht verarschen?“, fragte Mario Presko misstrauisch. Kristo lächelte amüsiert und meinte laut, mehr an sich selbst gerichtet:
„Wie kann es das geben. Ein Ermittler bei der Mordkomission, der keine Leichen sehen kann.“
„Ich kann schon Leichen sehen.“, meinte Mario sich nähernd, „nur reisse ich mich nicht darum, wenns nicht unbedingt nötig ist.“
Als er Kristo gegenüberstand, sah dieser wie Tränen über Marios Gesicht liefen.
„Du weinst doch nicht etwa?“, wollte er verblüfft wissen.
Mario griff sich überrascht ins Gesicht. Während er in seiner Hosentasche kramte, antwortete er: „Nein, ich hab irgend so eine blöde Entzündung am Auge. Schrecklich so was.“, er zog ein Taschentuch hervor und drückte es sich gegen sein rechtes, gerötetes Auge.
Kristo grinste frech, drehte sich mit präsentierender Gäste zum zugedeckten Leichnahm.
„Nun, das ist der Tote, um den es hier geht.“
Mario sah auf das weisse Lacken, durch das sich die Körperkonturen des Toten abzeichneten, während Kristo fortfuhr: „Etwa seit zwei Tagen überm Jordan. Feinster Schädelbruch. Wohl mit dem Hockeyschläger, den ihr da gefunden habt. Das Blut an der Kelle spricht ja wohl für sich. Ich kann dir aber noch eine grosse Freude bereiten.“
„Die wäre?“, entgegnete Mario.
„Ich kann dir jetzt schon das Tatmotiv nennen.“
Der 22jährige Junge hiess Michelle Klein und wohnte in einem kleinen Studio in der Stadt. Er war vom Vermieter tot auf seinem Sofa vorgefunden worden. Sein Schädel war übel zugerichtet worden, mit einem Hockyschläger, der nebenan am Boden lag.
„Das Tatmotiv?“, wiederholte Mario.
Überlegen grinsend antwortete Kristo: „So ist es.“
„Schiess los.“, bat Mario.
„Aids. Er war HIVPositiv.“
„Du meinst, er hatte Streit, mit dem, der ihn angesteckt hat, oder..“
„oder mit dem, den er angesteckt hat.“
„Möglich.“, antwortete Mario in leicht enttäuschtem Ton.
Mario Presko war ein alter Hase in dem Job. Er war ein ruhiger, bedachter, erfahrener Ermittler. Nur wenige seiner Fälle waren ungelöst zu den Akten gelegt worden.
Kristo strich sich kichernd über den Hinterkopf.
„Du wirst das schon machen.“, sagte er zu seinem Kollegen, den er schon seit Jahren kannte.
Mario Presko war von allen sehr respektiert. Nicht nur als Ermittler sondern auch als Freund und Kollege. Ein erfolgreicher Mann, der beneidet werden konnte. Mario war mit einer wunderschönen Frau verheiratet, die ihm eine wunderbare Tochter geschenkt hatte, welche gerade ihr Chemiestudium begann.
„Habt ihr schon was?“, die Neugierde siegte einmal mehr über die zurückhaltende Art Kristo Marres.
„Ein Tagebuch. Ich werde nachher mal reinsehen. Ansonsten nicht viel. Seine Eltern kommen heute vorbei, um ihn zu identifizieren. Mal sehen, ob sie was zu sagen haben.“
Nachdenklich sah Mario wieder auf das weisse Tuch.
„So alt wie meine Tochter.“
„Geh lieber.“, meinte Kristo plötzlich mit bestimmter Stimme, „sonst wirst du noch emotional.“
Lächelnd blickte der Ermittler zum Gerichtsmediziner und nickte ihm dankbar zu. Er hob die Hand zum Gruss, drehte sich und verliess ohne noch ein Wort zu verlieren, das Obduktionszimmer.
*
„Was tust du gerade?“
„Arbeiten.“
„Und was?“
„Unschöne Geschichten auflösen.“
„Und jetzt in diesem Moment?“
„Ich sitze da. Rauche eine dieser herrlichen Zigarillos, die mir Emi zum Geburtstag geschenkt hat und rede mit ihrer Mutter, der wunderbarsten Frau auf diesem Planeten.“
„Tatsächlich?“
„Wenn ichs doch sage.“
„Was hast du ausgefressen?“
Kichernd kratzte sich Mario an der Stirn. Dann bemerkte er sein brennendes Auge wieder. Mit der rechten Hand, in der er den Zigarillo hielt, wischte er sich eine Träne weg. Nach einem Blick in den Spiegel an der Wand gegenüber, meinte er: „Wie kann eine wunderschöne Frau wie du, so einen Frosch lieben?“
„Bist du in der Midlifcrisis?“
„Nein, ich hab nur einen halbmeterflächigen, roten Fleck im Gesicht und ein Auge, das mir gleich hinaushüpft.“
„Du armer Kerl.“
„Nein, nein, du arme Frau.“
Schallendes Gelächter zwang Mario den Hörer etwas vom Ohr weg zu heben. Eines von vielen Dingen, wofür er seine Frau so sehr liebte. Sein Blick streifte das Tagebuch des toten Jungen, das er noch anlesen wollte, bevor dessen Eltern eintreffen.
„Ich muss jetzt weiterarbeiten, Geliebte.“
„Du weißt, dass du mir das Herz aus der Brust reisst, aber nun ja.“
„So sei es.“
Lächelnd legte er auf, nachdem er einen Kuss zu seiner Frau durch die Leitung geschickt hatte.
Er nahm einen tiefen Zug von seinem Glimmstengel. Griff nach dem in dunkel-rotes Leder eingebundenem Buch, liess sich in die Lehne zurückfallen und öffnete es:
Eine schöne Handschrift fiel ihm auf, noch bevor er das erste Wort gelesen hatte. Rauch stiess aus seinen beiden Nasenlöchern.
„Ich bin der Zufall eines gelangweilten Gottes. Mein Name tut nichts zur Sache. Ich werde sterben. Natürlich, alle werden sterben. Doch ich früher. Wie ein kleines Kind, das immer erster sein will. Der Arzt diagnostiziert, nennt es Aids. Ein Virus, namens HIV und ich sei positiv. Ich bin nicht positiv, ich war schon immer das Negativ. Das in mir ist kein Virus. Vielleicht eine Krankheit, aber nicht Aids. Es ist Hass, Wut. Verachtung. Ekel vor allem und jedem, vor mir. Vor dem was ich vor mir jeden Morgen im Spiegel sehe. Diese glatte Hülle. Dieses Abziehbild einer Figur aus einem Hochglanzwerbespot. Ich fühle mich diesem ihm in nichts nahe, in nichts verwandt oder verbunden. Fremd.
Ob mich immer noch alle berühren wollen, wenn sie es erfahren? Merkwürdig. Menschen wollen mich anfassen. Mich streicheln. Meine Haut sei so weich, mein Gesicht so schön. Sie lieben mich, oder das was sie sehen. Was sie in diese Hülle aus Leere hineindenken können. Ich lasse es zu. Sollen sie mich berühren. Sollen sie sich nehmen, was sie brauchen. Ich werde ihnen allen etwas mitgeben. Ein Geschenk. Eine Überraschung, die sie in Jahren heimsuchen wird.
Meine Nähe spende ich nur Menschen, die ich hasse.
Meine Eltern waren gut und liebten mich. Sie fassten mich nie an. Meine Mutter pflegte zu sagen, zerstör nicht diese unschuldige Schönheit. Sie war nie schön. Ihr vernarbtes, aufgedunsenes Gesicht, mehr mitgeschleift als getragen von ihrem zusammengefallenen Körper. Mein Vater klein und stummelig. Mehr Kröte als Mensch. Doch das alles nur äusserlich. Sie waren Menschen. Eltern. Liebende. War ich alt genug, zog ich von ihnen weg. Weit weg. So wollten sie es. Nicht weil sie mich nicht liebten. Sondern weil sie mich so sehr liebten. Sie glaubten mich zu verschmutzen. Dabei waren sie das einzig gesunde in meinem Leben.“
Seite für Seite. Mario blätterte. Sprang von Seite zehn zu zwanzig. Doch auf jedem Blatt fand er den selben Hass und Ekel vor. Ein Tagebuch? Ein Abfallbeutel gefüllt mit schlechten Gefühlen. Warum krieg ich immer die Verrückten, dachte Mario. Er war gespannt auf die Eltern, die von dem Jungen im Tagebuch so bildhaft beschrieben worden waren. Der Stummlige, dachte Mario amüsiert. Zwang sich dann wieder ins Buch zu sehen und weiter zu lesen.
„Sie verhüten doch? Hat mich der Arzt gefragt. Ich antwortete nicht. Sollte ich lügen? Nachdem ich es erfahren hatte, ging ich los. Überall stiess ich auf die selben Blicke. Mein Lehrer, der mir immer zufällig über die Oberschenkel strich. Ja, ihn würde ich als erstes besuchen. Er sollte bekommen, was er wollte und noch viel mehr. Ich wusste es schon, als ich nach der ersten Prüfung eine Note vorfand, die ich nicht erarbeitet hatte. Fehler waren korrigiert worden, nicht von mir. Mein Blick ging hoch, nach vorne und er lächelte mir verschmitzt entgegen. Ein guter Lehrer, heisst es. Ich habe vor ihm nicht mehr Achtung, als vor den betrunkenen Mädchen auf den Universitätspartys. Mit verschmiertem Gesicht und aufreizenden Kleidern. Ihr Lachen, das mehr ein Grölen ist. Ihre Gespräche, wie leere Seifenblasen, die hochsteigen und im Nichts wieder zerplatzen. Sie reden nach, was sie lesen und hören. Nicht fähig zu eigener Meinung oder Gedanken. Sie klagen an und verurteilen. Wissen aber nicht einmal, von was sie eigentlich reden. Wenn sie Witze reissen, dann nur über das Leid und die Makel anderer Menschen. Ich werde mit jedem dieser Mädchen schlafen. Und ich werde sie in zehn Jahren wiedersehen. Wenn sie vom Virus von innnen heraus zerfressen sind.“
Mario drückte den braunen Stummel im Aschenbecher aus und blies den letzte Zug in den Raum. Er wusste nicht, ob er lachen, gerührt oder genervt von dem sein sollte, was er da zu lesen verurteilt war. Depressive Scheisse eines Pubertierenden, urteilte er und schloss das Buch. Die Uhr wies ihn an, sich von seinem Stuhl zu erheben und in seine Jacke zu schlüpfen. Er hatte sich mit den Eltern des Jungen um drei verabredet. Er würde sie zur Leiche ihres Sohnes begleiten, wo sie ihn identifizieren sollten.
Er musste an dem verabredeten Platz nicht lange warten, bis er sie kommen sah. Die Beschreibungen im Tagebuch ihres Sohnes trafen zu. Mario erkannte sie sofort.
Beide versuchten Fassung zu tragen. Der kleine Mann und die skurril proportionierte Frau.
„Wir hatten kaum Kontakt zu ihm.“, erklärten sie dem Ermittler auf dem Weg, „Er wollte uns nie mit etwas Negativem belasten.“, erzählten sie weiter.
„Sieht er schlimm aus?“, wollte der Vater wissen, als sie das Gebäude erreicht hatten.
Mario zögerte, da er den Leichnahm noch nie gesehen hatte.
„Nein.“, antwortete er dann knapp.
Kristo Marre stand schon bereit, als Mario Presko mit den Eltern im Schlepptau eintraf. Mit betroffenem Gesichtsausdruck ging er auf die Eltern zu und reichte ihnen die Hand. Mario liess sich etwas in den Hintergrund fallen. Er empfand es noch immer nicht als nötig, die Leiche des Jungen selbst zu sehen.
Kristo zog zögerlich das weisse Tuch vom Gesicht des Toten weg.
„Das ist er nicht.“, meinte die Mutter entsetzt. Nun drehte sich auch Mario zu ihnen. Kristo verwarf erschrocken die Hände.
„natürlich nicht.“, meinte er, als er das Gesicht des 46jährigen Mannes wieder bedeckt hatte, „Das ist der Falsche.“
Mario trat mit tränendem rechten Auge zu den Eltern und legte der Mutter seine Hand auf die Schulter.
Kristo führte sie zu einem Körper weiter. Da der 46jährige mit offenem Brustkorb dalag, war er glücklich gewesen, hatte er vorhin nicht den ganzen Körper entblösst gehabt.
„Das ist er.“, meinte Kristo mit zurückgewonnener Ruhe und zog das Tuch nach unten.
Still sahen die Eltern den Jungen eine Weile an. Dann meinte seine Mutter:
„Er ist wunderschön.“.
Kristo nickte. Er bemerkte nicht mit welch entstetzem Gesichtsausdruck Mario Presko dastand und das Gesicht des toten jungen Michelle musterte.
Dieses Gesicht kannte Mario. Er kannte das Gesicht aus seiner Erinnerung, wo es tief eingebrannt war. Jetzt in diesem Moment, wurde der vorbildliche Polizist, Familienvater und Ehemann Mario Presko mit etwas konfrontiert, das er gewohnt war von seinem üblichen Leben abzustreifen, zu verbergen und verstecken. Es zu vergessen, wie es für andere gar nicht existiert. Doch da im Anblick dieses Jungen konnte er sich nicht verstecken. Dabei konnte er gar nicht mehr sagen, wie oder wann das alles seinen Anfang genommen hatte. Es war nicht einmal ein wirkliches Gefühl, das ihn irgendwann dazu veranlasst hatte, die Strasse hinabzufahren, die als verrucht und dreckig galt. Die Strasse, in die man einbog, wenn man alleine war. Wenn man alleine, einsam und voller Leidenschaft und Begierde war. Eine Strasse, wo man alles für Geld bekam. Mario Presko war eines Nachts in die Strasse eingebogen und sie entlanggefahren. Sah die Frauen im Regen stehen und etwas weiter hinten die jungen Männer. Er sah, wie Autos hielten und sich die hier Wartenden ihnen näherten. Doch Mario Presko hielt nie, er fuhr nur durch die Strasse und sah sich die jungen Männer an. Zumindest anfangs.
Es war dieses Gesicht, dieser wunderschöne Blick. Der Mund, der ein kleines aber ungemein warmes Lächeln zauberte. Und es war die Einsamkeit, die Mario Presko in sich fühlte, trotz seiner Familie, die zu Hause für ihn da war. Dies alles war Grund genug, um den Wagen an den Strassenrand zu fahren und zu warten, dass der junge Mann heran kam. Mario Presko sah in jener Nacht nicht hoch, als der Junge die Wagentür öffnete und einstieg. Er hörte, wie sich die Tür wieder schloss und fuhr los, ohne den wunderschönen Jungen mit einem Blick zu würdigen. Einzig fragte er: „Du bist doch volljährig?“ –„Natürlich.“, hörte er den jungen Mann antworten. Er hatte eine wunderbare Stimme, befand Mario und sah ihm zum ersten Mal in die Augen. Damals war Marios rechtes Auge noch ok. Jetzt in diesem Moment hier vor dem toten Jungen, neben seinen Eltern, brannte es wie Sau. Plötzlich begann die Mutter des Jungen zu schreien und warf sich über den daliegenden Leichnahm. Umarmte und küsste ihn. Mario Presko erinnerte sich an den Bucheintrag „Sie fasste mich nie an.“, jetzt tat sie es. Zu spät.
Mario Presko merkte, wie er langsam den Halt auf seinen Beinen verlor. Er versuchte der Wand entlang den Raum zu verlassen, bevor er das Bewusstsein verlieren würde, doch schaffte es nicht. Kurz vor der Tür wurde alles schwarz vor seinen Augen und er wurde ohnmächtig.
„Policia, Policia!“.
„Kristo, du Hurensohn.“
Lachen.
„Was war denn da los? Weißt du überhaupt, was eben passiert ist?“
„Ich bin bewusstlos geworden. Alles klar.“
„Ja, vor einer Stunde. Die Eltern werden gerade von einem jungen Kollegen von dir vernommen.“
„Die wissen nichts.“
Mario kämpfte sich auf und strich sich übers Gesicht, als er mit der Hand sein rechtes Auge erreicht hatte, schrie er auf.
„Das sieht scheisse aus, Mann.“, meinte Kristo Marre und reichte seinem Freund ein Glas Wasser, „Geh nach Hause schlafen.“
Mario sah ihn ernst an. „Ich kann nicht.“, antwortete er und die Erinnerung an die Nacht mit Michelle kam zu ihm zurück. Der Junge hatte ihn in ein Hotelzimmer geführt. Es war schlicht, aber recht sympathisch eingerichtet gewesen. Der Junge hatte sich ihm als Lorenzo vorgestellt. Wie Mario jetzt wusste, eine Lüge.
Der Junge begann mit sanfter aber bestimmter Stimme seine Preise für die jeweiligen Dienste auf zu zählen. Er war billig.
„ich will das alles nicht.“, hatte Mario erklärt, „ich will nur nicht alleine sein.“
„Dann geh zu deiner Frau.“, antwortete der Junge mit dem Blick auf Mario`s Ehering.
„Dort bin ich alleine.“
Der Junge lächelte, als kenne er diesen Satz nur zu gut. Als hätte er ihn schon tausendmal gehört. Trotzdem war sein Blick keineswegs spöttisch, sondern verständnisvoll. Er nannte Mario den Preis und sie begannen da zu sitzen und hin und wieder ein paar Worte auszutauschen. Zuerst zögerlich und dann immer spontaner und freier. Er wollte es sich damals nicht eingestehen, doch an diesem jenen Nachmittag, wo Mario Presko in Kristos Büro auf der Couch sass, wusste er, er hatte sich damals in den Jungen verliebt.
„Ich brauche deine Hilfe, Kristo.“, begann Mario plötzlich.
„Was?“, wollte der Gerichtsmediziner wissen.
„Sei mein Arzt.“
Kristo sah ihn fragend an.
„Ich meine, lass das Polizist sein weg. Nimm mich als Patienten.“
Noch immer verstand Marios Freund nicht.
„Ich muss mich auf deine Schweigepflicht verlassen können.“
In diesem Moment wusste Kristo, dass ein dunkles Geheimnis darauf wartete gelüftet zu werden. Er ging zu seinem Schreibtisch, öffnete die unterste Schublade. Hob präsentierend eine Flasche Whiskey hoch, öffnete sie und genehmigte sich einen Schluck.
„Na dann.“, meinte er, als er sich samt Flasche seinem Freund gegenüber hinsetzte.
Mario erzählte leise, aber fliessend von seiner Beziehung zu dem Jungen. Wie er ihn nach dieser einen Nacht immer wieder besucht hatte und wie es nicht bei Gesprächen blieb. Mario hatte sich zu den teureren Dienstleistungen hochgearbeitet.
„Irgendwann war der Junge nicht mehr an der Strasse gestanden. Das war aber schon vor langer Zeit. Es hat noch andere junge Männer da. Aber keinen wie ihn.“
„Du hast Angst dich angesteckt zu haben.“, fasste Kristo zusammen.
„Mach einen Test.“
So geschah es. Nachdem Kristo eine Blutprobe genommen hatte, verliess Mario das Büro und ging zurück in sein eigenes, wo das Tagbuch des Jungen noch immer auf ihn wartete.
„Ich bin jetzt Verdächtiger.“, hatte Mario als letztes zu Kristo gesagt, bevor er gegangen war.
Als er hinter seinem Schreibtisch sass und sich einen Zigarillo anmachte, fiel ihm auf, dass sein rechtes Auge nicht mehr tränte, dafür brannte es noch stärker als zuvor. Er starrte auf das Tagebuch des Jungen. Dachte daran, dass er selbst einer von diesen von dem Jungen verhassten Gestalten war. Feige und dreckig. Und erinnerte sich an das Gefühl, das ihm der Junge in jenen Nächten gegeben hatte. Er hatte ihm die Scham und das Schuldgefühl genommen. Mario Presko wusste nichts, ausser, dass er möglicherweise Aids hatte und den Virus auf seine Frau übertragen hatte und dass sein Leben in Brüche gehen würde. Früher oder später bestimmt. Mario griff entschlossen nach dem Buch und öffnete es auf der letzten beschriebenen Seite, er las den letzten Satz:
„Ich glaube, ich liebe ihn.“
Überrascht blätterte er vor und begann mit neuem Antrieb zu lesen.
„Seit langer Zeit war ich heute wieder auf dem Schulhausplatz. Neue Schüler tummelten sich dort, noch immer ebenso dumm, wie die Letzten.
Angwidert sah ich ihrem Treiben eine Weile lang zu. Ich weiss nicht warum, doch in diesem Moment fühlte ich mich einsam. Natürlich bin ich alleine, doch das war schon immer gewollt. Doch in diesem Moment spürte ich eine Sehnsucht nach Kontakt und Gemeinschaft. Dieses Gefühl liess mich nicht von diesem Ort weichen. Ich blieb den ganzen Tag über da. Erst als das Schulhaus leer und der Platz verlassen war, trat ich meinen Nachhauseweg an. Ich ging schnellen, schon fast ängstlichen Schrittes. Meinen nachdenklichen Blick hielt ich auf den Strassenboden gerichtet. Diese neuen Gefühle verwirrten mich. Liessen mich nicht zur Ruhe kommen und plötzlich wurde ich zu Boden gerissen. Ein Zusammenstoss. Ich hörte wie ein Fahrrad zu Boden fiel und sah, wie ein junger Mann an mir vorbei auf dem Boden aufschlug.
Mit Schmerzen am Rücken und aufgeschürften Händen kämpfte ich mich auf. Stöhnend lag der Fahrradfahrer immer noch am Boden. Ich bin zu ihm gegangen und half ihm auf. Er blutete am Kopf und hatte Kratzer im Gesicht. Sein Ärmel war zerrissen. Er trug eine hässliche Pilzfrisur. Mit glasigen Augen sah er mich an und meinte, es täte ihm leid, er habe nicht aufgepasst. Ich musste lachen. Er sah so schlimm aus, als wäre er überfahren worden und er, er entschuldigte sich bei mir, der ich kaum zu Schaden gekommen war. Ich begleitete ihn zum Arzt, da er wirklich übel aussah und alleine kaum gerade gehen konnte. Es......
Es war komisch. Ihn so aus dem Schulhaus kommen zu sehen. Er sieht noch immer recht mitgenommen aus. Während des Cafes sagte er aber, dass alles nicht weiter schlimm sei. Mir gefiel sein Lachen. Toni studiert Medizin. Er tut es aus ehrlichen Beweggründen und ist vollkommen begeistert von seiner Chance. Ich hörte ihm gerne zu. Die Zeit verflog im Nu. Immer wieder wollte er von mir etwas wissen. Ich log ihm allerhand vor. Was sollte ich sagen? Ich hasse alle Menschen? Ich lasse mich ficken, weil ich die Leute damit umbringen will.....
Egal wie sehr ich mich bemühe in ihm ebenso wie in allen anderen das Schlechte zu sehen, es gelingt mir nicht. Egal, wie sehr ich versuche, nicht an ihn zu denken, ich schaffe es nicht. Egal, wie sehr ich versuche, nicht immer wieder zu ihm zu gehen, ich stehe jedes Mal wieder vor ihm. Ich glaube, wir sind Freunde geworden. Ich glaube, ich vertraue ihm......
Wir sassen noch etwas da am See. Wir redeten über den Film. All das was er darin gesehen hat, ist so ehrlich und dem meinen Blick so ähnlich. Nur ohne all diesen Hass. Plötzlich hat er nach meiner Hand gegriffen. Ich spürte, wie er zitterte. Er begann zu reden, ganz nervös und ängstlich. Bis er sagte, dass er schwul sei und nicht wisse, ob ich es auch bin und ob ich ihn so oder so möge. Ich zog die Hand schnell zurück. Es....
Ich habe noch nie jemanden geküsst, den ich mag. Es ist schön und gut. Ich habe mich daran gewöhnt. Doch nur dort, wo uns niemand sieht. Heute wollte er wieder mehr. Ich kann das nicht. Ich will mit ihm nicht das tun, was ich mit ihnen tue. Doch wie soll ich ihm das erklären. Es gibt Schutz hat er gesagt und ich meinte, dass es nicht deswegen ist. Er hat keine Angst, meinte er und ich erklärte ihm erneut, es sei nur weil ich ihn liebe. Doch wie soll er das verstehen, wie nur....“
Mit einer genauen Beschreibung, die er aus dem Tagebuch zusammengesucht hatte und mit dem Namen „Toni“, machte sich Mario am nächsten Tag auf an die Uni. Mario war die Nacht zuvor erst spät abends nach Hause gekommen. Hatte auf dem Sofa geschlafen, einen kurzen Zettel da gelassen und war früh wieder gegangen. Er konnte seiner Frau nicht in die Augen sehen.
Der Direktor der Uni erwartete ihn schon, als Mario ankam und die Tür zum grossen Gebäudekomplex öffnete. Ein dicker, schlecht angezogener, aber äusserst freundlicher Mann. Er führte Mario zu seinem Büro hoch und erzählte ihm auf dem Weg von der genauen Historie des Schulhauses. Er erklärte ihm auch, dass er als Lehrer nie qualifiziert gewesen war, er wäre viel zu weich und würde den Schülern viel zu viel durchgehen lassen, meinte er, als sie das Direktorzimmer erreicht hatten.
Der Direktor kannte den Toten. Michelle war vor vier Jahren von der Uni abgegangen. Bis dahin war er ein guter Schüler gewesen. Mario versuchte schnell auf „Toni“ zu sprechen zu kommen. Doch dem Direktor kam kein passender Schüler in den Sinn.
„Wir haben einige Tonis“, erklärte er und schlug Mario vor, in den Schülerakten nachzusehen.
Schon zwanzig Minuten darauf hatten sie „Toni“ gefunden.
Toni war ein durchschnittlicher Typ. 1.70 gross, mittelschlank, sympathisches Gesicht. Die Pilzfrisur war inzwischen mittellangen Haaren gewichen.
Mario wollte das Gespräch nicht in der Schule führen und nahm den Jungen mit ins Polizeirevier. Er holte Ronald Czercic dazu. Ein guter Polizist, der sich seine Stellung hart erarbeiten musste und gegen viele Vorurteile zu kämpfen hatte. Doch Mario mochte ihn. Czercic sollte als Beobachter dienen und sich während des Gesprächs im Hintergrund halten. Er war über den Fall informiert und mit der Vorgehensweise Marios einverstanden.
Toni wirkte verwirrt, als er von dem Tod Michelles erfahren hatte. Zuerst schilderte er ihre gemeinsame Beziehung als flüchtig. Als er aber erfuhr, dass es ein Tagebuch gab, in dem Michelle von ihrer Freundschaft geschrieben hatte, gestand er die Liebesbeziehung zu dem mysteriösen, wunderschönen Jungen, der nie über sich selbst geredet hatte.
Mario wollte alles sehr genau wissen. So konnte er überprüfen, ob Tonis Angaben mit denen aus Michelles Tagebucheinträgen übereinstimmten, was zutraf.
Es war nach einer Stunde. Toni wirkte ruhig und beherrscht. Aber auch traurig und müde.
„Eine letzte Frage und antworten sie nicht gleich.“, begann Mario, auch Czercic hörte gespannt zu, „haben sie Michelle getötet?“
Toni hatte bisher angegeben zu wahrscheinlichen Tatzeit alleine gewesen zu sein und am See ein Buch gelesen zu haben, doch die Frage kam nicht überraschend.
Er wollte zu einer Antwort ansetzen, als Mario mit einer Handbewegung, ihm andeutete ruhig zu sein. Mit der anderen hob er ein Buch auf den Tisch.
„Bevor sie antworten.“, sagte er, „Nehmen sie dieses Buch nach Hause. Es ist Michelles Tagebuch. Lesen sie es sorgfältig durch. Dann rufen sie uns an. Entweder erreichen sie Herrn Czercic oder mich und dann geben sie uns eine Antwort.“
Mario war mit seinem Gesicht dem Tonis ganz nahe gekommen. Jetzt trat er wieder zurück und meinte: „Sie können gehen.“
Unsicher stand Toni auf, nahm das Buch mit dem Blick auf Mario Presko gerichtet an sich und verliess den Raum.
Czercic trat an Mario heran.
„Du kannst ihm nicht einfach das Buch mitgeben. Was soll das?“
„Lass mich machen und misch dich nicht ein.“, fauchte Mario mit harter Stimme, „Ich weiss was ich tue“.
*
Es war sechs Uhr abends des nächsten Tages, er hatte bis dato noch nichts von Toni gehört, als Marios Handy klingelte.
„Presko. Hallo?“
„Ich bins, Kristo.“
„Ja?“,
„Ich hab die Ergebnisse von deinem HIV-Test. Komm bitte bei mir zu Hause vorbei.“
Komm vorbei, das kann nichts gutes bedeuten, dachte Mario Presko, als er seinen Wagen wendete. Seit zwei Tagen ging er seiner Frau mit hinterlassenen Nachrichten aus dem Weg. Er wusste selbst nicht, wie er überhaupt noch funktionierte. Eigentlich hätte er schon längst einen Nervenzusammenbruch haben müssen, doch irgendwie machte er weiter. Sein ganzes Leben konnte innerhalb von Minuten zerstört werden. Wenn Czercic die Sache mit dem Tagebuch melden würde, wäre er geliefert, das wusste er. Doch es gab für Mario nur eine Chance dem jungen Toni glauben zu können, er musste sicher sein, dass Toni wusste, was in Michelle vorgegangen war.
Etwa zweihundert Meter vor Kristos Haus musste Mario den Wagen am Strassenrand parkieren. Seine Hände begannen so zu zittern, dass er den Wagen kaum noch gerade lenken konnte. Sein rechtes Auge war inzwischen so zugeschwollen, dass er nur noch aus dem Linken etwas sah.
Das Gehen tat ihm gut, merkte Mario nach einigen Metern. Die frische Luft beruhigte ihn ein wenig. Während des Wegs dachte er an seine Beziehung zu seiner Frau nach. Über seine Gefühle zu ihr. Starke Gefühle, für die er hätte bürgen können. Doch auch Gefühle, die sich nicht so leicht und klar einordnen liessen. Er wusste längst, dass es nicht die Gefühle eines Ehemannes waren. Manchmal glaubte er, dass auch sie das schon weiss. Mario dachte an seine Tochter. Er dachte an all die Zeit, die er mit dieser Familie verbracht hatte. An all das, was zu schützen es wert war. Er hatte versucht es zu schützen, dachte er. Doch wusste er nicht, ob er jetzt noch dazu in der Lage war.
Das erneute Klingeln seines Handys liess ihn erschrocken zusammenzucken, als er kurz vor dem Haus Kristos angelangt war. Es war die Nummer vom Revier.
„Ja?“
„Ich bins.“, Czercics Stimme.
„Ja.“
„Der Junge hat eben gestanden.“
„-„
„Mario?“
„ja, ich bin hier. Er hat wirklich gestanden? Glaubst du ihm?“
„Er sagt, er habe ihm nachspioniert und ihn beim Anschaffen gesehen.“
„....“
„Als er ihn zur Rede stellen wollte, sei er plötzlich ausgeflippt. Den Rest kennst du. Mein Gott Mario, der Junge ist völlig ausser sich. Ich weiss nicht, ob der sich nicht bei der ersten Gelegenheit was antut... Mario?“
„Ja...Hör zu, ich muss zum Arzt und komme nachher..“
„Lass es. Mach Feierabend. Wir erledigen das schon.“
„....Pass auf den Jungen auf, ja?“
„hmm.“
Die Stimme Czercics hatte Mario nicht überzeugt. Müde trat er die Stufen zu Marres Haustür hoch. Er klingelte. Kurz darauf öffnete Miriam Marre, Kristos Frau, die Tür.
„Hi Mario. Er ist im Arbeitszimmer.“
Mario prüfte ihren Blick ganz genau. Sie schien nichts zu wissen. Mario ging nach hinten. Er klopfte an die Tür des Arbeitszimmers und trat ein. Es war ein nobles Zimmer. Mit teuren Bildern an der Wand und einem edlen Schreibtisch, hinter dem Kristo sass.
„Setz dich.“,meinte dieser und Mario folgte seiner Anweisung.
„Du siehst fertig aus.“, sagte er zu dem Polizisten.
„Das bin ich.“, bestätigte Mario.
„Du bist negativ.“, meinte Marre ohne Umschweife, doch Mario reagierte kaum. Er sank nur noch etwas tiefer in den Sessel.
„Was hast du jetzt vor?“, wollte Kristo mit strengem Blick wissen. Doch Mario dachte an den jungen Toni und hörte seinem Freund kaum zu.
„Willst du so weiter machen?“.
Mario blickte seinen Freund an. Er war ihm dankbar.
„ich weiss es doch auch nicht.“, stöhnte er. Eine Träne lief aus seinem rechten Auge.
„Geh zum Arzt.“
Mario starrte seinen ihn fragend an.
„Wegen dem Auge.“, erläuterte Kristo und fuhr fort: „Weisst du, das ist keine Krankheit in dir. Nichts gegen das du ankämpfen kannst oder sollst. Das bist du. Deine Gefühle. Deine Sehnsüchte und Begierden. Wenn du so weiter machst, betrügst du nicht nur dich, sondern alle anderen um dich rum. Und du bringst alle um die Chance, ihr Leben so zu leben, wie sie es sich wünschen. Es ist deine Pflicht, dir einzugestehen, wer du bist.“
Kristo unterbrach und sah seinen Freund genau an. Er fragte sich, ob Mario seine Worte überhaupt ernst nahm. Er sass da und sah sich still im Raum um.
Kristo stand auf und ging zur Tür.
„Los, verschwinde und ruf mich morgen oder so an.“
Mario stand zögerlich auf und klopfte Kristo auf die Schulter, als er ihm gegenüberstand, dann verliess er das Haus.
*
„Hey Paps, wie geht’s?“
„Gut, Emi. Schön dich zu hören.“
„Mama sagt, du seist gerade von der Arbeit gekommen.“
„Ja.“
„Du hättest den bösen Mörder.“ –Sie lacht.
„Mörder ja. Böse.. nein. Wie geht es dir, Kleines?“
„Gut, alles bestens.“
„...“
„sogar blendend.“
„Du würdest uns doch sagen, wenn dich was bedrückt?“
„Klar.“, ihre Stimme wirkt etwas misstrauisch.
„Ganz sicher, egal was?“
„Natürlich, Paps. Was ist eigentlich..“
„Versprich es.“
„Was?“
„Dass du es uns sagen würdest.“
„Ich versprech es.“
„...“
„Und du, würdest es uns sagen, oder?“
„Ja.“
„Versprich es.“
„......“
„Paps?“
Mario legte den Hörer auf. Tränen liefen über sein Gesicht. Auch aus dem linken, gesunden Auge. Klara seine Frau kam ins Zimmer. Sah wie er zusammegekauert neben dem Telefon sass und weinte. Müde, kaputt. Wie ein geschlagenes Kind. Ohne zu zögern, ohne wissen zu müssen, was ist, ging sie hin und nahm ihn in den Arm. Ohne von ihm etwas dafür zu verlangen. Mario liess es zu. Vergrub sich in ihr. Zog ihren Duft ein und liess alles einfach passieren. Seine ganze Liebe für diese Frau und diese Tochter lastete in diesem Moment wie ein Fluch auf ihm. Er würde ihnen alles sagen müssen. Und vielleicht würde er ihr nie wieder so nahe sein. Er wusste, dass ein Weg vor ihnen lag, der schmerzhaft und steinig für alle würde und er hatte sie hier hin manövriert. Er hatte jetzt noch zwei Möglichkeiten: sie noch weiter in diese Sackgasse hinein zu führen, oder sie auf zu klären und ihnen die Chance zu geben, einen neuen Weg zu suchen. Ein von ihm getrennter Weg. In diesem Moment tat er das, was er schon immer tat. Er schob diese Seite seines Lebens weg. Nur für diesen einen Moment leben. In diesen Armen, bei dieser Frau, alles andere war in dieser Minute nebensächlich....