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Die Wanduhr

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16.03.2008
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Die Wanduhr

Sie stand am Fenster, den Blick in die Weite des Gartens gerichtet. Nachdenklich knabberte sie an den kurzen Fingernägeln. Ihr war kalt in der dünnen Jacke, doch die Heizung jetzt noch höher zu drehen, lohnte nicht. Im kahlen Apfelbaum ließ sich die einbeinige Krähe nieder, die sich dort an sonnigen Tagen immer einfand, mühsam um Gleichgewicht ringend, mit dem verbleibenden Krallenfuß die schmalen Äste umfassend.
Die Frau fragte sich, ob sie die Krähe wohl vermissen würde oder die Schläge der Wanduhr, die zuverlässig das Schwinden der Stunden kündeten oder das Rauschen der Klospülung aus der Wohnung im ersten Stock, zweimal täglich, immer zur gleichen Zeit, rätselhaft pünktlich. Man hätte die Wanduhr danach stellen können.
Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Automatisch verglich sie mit geübtem Blick, ob Wand- und Armbanduhr im Gleichmarsch arbeiteten, denn Unregelmäßigkeiten bargen Beunruhigendes.
Sie hatte noch etwas Zeit. Zeit genug, sich auf einen der Stühle zu setzen an den kleinen Küchentisch mit der rotweiß karierten Decke.
Ihre Finger schoben den Brief auf der Decke rhythmisch hin und her. Die Bewegung des glatten Papiers auf dem rauen Stoff des Tischtuches erzeugte ein knisterndes Geräusch.
Die Wanduhr schlug fünf, prüfender Blick auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Fünf Uhr auch da, auf die Sekunde. Mit einem Seufzer der Zufriedenheit erhob sie sich.
In Gedanken ging sie noch mal alles durch, wie so oft in den letzten Tagen. Es würde nichts schief gehen.
Die Frau nahm den Brief vom Tisch und faltete ihn sorgsam zusammen. Ihre Augen flogen dabei über die gleichmäßigen Schriftzüge, hochmütig und herrisch erschienen sie ihr. Seine Schrift, wie sehr sie ihm doch selbst glich. Hochmütig und herrisch auch die Worte, die sie bereits auswendig kannte. Worte, erbarmungslos zu einem Urteilsspruch aufgereiht. Worte, die damit drohten, sie zurückzustoßen in diese ewig währende Einsamkeit, kalt und klebrig auf der Haut. Endlose Tage durchbrochen nur von den Schlägen der Wanduhr, dem Rauschen der Klospülung, zweimal täglich, rätselhaft pünktlich. Der Schmerz fühlte sich alt und abgestanden an trotz der neuen Entschlossenheit, die dort einen guten Nährboden gefunden hatte.
Das Gurgeln der Toilettenspülung eine Etage über ihr. Tiefe Ruhe legte sich auf ihr Gemüt. Jetzt war es Zeit. Ohne jede Eile schlüpfte sie in ihre fellbesetzten Stiefel, mit großer Gelassenheit zog sie den warmen Mantel über. Die Zeit begann sich zu dehnen. Die Frau steckte den Brief in die rechte Manteltasche. Er wurde etwas zerdrückt, als sie die Waffe dazu stopfte. Die Wohnungstür ließ sie einfach hinter sich ins Schloss fallen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Meerjungfrau,

sei herzlich gegrüßt auf kg.de! So von Meerjungfrau zu Meerjungfrau ;)

Tja, Deine Geschichte lässt mich doch ein wenig unbefriedigt zurück. Erst baust Du sie in langen, atmosphärischen Satzen auf und dann nimmt deine Prot die Knarre und pustet sich oder dem bösen schwarzen Mann vermutlich das Hirn weg. Ist immer einfach eine Geschichte so enden zu lassen, in Deinem Fall aber zu einfach. :D

Denn für mein Gefühl beginnt die Handlung erst ab diesem Moment. Alles andere war nur ein Hinführen zum Thema, zu den Gefühlen Deiner Prot. Schreib sie weiter die Geschichte, könnte gut werden! Vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass Du sie unter Spannung/Krimi gepostet hast!

Liebe Grüße
melisane

 

Hallo Meerjungfrau!

Willkommen auf kg.de.

Dein Einstandstext ist stilistisch sehr souverän geschrieben, aber er erzählt zu wenig. Das Entscheidende lässt du weg, der Leser muss sich selbst zusammenreimen, was passiert ist, und was passieren wird. Aber im Grunde kann der Leser sich das nicht selbst zusammenreimen, da du ihm nicht genug Informationen gibst.

Es bleiben zu viele Fragen offen:
Warum ist die Zeit (die ja indirekt deinen Text betitelt) so wichtig? Warum ausgerechnet um fünf Uhr?
Warum ist ihr an dem sonnigen Tag kalt und warum zieht sie sich keine wärmere Jacke an?
Was stand in dem Brief? Hat der Mann die Protagonistin tatsächlich zurückgewiesen oder bildet sich die Protagonistin das bloß ein?
Hatte sie mit diesem Mann eine Beziehung?
Warum tut sie das, was sie tun will, ausgerechnet an diesem Tag - wo sie doch schon "endlose Tage" alles durchmacht?
Was hat sie mit der Waffe vor? Will sie den Mann erschießen oder sich selbst? (Oder womöglich den Postboten oder denjenigen, der die Toilettenspülung betätigt?)
Es gibt tausende Möglichkeiten. Du gibst keine Antwort - was ich vom Erzähler einer Geschichte aber erwarte.

Grüße
Chris

 

Liebe Melisane,
danke für deine Kritik.
Diese Kurzgeschichte ist tatsächlich meine erste und in einer halben Stunde entstanden. Beabsichtigt habe ich schon, dass ich es bei Andeutungen belasse und die LeserIn sich den Rest denken soll. Aber vermutlich hast du recht, dass meine Geschichte eher einen Einstieg darstellt als eine komplette Geschichte. Wenn mich die Lust überkommen sollte, schreibe ich weiter.
Liebe Grüße von der Meerjungfrau

 

Hallo Meerjungfrau!

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Hallo Chris,
die Kritik von Melisane geht ja in eine ähnliche Richtung wie deine. Zuwenig Info. Vermutlich hab ich es übertrieben, aber ich finde tatsächlich, dass ich als Erzählerin nicht auf alles eine Antwort haben muss und der Leser/die Leserin sich auch einen gehörigen Teil selber denken darf. Denken schadet ja meist nicht.
Auf jeden Fall vielen Dank für deine Anregungen. Ich DENK drüber nach.
Liebe Grüße von der Meerjungfrau.

 

Liebe Meerjungfrau,

denken ist immer gut! :D Aber dazu musst Du Deinem Leser Stoff zum Nachdenken geben. Du musst uns auf Fährten locken, Spannung aufbauen und uns am Ende mit einer überraschenden Wendung eiskalt erwischen.

Wenn Du Deine Geschichte jetzt nochmal unter diesen Prämissen liest, wirst Du selbst sehen, dass da so ziemlich alles fehlt.

Warum sollten wir denken, wenn wir keinen Anreiz dafür bekommen? Das Gehirn ist ja erst mal faul. Das will nur arbeiten, wenn es belohnt wird. Und die Belohnung bei einer Spannungsgeschichte ist ... logischerweise die Auflösung. ;)

Warum arbeitest Du nicht an dieser Geschichte weiter? Ich fände es sehr innovativ, wenn dieses Mal der Gärtner der Mörder wäre. :D

Liebe Grüße
melisane

 

Hallo liebe Melisane,
na das scheint ja so zu sein, als könnte die Geschichte so nicht bleiben. Ich werd sie raus nehmen und bearbeiten.
Dir ganz lieben Dank für deine Anregungen, wenn ich auch deinem Vorschlag mit dem Gärtner nicht folgen werde;)
Liebe Grüße,
die Meerjungfrau

 

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