Was ist neu

Die Wiedervereinigung

Mitglied
Beitritt
06.12.2004
Beiträge
79

Die Wiedervereinigung

Berlin, 1989. Überall Schmutz, leere Flaschen, Graffiti an jeder Wand. Michael geht durch eine Allee. Putzen mag man nicht mehr, in der neuen Epoche? Auch die Bank ist zu seiner Verärgerung kaputt, sodass er weitergehen muss. Warum ist er nicht vor fünf Jahren gestorben? Warum muss er den Untergang seines Deutschlands, seiner Weltordnung mitansehen? Er hat so viel für den Erfolg des Systems getan, wie ein gewöhnlicher Deutscher in diesem titanischen Kampf der Amerikaner gegen die Russen eben tun konnte. Er war aufrichtig und wollte, dass die Leute frei und glücklich sind in ihrem Land – statt dessen versuchen sie aber, aus dem selbigen möglichst schnell zu verschwinden. Leute mit Fahnen der UdSSR. Wie sie diesen Gorbatschow nahezu verehren! Als ob er ihnen auch nur einen Bruchteil davon gegeben hat, was sie dem Vaterland verdanken! Im Gegenteil, ihre Leiden und Armut, ihre Unzufriedenheit war sein Werk – und natürlich auch das seiner Vorgänger. Aber Charisma kann man ihm doch eben leider nicht absprechen.

Michael ist nicht mit dem Staat, sondern mit seinem anbrechenden Untergang unzufrieden, im Gegensatz zu der allgemeinen Euphorie. Er ist nicht gegen die Wiedervereinigung selbst – im Gegenteil, die ganzen vierzig Jahre geteilten Deutschlands hatte er sich nichts sehnlicher herbeigewünscht, als dass das deutsche Volk wieder eins ist, dass die unüberwindbar scheinende Grenze überwunden wird, dass Brüder wieder zueinander finden – aber doch nicht auf diese Art! Die Regierung hat aber wohl alles getan, um es so schlimm, so schmerzhaft wie nur möglich zu gestalten. Nur jetzt, wenn es ihnen selbst schon langsam an den Kragen geht, wenn sie niemand in dieser Welt mehr unterstützt, werden sie nachgiebig. Nur die Angst vor ihrem persönlichen Tod beim gewaltsamen Umsturz lässt sie bereit werden, sich von ihrer Macht zu trennen. Wenn sie es aber vor zwei Jahren aufgegeben hätten, könnten sie feilschen, und Bedingungen, ja, vielleicht Gleichberechtigung innerhalb eines neuen Staates mit einer neuen Verfassung aushandeln können. Jetzt aber wird von ihnen der Anschluss, die bedingungslose Kapitulation erwartet. Kein Kompromiss. Kein Pardon. Die Zukunft von Leuten wie Michael ist mehr als ungewiss – sie ist düster. Aber auch viele der gerade durch Revolutionsromantik geblendeten erwartet eine harte Zukunft. Sie ahnen noch nicht, was sie gerade für einen moderneren Fernseher aufgeben. Oh ja, die werden noch zurück wollen! Aber dies ist leider eine Einbahnstraße, und es gibt nichts, was das, was gerade verlorengeht wiederbringt!

Michaels Spaziergang wird durch eine Ampel aufgehalten. Er nimmt eine Zigarette in den Mund. Wann haben die Politiker es vermasselt? Vielleicht schon 1967? Hätte man die Israelis gewähren lassen, mit ihrem Präventivschlag! Aber nein, man musste protestieren, ermahnen, fordern. Obwohl, was könnten die paar Juden auch ausrichten, gegen die zwanzigfache Übermacht? Wäre man zumindest konsequent geblieben, wenn man denen nicht unter die Arme greifen wollte, denn dieser Ausgang war ja offensichtlich! Wie auch, die Briten und Franzosen konnten es ja nicht zulassen, dass Nasser eine Großmacht im Nahen Osten gründet. Der war denen nämlich schon seit dem Suezabenteuer'56 Todfeind. Wenn die sich aber schon rüsten, müssen auch die Amerikaner die Ärmel hochkrämpeln. Die Deutschen waren übrigens auch mit von der Partie. Warum denn auch nicht? Sich reinwaschen, beweisen, dass man es nicht so meinte, mit den Juden im Dritten Reich - solche Gelegenheiten verpasst man doch nicht! Als aber dieses Kreuzfahrerheer in den Straßenkämpfen von Tel Aviv mitmischte, war es sowieso zu spät. Was man schaffte, war die Evakuierung von einigen Israeli-Zivilisten, sowie eine Verbitterung Nassers und aller Araber, die von nun an nur noch energischer die VAR forderten. Den Fehler wiederholte man natürlich gleich wieder in Lebanon, den man jetzt „auf keinen Fall preisgeben“ konnte. Nach den Siegen Nassers und der offenkundigen Feindseligkeit der „Imperialisten“ konnten auch die Saudis sowie die Gulfscheichs sich nicht mehr halten, und wurden binnen zweier Jahre der VAR angegliedert, die jetzt über die monopolnahen Ölreserven verfügte. Statt aber sich mit Nasser oder Sadat zu verständigen, stationierte man eine halbe Million in Iran und Dreihunderttausend um Khartoum. Das schubste die Araber noch näher an die Kommunisten.

Grün, also darf man gehen. Das ist Michaels Protest – die Ampel zu achten wenn keiner mehr irgendwelche Regeln befolgt. Die drüben haben ganz andere Ampelmännchen, hat ihm jemand mal erzählt. Man geht mittlerweile hin und her, als ob es die Grenze nicht gäbe. Meistens natürlich hin. Man kann das denen ja eigentlich nicht übel nehmen. Alle wollen ordentliche Renten und vier Monate Urlaub. Freiheit ist dem Säuger egal, der läuft immer dorthin, wo die Wurst liegt. Als die Russen über das ganze Öl verfügen konnten, hatten sie es erstmal sehr teuer gemacht. Man war ja von denen abhängig, man konnte ja nichts machen. Die Ölpreise sind aber ja nicht nur für die Autos gut. Auch die ganzen Transportmittel für jedes Ding waren ja Motorbetrieben. Eine Ladung Irgendwas aus Argentinien zu transportieren, wurde vielfach teurer als dieses Irgendwas selbst. Die einzigen, die sich freuten, waren die Schwerindustriellen in Europa. Vermutlich hätten all die Stollen und Bergwerke dicht gemacht, wenn nicht die Krise wäre. So aber werkelten die Arbeiter fröhlich weiter, bis sie merkten, dass es denen drüben deutlich besser geht als denen hüben. Dann gab es die Streiks, bis die DKP von zwanzig Prozent in den Bundestag gewählt und promt verboten wurde. Notstand wurde einberufen, und die Wahlen bis auf Weiteres ausgesetzt. Da wurde das nahende Ende schon ziemlich deutlich.

Die Russen machten es nämlich ganz schlau: wenn irgendwo die Roten in der Regierung vertreten waren, wurden die Sanktionen gelockert, und den Leuten im Land ging es gleich etwas besser. Das merkte man, und wählte vorwiegend Rot. In Mexico haben die Amerikaner'76 auf einen roten Umsturz die Truppen eingeführt, mussten sich aber schon nach vier Jahren beschämt zurückziehen. Die Guerillos kämpften verzweifelt, und wurden von den Kubanern bestens ausgerüstet. Nach diesem zweiten Vietnam gab es ein Chile, ein Korea. In Amerika wurde die Resignation breit. Man hatte aufgehört, irgendwas im Ausland zu finanzieren, zog überall die Truppen ab und besann sich auf die eigenen Probleme. Europa blieb alleine. In Frankreich und Italien kamen schon Mitte Achtziger Sozialisten-Kommunistenkoalitionen an die Macht. Jetzt kommt Deutschland an die Reihe. Lieber hätte Michael wie überall in Europa „sanft“ die Linken gewählt gesehen. Dann würde man ihn vielleicht etwas stärker besteuern, aber nicht gleich enteignen. Nun aber blüht seinem kleinen Konzern eindeutig die Verstaatlichung. Michael hat sich aber abgefunden damit, denn er war ohnehin kurz vor dem Konkurs. Nur seine Leute taten ihm leid – die werden sicher nicht wie gewohnt ruhig arbeiten können. Wer braucht auch handgefertigte Möbelstücke, in der Welt des Fortschritts? Man wird auf die Massenproduktion umsteigen. Michael aber wird sich vielleicht als Direktor bei einer Fabrik bewerben können – er hat das ja ein Leben lang gemacht! Wenn nur die aus dem Osten nicht alles an sich reißen! Egal, wenn er sich beeilt, und schon in den ersten Monaten seine Fabrik freiwillig abgibt und der Partei beitritt, wird er vielleicht noch eine Chance haben...

 

Hallo Anton von Mi!

Erstmal zwei Kleinigkeiten:

Wenn sie es aber vor zwei Jahren aufgegeben hätten, könnten sie feilschen, und Bedingungen, ja, vielleicht Gleichberechtigung innerhalb eines neuen Staates mit einer neuen Verfassung aushandeln können.
hätten statt könnten?
Auch die ganzen Transportmittel für jedes Ding waren ja motorbetrieben
?

Viele Deiner Sätze sind schwer verständlich, nicht nur wegen des Inhalts, sondern mir liegt auch dein Sprachstil nicht.

Die IDee für deine Geschichte ist hoch interessant: Die BRD gibt auf und wird von de DDR vereinnahmt - aber dazu gehst du auf so viele politische Fakten und eben auch Fakes ein, dass man schon sehr in der Geschichte der letzten 40 Jahre bewandert sein muss, um mitzukommen. Einerseits baust du also ein umfangreiches Politszeario auf und versuchtst, Begründugnen aufzbauen,w arum diese Entwicklung gekommen ist. Das ist mir aber, ehrlich gesagt, zu platt dargestellt. Ich fürchte auch, dieser Stoff ist für eine Kurzgeschichte viel zu komplex. Um die Idee in eine Kurzgeschichte umzusetzen, würde ich die ganze Historie rausschmeissen, die bestehenden Machtverhältnisse ausführlicher darstellen und dann den Interessenkoflikt - alle Fähnchen nach dem neuen Wind drehen - ausbauen.

LG

Jo

 

Da hast du Recht, jobär, in deiner Kritik meiner Geschichte. Es ist nur, dass das Szenario ohne die 'technischen' Details für mich recht unplausibel klang, sodass die Frage "warum" es anders gelaufen ist, offen geblieben wäre. Aber dies konnte man wohl auch auslassen, und lieber mehr Zeitgeist rüberbringen. Auch könnte ich etwas lustigeres, weniger polithistorisches als Erklärung gegeben haben. Aber alles, was wir zu Papier bringen, sind auch nur manifestierte Gedanken, und ich habe mich eben oft gefragt, was wäre, wäre alles anders gekommen, aber auch ob es überhaupt anders kommen konnte. Im Verhältnis zu dieser langweiligen Nebensächlichkeit ist die Geschichte, die ich ausgesprochen kurz gestalten wollte, zu kurz gekommen. Stimmt schon, dass diese Ballung von Details sich eher für einen Roman anbieten. Dies werde ich bedenken, wenn ich die Geschichte überarbeite - kürzen auf der einen Seite, mehr ausarbeiten auf der anderen, aufdass das Gleichgewicht wiederhergestellt wird!

Was meinen oft langweiligen und mal da, mal dort unnötig hochgestochenen Sprachstil angeht, so bin ich mir seiner bewusst, zumal sein Dasein mir von meiner Umgebung oft genung bewusst gemacht wird. Ich bemühe mich aber, zu bessern, und versuche, die nächste Geschichte angenehmer zu gestalten.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom