Die wirklich kurze Geschichte über den Palast
Eines Tages musste dieser Moment kommen, obwohl er in seinem Innern immer gehofft hatte, dass dieser Augenblick nie eintreffen möge.
Eigentlich, so hatte er gedacht, musste sein Palast perfekt sein.
Er war aus Mauern, so hart wie Diamant (und ebenso wertvoll) und war behütet von Türen, die jedem Orkan gewachsen sein müssten. Gästen währten sie Einlass, sodass sie die über Jahre gesammelten Schätze bewundern konnten.
Feinde jedoch sollten schon am Fundament scheitern, wie die Türken vor Wien.
Diesmal jedoch hatte der Feind das Fundament zu Brei verarbeitet, die Türen gesprengt und hatte sich Zugang zur geliebten Schatzsammlung verschafft, um nun die wertvollen Relikte nacheinander zu zertrümmern.
Seine gesamte Arbeit, sein Lebenswerk, war innerhalb von nur einer Stunde ausgelöscht. Alles weg! Es hatte ihn unendliche Mühe gekostet, das Fundament, in seiner einfachen Komplexität zu gießen, es trockenen zu lassen, um dann die letzten Unebenheiten zu beseitigen, die Wände hoch zu ziehen, um dem Ganzen Glanz zu verleihen, die Türen aufzutreiben, um das Wertvollste zu schützen: Seine Schätze, seine Kunst, seine Muse.
Jahre lang hatte er sich mit ihnen vertraut gemacht, sie studiert, sie aus jedem Rattenloch dieser gottverdammten Welt gezerrt.
ER war der Zerstörer und niemals der Zerstörte!
Doch im tiefsten Innern hatte er es gewusst. Er hatte jedoch nie in Erwägung gezogen, dass der weise Eroberer (und das musste er seiner Ansicht nach sein), eine Frau sein würde.
Immer mehr Schätze fielen der Furie zum Opfer. Er schmiss, sie schlug und Home Run!
Doch er war, wenn er die kostbare Pracht der Ehre nicht verlieren wollte, im Zugzwang gewesen und so hatte er ein Relikt nach dem anderen verloren. Bis schließlich .. nun ja, Kollaps.
Es war aber auch verdammt schwierig gewesen. Eine sehr angeregte Diskussion über die Frage des Schönheitsideals und dessen Bedeutung für den Kapitalismus. (Exzentrische Kneipendiskussion wird hier als Grundstoff vorausgesetzt).
Nach mehrfacher Wiederholung beziehungsweise synonymen Bedeutungen, hatte er für die gänzliche Befreiung des Menschen durch eine geordnete Marktwirtschaft mit entsprechenden Rahmenbedingungen plädiert, da jeder, der von Grund auf frei sei, seinen Verstand benutzen könne, sodass das Ideal der Schönheit dadurch an Gewicht verliere, wenn nicht sogar irrelevant sei.
Sie hingegen schloss mit zwei Sätzen, die ihn auf die Grundfrage zurückwarfen:
„Ästhetik ist Konsum! Konsum ist Glaube!“
Und mit einem Schlag fiel alles wie ein gigantisches Kartenhaus in sich zusammen.
Sein wunderschöner Palast.
(c) Thomas G. 2005