- Beitritt
- 24.04.2003
- Beiträge
- 1.444
Die Wohnung
Eine Tür wurde geöffnet. Zwei Männer traten ein.
"Die Küche ist zwei Jahre alt. Kühlschrank, Froster und Herd wurden letzten Monat erneuert. Die Jalousien am Fenster werden selbstverständlich noch repariert. Übrigens ... von hier aus hat man einen tollen Blick auf Frankfurt. Wollen Sie vielleicht mal ..."
Hegemeyer lächelte überlegen, als wenn er die Wohnung selbst gebaut und eingerichtet hätte. Frank schüttelte den Kopf und lehnte die angebotene Aussicht ab.
"Zeigen Sie mir die restlichen Räume, ich habe nicht viel Zeit."
Für einen Moment sah Hegemeyers Lächeln genauso künstlich aus, wie es war. Niemand verzichtete auf diese Aussicht, wenn er sich ernsthaft für die Wohnung interessierte. Dann besann er sich. Er hätte woanders beginnen sollen.
"Selbstverständlich", sagte er und führte Frank über das Wohnzimmer zurück in den Flur.
Unsicher sah er sich um. Die obere Schlafzimmerebene inklusive Salon, Bar und Arbeitszimmer hatte er ihm bislang noch nicht vorgeführt.
"Sie möchten gleich das dunkle Zimmer sehen", fragte er schließlich. Es klang wie eine Feststellung.
Frank nickte.
"Wenn es Ihnen nichts ausmacht. Der Rest der Wohnung ist ganz sicher phantastisch, das glaube ich Ihnen."
Hegemeyer suchte in seinem Mantel nach dem Schlüssel.
"Natürlich macht mir das nichts aus. Sie haben ja nach einer Wohnung mit so etwas gesucht. Gehen wir."
Der Gang bog nach rechts ab. Gemälde, die finstere Landschaften zum Motiv hatten, wurden von altmodischen Wandlampen beleuchtet. Rechts befand sich die zweite Gästetoilette, links ein kleines Büro, und einige Meter weiter hinten, am Ende des Gangs, mündete der schwere Teppich an der Tür, die Frank am meisten interessierte."
***
Sie ist wach.
Bin ich doch, oder?
Ist sie noch bei Trost?
Wo bin ich. Scheiße. Ich stecke in der Scheiße.
Sie spürt die Fesseln, hört sie rascheln, schmeckt Metall in ihrem Mund (oder ist es Blut?), riecht süßlichen Geruch. Nur sehen ... sehen tut sie nichts.
Es ist eine Gefängniszelle. Ganz sicher. Die Augen müssen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, bis ich einzelne Umrisse erkenne. Es dauert noch einen Moment.
Und die Momente vergehen. Einer nach dem anderen. Aber da erscheinen keine Umrisse. Und die Gedanken überschlagen sich.
Weshalb sollte ich im Gefängnis sein? Was war gestern Abend? Habe ich was angestellt?"
Aus den Momenten werden Minuten, vielleicht auch Stunden. Ihre neue Uhr ist der Druck, der sich auf der Blase bildet. Sie muss für gewöhnlich nicht häufig zur Toilette.
Sie fesseln einen nicht an die Wand, im Gefängnis. Es ist unmöglich. Oh Gott ... Psychiatrie etwa?
Was wirklich Sache ist, will sie sich nicht eingestehen. Realität ist eine sandige Insel, irgendwo da draußen. Und sie möchte gerne dort sein, und auf Palmen klettern, aber da ist kein Ufer in Sicht, und wer ...
... so rationell ist wie du, Tanja, der findet einen Weg. Keine Panik. Was war gestern?
Es geht immer noch ein bisschen heftiger. Viel Alkohol und etwas Gras. Gelache. Da gab es jemanden, dem das gefiel. Es war ...
Er! Er war es. Der Mann, der viel zu fein angezogen war. Bin ich jetzt bei ihm zu Hause?
Und sie muss sich eingestehen, dass sie tatsächlich bei ihm zu Hause ist, jedoch ohne Frühstück und guten Morgen Kuss. Dann kommt die Panik. Aber sie hat sie lange unterdrückt.
"Hilfe!"
Es wiederholt sich. Sich wiederholende Schreie. Sie tastet, kratzt und schlägt die Umgebung ab, und die Fesseln rascheln dazu. Der süßliche Geruch wird noch widerlicher, als sie mit ihren Füßen zu strampeln beginnt und gegen etwas Weiches stößt, und da sie keine Schuhe mehr trägt, bleibt ihr genug Zeit, dieses Weiche mit den Zehen abzutasten.
***
Hegemeyer lächelte.
"Ich hätte ganz ehrlich gesagt nicht gedacht, dass Sie die Wohnung nehmen, wo Sie so kurz angebunden waren in der letzten Woche."
Frank unterschrieb den Vertrag.
"Wissen Sie, die Aussicht ist schon toll, und die Räume auch, aber wo findet man hier in der Gegend schon fensterlose Zimmer mit so dicken Wänden?"
Hegemeyer nahm den unterschriebenen Vertrag an sich.
"Sie sollten sich wohl eher fragen, wer sich heutzutage noch die Mühe macht, normale Photos zu entwickeln. Mir gefällt das."
Er schüttelte Franks Hand.
"Ich werde mich nächste Woche bei Ihnen melden, wegen der üblichen Kleinigkeiten. Ich wünsche Ihnen alles Gute in Ihrer neuen Wohnung."
"Bis dann ... und übrigens!"
Hegemeyer drehte sich zu ihm um.
"Ich habe nie gesagt, dass ich eine Dunkelkammer daraus machen möchte."
Der Makler schnippte mit den Fingern.
"Nein, haben Sie nicht, aber Menschenkenntnis ist in meinem Beruf einfach notwendig."
Jetzt lächelte Frank.
"Na, da haben Sie sich wohl geirrt."
Der Makler war irritiert.
"Nun ... wenn dem so ist ... ist denn die Frage erlaubt, was Sie sonst aus dem Raum machen möchten."
"Selbstverständlich", sagte Frank. - "Ein Kinozimmer. Mit gigantischem Fernseher und Surround Anlage. Oder dachten Sie vielleicht, ich beabsichtige einen Kerker zu errichten?"
Hegemayer lachte laut.
Dann schloss Frank die Tür hinter ihm.