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Die Zelle
Heute ist eine von diesen gefährlichen Nächten und ich bin gewarnt. Nicht, dass irgendwas vorgefallen wäre, etwas, das anders wäre als in jeder beliebigen Nacht. Wenn ich nicht schon gelernt hätte, auch Ahnungen Beachtung zu schenken, überhaupt ständig wachsam zu sein, nichts könnte meinen Argwohn wecken. Doch ein weiteres Mal darf ich den bedrohlichen Kräften nicht erlauben, in meine Zelle zu treten.
Auf und Ab und Auf und Ab...
Der Rhythmus und das schlurfende Geräusch meiner eigenen Schritte füllen den Raum. Leise unterstützt meine brummende Stimme jeden einzelnen Schritt. Nur diese Ruhe nicht hören, teuflische Ruhe vor meiner Zellentür. In Nächten wie dieser, dringt durch die Mauern kein einziger Laut. Auch die stündlichen Schritte des Schließers hallen nur gespenstisch aus einer anderen Welt. Nicht zur Ruhe kommen, sonst dringt die Ruhe ein. Gähnende Leere, die sich durch alle Ritzen kriechend bis zu mir vorarbeitet. Schwäche, die mich beschleicht und mich hinwegfegt, wenn erst die Müdigkeit an meinen Gliedern nagt.
Auf und Ab und Auf und Ab...
Ich spüre die Anwesenheit jetzt deutlich. Drohend erfüllt sich der Raum. Langsam zieht es mich in seinen Bann, schwächt meine Konzentration. Der Takt der Schritte verlangsamt sich unmerklich, erstirbt mit einem Mal ganz. Mit dem letzten Rest Mut starre ich diesem Loch in der Welt direkt ins Gesicht. Spüre, wie es mich langsam beschleicht. Schon nagt die eisige Kälte an Fingern und Zehen. Es wird schwarz um mich herum. Nur der Rhythmus des Herzschlags ist jetzt mein einziger Halt. Wie der dumpfe Schlag einer Pauke hallt das Pochen der Schläfen von den kahlen Wänden zurück. Schwillt verhängnisvoll an. Nichts dringt mehr durch meine Sinne als der gewaltige Lärm meiner inneren, tickenden Uhr, seidener Faden zum Leben. Die dunkle Schwärze durchdringt mein Innerstes, wirft mich gewaltsam zu Boden. Kein Schmerz, keine Empfindung. Staubkorn im Räderwerk einer mechanischen Uhr. Was mir bleibt ist nur die eine Gewissheit: Es ist weiterhin da. Bedroht den seidenen Faden. Kreist mich beständig ein. Verloren ist schon mein Körper, taub und Abgründe entfernt. Schon trifft der Keil ins Zentrum, Sand im Getriebe der tickenden Uhr. Die Ewigkeit zwischen Pulsschlag und Pulsschlag wird mir zur klaffenden Qual; hält mich gewaltsam gefangen; lässt mich erst los als der erste Lichtstrahl des Tages die Gitter des Fensters durchscheint.
Dieses eine Mal bin ich noch davongekommen. Doch bald wird es wieder Nacht.