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Dienstgespräch

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13.07.2006
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Dienstgespräch

Dienstgespräch

In unserem Dorf gab es nur eine Telefonzelle, und die stand direkt an der Pforte des psychiatrischen Krankenhauses.
Der Regen nieselte auf mich nieder, während ich missmutig auf den vierschrötigen Mann in T-Shirt und kurzen Hosen starrte, der die Zelle im Dauergespräch besetzt hielt.
Mit mir hatten bereits zwei weitere Männer eine kurze Warteschlange gebildet.
Sanitäter, wenn ich die Uniformen richtig interpretierte.
„…ja, jeden Tag über 30 Grad…“, fabulierte der Schwätzer gerade. „…jede Menge Palmen… Was? Braun werden?“
Ich zwinkerte den Sanitätern zu. Vermutlich war das wieder einer dieser Psychiatriepatienten, die ihren Freunden etwas von einem Urlaub vorlogen. Ist ja auch peinlich.
Zumal der Mann gepflegt und ordentlich aussah. Teurer Haarschnitt, teure Armbanduhr, teure Brille.
Vielleicht war er ein abgedrehter Manager?
Ich musste jedenfalls dringend mit meiner Frau telefonieren.
Die Rückreise von Teneriffa war doch etwas plötzlich gekommen. Sie musste doch bescheid wissen.
Der Schwätzer quasselte gerade etwas von einer Bootsfahrt.
Ich tippte auf seine breite Schulter. „Fertig werden!“
Er wandte mir sein kantiges, gebräuntes Gesicht zu.
Sein Blick war nicht gerade freundlich.
„Bitte“, fügte ich vorsichtshalber hinzu. „Hier warten noch andere!“ Ich deutete mit dem Daumen auf die beiden Sanitäter.
„Qué ha dicho?“, sagte einer der beiden.
Was ist mit unserem Land los? Nicht einmal der Rettungsdienst spricht mehr Deutsch? Schrecklich!
Aber im Augenblick hatte ich andere Sorgen. Ich musste irgendwie meine Frau erreichen. Das Handy hatte ich leider im Koffer verstaut. Apropos Koffer, wo war mein Gepäck geblieben? Ich schaute mich verwirrt um.
Toll, jetzt war ich auch noch bestohlen worden! Und das im eigenen Dorf, keinen Kilometer von zuhause entfernt.
„Sagt mal, Leute, standen hier nicht eben noch zwei Koffer?“
Die beiden Sanitäter reagierten nicht.
„Ahora él está inquieto“, sagte der eine zum anderen, ohne mich weiter zu beachten. Das konnte ja wohl nicht wahr sein!
„Verflixt! Redet gefälligst Deutsch mit mir“, brüllte ich aufgebracht. „Ihr müsst doch was gesehen haben!“
Eine behaarte Pranke legte sich auf meine Schulter.
Der Schwätzer hatte aufgelegt. „Ganz ruhig, mein Freund.“
„Was heißt denn hier ganz ruhig? Ich bin bestohlen worden!
Und jetzt ruf ich an, mir reicht’s!“ Ich versuchte mich an dem Mann vorbeizudrängen, aber sein Griff wurde fester.
„Wo liegt das Problem?“ Er starrte mich an, als ob er mich hypnotisieren wollte. Wieso geriet ich eigentlich nur an Wahnsinnige, wenn ich es mal eilig hatte?
„Ich muss meine Frau anrufen“, sagte ich und betonte Wort für Wort. „Ich bin gerade von Teneriffa zurück, meine Frau weiß das noch nicht. Und ich bin bestohlen worden. Ja?“
„Aha. Wir sind also nicht auf Teneriffa?“
„Nein, wir sind im Sauerland. Nix Palmen, nur Tannen. Nix Sonne. Schauen Sie.“ Ich deutete nach oben. „Grauer Himmel. Es regnet. Deutschland eben. Ja?“
Der große Mann starrte mich schweigend an.
„Ich geh jetzt mal ans Telefon“, versuchte ich mein Glück.
Der Große zog die Brauen zusammen.
„Ihre Frau ist bereits informiert, Herr Richartz.“
„Woher kennen Sie meinen Namen?“ Ich spürte die Panik in mir aufsteigen. Was ging hier vor sich? „Und woher meine Frau?“
„Ich kenne Ihre Frau nicht. Aber in ihren Unterlagen…“
Ich piekste meinen Zeigefinger gegen seine breite Brust.
„Hey! Jetzt kapier ich’s! Sie haben mein Gepäck.“
Der Mann hatte die Unverfrorenheit, mir vor Zeugen meine Klamotten zu klauen. Ich wandte mich an die beiden Ausländer in Uniform. „Er war’s! Er hat’s zugegeben! Nun macht doch was, verdammt!“
Ich hätte genauso gut mit einer Wand reden können.
Es gibt Momente, da muss man sich selbst helfen.
Ich schnellte herum und trat dem großen Kerl zwischen die Beine. Er klappte zusammen wie ein Schnappmesser.
Mein Triumph währte nur ungefähr fünf Sekunden, dann hatten sich die beiden Sanitäter auf mich gestürzt und mich zu Boden gezwungen. Wieso? Der andere war doch der Dieb!
„Nie wieder Dienst im Urlaubsland“, stöhnte der Große.
Hinter ihm strahlte die Sonne am tiefblauen Himmel.

 

Hallo Udo,

Die Story an sich gefällt mir ganz gut. Was ein bisschen schade ist: ungefähr auf halbem Wege ist klar, dass der Erzähler ein Patient des psychiatrischen Krankenhauses ist.

Den Titel kann ich nicht ganz einordnen. Ich hätte vermutet, dass der Telefonierende ein Dienstgespräch führt, aber dann würde er sicherlich nicht über Temperaturen und Palmen schwätzen. Also, wo ist da das Dienstgespräch?

Was mir auch unklar ist: warum steht der Erzähler vor dem Telefon rum? Die Reaktionen der Anderen lassen vermuten, dass sie ihn nicht telefonieren lassen wollen. Sie bringen ihn aber auch nicht weg, sondern stehen und warten, während der Telefonierende Privatgespräche führt.

In unserem Dorf gab es nur eine Telefonzelle, und die stand direkt an der Pforte des psychiatrischen Krankenhauses.

Sehr schöner erster Satz, finde ich, zeigt schon, dass da was merkwürdig ist, aber nicht so sehr, dass ich gleich Verdacht schöpfte, der Prot könnte ein Patient sein.


Mit mir hatten bereits zwei weitere Männer eine kurze Warteschlange gebildet.

Hat mir sehr gut gefallen, wie der Prot die Situation umdichtet.
Das „kurze“ ist überflüssig.


Die Rückreise von Teneriffa war doch etwas plötzlich gekommen. Sie musste doch bescheid wissen.

Hier steht zwei Mal doch, den zweiten Satz finde ich nicht so prickelnd, mit musste und doch.
Auch "die Rückreise war gekommen" ist nicht stimmig.

Und das im eigenen Dorf, keinen Kilometer von zuhause entfernt.
Mit zu hause meinst du vielleicht das Haus? Es hört sich etwas widersprüchlich an, erst ist es im eigenen Dorf, dann wieder etwas davon entfernt. Ich würde Haus schreiben, statt zu hause.
Und zu hause auseinander geschrieben.


Vorbeizudrängen

vorbei zu drängen


„Ich muss meine Frau anrufen“, sagte ich und betonte Wort für Wort.

Er muss etwas betonen, nicht einfach nur betonen, es ginge: und betonte jedes Wort.

Hoffe es war hilfreich,

schöne Grüße!

 

Ja, okay, Du hast da doch einiges gesehen, was mir nicht aufgefallen war.
Das ist ja der Sinn der Übung, danke.

Dass Du allerdings "auf halben Wege" erkannt hast, dass der gute Herr Richartz ein psychiatrischer Patient ist, entlockt mir ein befriedigtes Grinsen.
Ih habe den Text ja schon einigen Leuten präsentiert...von denen nur eine Person darauf gekommen ist (mein 13jähriger Stiefsohn, ho,ho).

Warum der Erzähler vor dem Telefon rum steht ? Du hast es selbst gesagt.
Da werden im Dienst Privatgespräche geführt... ;-)

 
Zuletzt bearbeitet:

Nun,

lieber Udo,

mit der Form Deines „Dienstgespräches“ widersprichstu Allem, was ich (auch im Dienste eines kirchl. Krankenhauses der Allgemeinversorgung) an Formen des Dienstgespräches kennengelernt habe, die vom bloßen Anmaulen bis hin zum steuerbegünstigten Arbeitsessen reichten, und wenn mich nicht alles täuscht, sprengt die Geschichte den Begriff, denn dass ein Insasse gleich welcher Art von Anstalt an Gesprächen zwischen Vorgesetztem und Nachgeordnetem (was wörtlich zu nehmen ist) teilhat, bestätigt meinen Verdacht, dass niemals ganz klar ist, wer nun eigentlich in eine Anstalt gehöre, das Personal in der gänzl. Hierarchie mit ihrem Oben und Unten oder die, welche immer Unten sind und erst den Sinn der Anstalt ausmachen.

Bissken Kleinkram:

In unserem Dorf gab es nur eine Telefonzelle, und die stand direkt an der Pforte des psychiatrischen Krankenhauses.
Komma ist m. E. entbehrlich durch die Konjunktion.

Der Regen nieselte auf mich nieder, …
Genügt nicht die einfache Formulierung „Es nieselte, während ich …“. Muss jemandem erläutert werden, was Nieselregen sei?

Sie musste doch bescheid wissen.
In aller Bescheidenheit sind Bescheide immer groß, besonders wenn sie als ein „Bescheid wissen“ daherkommen.

Gruß

Friedel

Was mir nachträglich noch einfällt wäre das dienstlich bedingte Privatgespräch - da gleiten wir aber ab ins Satirische ...

 

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