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Dies delikate Stück Scheiße
Birdy fühlte sich ganz okay, um Welten besser jedenfalls als noch am frühen Morgen und im Verlaufe des Vormittags. Die blauen Flecken auf ihrem Rücken pulsierten nicht mehr, die Zahnschmerzen waren dank der Tabletten erträglich, und Ron war noch nicht von der Arbeit zurück.
Sicher, er würde kommen, und nur Gott oder der Teufel wussten, nach was ihm dann wieder der Sinn stehen würde – aber jetzt und hier, auf der Couch in dem schon hallengroßen Wohnzimmer ihres Hauses, mit einer dampfenden Tasse Kamillentee vor der Nase, war das Leben wirklich ganz okay.
Natürlich nicht annähernd so, wie es sich Brenda und Lucy ausmalten, diese dummen, neidischen Puten. Schimpften sich Freundinnen, balzten aber unverhohlen mit Ron herum, wenn sich die Gelegenheit dazu auch nur andeutete, ob nun ihre Männer – Rons Freunde aus dem Tennisclub – mit der Nase dabeisaßen oder nicht.
Was in ihren lochgesteuerten Hirnen sein Unwesen trieb, konnte Birdy sich nur allzu gut vorstellen. Ron war ein attraktiver Mann, für Mitte vierzig sogar ausgesprochen attraktiv. Ein renommierter Professor mit einer auf Hochglanz polierten Reputation, mit einer Menge Geld, mit einer im gregorianischen Stil erbauten Villa im Londoner Süden, und, was am allermeisten bei Hühnern ihres Schlages zählte ... mit Macht. Macht über Studenten, Macht über seine universitären Forschungsknechte, die für ihn mühsam die Früchte von den Bäumen pflückten, damit er sie dann unter seinem Namen in Artikeln und Büchern der Öffentlichkeit präsentieren konnte. Fachgremien, Konferenzen, Ausschüsse – sein Wort hatte Gewicht, und die Zahl derer, die sich gegen seinen Ehrgeiz und sein nachgerade enzyklopädisches Fachwissen gestellt und dabei einen gründlichen Karriereschiffbruch erlitten hatten, war Legion.
Es waren diese Menschen, die auch den anderen Professor Ronald Mahoony kannten, den Ron hinter dem gewinnenden Lächeln und der erschlagenden Beredtsamkeit. Davon hatten Brenda und Lucy keine Ahnung, sie sahen nur die Fassade, für sie korrelierte materielles Glück mit Seelenheil, und die Gier danach schüttelte ihre Glieder durcheinander und nässte ihren Schritt.
Dabei hatte sich Birdy so manches Mal ausgemalt, wie es wohl sein würde, wenn sie einmal die Rollen tauschten. Wie es sein würde, wenn sich Brenda-Pummelchen an ihrer Stelle den ganzen Tag durchs Haus langweilte. Wie es sein würde, wenn Ron dann einen seiner Spezialanrufe machte.
„Um acht Uhr komme ich nach Hause, du geile Sau. Du bist auf allen vieren hinter der Tür, verstanden? Und öl dir die Votze ein.“
Und zack!, aufgelegt. Kein Gruß, keine Verabschiedung, keine Frage nach dem Abendessen oder sonstigen Befindlichkeiten. In dieser Beziehung war Ron Purist.
Vielleicht würde es Brenda sogar gefallen, einmal das Fickobjekt des Herrn Professor zu sein. Vielleicht würde sie sich ja dann tatsächlich zur angegebenen Zeit splitternackt auf den teuren Perserteppich vor der Tür knien und ihr elefantöses Hinterteil mit der fleischigen, tropfnassen Vagina in die Höhe recken wie ein läufige Hündin. Aber spätestens, wenn der propere Ron zur Tür hinein war und sich den Anzug vom Leib riss, um sie brutal zu nehmen, spätestens dann würde auch Brenda ein Licht aufgehen, dass es einen Ort südlich der Hölle gab. Und dann hätte sich Birdy liebend gerne noch einmal mit ihrer ach so guten Freundin über ihr Leben unterhalten.
Birdys Blick fiel auf die Wanduhr. 19.17 Uhr. Immer noch kein Anruf. Wohl einer der Tage, an denen Ron ohne fleischliches Konzept nach Hause fand.
War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Kam ein Anruf, konnte sie sich wenigstens auf etwas einstellen. Diese Ungewissheit dagegen war zermürbend. Gut möglich, dass er sie spontan nahm, und dann war alles drin. Ebenso gut war es möglich, dass er wieder einmal überarbeitet war, seine Gehirnzellenakrobatik den Schwellkörpern für den Rest des Tages jedwede Blutzufuhr entzogen hatte.
Birdy nahm einen Schluck Tee. Er schmeckte gallenbitter, trotz drei gehäufter Löffel Zucker. Nicht gut für den Zahn, aber, mein Gott, ein wenig Süße hatte schließlich noch keinen umgebracht.
Es war wieder einer dieser Tage – obwohl, im Grund genommen, sie hatte nur noch solche Tage –, an denen ihre Gefühle kleine Erdmännchen waren, die nach scheinbar willkürlichem Prinzip aus weit verstreuten Erdlöchern ihre Köpfe reckten, sich neugierig umblickten und dann wieder verschwanden. Lange genug, sie schemenhaft wahrzunehmen, aber zu kurz, sie wirklich zu erkennen, geschweige denn in den Griff zu bekommen.
Gerade noch Ekel, jetzt fast schon wieder Liebe. Die Sehnsucht nach Freiheit, verdrängt vom Dach über dem Kopf. Eine Lohe Angst, gefolgt von einer flächenbrandigen Wut. Nein, halt, Wut durfte nicht sein. Weg damit, verdrängen – das hatte Ron ihr beizeiten schlagfertig zu verstehen gegeben.
Wohin das alles führte ... wer wusste das schon zu sagen? Vielleicht brachte er sie eines Tages im Testosteronrausch noch um. Wenn sein Schwanz das Zepter schwang, verlor Ron alles – Moral, Mitgefühl, Selbstkontrolle.
Das war ihr klar. Irgendwie. Manchmal zumindest, in lichten Momenten. Aber was half es ihr? Wie es aussah, waren ihre Nervenleitbahnen gründlich im Eimer. All die vernünftigen Gedanken, die hin und wieder aufblitzten, all die mickrigen Fluchtreflexe, der tosende Zorn dann und wann – nichts davon drang bis zu ihren Armen oder Beinen durch.
Einmal, da war sie tatsächlich fortgelaufen. Drei Jahre war das jetzt fast her. Hatte ihren kleinen Koffer gepackt und war ab durch die Mitte. Keine Eltern, keine Brenda, keine Lucy. Eine kleine Pension. Sie hatte auf dem muffigen Bettlaken gesessen und sich förmlich die Augen ausgeheult, in der ersten Nacht mit dem Alp ihres Lebens gerungen, am nächsten Tag wieder geheult und gelacht, als wäre sie irre – und genau das war es gewesen, was sie empfunden hatte: eine irre Angst, und doch auch ein irres Gefühl von Widerstand, endlich, endlich. Aber es hatte gerade mal drei Tage gedauert, dann war Ron aufgetaucht, wie ein besessener Dämon, wie ein allwissender Gott. Sie hatte nie erfahren, wie er das fertiggebracht hatte.
„Ich habe Freunde, weißt du ja, in der Regierung, beim Militär“, hatte er feixend gesagt.
Klar, wusste sie, als Militärberater war er eine Kanone. Wie unsinnig seine Erklärung im Kern gewesen war, war ihr erst später aufgegangen. Aber wie dem auch war, er hatte sie gefunden, und das war nunmal der Fakt, auf den es ankam, ganz gleich, ob da Magie oder der Premierminister höchstselbst im Spiel gewesen waren.
Zuhause hatte sie dann Bekannschaft mit Rons Maßnahmenkatalog in solchen Fällen gemacht. So gut hatte ihr Vater das nie hinbekommen. Ihr alter Herr war plump gewesen in Figur und Handeln, er hatte sichtbare Spuren hinterlassen, Ron dagegen war im Prügeln ein richtiger Könner, ein filigraner Künstler, der sich mit aller Inbrunst seiner Obsession hingeben konnte, und das über Stunden.
So pauste also Ron seine Hände in feurigem Rot auf ihre Arschbacken. Dann fuhr er in die Stadt und brachte ihr Rosen. Als Dreingabe erhielt sie einen gutgemeinten Ratschlag:
„Tu das ja nie wieder, Birdy! Hörst du? Tu das ja nie wieder!“
19.37 Uhr.
„Verkacktes Mistschwein!“, entfuhr es ihr.
Für einen Moment fühlte sie sich großartig, als hätte sie es ihm gerade mitten ins Gesicht gesagt. Konnte sie natürlich nicht, sie war ja nicht blöde. Das weckte den Sportsgeist in ihm, es wäre nur wieder ein weiterer Ansporn gewesen, sie zu bändigen, zu zähmen, ihr seinen Willen aufzuzwingen, bis sie ganz klein und gespreizt und wimmernd zu seiner Stinknutte verkommen war – bis er sie gebrochen hatte, dieses weitere Mal.
Verkacktes Mistschwein! Ja, war gut, doch doch. Aber nicht gut genug. Der kleine Triumph musste den Gezeiten ihres jämmerlichen Aufbegehrens schon wieder Rechnung tragen – gerade noch schäumende Flut, schleppte sich das Mistschwein jetzt mitsamt der Ebbe zurück ins wogende Meer.
Unwillkürlich tastete Birdy mit der Zunge über den schmerzenden Zahn. Den Termin hatte sie erst morgen, diese verdammten Dentalheinis interessierte nicht mal mehr eine Wurzelvereiterung.
„Schmerzen? Oh, ja, verstehe. Nein, können wir heute nichts gegen tun, der Laden ist rappelvoll. Kommen Sie morgen, sagen wir um elf? Gut, prima. Und bringen Sie ein wenig Zeit mit, Sie wissen ja, heutzutage haben viele Leute schlimme Schmerzen.“
Sie holte tief Luft.
„Verkacktes Mistschwein!“
Nicht der Arzt – gut, der auch –, sondern Ron.
Plötzlich war die Angst da, schlagartig sich ausdehnend, besitzergreifend wie ihre Mutter. Nur kein böses Wort, nicht einmal ein böser Gedanke – er würde es riechen, und dann aber Gute Nacht.
Sie lauschte in die Stille hinein. Einen Moment lang war sie sicher, dass Ron jetzt gerade vor der Tür stand, den Schlüssel stoßbereit vor dem Schlitz – er hatte es gehört, ganz sicher, durch das Türblatt hindurch, und jetzt lauschte er auf weitere Worte wie ein Raubtier, das die Witterung aufgenommen hat. Aber die Tür blieb zu.
Langsam wie eine nachlässig umgehängte Decke rutschte die Anspannung wieder von ihr ab. Sie griff nach der Tasse und nippte an dem Tee. Er war nicht mehr heiß. Wenn doch nur Ron nachher diesem Tee glich.
Absurd beinahe, dass sie selbst es gewesen war, die das alles ausgelöst hatte. Irgendwie jedenfalls. Damals, als sie gerade verheiratet waren. Damals, als sie noch Marilyn – wie Daddys heißverehrte Monroe – und nicht Birdy oder Stinknutte hieß. Damals, als sie zu Ron noch Ronnie hatte sagen dürfen, als er noch ein fleißiger, aber unbedeutender Doktorand gewesen war.
Ein Spiel war es gewesen, nichts weiter. Zumindest am Anfang. Jahrelanger Blümchensex hatte sie ziemlich auseinandergebracht. Mal war sie unten, mal war sie oben, mal lutschte sie Ron, mal lutschte Ron sie – eine schnurgerade hormonelle Sackgasse. Irgendwann hatte sich alles nur noch beiläufig abgespielt, war zur öden sexuellen Grundversorgung verkommen, mechanische Penetration, gelangweilte Kontraktionen bis zum weißen Schuss. Sie hatte sich dabei gefühlt wie ein Stück Holz, Ron hatte immerhin noch gestöhnt, ob nun aus einem verbliebenen Fitzelchen Erregung heraus oder aus Erleichterung über das Ende der Beckenschaukelei, das war dann auch nicht mehr von Bedeutung gewesen.
Dann hatte sie eines Tages den Vorschlag gemacht, doch mal etwas Neues auszuprobieren. Man las ja überall davon, man hörte dauernd davon, und im Fernsehen brachten sie es auch am laufenden Band.
Leute, entstaubt eure Erotik, probiert mal was anderes.
Ronnie – Ron – war nach anfänglichem Zögern darauf eingegangen. Sie taten sich schwer damit, beim ersten Mal, beim zweiten Mal. Aber in ihren schmachtenden Lenden prickelte es gewaltig – es war verrucht, es war schmutzig, es war neu.
Verbale Sauereien, Handschellen, Peitschen, große und kleine Spielzeuge, Liebesschaukel und ... Schmerzen. Keine wirklichen Schmerzen, nurmehr süße Spitzen, und es gefiel ihr, und es gefiel ihm. Ein wechselseitiges Spiel, beherrschen und erniedrigen – an diesen Tagen dominierte Ron, an jenen Tagen sie.
Aber irgendwann war ihnen die Sache aus den Händen geglitten, oder, was der Wahrheit entschieden näher kam, die Sache war ihr aus den Händen geglitten. Ronnie, der plötzlich darauf bestand, dass sie fortan nur noch Ron zu ihm sagen dürfe und der jetzt die ausschließliche Rolle des Dominus einnahm, fing an, ihr richtige Schmerzen zuzufügen. Er hatte sich entschuldigt, gleichermaßen erschrocken wie aufgegeilt, sie hatte ihm verziehen. Auch beim nächsten Mal. Und wieder und wieder.
Ron tat es leid.
Ron konnte es sich selbst nicht erklären.
Ron wollte alles wiedergutmachen.
Manchmal hatte Professor Ronnie-Ron sogar Tränen in den Augen – seltsam nur, dass die Biester nie die Augen verließen.
„Komm schon, Birdy, sei wieder gut.“
Dann, eines Tages, Birdy lag wie ein großes X an Händen und Beinen ans Bettgestell gefesselt, drang er so unvermittelt und nachdrücklich in sie ein, dass sie vor Schmerz beinahe ohnmächtig geworden wäre. Es war, als stocherte er mit einem rostpickligen Rohr in ihrem Inneren herum. Sie schrie, er grunzte, und dabei lief ihr eine klebrige Flüssigkeit über die Schenkel, von der sie nur zu genau wusste, was es war.
Ron packte sie an den Haaren, glänzenden Speichel auf den halbgeöffneten Lippen, und er zerrte an ihrem Kopf, als wolle er sie mit bloßen Händen skalpieren. Seine rechte Hand – die Hand, die sie so oft beim Spazierengehen umfasst hatte, die Hand, von der sie wusste, wie elektrisierend sanft sie einmal hatte sein können – langte zwischen ihre Beine und kniff ihr ins Weich der Oberschenkel. Der Schmerz stand dem vorangegangenen in nichts nach. Mit einem lüsternen Grinsen hielt er ihr Daumen und Zeigefinger vor die Augen, sie waren blutverschmiert, als hätte er ein Stück Fleisch aus ihrem Bein gerissen, aber dieses Blut kam aus dem aufgerissenen Gewebe ihres Inneren.
„Du willst es doch nicht anders.“ Und dann, leise, damals fast noch verschämt: „Sau!“
Dann hatte er weitergemacht. Nie zuvor hatte Birdy ihn so ekstatisch erlebt wie an jenem Tag. Dabei sollten noch ganz andere Tage folgen.
Damals wollte sie gehen, unumstößlicher Entschluss. Er war zu weit gegangen, diesmal war er viel zu weit gegangen. Wieder seine Phrasen, wieder seine Beteuerungen, seine schimmernden Augen. Dann, wie aus heiterem Himmel, kam der Strategiewechsel.
„Dann geh doch!“
Bumm, peng, aus!
Da hatte sie Angst bekommen. Angst vor der Zukunft, vor dem Alleinsein. Das Haus, das Geld, die Freunde. Nun, seine Freunde, aber immerhin. Ja, selbst Ron. Nichts mehr würde sie haben. Vielleicht einen miesen Job finden, unterbezahlt. Und dann?
Was dann, kleine Birdy? Was fängst du an da draußen, wo du niemanden kennst?
Sie war geblieben. Ron wurde immer schlimmer. Brutaler, verachtender, demütigender. Dann wieder gab es Blumen, Beteuerungen, Einladungen zum Essen, ins Theater. Und dann wieder Schläge. Beine, Unterleib, Brüste, Oberarme – alles, was sich den Blicken anderer entzog, trug die schillernden Zeichen seiner eifrigen Zuwendung.
Kein Tag mehr, an dem Birdy nicht ans Abhauen dachte. Kein Tag mehr, an dem sie nicht doch noch Gründe fand, zu bleiben. Hatte sie nicht auch ihr Elternhaus überstanden? Gut, das linke Ohr halb taub geprügelt, aber sie war da durch. Sie würde auch das hier überstehen.
Aber sie wusste, dass sie es nicht überstehen konnte. Oder wusste sie es nicht? Es war zum Verrücktwerden. Manchmal war sie nahe daran, die Stirn gegen die Wand zu schlagen, um nur ja die taumelnden Gedankenfragmente in den Griff zu bekommen, die sie bis zur Mattheit malträtierten.
Geh endlich! – Ich kann nicht! – Verlass ihn! – Wo soll ich hin?
Wenn auch sie nicht wusste, wohin sie sollte, Ron hatte da ganz entzückende Ideen. Einmal schleppte er sie in einen Club. Ron turnte mit anderen Frauen, Birdy mit anderen Männern, ein verschwitztes Wirrwarr von Armen und Beinen, wie fickende Kraken. Nachts hatte sie gekotzt, während er gar nicht genug kriegen konnte und sich im Bett noch einen runterholte.
Am nächsten Morgen gab es wieder Rosen, ein handgeschriebener Zettel mit einem eiligst dahingekrakelten „Ich liebe dich“ darin.
Oder der Abend mit seinem Professorenkollegen – großartiger Physiker, Birdy, du wirst ihn mögen!, ja ja, Ron – und dessen Frau. Zwei Stunden Essen, Langusten und Austern und Kaviar und all solches Zeug, feierlich begleitet von interfakultativem Geschwätz. Der Nachtisch wurde im Bett serviert. Ron mit der Biologenschlampe, Birdy mit dem klapperdürren Mann aus dem Elfenbeinturm – von vorne, von hinten, sein Abgang in ihrem Mund. Das sündhaft teure Essen, alles mitsamt der akademischen Eiweißdosis ausgewürgt und das Klo runtergespült.
19.58 Uhr.
Die Augen schließen, sich fortträumen. Gar nicht mal so schwer dank lebenslanger Übung. Ein schickes Häuschen in den schottischen Highlands. Ein lieber Mann – Ron vielleicht, wenn er wieder so wie früher war. Vielleicht noch eine Katze, einen Hund, Enten und Schafe draußen am Teich, auf der Weide. Grün, soweit das Auge reicht. Und blauer Himmel, mit Wolken wie Wattebäusche.
Aber Wattebäusche brauchte sie für anderes. Für Blut. Vollgesogen sah die Watte meist aus wie eine überreife Kirsche. Weich und voller Saft.
Wie lange würde Ron bis Schottland brauchen? Wieder drei Tage? Eine Woche diesmal? Wie lange würde er bis zum Arsch der Welt brauchen, wenn sie sich dorthin verkroch? Einen Monat, maximal. Er hatte Freunde. In der Regierung. Beim Militär.
Keine Chance, Birdy, du hast keine Chance. Also vergiss es lieber. Scotland Yard, die British Army, sie alle werden dich jagen. Spione, Luftaufklärung, Überwachungssatelliten, eine Fantastilliarde Pfund Kopfgeld werden sie aussetzen. Auf dich! Jede halbwegs arme Sau dieser Welt wird hinter dir her sein.
Was denn, du glaubst es nicht? Lach nur, kleine Birdy, es ist ja auch zum Lachen, aber vergiss nicht, besser, du vergisst das niemals, er hat dich damals gefunden. Drei Tage, und er hat dir die Poren seiner Hände in die Haut graviert. Drei beschissene Tage. Ganz schön spooky, oder?
Und es war ja doch auch so, dass Ron noch Gefallen an ihr hatte, wenn auch auf seine eigene Art und Weise. Nicht ganz ein Jahr war es her, da hatte sie, zusammengekauert in der Ecke zwischen Bett und Tür und mit rotklebrigem Rotz auf der Oberlippe, ihn gefragt, was sie eigentlich noch für ihn sei. Da hatte er gelächelt, so fast schon vergessen sanft wie bei ihrem ersten Treffen im Kinofoyer – Flashdance! und Alex, du meine Güte, tanz wie um dein Leben, deine Träume –, und dann hatte er gesagt:
„Du bist ein delikates Stück Scheiße!“ Er war mit der Zunge an seinem rechten Mittelfinger entlanggefahren, von der Wurzel bis zum Nagel, und dann hatte er anerkennend mit der Zunge geschnalzt, als hätte er gerade von seinem heißgeliebten Vanillepudding genascht. „Unglaublich d-e-l-i-k-a-t!“
Dann hatte er sie genommen, nach seinen Vorstellungen, und sie hatte einen Orgasmus gehabt, den ersten seit langer, langer Zeit – und es kam ihr vor, als hätte sie sich eine ebensolche Zeit danach dafür geschämt.
Delikat, ja, das wollte sie sein.
Ein Stück Scheiße? Nein nein nein.
Aber d-e-l-i-k-a-t!
Siehst du, Daddy, ich bin vielleicht dumm, aber ich bin nicht hässlich! Ich bin durchaus d-e-l-i-k-a-t! Delikahaaat! Siehst du?!
Ron musste doch nur wieder zur Vernunft kommen, und dann hätte sie doch alles, was sie wollte. Er brauchte vielleicht noch etwas Zeit ... nur noch etwas Zeit.
Ach, Birdy, sei nicht Daddy-dumm! Zeit ist der Kaugummi unter deinem Schuh, der sich zieht und zieht und doch nicht reißt – er schnellt nicht zurück, springt nicht dorthin, von wo du einstmals losgestiefelt bist, begleitet jeden deiner Schritte, zittert endlos hinter dir her, unlösbar und nicht willkommen, nicht willkommen.
20.03 Uhr. Diesmal war es keine Einbildung. Der Schlüssel drehte sich in der Tür, Birdy sich der Magen um.
„Wo bist du?“
Seine Stimme, volltönend und fordernd.
Birdy richtete sich kerzengerade auf. Zwischen ihren verknoteten Fingern strickte sie unsichtbare Wolle.
„Hier“, rief sie in den Flur hinaus. Lange Erklärungen konnte sie sich sparen, das ganze Gequatsche von wegen Wie war es?, Wie geht es dir?, Schön, dich zu sehen.
„Komm her!“
Er war nicht überarbeitet.
Birdy zögerte nicht. Wer zögert, steckt ein, und zwar eine ganze Menge. Das hatte Ron ihr beigebracht. Sie wollte nicht einstecken, nicht mehr, als nötig.
In ihrer Vagina meldete sich der Phantomschmerz. Und richtig, im Flur stand Ron, das Jackett achtlos auf den Boden geworfen, die Krawatte notdürftig gelockert, mit heruntergelassenen Hosen, den Gürtel aus der Schlaufe gezogen und wie einen Galgenstrick in der rechten Hand haltend. Sein phallischer Fingerzeig war in all seiner Aufrichtigkeit unübersehbar.
„Blasen!“, bestimmt er.
Sie kniete vor ihm nieder. Er schlang den Gürtel um ihren Nacken und zog ihren Kopf vor, bis sein Ding in ihrem Mund verschwand, ließ nach, zog wieder an.
Birdy kam erst gar nicht auf die Idee, die Augen zu schließen. Sie hätte sich wer-weiß-wohin träumen können, aber da waren noch Rons Fäuste direkt vor ihren Augen. Fest umschlossen sie die Gürtelenden, das eine mit der Schnalle, das andere mit den Löchern, und da waren Adern wie dicke Würmer, da waren weiße Knöchel wie erstarrte Glühwürmchen, lidlos und glotzend schwirrten sie auf sie zu und davon, auf sie zu und davon. Nein, Rons Fäuste aus den Augen zu verlieren wäre wirklich eine dumme Idee gewesen.
Er schmeckte salzig, ungewaschen. Und er gurrte wie eine gottverdammte Taube. Er gurrte immer am Anfang. Das Geschreie und Geschlage kam erst später.
Rein und raus, flupp flupp flupp.
Ihre Zunge war emsig unterwegs. Wenn sie ihn überlistete, ihn schaffte, dann war es erst einmal vorbei. In seinem Alter konnte er nicht mehr, wie er wollte, in den meisten Fällen jedenfalls.
Mach mal Pause, Ron. Setz dich, ich mach dir ´nen Kaffee, wir reden über die guten alten Zeiten.
Aber Ron war gewieft, so leicht ließ er sich nicht überrumpeln. Er trennte Vorspeise strikt von Hauptgang und Nachschlag. In den meisten Fällen jedenfalls.
Birdy konnte nicht vermeiden, dass ihre Zunge wieder und wieder gegen die entzündete Zahnregion stieß. Die Tabletten ließen sie ausgerechnet jetzt im Stich. Das Zahnfleisch verkam zum Nadelkissen, in das fleißige Finger eine Heftzwecke nach der anderen pressten.
Über ihr gurrte Ron, zog und ließ locker, tauchte sein Ding zwischen ihre Lippen und zog es heraus, und missverstand ihr Stöhnen völlig falsch, das konnte gar nicht anders sein. Und wie sie plötzlich stöhnte – der Schmerz war unerträglich, die Wurzel pulsierte in ihrem Eiterbett, fast glaubte sie das Knirschen der verrotteten Zahnwand zu hören, Feuerlanzen gruben sich tief in ihre Hirnrinde.
Sie biss zu.
Ein Reflex, nicht tief, schon gar nicht fest, doch fest genug, dass Ron sein Ding ans Licht des Tages riss.
„Hey! Bist du total bescheuert?“, schrie er außer sich, und Gott, wie albern er doch aussah mit dem wippenden Wurm vor ihren Augen, auf dem sich die Abdrücke ihrer Schneidezähne wie fehlgedruckte Strichcodes ausmachten.
Birdy presste ihre Hand auf die schmerzende Wange. Kindheitszauber, den sie nie erlebt hatte. Wenn es doch nur so einfach wäre, wenn es sich doch bloß einfach fortstreicheln ließe.
Aus ihrer Gebetshaltung heraus sah sie sein Gesicht, seine leidenschaftliche Wut, aber da war noch mehr. Irgendwo hinter seiner zornigen Visage schimmerten Bestürzung und ungläubiger Schrecken.
Ron hatte Angst!
Mit einem Schrei, der mehr aus Verzweiflung denn aus irgend sonst was aus ihrem Mund brandete, sprang sie auf die Beine. Himmel, dieses Bumpern, dieses Stechen, dieses Knirschen, das war so ganz und gar nicht auszuhalten. Birdys glühende Wange brannte all ihre hemmenden Mauern im Nu in Grund und Boden.
„Mistschwein!“, brüllte sie.
Mit hängenden Schulter und hängendem Schwanz gaffte Ron verständnislos in ihr Gesicht.
Er hat Angst!
„Du verkacktes Mistschwein!“
Sie krallte die Finger in sein Hemd, warf ihn gegen die Wand neben der Tür. Ron hatte nicht den Hauch einer Chance – wie Sträflingsketten hing die Hose um seine Knöchel gestülpt.
Die goldgerahmte Doktorwürde, auf die er so unglaublich stolz war, verlor sämtliche Fassung und polterte zu Boden, das Schutzglas zersprang in dutzend Teile.
Birdys Faust war emsig wie ihre Zunge zuvor.
„Mistschwein!“, schrie sie und drosch auf die Augen ein, auf die Nase, den Mund, die Stirn. Darin war Ron ein exzellenter Lehrmeister gewesen.
Daumen niemals in der Faust! Daumen immer über dem mittleren Glied des Zeigefingers!
Er wollte sich wehren, aber ihrer unerwarteten Raserei hatte er nichts entgegenzusetzen. Ächzend rollte er sich an der Wand zur Seite, verfing sich in den Hosenbeinen, fiel auf die Fliesen. Birdy legte die schnellste Kniebeuge ihres Lebens an den Tag. Ihr Ellbogen verformte Rons Nase zu einer dicken roten Knolle.
Dann traf sie ein Schlag in die Achsel, blindlings ausgeführt, es steckte keine konzentrierte Wucht darin wie sonst in seinen Fäusten, aber es tat weh.
„Du kleines Stück Scheiße!“, krakeelte er, blutblubbernde Lippen in rotglänzendem Gesicht, wobei er wie ein Baby im Strampler zappelte, verzweifelt bemüht, Birdy von sich zu stoßen, auf die Beine zu kommen.
„Ich – bin – kein – Stück – Scheiße! Ich – bin – kein – Stück – Scheiße! Ich – bin – kein – Stück – Scheiße!“
Bei jedem Wort schlug Birdy auf ihn ein. Die Tränen raubten ihr die Sicht, aber sie wusste, wo seine Fratze zu finden war. Die Finger taten weh, die Knöchel taten weh, in den Handgelenken dröhnte eine dumpfe Bassline.
Der feige Sauhund kroch davon, reckte sich hoch, packte den Türgriff, vernachlässigte die Deckung seiner Flanke, und da traf ihn schon Birdys Fuß mitten in die Kronjuwelen. Ron jaulte auf, aber er schaffte es durch die Tür, ließ warme Frühlingsluft hinein, während er wimmernd nach draußen krabbelte. Zirpende Vögel begleiteten sein Klagen, aus dem Garten der Hendersons nebenan brummte der Rasenmäher. Hier in dieser Siedlung hatte eben alles noch seine Ordnung, hier wurden Grashalme und Frauen noch auf die rechte Länge gestutzt.
Birdys Finger schlossen sich um Rons Knöchel, aber diesmal war er entschlossener, was Wunder. Ein schwerer Tritt landete auf ihrem Oberarm. Sie ließ von ihm ab. Das würde einen imposanten blauen Flecken nach sich ziehen, ihrer fachmännischen Meinung nach eine glatte acht auf der Skala, und das hieß beschissene acht Tage, bis er wieder verschwunden war.
„Hilfe!“, kreischte Ron in den Abend hinaus. „Hiiilfeee!“
Feigling, elender. Birdy sprang auf, schwarze Schlieren vor den Augen. Nur weiter, nur immer weiter. Ron war am Boden, und wehe ihr, wenn es ihm gelänge, wieder auf die Füße zu kommen.
Sie wollte draufschlagen, zutreten, ihm den allerletzten stinkenden Rest geben. Dann bemerkte sie die Promotionsurkunde, ein Riss lief quer durch das Papier. Der Rahmen war nicht mehr der Rede wert. Und das Glas ... lauter kleiner Scherben, bis auf ein bemerkenswert handliches Keilstück.
Sie schnappte es sich und folgte Ron hinaus, der auf den Wegplatten zwischen ihrer akkurat gemähten Wiese hockte und wie wild an seiner Hose zog. Der feine Stoff war schon an bis an die Knie gezogen.
Pass bloß auf, Birdy, lass das ja nicht zu!
Zwei Schritte, dann kickte ihr Tritt Rons Gesicht in Richtung Hendersons – der Alte und seine Frau standen hinter dem Zaun, die Münder sperrangelweit offen, der Rasenmäher zwischen ihnen tuckerte leise im Leerlauf.
Birdy nahm sie nicht wahr, da war nur noch der Tunnel um sie herum, und an seinem Ende Ron, der ungelenk und der Ohnmacht nahe rückwärts über die Platten kroch.
Sein Schwanz, so wenig standhaft wie das Schwein, an dem er hing, schlurfte über den Boden. Ein rascher Schritt, ein schneller Griff, und sie hatte das Ding in der Hand. Nichts mehr war von der schmerzbringenden Härte zu spüren, schlaff, geradezu lustlos hing es da. Ihre andere Hand sauste hinunter, ein Schnitt, und noch einer, und da schrie Ron die ganze Welt zusammen, aber da schrie auch Birdy die ganze Welt zusammen und tat den nächsten Schritt mit solcher Macht, dass das Glas sich tief in ihre Hand fräste, aber dann war sie durch, und mit einem fieberhaften Zittern schwang sie die schrumpelige Trophäe durch die Luft, die sie ein letztes Mal mit warmer, klebriger Flüssigkeit besudelte.
„Mein Gott!“, sagte Mr. Henderson mit einer Stimme wie am Sonntag in der Kirche beim Amen. „Mein Gott!“
Seine Frau hatte insoweit Glück, als dass sie dieses Bild – von dem ihr Mann noch lange sprechen sollte – nicht mehr sah; sie war bereits auf dem Weg ins Haus, um die Polizei zu rufen.
Birdy sackte vor Ron in die Knie, bekam nicht mit, dass er längst nicht mehr bei Bewusstsein war. Seine Finger waren spinnengleich auf die Wegplatten gespreizt, die Nägel nach außen umgeklappt, drei hatte es bis zum Nagelbett abgerissen.
Birdy hielt ihm das abgetrennte Glied hin, aber Ron konnte es nicht mehr annehmen.
„Ich bin kein Stück Scheiße!“, sagte sie mit brechender Stimme.
Sie holte aus und warf ihre Beute mit letzter Kraft in weitem Bogen über den Zaun hinaus auf die Straße. Dann fiel sie in deutlich kleinerem Bogen weinend auf die Wiese, während in der Ferne bereits die ersten Sirenen erklangen.
„Mein Gott!“, sagte Mr. Henderson erneut. „Der arme Mr. Mahoony.“