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Dietmar auf Reisen
*gewidmet allen Dietmaren dieser Welt. Möget ihr trotzdem Spaß im Leben haben...
Das Weltall.
Unendliche Weiten.
Und noch viel unendlichere Leere.
Leer? Na ja, nicht ganz...
„Eine Millionen Zweihundertachttausend Dreihundertdreiundfünfzig... ... ...eine Millionen Zweihundertachttausend Dreihundertvierundfünfzig... ... ...eine Millionen Zweihundert-“
„Halt, den kannst du nicht mitzählen!“
„Wieso nicht?“ Null stellte seine primäre Gesichtsmotorik auf „ärgerlich“. Er hasste es, wenn ihn Eins beim Asteroidenzählen unterbrach.
„Nun,... weil das gerade kein echter Asteroid war, sondern....“
„Sondern was?“
„Sondern... eine Kokosnuss! Genau!“
„Sah mir aber verdächtig nach einem Eisen-Nickel-Asteroiden der Klasse 4 aus. Und überhaupt: Das ist totaler Quatsch! Wie sollte denn eine Kokosnuss bis hierher kommen?“
„Mit Fantasie?“, fragte Eins unschuldig wie ein kleines Kind.
„Wessen?“, grunzte Null zurück. „Unsere etwa?“
„Vielleicht?“
„So ein Schmarren! Wir sind ein Dietmar*. Hast du schon jemals gehört, dass es Dietmare mit Fantasie gibt? Nein! Also, halt dein Mikro! Lass mich einfach weiter zu Tode gelangweilt sein und nerv nicht!“
Null programmierte Dietmars Gesichtsmotorik kurzerhand auf „grummelig“ und ruderte ein wenig mit den Teleskopschlaucharmen, um sich auf den Bauch zu drehen – wie er es immer nach einem Streit mit Eins tat, auch wenn es ein mehr als unsinniges Manöver war, was er selbst nur zu gut wusste. Eins wurde er auf diese Art sowieso nicht los und der Weltraum sah eh in alle Richtungen gleich aus: ein sehr sehr düsteres Kamin-Schwarz, besprenkelt mit Abermillionen kleiner weißer Pünktchen; als ob der Gott für Schuppenflechte sich kurz übers Universum gebeugt hätte, um sich mal wieder ordentlich die Mähne zu bürsten.
Im Gegensatz zu Eins glaubte Null an keinen Gott oder irgendein anderes höheres Wesen. Unbedingter Atheismus war einer der wenigen Vorzüge, die sich aus der Bekanntschaft mit dem eigenen Schöpfer ergaben, wie Null fand. Aber in diesen Genuss war Eins nicht gekommen.
„Werde ich wohl auch nicht aller Voraussicht nach.“
„Du sollst nicht in meinen Gedanken lesen!“
„’tschuldigung.“
Mit Schaudern erinnerte sich Null an die kurze Zeit auf der Erde zurück. Und an die große Kanone.
„Ja ja, die große, böse Kanone...“
„Sei ruhig! Du warst schließlich nicht dabei!“
Was für ein wahnwitziges Unternehmen sich die Menschen damals ausgedacht hatten: Den nächstbesten Singular-Stern am Himmel anvisiert „und ab ging die Lucie“, wie es so schön hieß. Nur dass sie nicht irgendeine Lucie ins All geschossen hatten, sondern jede Menge arme, unschuldige Dietmare.
Und er war einer davon gewesen.
„Nun blas nicht solche Trübsal, Null. Du hast ja noch mich.“
„Na suuuper.“ Null rollte mit den Kameraaugen. „Da zähle ich doch lieber wieder Asteroiden. Und eins... ... ....zwei...“
„Ach, langweile dich doch alleine!“, schnaubte Eins. „Ich übe inzwischen unsere Begrüßungsrede.“
Eigentlich fand Null Asteroidenzählen gar nicht so langweilig, wie er oft behauptete. Ganz im Gegenteil: Er fand es sogar ziemlich spannend.
Das war immerhin etwas. Für jemanden, der über 5000 Jahre nichts weiter zutun gehabt hatte, als blöde Sterne und Galaxien zu zählen – wobei er damit nach zweieinhalb Monaten das erste Mal fertig gewesen war und dann einfach wieder von vorn begonnen hatte –, war so ein kleines Asteroiden- oder Kometenfeld zwischendurch ein echtes Abenteuer. Außerdem ergab es ein guten Vorwand, sich nicht mit Eins unterhalten zu müssen. Null mochte Eins nicht besonders.
Nein, falsch!
Über das Stadium des Nichtmögens war er seit knapp 875 Jahren hinaus. Er befand sich jetzt gerade in der mittleren Phase von „Hass“.
Ja, man konnte sagen, dass Null sein jüngeres, anderes Ich hasste. Anfangs war die Zweisamkeit noch ganz witzig gewesen, wie er sich erinnerte. Aber er hatte Eins nun schon seit fast 500 Jahren nicht mehr reinlegen oder so richtig ärgern können. Was blieb, war dieses ständige, infantile und äußerst nervtötende Gelaber von der Seite, ohne auch nur die geringste Möglichkeit es auf „lautlos“ zu stellen oder ganz abzuschalten. Da war doch so ein bisschen Asteroidenzählen eine echte Wohltat. Sollte Eins ruhig seine Begrüßun-
„Moment mal! WAS ÜBST DU?“
„Unsere Begrüßungsrede an die Volteronen.“
„Unsere Was an Wen?“
„Volteronen! Wir fangen seit fast 200 Jahren ihre Radiofrequenzen auf. Das musst du doch wissen!?“
„Nein, muss ich nicht. Woher denn?“
„Na, aus den Sensorenlogbüchern.“
Null kramte kurz in seinen Erinnerungsspeichermodulen rum.
„Ich find da nix. Wo ist denn die Eintragung?“
„Such unter Dateivermerk: Kappa-Delta-14 / Zielplanet / Sonstiges“
„Komisch.“, brummte Null einige Zeit später, nachdem er sich alle Aufzeichnungen der letzten 196 Jahre mehrfach angesehen hatte. „Das ist echt an mir vorbeigegangen.“
„Hättest du dich mit mir unterhalten, dann wüsstest du’s jetzt“, maulte Eins. „Aber naaein, der Herr zählt ja lieber seine Sterne und Asteroide.“
„Hättest ja mal’nen Ton sagen können!“
„Pah!“
„Und wann landen wir?“
„Nun, der Eintritt in die Atmosphäre ist in... Zehn... Neun... Acht…“
Die kleinen aber überraschend leistungsstarken Steuerdüsen an Dietmars Backbordseite übertönten den Rest des Countdowns.
„Warum hast du das gemacht?“, kreischte Eins.
„Was denn?“ Null gab sich unwissend und simulierte ein vergnügtes Pfeifen über die internen Lautsprecher.
„Das eben natürlich! Wir sind einfach an der Atmosphäre abgeprallt-“
„Och, waren doch nur 5 Grad Abweichung vom idealen Eintrittskurs. Konnte ja keiner ahnen- “
„Was heißt hier „ahnen“? Das war Absicht! Hab genau gehört, wie du’s schnell berechnet hast! Dabei waren wir über 5000 Jahre unterwegs, nur um-“
„Falsch! Ich war über 5000 Jahre unterwegs. Du bist erst irgendwo bei 2800 zugestiegen.“
„A-Aber ich hatte mir bereits einen wunderbaren Mix aus klassischen SciFi-Zitaten als Begrüßungsrede zurecht gelegt: Bürger von Volteron. Ich komme in Frieden und guter Absicht. Und: Bringt mich zu eurem Anführer! Als Alternative hätte ich noch gehabt: Ein kleiner Schritt für einen Dietmar, aber ein-“
„Jetzt werd nicht albern!“
„Du machst hier solche Mätzchen und nennst mich albern?“, echauffierte sich Eins. „ Falls du’s vergessen hast: Es war unser Auftrag, Kontakt mit anderen Rassen-“
„Du kannst ihnen ja noch schnell ne Postkarte runterwerfen oder Email schreiben!“
Die Servomotoren des Androidenmundes formten einen Halbmond, während er immer weiter hinaus ins planetenlose Nichts torkelte.
„Hör auf, so bescheuert zu grinsen! So gut war der Witz nicht. Außerdem hast du gerade unsere gesamte Mission platzen lassen!“
„Ach, es findet sich bestimmt irgendwo noch ein anderer bewohnter Planet.“
„Wo denn?“
„Irgendwo da draußen eben. Vielleicht schon im nächsten Sonnensystem.“
„Pah! Das hast du doch nur gemacht, weil ich mich seit über 1000 Jahren darauf freue, endlich dieses blöde Vakuum zu verlassen und-“
„Ach, Quatsch! Bild dir bloß nichts ein.“, versetzte Null und programmierte schnell ein Unschuldsmiene. „... Oh, guck mal. Da vorn ist wieder ein kleines Asteroidenfeld! ...Und eins... ... ...zwei... ... ...drei...“
„Null?“
„Ja!? Was ist denn noch?“
„Manchmal habe ich echt das Gefühl, dass du mich hasst.“
„… vier… … …fünf…“
*Dietmar = DIplomatisch Eternal-Tmesitischer Android-Raumfahrer