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Differenz?
Während in Paris verbitterte Straßenschlachten stattfinden, in einem kleinen Zimmer vor einem PC:
„Mir geht´s soweit so gut, außer, dass ich vielleicht gerade in einer sehr kaputten Stimmung bin, was kein Grund zur Sorge ist, ich liebe es. Meine Klettereien weichen einer Erkältung und eigentlich hab ich auch gar nicht so Lust darauf. Wirklich spannend finde ich Bouldern leider nicht, aber was macht man nicht alles um fit zu bleiben...
In letzter Zeit bin ich gerade auf dem Trip, gesagtes oder Ereignisse des Tages in einem neuen Zusammenhang immer wieder aufzugreifen. Ich find das total toll. So kann man sogar den zahllosen Smalltalk-Aneinanderreihungen ein klein wenig Sinn verleihen, wenigstens für einen selbst. Man kann so vieles, eigentlich alles, vernetzten. Das hat zwar keinen Nutzen, aber ich finde es irgendwie faszinierend. Vorallem wenn ich, noch mehr als ich das sowieso schon mache, vom einen zum anderen Gedanken springe. Gefällt mir irgendwie.
Wie gesagt bin ich gerade in einer kaputten Stimmung und daran liegt auch das Geschreibe hier, und das ist auch nicht besonders fürs Soziale geeignet, ich weiß, aber ich mag´s trotzdem.
Die Welt ergibt so irgendwie ein zusammenhängendes Bild, das jedes Detail beinhaltet und vernetzt und jedem Augenblick, jedem Erlebnis einen Sinn verleiht. Ein wirres komplexes Kunstwerk in dem sich mein krankes Genie wohlfühlen kann. Ein krankes, erleuchtetes Genie, das die oberflächliche Geradlinigkeit, die die Welt in einen zielführenden Weg und sinnlose Nebensächlichkeit teilt, überwunden hat und die im verworrenen Glanz erstrahlende Welt betrachtet. Ein Genius der sich nicht in die Schienen einer Persönlichkeit zwängen lässt und so dem Elend der menschlichen Eindimensionalität entflieht. Dahinlebend in fröhlicher Sentimentalität und Belustigung über das eigene kranke Genie.
Wie gesagt schmeiße ich manchmal mit meinem Gedanken um mich. Französisch ist anstrengend und ich manchmal sicher auch.
Wahrscheinlich sollte ich mich von meinem PC wegsetzen und die Musik ausschalten. Musik vereinnahmt die eigenen Stimmung, oder verstärkt sie. In Paris sollten sie vielleicht mit Lautsprecherwagen durch die Straßen fahren und die Menschen mit „The Future Sound of London“ beschallen.
Wenn es manchmal so scheint, dass ich mich selbst runtermache, es ist nicht so, ich bin zufrieden, wie gesagt, ich mag es so zu sein, es ist nur ein wenig die Frage ob ich mein Gegenüber nicht zu sehr belästige.“
Nach dem er sich fertig beschrieben hatte, blieb er hibbelig auf seinem Stuhl sitzen und starrte auf die flimmernde Röhre. Sein Zimmer war viel zu kalt und obwohl er seine Beine in eine Decke gewickelt und den Rest von sich in einen Pulli, einen Fließ und eine Jacke verpackt hatte, wollte es ihm nicht so richtig warm bleiben. Seine Finger waren vom Schreiben verkrampft und ein wenig eisig, hatten es ihm aber noch ermöglicht die Musik auszuschalten. „Ein brennendes Auto im Zimmer wäre schon eine feine Sache.“ Ungläubig schielte er auf sein Braten-Thermometer. 10 Grad. In dem Bereich war es nicht mehr so genau.
Aus Einfalt versuchte er die Temperatur Kraft seiner Gedanken zu erhöhen. „Warum muss das dumme Haus hier auch schon 100 Jahre alt sein? Zu viele Nullen.“ Nullen die ihn an seine momentan null-dimensional flachen Gedanken erinnerten. „Ja, Fernsehen. Gleiches mit Gleichem bekämpfen. Abstumpfung kann nie schaden.“ Hüpfend, um warm zu werden, bewegte er sich ins Wohnzimmer und kauerte sich, nach dem er das Sofakissen zurecht geknetet hatte, vor die noch stärker flimmernde Röhre. Seine mentale Verfassung hüpfte auch, auf und ab.
„Nachrichten, Doku. Ich weiß doch schon, dass die menschliche Heizleistung grad mal läppische 100 Watt beträgt. Viel zu wenig. Nichtmal eine Kriegsreportage auf NTV.“ An sich hätte es ihn schon interessiert mit was für interessanten Dingen man die Rebellion in Frankreich so behandeln könnte. „Endlich Werbung, Werbung ist immer gut. Pflege für die Haut? Nein danke.“ Beschäftigt zappte er die Sender hoch und runter, ein Mittel, das selbst bei gutem Programm die gewünschte Abstumpfung erzeugte. „Warum mussten sie auch Venus und Apoll auf Arte absetzen?“ Nach einer halben Stunde beförderte er sich springend in sein Zimmer zurück, insgeheim darauf hoffend, dass der vorige mentale Zustand ebenfalls herhüpft. Vorerst fiel er nur der kalten Realität seines Zimmers zum Opfer und wickelte sich wieder in seine Decke. „Mein Genie ist wohl nicht so beständig wie die Mauern hier. Es kommt und geht als ob´s nicht mir gehört.“
Recht begnügt eigentlich, starrte er auf den fetten Bauch seiner Afrikanischen Holzfigur. „Womöglich gar nicht so schlecht, eine Wampe auf der man seine Griffelgreifer so ablegen kann. Warm ist´s sicher auch.“
Der Monitor, verlässlich wie sein kühles Zimmer, zeigte immer noch die selben Zeilen: „Mir geht´s soweit so gut, außer, dass ich vielleicht gerade in einer sehr kaputten Stimmung bin...“ „falsch, ...dass ich kaputt bin, wie die Autos in Paris. Mit Schreiben lässt´s sich nicht fangen, fein, als ob´s nicht mir gehört.“
Langsam bahnte sich die letzte Wärme ihren Weg durch die reichliche Verpackung aus ihm heraus, so dass er sich in sein Bett verkroch. Nüchtern heiter und durchaus zufrieden stellte er fest: „Hier ist´s warm, hier Schlaf ich ein.“