Dinnerparty
Ich saß seit nunmehr zwei Stunden allein in meinem Zimmer. Der letzte Besuch war bereits gegangen und ich grübelte über den vergangenen Tag, rekapitulierte jedes kleine Detail, dass mir hätte entgangen sein können. So einfach es schien, eine Dinnerparty für viele Freunde und Bekannte auszurichten, so unbarmherzig waren doch die Gäste wenn gewisse Kleinigkeiten nicht zu ihrer Zufriedenheit bereitgestellt wurden.
Das Silber hatte ich intensiv geputzt, wusch es mit destilliertem Wasser von beiden Seiten gründlich und sah auch nicht davon ab, es wie ein fleißiger Handwerker mit fachmännischem Blick zu beäugen, nach Bedarf auch oxidierte Stellen mit einem herrlich weichen Tuch nachzupolieren.
Die Kerzenständer waren von mir selbst arrangiert. Ich schob sie Minutenlang über den Tisch und ging in meinem Kopf jede mögliche Konstellation durch, gleichwie deren Potential mit dem Sitzverhalten der Leute zu kollidieren. Ich war mir sicher, dass diese weniger gerne in ihrem Blick von silbrig glänzenden Kerzenständern gestört würden, die sich wie Türme aus Chrom in ihrem Sichtfeld niedergelassen hatten und daran festhielten zu verweilen.
Das Geschirr war ohnehin perfekt. Hierüber musste ich mich nicht sorgen. Ich behandelte es wie einen Schatz, der von mir jedes Quäntchen Aufmerksamkeit abverlangte, dem ich mich in Demut zu Füßen warf und der es mir dankte, mit einem erhabenen Funkeln seiner filigran gezeichneten Goldgravur. Alles war perfekt.
Es wucherten trotz allem Zweifel in meinem Kopf, schienen doch die Gesichter meiner Gäste nicht der fröhlichen Seite zugetan gewesen zu sein. Im Gegenteil, sie rasten hämisch an meinem geistigen Auge vorbei, wie schnelle Sportwagen an der Straße und ich saß daneben auf einem Campingstuhl mit Drahtgestell, bezogen mit billigstem Baumwollvließ und starrte unbeholfen vor mich auf den Asphalt.
Die cremeweißen Tischdecken waren fleckenfrei von mir drapiert, faltenfrei gebügelt und mit solcher Sorgfalt auf den Tisch getragen, dass jedes rohe Ei der Welt nur meine zarten Hände herbei gesinnt hätte.
Warum also? Was hatte ich falsch gemacht? Keiner schien sich über die, zugegebenermaßen, wenig passenden Karikaturen von Günther Grass zu brüskieren, die ich nachträglich aus dem Keller hinzugezogen hatte um ein intellektuelles Ambiente mit viel Understatement zu schaffen. Daran konnte es nicht liegen. Mit allzu viel silbernem Glanz und dem blendenden Cremebezug auf meiner Mahagonitischplatte, ergab sich ein Sog aus bisweilen, ziemlich unangenehmen Härtekontrasten. Die Bilder schienen an der Wand zu rumoren, wackelten und wollten sich absprengen von ihren althölzern gebeizten Rahmen. Diese unhaltbare Spannung schien die Luft wie ein kaltes Skalpell eine menschliche Sehne zu zerteilen, die danach unter einem unsäglichen Knallen in tausende Fäden biologischen Abfalls zersprang. Vermutlich rümpften sie darüber die Nase, ich war nicht sicher.
Die Musik, die ich aufgelegt hatte, durchdrang den Raum mit einem flauen Rauschen, schließlich hatte ich den alten Schalplattenspieler entstaubt, wollte ich doch so klassisch wie möglich für diese Zusammenkunft wirken. Die einzige Schallplatte allerdings, war eine lang verschollene Erstausgabe eines Mannes mit ergreifender Stimmgewalt, der in operesquen Tonbereichen Bässe seinem Mund entfliehen ließ. Es verlieh der Szene unglaublich surreale Qualitäten. Wie sie alle um den Tisch herum saßen, am Fenster die Gardinen unter der Spannung zitterten und fliegenfängernetzgleiche Schatten warfen, die über den Tisch eilten und durch das unangenehme Schweigen trieben, dass die ausdruckslosen Mienen meiner Gegenüber flankierte.
Sie vermieden sogar, ihr Besteck in irgendeiner Weise mit dem Geschirr zu vereinen, wohl wissend, dass jedes Geräusch ablenken würde, von der stillen Verurteilung, die sie garstigst mit jedem Gesichtsausdruck zu mir herüber sandten. Sie ließen keine Sekunde ab von mir, starrten mir förmlich in die Seele, sie rochen fast mein Unbehagen, meinen Wunsch aufzuspringen und wie ein eingekreistes Beutetier mit einem letzten, kräftigen Atemzug zur Tür zu hechten um mein unbedeutendes Leben eine paar Minuten länger zu erhalten. Ich spürte, wie jede Faser meines Körpers Stresshormone ohne unterlass in meinen Blutkreislauf pumpte und ich all meine Konzentration darauf bannte, ein unwillkürliches Muskelzucken zu unterbinden. Ich hatte Angst, dass sie nur darauf warteten, einen Anflug von Unsicherheit auf meinem Gesicht aufblitzen zu sehen, denn, so schien mir, sie schwangen ihre Gabeln mit solch wissender Beharrlichkeit, dass ihr Übermut fast aus ihrer Haut hervor zu brechen schien.
Ich krallte meine Hand fest um eines der Tischbeine und schwieg. Ich starrte auf meinen Teller, der noch unberührt vor mir verweilte. Alle schienen zu erwarten, dass ich eine Bewegung machen würde, meine Körpersprache musste mich trotz sehnlichster Anstrengung verraten haben.
Jemand hüstelte zu meiner linken. Ich schreckte auf, begab mich aber in die Vorstellung, dass wohl niemand meine Oberlippe hatte sich ruckartig nach oben ziehen sehen. Aufblicken wollte ich nicht, es schwante mir nichts Gutes. Ich hoffte einfach, dass diese Riege an richterlichen Großmenschen sich bald von mir abwandte, musste ich doch zeitlich das Dessert servieren.
Die Zeitschaltuhr in der Küche piepste leise und einige der Gäste fuhren um. Manche verzogen keine Miene und legten ihre Gabeln misstrauisch nieder. Sie starrten mich nun wieder erwartungsvoll und kühl an, sodass ich auf dem Weg zur Küche die Heizung auf drehte, fest davon überzeugt, dass eine Strömung aus polaren Regionen sich in mein Esszimmer verirrt hatte und jetzt den Kronleuchter mit einer zusätzlichen Anzahl an gläsern wirkenden Zapfen zu schmücken schien. Ich dimmte das Licht ein wenig und steckte zusehens verunsichert Wunderkerzen in die Eiskugeln, die von mir mit derwischem Können in eine Eisschüssel gebettet wurden. Ja, sie mussten es einfach mögen, dachte ich. Keiner war mir bisher wohl gesonnen, der Nachtisch würde aber alles ändern. Er würde ihre steinernen Mienen wegwaschen, wie Regenwasser, über Jahrtausende, felsige Gesteinslandschaften zu weichen, wallenden Kieselparadiesen erodierte.
So sicher wie ich war, trug ich diese pompös angerichteten Eisbecher zum Tisch, getragen von einem überaus ahnsehnlichen Tablett aus Messing in antiker Optik. Wie es so in meiner Hand waberte und mir die Knie wieder weich wurden als ich den Raum betrat, saß einer meiner Gäste aufrecht am Tisch, gestreckter als es üblich war und schaute, meine Anwesenheit bereits erwartend, erst mich und dann andere am Tisch an, die sich viel sagende Blicke zuwarfen.
Er stand auf, ich wich zurück. Er schritt immer schneller auf mich zu, trat feste in den Boden und bäumte sich vor mir mit titanengleichem Selbstbilde auf. Seine stählernen Augen taxierten mich und ich suchte verzweifelt etwas, irgendetwas das als Verteidigung, als Waffe dienen könnte, mich aus dieser Bedrängnis zu retten, wie langsam seine prankenartigen Greifwerkzeuge auf mich zuwuchsen und er wutentbrannt schnaubte.
Alles zog an mir vorbei. Jede Sekunde meiner Existenz, schien sich, dem goliathhaften Gast gleich, vor meinem inneren Auge zu manifestieren und pochte schmerzhaft an meinem Stirnlappen. Ein kleiner Junge, der von der Schaukel fällt, seine Mutter, wie sie ihm einen Kuss auf die Wange gibt und ihm zum Abschied winkt, eine Coladose, an der er sich den Zeigefinger aufgeschnitten hatte und das Blut, dass danach fürchterlich warm seine Hand entlang ronn.
Der stickige Dunst dieser Szene bahnte sich feurig eine Passage durch meine Atemwege, dieses Komplott, diese hinterlistigen Absichten, die in einem subtilen Murmeln mitschwangen, das mir nach dem Leben zu trachten schien. Es gelang mir nicht einen klaren Gedanken zu fassen. Es war vorbei. Ich war schutzlos ausgeliefert, alles würde nun hier enden, keine Sonne würde mehr an meinem Fenster aufgehen und jedes Ding, das sich so hehr im Zimmer stehend fand, dass göttergleich erhaben mich von jeder Ecke des unerträglich viereckigen Käfig eines Raumes her anstierte, war gehüllt in eine Ewigkeit, die meine Existenz mit jeder Sekunde mehr zu überdauern schien. Ich atmete einmal bestimmt aus und schloss meine Augen. Wenn es jetzt sein sollte, dann wollte ich mit einem positiven Gefühl von dieser Welt scheiden. Ich wollte akzeptieren was passieren würde, ich erhob mich auf ein Podest und vernahm für den Bruchteil eines Augenblicks einen Engelsgesang, der mir versicherte es würde alles gut werden. Der Schatten auf meinem geschlossenen Augenlied kündete nun langsam das nahende Verderben an. Ich ließ meine Arme zu Boden sinken und ergab mich ganz der verwunderlichen Ekstase dieses so bittersüßen Momentes der Trauer.
Nichts passierte. Ich blickte auf und sah den Mann, gebeugt über meinen ausgezehrten Körper, der sich dem Ende bereits völlig ausgeliefert hatte, dessen Blut bereits fast ganz geronnen war und dessen Atem nur noch stoßhaft kleine Luftmoleküle zum tanzen regte.
Er hielt mir etwas hin. Es schien eine Flasche zu sein, deren Etikett ich nicht lesen konnte, weil noch immer Traumflecken vor meinen Augen flimmerten. Ich rieb mir unbehelligt die Freudentränen aus den Augenwinkeln, die sich, bei der Vorstellung an wunderbare Erlösung und die Nostalgie in der ich eben noch schwelgte, dort bereits versammelt hatten.
Er sagte mir, dass diese Flasche die ganze Zeit auf dem Tisch gestanden habe; Ich muss sie wohl übersehen haben. Ich blickte zur Seite und alle Anwesenden schienen, gehüllt in die Erwartung einer ausstehenden Erklärung, die sich in meinem Kopf noch nicht geformt hatte, mein Gesicht steif zu fixieren. Ich kniff die Augen zusammen, schob den Kopf leicht vor und die Lettern des gräulich Grünen Etiketts verschwammen langsam in Richtung eines lesbaren Wortes. Ich blickte in die besorgnisgezeichneten Gesichter meiner Gäste, deutete die Abscheu ihrer Mienen und las ganz leise: „Rattengift“.
„Ja … die hartnäckigen Ratten …“. Ich lächelte süffisant.