Domino, Affen und ein ganzer Sack voll Faulheit
Ich hätte mich zusammenreißen sollen und zum nächsten Dorf oder irgendwas laufen sollen. Aber ich bin ein vehementer Verfechter der guten alten Auffassung, dass sich Faulheit auszahlt. Vielleicht nicht immer gleich. Aber früher oder später hat die Faulheit immer die Nase vorn.
Ich hatte mich in dieser Spelunke in die hinterste Ecke verkrochen. Sollten mir doch die Eindrücke, die da kommen mögen, mein Gesicht zerdeppern. Ich war zumindest gewappnet und im Grunde brauche ich dazu auch nicht viel, außer ´n Scotch.
Ich weiß nicht ob ich diesen Typen übersehen hatte, oder er sich wie eine Rothaut lautlos angeschlichen hat, aber auf einmal raunzte es aus dem halb Dunklen: „Hey, was is´? Spielst du mit ´ne Partie Domino? » « Weiß nicht so richtig, hab´ es noch nie wirklich gespielt.“ « Oh Mann, dann wird´s aber höchste Eisenbahn. Weißt du, Domino, das ist das richtige Leben. Es geht mal nach links, mal nach rechts und manchmal auch gerade aus. Wenn du Glück hast.“ „Ich schätze bei mir geht´s gerade rückwärts, wenn nicht sogar Berg ab“, entgegnete ich. „Ha, du gefällst mir! Ernie mach mal zwei Bommerlunder und gleich zahlen bitte“, bölkte er durch den ganzen Raum.
Der Typ grinste mich mit seinen lückenhaften Zahnreihen an. So halb freundlich, halb hinterhältig. Sein linkes Ohr bestand nur noch aus der unteren Hälfte, welche jedoch mit einem Ohrring beschmückt war. Ich sag´ euch was, das war ´n waschechter Pirat. Was fehlte, war nur die Augenklappe und das Holzbein. Aber er hatte diesen durchtriebenen Blick, wie nur Piraten ihn haben können. Ich meine den Blick der sagt, gib mir all dein Geld sonst schneid´ ich dir die Kehle durch.
„Was ist mit Tieren“, fragte ich. „Wie Tiere?“ „Na, ich hab´ Kinder gesehen, die haben Domino mit Tieren gespielt. Löwen, Affen, Giraffen und all das ganze Zeugs.“ „Ach, alberner Kinderkram. Wir spielen mit Zahlen. Männersache, das richtige Leben.“ „Aber es sind doch die Tiere die Leben. Zahlen sind stinkende Kadaver. Leblose Geschöpfe.“ „Ja eben, das passt doch zu meiner Theorie, dass Domino das wahre Leben ist.“
Der Wirt brachte den Bommerlunder, indem er das Gesöff geringschätzig auf den knöchernen Holztisch knallte. Der Ohrring blitzte vor Freude.
„Also, wenn du mich fragst, sollte Domino olympisch werden. Das einzige gute daran, dass wir die Spiele ausgetragen hätten wäre doch, dass wir uns danach ´ne eigene Disziplin hätten aussuchen dürfen.“ „Aber Domino ist doch kein Sport, das ist ein reines Glückspiel.“ „Eben, es heißt doch auch Olympische Spiele! Weißt du, Domino ist das Beste seit der Erfindung von Bommerlunder. Ich sag´ dir, diese Kombination ist unschlagbar, es verrät so viel über mich. Zum Beispiel warum ich so viel trinke.“ „Und warum?“ „Na ganz einfach, weil ich Domino spiele. Und was ist mit dir? Scheint, dass dein Leben auch ein wenig verkorkst ist?“ „Was ist denn das jetzt, irgend so ´n Psychokram?“ „Nein Mann, Domino. Wir sind mitten drin!“
Ich hatte genug davon. Ich brauchte ´n neuen Scotch. Ich stand auf, ließ den Piraten mit seinen Dominosteinen alleine und schlenderte zum Tresen. Ich weiß nicht wo das hier noch alles enden wird, aber der kippelige Barhocker war für sich schon ein Abenteuer wert. Neben mir über Eck saß eine stark geschminkte Dame. Hatte wohl was zu verbergen, aber machte sonst einen Eindruck von Welt. Sie hatte ihren Gefährten dabei. Ich dachte zuerst, es wäre einer dieser mickrigen Schoßhunde. Aber als dieses Ding anfing, zuerst an ihr hoch zukletterten, um sich dann direkt auf den Tresen zu setzten, erkannte ich, dass es sich um ein Äffchen handelte. Und das war noch nicht alles. Die Dame hielt ihn mit einer roten Leine in Schach, denn es war äußerst flink. Obendrein hatte das Ding noch ´n paar astreine Flügel. Ich beäugte das bunte Treiben und war recht amüsiert, wenn der Affe sich von Zeit zu Zeit in die Luft schwang, um ein paar Runden über dem Kopf der Dame zu kreisen. So ein extravagantes Unterhaltungsprogramm musste belohnt werden. Ich fragte die Dame, ob ihr geflügelter Gefährte einen mittrinkt und bestellte, nach einem Nicken, beim Barmann drei Scotch. „Wo gabelt man den so was auf“, fragte ich die Dame, während wir uns zu prosteten. „Ach, das ist mein Mann. Er ist ein wunderbarer Liebhaber. Ein bisschen dämlich, aber vielleicht auch deswegen.“ Während der Affe die zweite Runde bestellte, schwallte er im gönnerhaften Ton: „Wenn du willst, kannst du sie für diese Nacht haben. Sie ist echt klasse.“ Der Frau schien das in keinster Weise etwas auszumachen, sondern lächelte mich auch noch gekünstelt an, wobei ihre Falten das Gesicht zu einer fiesen Fratze verwandelte. Ich verschluckte mich beinahe an meinem Drink.
Der Affe packte seine Gattin an den Wangen und gab ihr einen dicken Schmatzer. Danach schwang er sich in die Luft und flog zum Dominospieler. Ich verstand kein Wort, aber des Tonfalls nach zu urteilen, war es ganz schön hitzig. Das Gespräch steigerte sich in Gebrüll, wobei der Affe dem Spieler nichts nachstand. Als der Halbohrige seine Hand hob, um dem Affen zu drohen, biss er sich an einen seiner Finger fest. Der Spieler schrie wie am Spieß und er schüttelte seinen Arm, sodass der Affe seinen Kiefer von ihm löste. Aber da war nichts zu machen, der Affe war zäh und hielt sich mit seinen Zähnen am Finger fest und wirbelte durch die Luft. Irgendwann hatte er dann genug und der Pirat hatte aufgehört zu jammern. Der Affe kehrte zu uns zurück und spuckte einen blutigen Zeigefinger direkt auf den Tresen.
„Hey, darf ich fragen, was das zu bedeuten hat? Vor ´ner Viertelstunde unterhielt ich mich mit diesen Typen da hinten. Ich hab ihn ein bisschen für verrückt erklärt, aber ich käme nicht auf die Idee, ihm einen Finger abzubeißen.“ „Ich sag´ dir was. Kalle ist mein bester Kumpel und verdammt ja, er ist verrückt. Von Zeit zu Zeit geraten wir aneinander, wenn er mich wieder mit seinem Psychoscheiß vollquatscht. Ich hab´ ihm das schon tausendmal gesagt, aber er ist einfach zu dämlich. Beim letzten Streit habe ich ihm sein Ohr abgebissen, dass hat er wahrscheinlich schon vergessen.“
Das war der Zeitpunkt, wo ich den ganzen durchgeknallten Haufen hätte hinter mir lassen sollen, aber meine Beine waren zu träge und ich hätte es nicht bis zum nächsten Ort geschafft. Ich wäre auf offener Straße versauert. Ich blieb also. Bei der Dame, dem geflügelten Affen und dem Typen mit den neuerdings neun Fingern.
Irgendwann, als der Morgen schon dämmerte, schleppten wir uns die Treppen rauf zu den Kojen. Ich hatte einen unruhigen Schlaf, zerrissen von grausamen Traumfetzen, einem knarrenden Bett und einem jammernden Piraten, in den Nebenzimmern.
Der nächste Tag war grauenvoll. Mein Mund fühlte sich an, als wenn ich ´ne tote Ratte vertilgt hätte. Ich riskierte einen flüchtigen Blick in den Spiegel, was sich als äußerst unklug herausstellte, denn mein Spiegelbild zeigte mir gnadenlos, dass ich letzte Nacht mit einem Schlag ein paar Jahre gealtert war.
Ich ließ mich schwerfällig die Treppe herunter. Die Bar hatte mich wieder. Aber das Treiben verwirrte mich und der Dunkelheit draußen nach zu urteilen, musste es schon wieder Abend sein. Ich erblickte die Dame und den Affen an der Bar, wie sie sich mit so ´nem Typen unterhielten. Wortfetzen flogen durch den Raum und ich vernahm ein: „Wenn du willst, kannst du sie für diese Nacht haben. Sie ist echt klasse.“ Der Typ grinste und ich machte, dass ich hier raus kam. Ich musste mich zum nächsten Ort schleppen, auch auf die Gefahr hin, dass ich unterwegs auf halber Strecke versauer.