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Don't shoot the messenger!
„Hey-ho!“ rief ich, während ich auf meinen Inlinern den Weg hinabfuhr, der sich über den Rasen und auf das Haus zu schlängelte. Sie hatte mich gut genug instruiert: „Er wird keinen Türklopfer haben, geschweigedenn so etwas profanes wie eine Türklingel!“
Also legte ich einen Zahn zu, hob zu einem wirklich hübschen Sprung an und landete schließlich vor seiner Haustür auf dem Treppenabsatz. Mittlerweile, stellte ich allerdings fest, war ich doch etwas weich in den Knien.
„Hey-ho!“ rief ich wieder, „Ich habe eine Nachricht für dich!“ Aber eine Antwort bekam ich noch immer nicht. Ich holte tief Luft und donnerte: „Hey, ich weiß, daß du da drin bist! Die Königin schickt mich, würdest du also die Tür öffnen, bitte!“ Ich kann dickköpfig sein, was der Grund dafür gewesen sein mag, daß ich mich nur zwei Tage vorher als neuer Bote der Königin wiedergefunden hatte.
Erst, als ein müde aussehender Mann die Tür einen Spalt weit öffnete und hindurch linste, mit einem Ausdruck kaum verhohlener Gereiztheit im Gesicht, schaffte ich es, ein Stückweit zurück zu rollen und über meine Beförderung nachzudenken. Könnte es tatsächlich sein, daß es einen ernsten Grund für den dringenden Bedarf an neuen Boten gab?
„Was willst du?“ donnerte nun der Mann vor mir los, weit überzeugender noch in seinem Bariton als ich mir mit meinem weiblichen Alt hätte wünschen können.
Ich riß also die Arme hoch und beeilte mich zu rufen: „Ey, don't shoot the messenger, ja!“
Er schob die Tür auf und machte einen großen Schritt auf mich zu, der mich zurückstolpern ließ.
Ich schaffte es, die Arme vor der Brust zu verschränken, darauf konzentriert, mich nicht einschüchtern zu lassen, bloß, weil seine Stimmbänder besser grollen konnten als meine.
“Wag es nicht!“ zischte ich und warf ihm einen bösen Blick zu.
„Mädchen!“ sagte er und klang ein bißchen überrascht. „Was hast du denn gedacht, das ich tun wollte? So“, er wandte sich um und ging hinein, hielt mir jedoch die Tür auf. „Wenn du bitte eintreten wolltest?“ sagte er müde, als ich nicht sofort folgte.
Er wies mir den Weg in eine kleine Küche, grün gestrichen, ein dunkler Tisch und zwei Stühle unter dem Fenster, vor dem ein paar Tomatenpflanzen offenbar ganz prächtig gediehen. „Saft?“ fragte er, nachdem er einen Blick in den Kühlschrank geworfen und die Stirn in müde Falten gelegt hatte.
„Die Nachricht.“ sagte ich, ohne auf sein Angebot einzugehen. Für wie dumm hielt er mich eigentlich, fragte ich mich, und hielt ihm den Brief mit dem königlichen Siegel hin.
Er nickte, seufzte, brach das Siegel, überflog die Zeilen, die die Königin selbst geschrieben hatte, und von denen niemand außer ihr selbst und nun ihm wußte, was sie sagten.
„Aha.“ sagte er schließlich.
„Die Königin erwartet eine Antwort, wie du wissen wirst.“ sagte ich, noch immer stehend. Er richtete seinen Blick auf mich. Goldene Augen, darauf war ich vorbereitet gewesen, aber daß sie so strahlend sein würden, wenn sie einen zur Abwechslung einmal tatsächlich ansahen, traf mich weniger gewappnet. Ich räusperte mich und sagte: „Und?“
Er griff hinter sich in eine Schublade, zog etwas heraus, das aussah, wie eine alte Brötchentüte, und fragte: „Hast du mal nen Stift?“
Ich setzte einmal mehr meinen bösen Blick auf und schwieg mit vor der Brust verschränkten Armen.
„Solltest du nicht einen haben, als Lieferantin?“ fragte er, und besaß tatsächlich die Frechheit, mich anzugrinsen, als er auf mein Quick-As-Lightning – Deliveries -T-Shirt deutete.
„Mach hinne!“ schnauzte ich.
Er kramte ein Weilchen in einer anderen Schublade, brachte endlich einen Bleistift zum Vorschein und kritzelte etwas auf die Brötchentüte. Dann faltete er das Papier mit einer Sorgfalt, die mich noch wütender machte als die Tatsache, daß er eine Botschaft an die Königin auf so unangemessene Art und Weise auf Abfall schmierte, und reichte es mir. „Hier.“ sagte er. „Mehr habe ich nicht dazu zu sagen.“
„Nicht, daß es mich etwas anginge. Ich bin nur der Bote.“ sah ich mich gezwungen, ihn zu erinnern, schob die Nachricht in meine Tasche und rollte aus der Küche und durch seinen Flur aus der sich just vor mir öffnenden Haustür heraus. Natürlich drehte ich mich nicht um, als er rief: „Viel Spaß!“
~ ◊ ~
Sie saß auf dem Steg, als ich anrollte, in einem rosafarbenen T-Shirt und mit den Füßen im Wasser und sie sah auf den See hinaus. Ihr langes schwarzes Haar fiel ihr heute offen über Schultern und Rücken, einzelne Strähnen hingen vom Steg ins Wasser und trieben dort in schwarzen Spriralen. Einen Moment lang dachte ich an Fischernetze, aber sie schnitt meinen Gedanken ab und fragte, ohne sich umzudrehen: „Hat er dir Kaffee angeboten?“
Ich stoppte ab und blieb am Ufer stehen. „Nein, Majestät, Saft.“
„Du hast nichts angenommen, hoffe ich.“ sagte sie dann, und einmal mehr war ich gebannt davon, wie ihre Stimme im Wind wie Glöckchen klingen konnte, wenn sie wollte. „Nein.“ fing ich mich, „Majestät.“
Sie streckte die Hand aus und bedeutete mir näher zu treten, noch immer, ohne sich umzudrehen. Ich rollte heran, deutete der Regeln wegen eine Verbeugung an (ich hatte beschlossen, daß ich damenhafte Knickse für den Boten der Königin für unangebracht hielt) und reichte ihr seine Antwort. Als die Königin das knittrige Papier seiner Antwort in ihre langen weißen Fingern hielt, sah sie auf und runzelte kaum merklich die glatte Stirn.
„Das ist es?“ fragte sie, schwang sich fließend in einen Schneidersitz herum und fixierte mich.
Einen Wimpernschlag lang rang ich um meine Fassung, wie immer, wenn sie mich ansah: Ihre Augen mit ihrem fast durchsichtigen Hellblau in diesem vollkommen weißen Gesicht unter diesem vollkommenen, schwarzen Haar hatten nie eine andere Wirkung auf mich. Das allein wunderte mich nicht, welche Wirkung sonst konnte die Feenkönigin schon auf Leute haben? Aber zum ersten Mal, seit ich mit dem Botengang zu ihm betraut worden war, fragte ich mich ernsthaft, was er getan haben konnte, um dieses Gesicht dazu zu bringen, die Stirn in Falten zu legen. Als sie, ohne meine Antwort abzuwarten, den Brief auseinander faltete, färbten sich ihre Wangen zartrot.
„Was-“ brachte sie heraus, dann kniff sie die Augen zu Schlitzen zusammen. „Das hat er dir für mich mitgegeben?“
„Majestät-“ wagte ich zu einer Erklärung anzuheben.
„Dieses Stück Dreck hat er dir für mich mitgegeben? Für mich?“ Das Glöckchenhelle war aus ihrer Stimme verschwunden und ersetzt durch splitterndes Glas in meinen Ohren: „Komm her!“ herrschte sie mich an. „Mit dieser blanken Unverschämtheit wagst du es, mir entgegenzutreten?“
Ich schwieg, die Hände in den Taschen. Mit größtem Interesse hätte ich die Planken des Stegs studiert, wenn ich nur meine Augen aus ihrem Blick hätte lösen können. Ihre Wangen brannten mittlerweile wie zwei Rosen in ihrem Gesicht, und trotz oder wegen des Zitterns in meinen Beinen dachte ich, daß ich nie etwas so schönes gesehen hatte.
Sie warf die Brötchentüte, die sich jetzt anfühlte wie die Unterschrift zu meinem langen und qualvollen Tod, vor meine Füße, stand langsam aus ihrem Schneidersitz auf und richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. Ihre lange weiße Hand griff mein Kinn und sie kam mit ihrem Gesicht an meins heran, bis unsere Nasen sich fast berührten. Ich roch Wildrose, schwarzen Pfeffer und weißglühende Lava, als einzelne ihrer Haarsträhen im Wind um mich herum wehten und über meine Arme strichen.
Mit eisklarer Stimme rief sie: „Diese Zunge wird nie wieder etwas anderes als die Wahrheit sprechen, darauf geben wir, Maebh, Königin der Feen und Regentin des Landes der Apfelblüten hinter den Schleiern, unser Wort!“ Und dann küßte sie mich auf den Mund. Ihre Lippen lagen so sanft auf meinen, als sie ihren Schwur besiegelte und mich damit mit einem königlichen Fluch beladen hatte.
Und trotzdem war das erste, das ich mich fragte, nachdem die Bedeutung ihres Fluchs bei mir angekommen war, was er geschrieben haben konnte, um sie so furchterregend aus der Fassung zu bringen. In meinem Bauch klumpte ein Eisballen, als ich merkte, daß sie mir allen Ernstes aus tiefstem Herzen leid tat.
Sie trat von mir weg und ans Ende des Stegs, und in ihren Augen sah es feucht schimmern. Eine Zeitlang schwieg sie, und ich überlegte, ob ich entlassen sein könnte, aber ich wagte nicht, mich zu bewegen.
Schließlich fragte sie, zwar ohne das helle Klingeln ihrer Stimme, aber auch ohne Eis oder Glas: „Wie hat er ausgesehen?“
„Huh?“ begann ich und sah sie an.
Sie hatte sich zu mir gewandt und stand mit den Händen in den Hüften am Steg. „Wie hat er für dich ausgesehen?“ wiederholte sie.
Ich nickte eilig. „G-goldene Augen. Gelbgold. Ich weiß nicht... Seine Haare waren dunkel, glaube ich, schwarz und er trug ein Jackett, glaube ich.“ Ich verhaspelte mich fast. Außer seinen Augen hatte ich ihm wenig Beachtung schenken wollen und staunte über die Ausführlichkeit meiner Antwort.
Sie nickte und legte den Zeigefinger ans Kinn. Es sah tatsächlich aus, als habe sie vergessen, was sie gerade mit mir gemacht hatte. Dann winkte sie mich fort. Ich erkannte, wenn ich entlassen war, aber als ich meine Verbeugung vor ihr machte und sah, daß sie schon wieder gen Wasser starrte, konnte ich mir nicht verkneifen, nach der Botschaft zu greifen, die sie zusammen geknüllt und weggeworfen hatte. Ich fühlte mich nicht, als hätte ich noch etwas zu verlieren.
Und ich fand, mittlerweile ging der Inhalt der Nachricht mich in der Tat etwas an.
~ ◊ ~
„Hey!“ rief ich dieses Mal nicht, ich brüllte es, als ich auf seine Treppe zuraste, einen halsbrecherischen Satz machte und gegen seine Haustür krachte. Sonderbarer Weise öffnete sie sich bei dieser Begrüßung sofort, und ich rollte weiter in den Hausflur hinein, wo er neben der Tür stand und mich fast aufmerksam ansah.
„Oh.“ machte er sanft, „Ich hatte tatsächlich schon mit der Wilden Jagd gerechnet. Oder bist du etwa ihre Vorhut?“ Er entblößte makellose Zähne, als er lächelte.
„Schönen Dank auch!“ brüllte ich ihm in sein Grinsen hinein, riß die Brötchentüte aus der Tasche und las laut und überdeutlich vor: „Es ist nicht so, als schmerzte Dich wirklich das Herz, weil ich Dich habe sitzenlassen. Dein Stolz ist angekratzt, das geht vorbei, also komm verdammt nochmal runter von Deinen Größenwahn!“
„Ach, das-“
„Nichts 'Ach, das'! Das kannst du doch keiner Königin sagen! Wegen deiner absoluten Respektlosigkeit hat sie mich verflucht, was denkst du dir eigentlich dabei, die Königin so-“
Jetzt war er derjenige, der mich unterbrach. Er hob die Hände wie zum Schutz und sagte: „Komm doch erstmal rein. Wenn mich nicht alles täuscht, soll hier gleich mein Blut fließen, da wäre es mir lieber, wenn wir uns bei Ankunft ihrer Jagd zumindest hinter geschlossenen Türen befänden.“
Ich starrte ihn ungläubig an, während er seelenruhig die Tür hinter mir schloß. „Die Wilde Jagd?“ brachte ich heraus.
„Ja, was denkst denn du?“ spottete er, aber das konnte nicht länger über die Müdigkeit hinwegtäuschen, die er schon vorhin an den Tag gelegt hatte.
„Die Wilde Jagd zerreißt jeden, auf den sie-“
„Ich weiß.“ schnitt er mir kurzerhand das Wort ab. „Tee? Ich hab Verbena, gerade gekocht.“
Ich war verwirrt genug, um zu nicken und ihm in die Küche zu folgen. Er holte eine zweite Tasse aus dem Schrank, schenkte Tee ein in meine und die, die bereits neben einer großen Teekanne auf dem Tisch stand und sagte: „Setz dich, wohin du magst.“
Ich ließ mich auf einen der Stühle sinken und schwieg.
Dann griff ich in meiner Verwirrtheit nach der Tasse und trank einen Schluck. Ich habe den Geschmack von aufgebrühtem Eisenkraut immer geliebt, aber dieser Tee hier war der uneingeschränkt beste, den ich je getrunken hatte. Neben der Verbena steckte noch mehr darin, kein Honig, aber etwas süßliches, und ich erinnerte mich an Frühlingsabende an Osterfeuern und Stockbrot. „He.“ sagte ich und nickte in Richtung der Teekanne: „Das schmeckt nach Abenteuer!“
Er sah mich an und seine Lippen kräuselten sich in ein Lächeln. Seine Augen waren dieselben wie bei meinem ersten Besuch, aber das Jackett hatte er gegen einen braunen Cordanzug getauscht, die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Erst in dem Moment bemerkte ich sein Knie, das unter dem Tisch sanft gegen meins drückte. Mein erster Impuls war, mein Bein zurück zu ziehen, und mich für halluzinierend zu halten, mein zweiter war, warum auch immer, mein Knie zu lassen, wo es war, und abzuwarten, was danach kam.
Seine goldenen Augen hielten meine fest, als er sagte: „Haben dich ihre Leute nicht davor gewarnt, Speisen oder Tränke von Fremden anzunehmen?“ Den Druck auf mein Knie hielt er aufrecht.
Ich schluckte und murmelte: „Natürlich haben sie das, und selbst wenn nicht, jeder weiß, daß man von Feen nichts-“ Unter dem Tisch legte sich seine Hand warm auf mein Knie.
„Aber“, schaffte ich es dann, fortzufahren, als merke ich nichts, „ich bin hier nicht als Botin.“
„Sondern?“ fragte er, während seine Hand mein Knie streichelte.
„Als Privatperson: Du bist verantwortlich dafür, daß sie mich-“
„Ich glaube nicht. Verantwortlich dafür ist nur sie, weder ich noch du könnten was dafür, daß sie dazu neigt, ihre Wut an ihren Boten auszulassen.“
Ich nickte ungeduldig, und aus meinem Mund kamen, bevor ich sie zurückhalten konnte, die folgenschweren Worte: „Deine Hand fühlt sich gut an.“
„Das ist wegen des Tranks.“ sagte er.
Ich wollte gerade zu einer wütenden Entgegnung ausholen, aber als ich den Mund öffnete, gurrte ich stattdessen: „Das ist in Ordnung für mich.“ Mein Herz pochte, Schönen Dank auch, Majestät!
„Sag mir noch, warum.“ murmelte ich und griff nach der Teekanne.
„Weil ichs kann.“sagte er ernsthaft und zuckte mit den Schultern. „Du weißt so gut wie ich, daß ich nicht deinem Stamm angehöre. Merkur, du bist geschlagen mit einem aufrichtigen Herzen, aber du und deinesgleichen vergesst in eurer Ehrenhaftigkeit, daß nicht jeder nach euren Regeln spielt.“
Der große dunkle Mann stand auf und hielt mir die Hand hin. Ich griff danach: Sie war warm und trocken, braungebrannt und langfingrig.
„Warum?“ fragte ich, obwohl er mir längst die Antwort gegeben hatte.
„Weil ich es kann.“ wiederholte er.
„Weil dir danach ist.“ murmelte ich und ließ mich von ihm auf die Füße ziehen. „Weil du der Königin beweisen willst, daß du sie vergessen kannst.“
Er nickte.
„Sie liebt dich.“ rutschte mir das letzte Geheimnis raus, das ich hatte hüten wollen.
Er nickte wieder, schüttelte dann den Kopf, hob mich hoch und trug mich aus der Küche und die Treppe nach oben.
„Versprich mir nichts, was du nicht halten kannst.“ bat ich als letztes.
Er lächelte auf mich herab. „Nein, wir mögen zu den Pookah gehören, aber Kelpies versprechen nichts.“
Oben legte er mich auf das Bett, sanft, nach allen Regeln der Kunst, immerhin machte er das hier nicht zum ersten Mal, und seine Künste können Königinnen becircen. Ich sah ihm zu, als seine Zunge die Innenseite meines Arms entlangfuhr, und als er in meiner Armbeuge innehielt und den Schorf auf meinem Ellbogen betrachtete.
„Wann hast du dir das erste Mal das Herz gebrochen?“ fragte ich sanft, und griff in seine dunklen Haare.
Er sah auf und mich mit seinen goldenen Augen an. „Ich erinnere mich nicht.“ sagte er. „Kennst du nicht die Geschichten über mich?“
Die Haare in meinem Nacken stellten sich auf, als er sich hinter mich aufs Bett fallen ließ und sich an mich heranrollte. Er flüsterte mir ins Ohr: „Sie sagen, ich würde Mädchenherzen zum Frühstück essen, mein Herz sei aus Stein und ich vergäße so schnell, wie die Königin der Feen Todesurteile spricht.“
„Ja.“ seufzte ich. „Die Geschichten kenne ich. Aber es gibt auch Leute, die behaupten, dein Herz könnte gar nicht aus Stein sein, weil du es längst nicht mehr hättest.“
Seine Lippen auf meinem Nacken, wanderte mein Blick aus dem Fenster und ich sah, wie sich von einem auf den anderen Moment der Himmel verdunkelte.
„Moment!“ bat ich. Wo vorhin die Altweibersommersonne geschienen hatte, zogen Regenwolken auf und breiteten eine graue Decke über die Straßen.
„Die Wilde Jagd.“ murmelte er in meinen Nacken.
„Solange ich unter deinem Bann stehe, kann ich nicht hier weg...“ sagte ich, obwohl ich es bedauerte, ihn daran erinnern zu müssen.
Einen Moment lang rechnete ich mit allem, aber nicht mit dem, was er tatsächlich tat. Er stand auf, half mir auf die Beine, schloß mir mit warmen Fingern die Augen und murmelte ein altes Wort der Klarsicht, während er über meine Lider pustete.
Ich sah ihn an, den Kelpie, und mein Herz blüte auf. Seine goldenen Augen, seine müden Lider und sein Grinsen. Und ich dachte an die Königin und an die Rosen auf ihren Wangen, und ich murmelte, während ich etwas zittrig in den Beinen aufstand: „Dankeschön. Ich gehe jetzt, das ist besser für mich, glaube ich.“ Dann rollte ich aus dem Zimmer. Er war vor mir die Treppe runter und an der Haustür, und zu meinem maßlosen Erstaunen stellte er sich davor.
„Wenn du jetzt gehst, muß ich der Wilden Jagd allein gegenüber treten!“ sagte er, und sah zum ersten Mal nicht müde aus.
„Das stimmt“, sagte ich und rollte auf die Tür und ihn zu. Im letzten Moment, bevor ich auf ihn geprallt wäre, zog er die Tür auf und ließ mich durch. Einmal wandte ich mich noch zu ihm um: „Ich habe den politischen Einsatz von Liebeszaubern immer für link gehalten. Aber ich danke dir für dieses Mal. Vielleicht tuts ein Weilchen weh, aber das geht vorbei.“ Damit sprang ich die Stufen hinab, drehte eine Piruette und sauste aus seinem Gartentor.
~ ◊ ~
Die Königin kam an, auf ihrer milchweißen Stute, und hinter sich die Wilde Meute der Morrigan, alle leichenblaß, mit eisgrauen Augen und Lippen ohne Mitgefühl. Es wurde kalt um uns herum, der Altweibersommer verabschiedete sich eilig und ließ nichts zurück als letzte Sonnenwärme auf der Haut.
Ich verzog mich hinter nächsten Baum und starrte zum Haus zurück. Er stand in der Eingangstür, die Hand über den Augen, wie um sie vor der Sonne abzuschirmen, und sah ihr entgegen.
„Kelpie! Wag es!“ sagte die Köngin, und mich schauderte, nicht, weil sie gebrüllt hätte, sondern weil sie so leise sprach, daß sie kaum zu verstehen war. Das Lodern hinter ihren Worten zeigte nur die Wilde Jagd in ihrem Rücken.
„Möchtest du reinkommen?“ brach er die Stille.
Die Königin schüttelte den Kopf. „Bist du so lebensmüde?“ fragte sie dann, und die Amüsiertheit in ihrer Stimme klang glöckchenhell. Der Wandel war erschreckend, als sie dann plötzlich über die ganze Straße grollte: „Ich bin gekommen, um dich deiner gerechten Strafe zuzuführen.“
Die Königin der Feen griff in ihren Umhang und holte etwas heraus, das aussah wie in ein rotes Tuch gehüllt. Sie hielt es ihm hin und er wich mit abwehrenden Händen zurück. Als er sprach, war ich überrascht, wie blutlos seine Stimme klang: „Majestät, ich bitte Euch!“
„Komm her, Kelpie, oder ich nenne dich bei deinem Wahren Namen, und jedes Wesen wird ihn von da an kennen und benutzen können – bist du dir sicher, daß dir das lieber ist, als dies hier zurück zu bekommen?“ Sie schlug das blutrote Tuch zurück, während er tatsächlich zögerlich erst einen, dann den zweiten Schritt auf sie zutat. Als sie ausholte und ihm das rotflammende Ding, das sie aus dem Tuch gewickelt hatte, mit der bloßen weißen Faust in die Brust stieß, brüllte er wie ein sterbender Drache oder etwas ähnlich Riesiges auf, und einen Moment lang glaubte ich, einen Blitz durch ihn hindurchfahren zu sehen. Der Kelpie sank auf seinem Treppenabsatz in sich zusammen, die Hände vor den Augen. Seine Schultern zuckten.
„Ich weiß, wie recht du mit deiner Nachricht hattest.“ sagte die Königin plötzlich sanft und sprang von ihrer Stute, kniete sich neben ihn und nahm ihn in die Arme, als habe sie sein Herz gebrochen, oder seinen Stolz, und nicht umgekehrt. Erst nach einigen Minuten stand sie auf, klopfte mit einer blutigen Hand ihren Mantel ab, stieg auf ihre Stute und nickte der Wilden Jagd der Morrigan zu.
„Mach es gut!“ rief sie als letztes, dann preschten sie und die Meute los und verschwanden in den Wolken.
Er hob nicht einmal den Kopf, als sie fortritt, saß nur auf den Knien auf seiner Treppe und hielt die Hände vor sein Gesicht, während seine Schultern nicht aufhörten, zu zucken.
~ ◊ ~
Ich stand hinter meinem Baum, bis die Sonne untergegangen war. Von Zeit zu Zeit murmelte ich: „Ich bin nur der Bote.“, aber es gelang mir nicht, mich zu überzeugen. Ein, zweimal wagte ich es, zum Kelpie zu sehen, aber an seiner Position änderte sich nichts. Er sah aus, als sei er gebrochen, und als habe er so viele Tränen zu vergießen, daß eine Nacht dafür nie und nimmer reichen würde. Mich fröstelte.
Irgendwann schaffte ich es, die Hände vom Baum zu lösen und mich abzustoßen. Ich ließ mich auf der Mauer am Bordstein nieder, öffnete die Schnürsenkel meiner Inliner, löste die Klettverschlüsse und lehnte sie schließlich gegen die Mauer. Dann machte ich mich barfuß auf meinen Weg, die Straße hinab.
Die Hufe hörte ich erst, als sie fast neben mir angekommen waren. Ich wandte den Blick, und mir blieb buchstäblich die Spucke weg. Der schwarze Hengst neben mir sah mich aus wachen, goldenen Augen an. Ich blieb stehen und starrte zurück. Was hätte ich sagen können?
Er tänzelte ein wenig, dann erst schob er langsam seinen großen Kopf vor und stupste mit der weichen Nase meine Schulter. Ich hob die Hand ohne nachzudenken und fühlte die feinen Haare unter seiner Nase, strich über die längeren seinen Nasenrückens und fragte: „Ist es gut?“
Der junge, großgewachsene Mann, der im nächsten Moment vor mir stand, meine Hand auf seinem Hals, hatte frappierende Ähnlichkeit mit dem Mann, dem ich heute Mittag die Botschaft der Königin gebracht hatte, aber seine Augen waren wach, und als er mit seinem Lächeln fast schüchtern die Zähne zeigte, erreichte es seine gelbgoldenen, verquollenen Augen.
„Hattest dus ihr geschenkt, dein Herz?“ fragte ich und nahm meine Hand weg.
Jetzt lachte er. „Laß mir meine Geheimnisse. Es tut weh, jetzt, wo es wieder da ist.“
„Möchtest du einen Kaffee?“ sagte ich freundschaftlich, weil ich mich meiner Ehrenhaftigkeit entsann und den Verdacht hatte, er sei in einer Verfassung, in der er sie zu würdigen wissen könnte. Ich griff seine Hand und zog ihn in den Coffee-To-Go-Laden an der Straßenecke. „Zwei Caffè Latte!“ rief ich.
Er griff in seine Jacke. „Ich zahle.“ sagte er und lächelte den Kaffeemann hinter der Theke an, während er mit der freien Hand meine Finger drückte.