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Drang
„Mami.“ Mir diesem Wort wurde ich von Jake geweckt. Der kleine achtjährige Jake. Mein Sohn. „Mami. Ich muss mal, dringend.“
Ich drehte mich um und sah in müde an. Vier Uhr morgens. Warum können Kinder ihren Harndrang im Schlaf nicht einfach unterdrücken? „Brauchst du mich dazu?“, fragte ich mit kratziger, trockener Stimme.
„Ja, Mami. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.“
Man kann einem kleinen Jungen, der so ein hündisches, süßes Gesicht aufsetzt einfach nicht widerstehen. „Ich komme schon.“ Schon als ich mit ihm schwanger war, wusste ich, dass es ein süßer, kleiner Racker werden würde. Es hatte sich bewahrheitet.
Er nahm meine Hand und zusammen gingen wir durch den Flur. Die Toilette befand sich im unteren Stockwerk. Unser Haus hatte uns ein Vermögen gekostet, noch heute zahle ich die Raten. „Der schwarze Mann ist in meinem Schrank.“
„Ich muss deinem Daddy echt verbieten, mit dir solche Filme anzuschauen“, antwortete ich und sah ihn lächelnd an.
Wir standen vor der Klotür und er sah mich an. Dann sagte ich: „Reingehen kannst du alleine.“
„Ma…“
„Mach schon“, fiel ich ihm ins Wort. Die Dunkelheit im Flur ließ sogar mir einen Schauder den Rücken hinab rutschen. Ich konnte Jake ein wenig verstehen, aber er musste nur auf die Toilette und nicht in den Keller. „Na komm, im Klo ist Licht.“
Er öffnete die Tür und ging hinein. Ein paar Sekunden später beleuchtete die Deckenlampe den kleinen Raum. Die Dusche befand sich in einem separaten Bad. Jake schloss die Tür und setzte sich auf die Schüssel. Im sitzen pinkeln, das hatte ich ihm beigebracht. Ich konnte das sprudeln seines Urins hören.
Die Spülung wurde betätigt.
Du sollst doch nicht spülen, während du noch dabei bist, dachte ich und lächelte in mich hinein. Eine Stelle im Haus knackte und ich erschreckte ein wenig, mir wurde zunehmend unbehaglich.
„Fertig?“, fragte ich.
Nichts. Keine Antwort.
„Jake?“ Das Licht brannte noch, das konnte ich durch den unteren Türschlitz erkennen. Langsam nahm ich den Griff in die hand und öffnete die Tür. Nichts. Niemand, besser gesagt.
Fragezeichen sammelten sich in meinem Kopf. Sie häuften sich. Ich warf einen Blick hinter die Tür, doch dort hätte er nicht sein können, sonst hätte ich ihm mit dem Öffnen der Tür die Zehen gebrochen und er hätte lauthals geschrieen.
„Jake?“ Angst übermannte mich. Panik und die Fragezeichen explodierten zu einem riesengroßen Haufen Nervosität. „Jake?“ Ich fragte leise, ich wollte Adam, meinen Mann, nicht wecken.
Zögernd schloss ich die Toilettentür. Leise.
Ich ging den Gang nach links entlang und setzte mich in die Küche.
Was ist da gerade passiert, dachte ich. Was zum Teufel ist da gerade passiert?Schritte drangen gedämpft durch die Wände des Hauses. Eine Tür wurde geschlossen. Ich konnte nur noch die Spülung hören und meinen Schrei: „Nein!“
Ich öffnete langsam die Tür. Adam schloss nie ab, mein Sohn hatte jedes Mal gelacht, wenn er ihn bei einem großen Geschäft erwischt hatte. Er war verschwunden. Nichts. Der kleine Raum - es war eher eine Kammer - war leer. Der Deckel und die Brille waren hochgeklappt und ...
Oh, mein Gott! Ich wollte schreien, aber alles was ich hätte von mir geben hätte können, blieb mir im Hals stecken, der Kloß verhinderte jeden Laut. Ich spürte den Drang in mir. Ich musste mal. Dringend. Ich konnte auf keinen Fall auf dieses Klo gehen. Dort lag ein Finger, rechts neben der Toilette. Der Ehering war noch an ihm.
Ich hastete durch den Flur in die Küche und riss den Hörer des Wandtelefons herunter. Ich hämmerte 110 ein und hielt mir zitternd den Hörer ans Ohr.
Scheiße, scheiße, scheiße, ging es mir immer wieder durch den Kopf.
"Ja, hallo, hier ... hier ist Jenny Alberts", stammelte ich. "Ich ... Ich ... Gott ... weg!"
"Was ist weg?", fragte mich die weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung.
"Mein Sohn, mein Mann!", schrie ich in den Hörer. "Sie sind weg!"
Zehn Minuten brauchten die Polizisten in ihrem Streifenwagen, bis sie hier waren. In ihrem Wagen stand eine Palette mit zwei Colabechern von McDonald's und nebendran lagen zwei Cheeseburger.
"Sie haben gerufen, wir sind zur Stelle", sagte der Polizist ernst, auf dessen Namensschild Ronald Ashfort stand. Das konnte er einfach nicht ernst meinen, oder?
"Ja, ja, ja, hab ich!", antwortete ich. "Komm... Kommen Sie!"
Die beiden Cops folgten mir. Sie sahen den Finger und begannen in ihre Funkgeräte zu sprechen.
"Verstärkung, bitte!" Pause. "Alberts Haus, Arlington Lane." Pause. "Verstanden."
Der andere Beamte kam zu mir. "Kommen Sie, wir bringen Sie aufs Revier."
Eine halbe Stunde lang wurde ich verhört, dann ließen sie mich mit einem Becher Kaffee alleine und gingen wieder ihrem Job nach. Ich sollte mich ausruhen und später in einem anderen Raum auf dem Revier übernachten. Sie wollten mich nicht alleine im Haus lassen, schon gar nicht, solange sie die Untersuchungen durchführten. Mir war es Recht. Ich wollte sowieso nicht alleine in dem Haus schlafen.
Ich brach in Tränen aus. Die Flüssigkeit kullerte in Rinnsälen meine Wangen hinunter und tropfte auf den Tisch.
Die Tür zum Raum in dem sie mich untergebracht hatten, war nicht verschlossen. Ich konnte kommen und gehen wohin und wann ich wollte. Aber ich wollte nicht. Ich blieb dort und versuchte zu schlafen. Mein Kopfkissen war schon ganz nass von meinem Geheul. Langsam stand ich auf und ging zur schweren Tür hinüber. Noch einmal sah ich mich in der Dunkelheit um und ging dann hinaus.
Ich hatte keine Angst auf diese Toilette zu gehen. Bei mir zu Hause hätte ich Angst gehabt. Aber hier nicht.
Ich setzte mich auf die Schüssel, ließ meine Hose runter und holte den kleinen Notizblock, den ich immer bei mir habe aus der linken Gesäßtasche. Der kleine Stift, der darangeklemmt ist, ist nicht gerade gut zum Schreiben, aber reicht aus, um dies hier hinzukritzeln.
Ich sitze nun schon eine Stunde hier und schreibe. Schreiben, schreiben, schreiben. Ich überlege mir, wie ich jetzt weitermachen soll, habe aber immer noch keine Antwort darauf. Vielleicht fällt mir im Schlaf etwas ein, falls ich heute Nacht schlafen kann.
Irgendetwas knistert unter mir. Ich glaube ich verschwinde jetzt besser. Wenn etwas unter mir knirscht und ich mit heruntergelassener Hose auf dem Klo sitze, wird mir unbehaglich zumute und -
Da ist was.
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