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Dreißig Jahre enden im Frauenhaus
Dreißig Jahre enden im Frauenhaus
Ein Stoffel wälzt sich in seinen Pantoffeln durch die Wohnung. Den Bademantel zu gebunden, das Gesicht mürrisch verkniffen.
Latscht ohne Morgengruß an den Kaffeetisch, lässt sich ächzend auf seinem Stuhl nieder. Die Morgenzeitung schon im Visier, kurz über den Brillenrand blickend. Vorwurfsvoll anklagender Blick. - Wann wird endlich Kaffee eingeschenkt? -
Die Frau den Blick gesenkt, schüttet zitternd den Kaffee in die Kaffeetasse. Welches Malheur! Natürlich geht von der dunklen Brühe welche daneben auf den Kaffeetisch.
Der Mann würdigt sie keines weiteren Blickes.
Die Frau verhärmt und ängstlich, denkt. - Hoffentlich gibt es jetzt keine Szene? Aufbrausend, tobend wie ein Orkan, hemmungslos johlend, wie er nun einmal ist. -
Das grimmig dreinblickende, dürre Männlein, geplagt von den Auswirkungen seines nächtlichen Alkoholkonsums schweigt.
Die Stimmung in dem Raum ist keineswegs freundlich und heiter, auch nicht wolkig, eher Flaute vor dem großen Sturm.
Das Männlein überfliegt die Zeitung, Stellenanzeigen lesen tut es schon lange nicht mehr. Wer würde auch noch so einem Menschen eine Arbeit geben? Hat er längst eingesehen und so lebt er seinen Frust an seiner Frau aus.
Das Geld von Hartz IV reicht selten bis zum Monatsende, dann steht er bettelnd in der Fußgängerzone.
Am Abend im Vollrausch schlägt er erst das Geschirr entzwei und anschließend verprügelt er die Frau.
Was ist er doch für ein toller Kerl, eine zierliche Frau zu vertrimmen, die ihm nicht gewachsen ist. Die Spuren seines Ledergürtels sind noch tagelang zu sehen, blaue Flecken, Blutergüsse. - Was ist das bloß für ein Leben. -
Die Frau steht auf geht in das Schlafzimmer und packt eine kleine Reisetasche mit ihrer Habe.
- Nach dreißig Jahren Ehe passt ihre Habe in eine kleine schäbige Reisetasche. -
Vorsichtig schleicht sie zur Wohnungstür, öffnet sie und verlässt ihre alte Welt.
Auf der Strasse vor dem Haus atmet sie tief durch. Ein letzter Blick nach oben zu ihrer alten Wohnung. Sie lächelt.
- Soll das alte Scheusal doch verrecken. Jetzt kann er sich eine junge Polin holen, wie er, ihr immer angedroht hat. Nur ob die ihn will? -
An der Bushaltestelle steigt sie in die Linie 4 und fährt in die Innenstadt. Ihr Weg führt sie direkt in das Frauenhaus. Eine nette Sozialarbeiterin nimmt sich ihrer an. Sie spürt eine schwere Last fällt von ihren Schultern.
Am Nachmittag sitzt sie mit anderen Frauen in einem Raum und lauscht den Gesprächen. Es wird ihr bewusst, sie ist kein Einzelschicksal. Während sie endlich beginnt zu verstehen, dämmert ihr noch eine Erkenntnis.
- Hat sie doch alle diese Jahre schweigend diese Qualen erduldet, dabei hätte sie einfach nur zu gehen brauchen. Wo war eigentlich ihre Liebe zu diesem Mann geblieben? Sie hat ihn doch schon lange mehr gehasst als geliebt! -
Ein Lächeln breitet sich wie ein Sonnenstrahl auf ihrem faltigen, verhärmten Gesicht aus. Sie hat endlich wieder ihr Leben zurückbekommen. Das ist nicht viel nach dreißig Jahren, aber immer noch mehr als Nichts.
© Bernard Bonvivant, März 2008