Was ist neu

Drei Kerzen

Seniors
Beitritt
03.07.2004
Beiträge
1.635
Zuletzt bearbeitet:

Drei Kerzen

'Seelsorge ist ein wichtiger Auftrag, aber manchmal kann ich mich um Gemeindeglieder nur sorgen und erreiche sie nicht.' Dieser Gedanke ging der Pfarrerin nach ihrem Besuch bei dem Ehepaar Meier durch den Kopf. Die Meiers waren Rentner. Ihr einziger Sohn hatte bei ihnen gelebt und sie versorgt, bis er vor einem halben Jahr bei einem Betriebsunfall sein Leben verlor. Waren die drei schon vor diesem tragischen Ereignis für sich geblieben, so verkroch sich das Ehepaar jetzt noch mehr. Frau Meier war gar nicht mehr zu sehen und Herr Meier ging einmal in der Woche zum Einkauf und blieb die andere Zeit zu Hause.

Die Pfarrerin hatte den Sohn beerdigt, einige Mitarbeiter und der Firmenchef waren bei der schlichten Trauerfeier gewesen. Dann besuchte sie das Ehepaar jeden Monat, aber wie sie ihnen helfen könnte, blieb ihr verborgen. Frau Meier saß bei den Besuchen geradezu apathisch auf dem Sofa, sie antwortete auf keine Frage und ließ auch kaum erkennen, ob sie zuhörte. Auch Herr Meier sprach nur einige Worte. Dabei schienen die beiden gar nicht sehr zu trauern, eher hatte die Pfarrerin den Eindruck, dass sie etwas erwarteten und gar nicht mehr ganz in der Welt waren. Aus einigen kurzen Sätzen gewann die Pfarrerin den Eindruck, dass beide Eheleute meinten, oft mit ihrem Sohn zu sprechen und ihn manchmal auch zu sehen. Das beunruhigte sie und im Frauenkreis fragte sie, ob sich nicht einige Frauen zu Besuchen bereit fänden, um sie zu unterstützen.

"Die Meiers sind doch nie im Gottesdienst. Sie sollten sich vielleicht mehr um die treuen Gemeindeglieder kümmern," schimpfte Frau Köhnlein. Sie war dafür bekannt, dass sie ihr Herz auf ihrer spitzen Zunge trug, aber die anderen Frauen murmelten zustimmend und so verfolgte die Pfarrerin ihren Plan nicht weiter.

Bei ihrem letzten Besuch lud sie die Meiers zum Totengedenken am kommenden Sonntag ein. Da sagte Frau Meier: "Wir brauchen uns nicht zu erinnern, unser Sohn ist uns ja ganz nahe und bald werden wir wieder zusammen sein."

Die Pfarrerin war so überrascht, dass sie gar nichts erwidern konnte. Nach einer kleinen Pause, sagte Herr Meier: "Unser Sohn ist uns vorausgegangen in die Ewigkeit. Das haben Sie uns ja bei der Beerdigung gesagt. Wir werden ihm nachfolgen. Darauf freuen wir uns und wir wünschen uns nur, dass Gott uns bald zusammenbringt."

'Jetzt ist die Gelegenheit für ein Gespräch,' dachte die Pfarrerin, aber die Meiers schienen schon wieder weit weg zu sein.

Der Gottesdienst am Totensonntag begann, die Kirche war gut gefüllt. Ob Meiers gekommen waren? Gesehen hatte sie die beiden nicht, aber sie hatte auch gar nicht alle Gemeindeglieder am Eingang begrüßen können.

Die Namen der Verstorbenen waren verlesen worden, die Angehörigen konnten jetzt vor den Altar treten und eine Kerze anzünden und in vorbereitete Sandkästen stecken.

Die Schlange ging zu Ende, der Organist begann schon leise mit dem Vorspiel zu "Wachet auf", da schlurfte Herr Meier aus dem Seitenschiff in den Altarraum. Er schien der Pfarrerin sehr blaß zu sein, aber er lächelte leise, nahm drei Kerzen aus dem Kasten, zündete sie an der Osterkerze an und steckte sie so in den Sand, dass sie ein Dreieck bildeten. Dann verschwand er.

Die Pfarrerin hörte in ihren Gedanken das Getuschel der treuen Gottesdienstbesucherinnen: 'Wieso nimmt er sich drei Kerzen? Er hat doch bloß einen Sohn verloren. Wo ist seine Frau. Wieso kommt er so spät?'

Aber wo war Herr Meier geblieben. Er konnte sich ja schließlich nicht in Luft aufgelöst haben. Also blendeten alle dieses Geschehen aus und vergaßen es ganz schnell. Nur die Pfarrerin konnte dieses Bild nicht verdrängen. Wie Herr Meier drei Kerzen in den Sand steckte und dann nicht mehr da war. Verschwunden war, als ober nie in der Kirche gewesen wäre. Aber die drei Kerzen brannten dort im Sand und flossen jetzt, weil sie so nahe standen, ineinander.

Am Ausgang griff die Pfarrerin den Arzt, der auch im Kirchenvorstand saß, am Arm und sagte: "Bitte bleiben Sie, wir müssen noch einen Besuch machen." Er hatte weit hinten gesessen und so nichts mitbekommen. Beide fuhren zum Haus der Meiers und holten, als sich niemand meldete, die Feuerwehr, um ins Haus zu kommen.

Sie fanden die beiden friedlich im Bett liegend. "Sie sind heute Nacht eines natürlichen Todes gestorben," stellte der Arzt nach der Untersuchung nüchtern fest. Und als er das zweifelnde Gesicht der Pfarrerin sah, fügte er hinzu: "Sie waren beide schon sehr hinfällig und ich wundere mich eher, dass sie noch so lange gelebt haben."

"Ihr Sohn ist ihnen vorausgegangen und Gott hat ihren Wunsch erfüllt und sie mit ihrem Sohn vereint," sagte die Pfarrerin an den offenen Gräbern. Nur der Beerdigungsunternehmer und der Arzt standen neben ihr, aber ihr schien, dass auch die Toten aufmerksam zuhörten. Eine innere Wärme breitete sich in ihr aus, ihre Sorgen waren plötzlich fort und sie wußte, dass die Meiers sich auf diesen Tag gefreut hatten und die drei Kerzen ihr dies zeigen sollten.

 

Anmerkung:

Ich bin nicht sicher, ob diese kleine Geschichte hierher oder in Seltsam oder in Sonstiges gehört. Also gehe ich nach dem Alphabet und hoffe auf Hiweise, wenns falsch ist.

Jobär

 

Hallo Jobär,

ob deine Geschichte besser in Seltsam oder Sonstiges passt ist Ansichtssache. Ich finde sie hier in Fantasy gut aufgehoben.
Ein altes Ehepaar, das ihren einzigen Sohn verliert. Auch wenn die Story sehr kurz ist, finde ich, das du sie ganz gut umgesetzt hast.
Aber es gibt bestimmt andere, die anders darüber denken. ;)

Gruß
Shinji

 

Haloo Shinji!

Danke für Deine netten Worte.

Gruß

Jo

 

Hallo illu,

danke für Deine Kritik. Die Fehler habe ich korrigiert. Wenn ich wie Coelho schreiben könnte, würde ich mich nicht jeden Morgen zu meinem Büroarbeitsplatz quälen. Ich gebe Dir aber recht, daß die Geschichte recht dünn ist.
Es ist wirklich mal eine Geschichte, die ich mir von der Seele geschrieben habe (heute ist bei uns Totensonntag), um eine Last loszuwerden. Deshalb möchte ich mir auch gar keine weiteren GEdanken um eine Verbesserung machen.

Da ich jetzt gerade noch eine Geschichte nach Fantasy gestellt habe, könnte diese gerne nach Seltsam verschoben werden.

Libene Gruß

Jo

 

Ich möchte mich entgegen meiner Gewohnheit mal auf die Diskussion der Aussage der Geschichte beschränken.

Einige Stichworte fallen mir ein: Todessehnsucht, Hilflosigkeit, Einsamkeit, aber auch Ignoranz, Überforderung, Depression.

Vielleicht liegt es an meinem Wesen, aber Todessehnsucht geht mir gegen den Strich. Mag sein, dass es Leute wie die beschriebenen gibt. Dann sollte man (in diesem Fall die Pfarrerin) ihnen in den Hintern treten und nicht nur leise Worte benutzen. Man wirft sein Leben nicht weg. Dafür ist es ein zu großes Geschenk. Es ist sicher schwer, sowas in depressive Köpfe rein zu kriegen. Und eine Pfarrerin ist damit vielleicht auch überfordert, vermutlich ist das jeder, auch ein Psychologe. Die Fehler sind im beschriebenen Fall natürlich viel früher gemacht worden. Unsere anonyme Gesellschaft fördert eben die Einsamkeit: Nur durch eigenes Engagement kann man sie verhindern. Versäumt man es, aktiv zu werden, sitzt man alleine da.

Leider bietet die Erzählung keine optimistische Lösung, vielmehr kokettiert sie für meinen Geschmack zu sehr mit der Todesverliebtheit der Rentner, und da diese als unveränderlich dargestellt wird, macht die Geschichte es sich meiner Meinung nach etwas zu einfach. Da mögen die Worte noch so melancholisch klingen - ich finde die Darstellung einseitig, die Pfarrerin ist kein hinreichend positiver Gegenpol, um so etwas wie einen Konflikt entgegengesetzter Lebenseinstellungen darzustellen.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich finde den Text lesbar geschrieben, nur emotional ist er für mich unerreichbar.

Uwe
:cool:

PS: im ersten Satz müsste "mir" statt "mich" stehen, oder?

 

Hi Jobär,

ich glaube, dass es sehr vielen Menschen so geht, wie den Meiers.
Die meisten werden nur nicht das Glück haben, gemeinsam eines natürlichen Todes zu sterben.

Für einen Menschen, der ein Kämpferherz in sich hat, so wie Uwe es sieht und auch zu haben scheint, kann es natürlich keine Lösung sein sich aufzugeben. Ich sehe es im Grunde genauso.
Doch ist des Menschen Wille sein Himmelreich. Und um die Seelen, der sich aufgegebenen zu erreichen, braucht man selber schon sehr viel Kraft.

Es kommt auf die Situation an. Doch im Falle der Meiers, gönne ich es ihnen, dass sich ihre Sehnsucht erfüllt hat.

Eine "leise" Geschichte, die mich berührt hat. :)

liebe Grüße, coleratio

 

Hallo Uwe!

Im ersten Satz sind zwei Alternativen in den Clinch gegangen. Ich habs wieder entwirrt.
Der Text bietet für dich keine optimistische Lösung. Ich habe auch keine. Die anderen Zuschauer verdrängen das Geschehen ganz schnell, weil es eben nicht in ihr optimistisches und diesseitiges Weltbild passt. Die Pfarrerin darf erfahren, dass sie sich keine Vorwürfe zu machen braucht, dass sie die beiden nicht 'gerettet' hat. Es geht hier ja nicht darum, das Menschen aktiv aus dem Leben scheiden, sondern dass sie einfach sagen: Es ist genug. Diese beiden Menschen sind eben lebenssatt und bereit sich auf die Reise zu machen. Das finde ich gar nicht depressiv oder pessimstisch. Aber vielleicht ist das nicht genug rübergekommen.

Liebe coleratio!

Vielen Dank für Deine Kritik. Die Frage ist doch: Wenn man überzeugt ist, dass es ein leben nach dem Tod gibt - gibt es dann nicht auch eine Situation, in der man sagt: ich möchte gar nicht mehr für ein Verbleiben hier kämpfen? Die christliche Kirche hat nicht umsonst die Selbsttötung als Sünde qualifiziert. Viele Menschen in vergangenen Zeiten hätten sonst wohl gesagt: Ich verlasse lieber gleich dies irdische Jammertal.

Lieben Gruß

Jo

 

Ja Jo, so sehe ich das auch.

Doch denke ich, wenn man wirklich an ein Leben nach dem Tod glaubt (was ich auch tue), weiß man auch, dass unser Erdenleben eine Chance auf die Weiterentwicklung der Seele ist. Die meisten Menschen haben eine natürliche Scheu/Angst, sich das Leben zu nehmen, und das ist auch gut so.

Deine Prots sind alt und müde geworden. Irgendwann ist es genug. So geht es auch alten oder sehr kranken Menschen, die nicht an ein Leben nach dem Tod glauben.
Und auch das ist gut so.
Sie können gehen ohne sich zu "quälen".

 

Hallo jobär,

ich finde Deine Geschichte sehr schön. Du hast aus einer scheinbar alltäglichen (wenn auch besonderen) Situation eine seltsame, metaphysisch, ja, kosmische Geschichte gestrickt.
Ich möchte die Geschichte wirklich nicht kritisieren aber am Anfang hätte ich mir mehr Spannung und Beklemmung gewünscht. Gerade die Stellen, wo die Pfarrerin bei den Eltern sitzt, hättest Du durch nicht so ganz direkte Beschreibungen noch unheimlicher und apathischer beschreiben können (nun, da Du aber die Geschichte wie Du sagst

von der Seele geschrieben
hast und sie nicht korrigieren möchtest, ist das ja auch einerlei). Auch die Stelle als der Vater in die Kirche kommt hätte durch weitere Beschreibungen einen sehr viel unheimlicheren Effekt erlangen können. Das "er schlurfte in die Kirche" finde ich super, hat was geisterhaftes, ist wohl nur noch seine Hülle, die auf der Erde herumschwebt.
Hoffe Du nimmst Kritik von mir "Kurzgeschichtenfrischling" :shy: an.

Viele Grüsse

Lasse

 

Hallo Lasse!

ich kann Deine Kritik verstehen und ich kann mir auch vorstellen, die Geschichte viel Spannender machen zu können. Es sollte aber halt eine 'leise' Geschichte sein. So erscheint der alte Mann den Gottesdiensbesuchern gar nicht unheimlich, so dass sie auch sein plötzliches Verschwinden ganz schnell vergessen. Es kommt bei ihnen gar keine besondere Stimmung auf und was da geschehen ist, hinterlässt bei ihnen keine Spuren.

Gruss

Jo

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom