Drei Tote an einem Tag
Drei Tote an einem Tag
Eine unerträgliche Hitze war das. Diese Fliege an der Decke. Wie lange starrte ich sie schon an? Sie bewegte sich nur unmerklich – immer eines ihrer sechs Beine voran tastend bewegte sie sich direkt über mir. Ich lag auf meinem Bett. Ich hatte mich nicht zugedeckt. Es war Nachmittag. Die Arbeit hat mir nicht gut getan. Die Hitze vernebelte meine Gedanken. Man konnte wirklich verrückt werden. Wahnsinnig. Ich konnte doch nichts dafür. Sie war einfach aufgetaucht. Plötzlich stand sie da am Straßenrand und winkte. Ich konnte sie doch nicht einfach in der Hitze stehen lassen. Die Fliege musste schon mindestens zehn Zentimeter weiter gekrochen sein. Kurz hob sie ab und landete an der Wand zu meiner rechten. Ich musste einfach anhalten. Wieso auch nicht. Sie lächelte. ”Wohin soll's gehen?” - ”Zum nächsten Bahnhof.” Ich schwieg und nickte. ”Ein kleiner Umweg schadet nichts” dachte ich mir. ”Wieso haut sie nicht ab?” - diese Fliege ging mir unbeschreiblich auf die Nerven. Ein Meter neben mir lag eine Fliegenklatsche. Ein Meter. Bei dieser Hitze war das viel mehr als zu weit. Mein Arm war schwer wie Blei. Ich brachte ihn fast nicht in den Kofferraum. Erst als ich einen meiner Koffer im inneren meines Wagens verstaut hatte war genügend Platz. ”Danke”, sagte sie. ”Ich dachte schon es kommt hier überhaupt niemand mehr vorbei.” . Dann schwieg sie wieder. Ich auch. Durch das geöffnete Fenster konnte ich die Zikaden hören. Ich starrte die Fliege an. Was fiel ihr eigentlich ein mich so zu belästigen. Einmal im Urlaub brauchte ich meine Ruhe. Dringend. Das schien sie nicht zu beeindrucken. Ganz im Gegenteil. Sie landete auf meinem Arm. Schwach scheuchte ich sie weg. Sie hatte doch die Leiche nicht bemerkt? Ich sah sie aus dem Augenwinkel an. Sie lächelte und sah aus dem Fenster. Sie wirkte verängstigt. ”Zigarette?” – ”Danke ich rauche nicht.” Jetzt landete sie auf meinem Bein. ”Ich könnte zum Kühlschrank gehen... ein Schluck Wasser würde mir gut tun”. Ich war zu erschöpft. Ich hatte nicht einmal die Erde unter meinen Fingernägeln entfernt. Ich hatte immer noch die Zigarette im Mund. Ein metallisches ”Klick” lies mich aufschrecken. Der Zigarettenanzünder sprang heraus. Ich steckte mir die Zigarette an. ”Rauch vertreibt doch Insekten?” Aber die Schachtel lag zu weit entfernt um sie zu erreichen. Statt dessen landete die Fliege auf meinem Bein. Ein schwaches Zucken bewegte sie dazu wieder an die Decke zu Fliegen. Mehr Kraft hatte ich nicht. Ich starrte sie wieder an. ”Warum schaust du so?” - ”Ich...” Ich schwieg wieder und konzentrierte mich auf die Bergstraße die wir uns langsam mit dem Wagen nach unten zwängten. Jetzt flog sie direkt auf meine Handfläche. Die Hitze schien ihr nichts anhaben zu können. Hatte sie etwa das tote Fleisch gerochen? Ich wusste nicht weiter. Ich blickte erneut von der Straße auf ihr sonnengebräuntes Gesicht. So sah sie auch einmal aus. Ich spürte eine Macht in mir. Eine kleine Bewegung mit meinem Finger und sie wäre tot – wie damals. Als hätte sie es geahnt hob sie wieder ab und landete auf meiner Stirn. Ich zuckte. Sie flog aus meinem Sichtfeld. Mein Wagen hatte kein Radio. Ich begann zu pfeifen. ”Schöne Melodie. Kommt mir bekannt vor.” – ”Selbstgeschrieben”, antwortete ich. ”Dir hätte ich eigentlich eher italienische Schlager zugetraut.” - ”...momentan nicht meine Stimmung.” ”Verstehe” – hatte sie etwa doch etwas bemerkt? Warum sagte sie ‚Verstehe‘? Das konnte doch nicht sein. Ich war doch so vorsichtig gewesen. Mir wurde klar ich müsse sie loswerden. Da war sie auch schon wieder. Sie krabbelte die Wand oberhalb meines Kopfes hoch. Wenn ich nur die Kraft gehabt hätte sie zu töten. Man hatte das Gefühl die Hitze drückte auf das Dach meines Wagens. Die ersten Häuser zogen an uns vorbei. Das musste es sein. Nach zehn Minuten hatten wir den Bahnhof erreicht. Ich holte ihren Koffer aus dem Kofferraum. Ich schloss den Wagen ab und brachte sie zum Bahnsteig. Ich hatte es nicht eilig. Sie kaufte ihr Ticket. Wir verabschiedeten uns. Sie berührte meine Lippen. Da war sie wieder. Aber sollte ich mich wirklich selbst ins Gesicht schlagen? Es war doch nur eine Fliege. Ich ging zum Wagen und lies den Motor an. Auf dem Weg war mir eine kleine Abzweigung aufgefallen. Dort würde mich niemand stören. Ich begann das Loch zu graben. Als es groß genug war ging ich zum Wagen und holte den grauen Müllsack. Der Geruch war unerträglich. Eine Unmenge Fliegen Verfolgte mich. Ich warf den Sack in das Loch. Dann schüttete ich es wieder zu und fuhr in mein Appartement. Jetzt musste ich mich erst einmal ausruhen. Zu Fuß in die siebte Etage. Und das bei dieser Hitze. Endlich fiel ich erschöpft auf mein Bett. Da fiel mir die Fliege an der Decke auf. War sie mir etwa gefolgt? Sie musste sofort tot gewesen sein. Mein Gesicht schmerzte von dem Schlag. Sie bewegte sich nicht mehr. Zwei Tote an einem Tag. Ich hatte Durst. Plötzlich klingelte es. Ich versuchte mich zu erheben. Verzweifelt gab ich auf. Noch einmal zog der Tag an mir vorbei. Dann begann ich Stimmen zu hören. Bewaffnete stürmten in meine Wohnung. Die Tote Fliege klebte in meinem Gesicht. Warum macht einer Fliege die Hitze eigentlich nicht zu schaffen? Ja. Eine Fliege müsste man jetzt sein. Aber vielleicht konnte ich ja fliegen? Die Balkontür stand offen. Der Uniformierte versuchte mich zu beruhigen. Aber sie sollten mich nicht erwischen. Nicht so wie ich die Fliege. Nicht so wie ich sie. Nein. Und tatsächlich. Ich flog. Ich spürte den kühlen Wind in meinem Gesicht. Meine Gedanken wurden wieder klar. Erst jetzt verstand ich was ich getan hatte.
Sieben Stockwerke
Sechs Jahre mit ihr
Fünf Schüsse in ihren Körper
Vier Sekunden freier Fall
Drei Tote an einem Tag.